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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 28 (September 1910)
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Döblin, Alfred: Die Ermordung einer Butterblume
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0225
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das Herz des Kaufmanns. Pfump sank jetzt der
gelöste Pflanzenkopf und wühlte sich in das Qras.
Tiefer, immer tiefer, durch die Grasdecke hindurch,
den Boden hinein. Jetzt fing er an zu sausen, in
das Erdinnere, daß keine Hände ihn mehr halten
konnten. — Und von oben, aus dem Körperstumpf,
tropfte es, quoll aus dem Halse weißes Blut, nach
in das Loch, erst wenig, wie einem Gelähmten, dem
der Speichef aus dem Mundwinkel läuft, dann jn
dickem Strom, rann schl'eimig, mit gelbem Schüum
auf Herrn Michael zu, der vergeblich zu entfliehen
suchte, nach rechts hüpfte, nadh links hüpfte, der
drüber wegspringen woflte, gegen dessen Füße es
sehon anbrandete.

Mechanisch setzte Herr Michaef dcn Hut auf
den schweißbedeckten Kopf, preßte die Hände mit
dem Stöckchen gegen die BruSt. „Was ist ge-
schehen?“ fragte er nach einer WeilC. „Ich bin
nicht berauscht. Der Kopf darf nicht faflen, er
muß liegen bleiben, er muß im Gras liegen bleiben.
Ich bin überzeugt, daß er jetzt ruhig im Gras' fiegt.

Und das Blüt-. Ieh erinnere mich dieser Blume

nicht, ich bin mir absofut nichts bewußt.“

Er staunte, verstört, mißtrauisch gegen sich
selbst. In ihm starrte alles auf die wilde Erregung,
sann entsetzt über die Blürne, den gesunkenen Kopf,
den bfutenden Stiel. Er sprang noch immer über
den sChfeimigen Fluß. Wenn ihn jemand sähe, von
seinen GesChäftsfreunden oder eine Dame.

In die Brust warf sich Herr Michef Fischer,
umklammerte den Stock mit der Rechten. Er blickte
auf seinen Rock und stärkte sich an seiner Haltung.
Die eigenwifligen Gedanken wollte er sChon unter-
kriegen: SelbstbeherrsChüng. Diesem Mangel an
Gehorsam würde er, der Chef, energisch steuern.
Man muß diesem Volk bestimmt entgegentreten:
„WaS steht zu Diensten? In meiner Firma ist sölCh
Benehmen niCht üblich. Hausdiener, raus mit dem
Kerl.“ Dabei fuchtelte er Stehen bleibend mit dem
Stöckchen in der Luft herum. Eine kühfe, ab-
lehnende Miene hatte Herr Fischer aufgesetzt; nun
wollte er einmal sehen. Seine Ueberlegenhteit ging
sogar soweit, daß er oben auf der breiten Fahrstraße
seine Furchtsamkeit bespöttelte. Wie würde es sicti
komisch machen, wenn an ailem Anschlagsäulen
Freiburgs am nächsten Morgen ein rotes Plakat
hinge: „Mord begangen an einer erwachsenen
Butterblume, auf dem Wege vom Immenthal nach
St. Ottilien, zwischen 7 und 9 Uhr abends. Des
Mordes Verdächtig“ et cetera. So spöttelte der
schläffe Herr in Schwarz und freute sich über die
kühlte Abendluft. Da unten werden die Kirnder-
mädchen, die Pärchen finden, was von seiner Hand
gesChehen war. GesChrei wird es gebten und ent-
stetztes Nachhausefaufen. An ihn würden die
Kriminalbeamten denken, an den Mörder, der sChlau
ins Fäustchen fachte. Herr Michael erschauerte wüst
über seine eigene Tollkühnheit, er hätte sich nie
für so tverworfen gehaften. Da unten lag aber
sichtbar für die ganze Stadt ein Beweis seiner
rasChen Energie.

Der Rumpf ragt starr in die Luft, weißes Blut
sickert aus dem Hafs.

Herr Mic'haef streckte leicht abwehrend die
Hände vor.

Es gerinnt oben ganz ditek und klebrig, so daß
die Ameisen hängen bfejben.

Herr Michaef strich sich die Schläfen und blies
laut die Luft von sich.

Und daneben im Rasen fault der Kopf. Er
wird zerquetscht, aufgeföst Vom Regen, verwest.
Ein gelber, stinkender MatsCh wird aus ihm, grün-
Hch, gelblich schillernd, schleimartig wie Er-
brochenes. Das hebt sich lebendig, rinnt auf ihn
zu, gerade auf Herrn Michaef zu, will ihn ersäufen,
strömt klatsChend gegen seinen Leib an, spritzt an
seine Nase. Er springt, hüpft nur noch auf den
Zehen.

Der feinfühlige Herr fuhr zusämmen. Einen
s'cheußfichen Geschmack fühlte er im Munde. Er
konnte nicht schlucken vor Ekel, spie unaufhörlich.
Häufig stolperte er, hüpfte unruhig, mit blaubleichen
Lippen weiter.

„Ich weigere mich, jch weigere mich' auf das
entsChiedenste, mit Ihrer Firma irgend welchte Be-
ziehung anzuknüpfen.“

DaS Taschentuch drückte er an die Nase. Der
Kopf mußte fort, der Stief zugedeckt werden, ein-
gestampft, versCharrt. Der Wald roch nach der
Pflanzenleiche. Der Geruteh ging neben Herrn
Michael einher, wurde ,immer intensiver. Eine

andere Blume mußte an jene Stelle gepflanzt werden,
eine wohlriechende, ejn Nelkengarten. Der Kadaver
mitten im Walde mußte fort. Fort.

Im Augenblick, als Herr Fischer stehen bleib«n
wollte, fuhr e§ ihm durCh den Kopf, daß es ja
lächerlich war, umzukehren, mehr als lächerlidh’. Was
ging ihn die [Butterblüme an? Bittere Wut lohte
in ihm bei dem Gedanken, daß er fast überrumpelt
war. Er hatte sich nicht zusammengenommen, biß
sich in den Zejgefinger: „Paß auf, du, iCh sag
dirs, paß auf, Lump verflüchter.“ Zugleich warf
sich hinterrücks Angst riesengroß über ihn.

Der finstere Dicke sah scheu um sich, griff in
seine HosentasChe, zog ein kleines Taschenmesser
heraus und klappte es auf.

InzwisChen gingen seine Füße weiter. Die Füße
begannen ihn zu grimmem. AuCh sie wollten sich
zum Herrn aufwerfen; ihn empörte ihr eigenwilliges
Vorwärtsdrängen. Diese Pferdchen woflte er bald
kirren. Sie Söllten |es spüren. Ein sCharfer Stich
in die Flanken würde sie sChon zähmen. Sie trugen
ihn immer weiter fort. Es 1 sah fast aus, als ob er
Von der Mordstelle fortliefe. Das sollte niemand
glauben. Ein Rauschen von Vögeln, ein fernes
Wimmern fag in der Luft und kam von unten
herauf. „Halt, Halt!“ stehrie er den Füßen zu.
Da stieß er das Messer in einen Baum.

Mit beiden Armen UmsChlüng er den Stamm und
rieb die Wangen an der Borke. Seine Hände
fingerten in der Luft, als ob sie etwas kneteten:
„Nach Kanossa gehen wir nicht.“ Mit angestrengt
gerunzelter Stirn studierte der totblasse Herr die
Risse des Baumes, duckte den Rücken, ais ob' von
hinten etwaS [über ihn wegspringen soflte. Die
Teltegraphenverbindung ZwisChen Sich und der Stelle
hörte er immer wieder kfirren, trotzdem er
mit Fußstößen die Drähte verwirren und zudrüCken
wollte. Er sutehte es sich zu Verbergen, daß seine
Wut stehon geljähüit war, daß in ihm eine sachte
Lüsternheit aufzuckte, eine Lüsternheit nachzugeben.
Ganz hinten füsterte ihn nach der Blume und der
Mordstelle.

Herr Michaef wippte Versuchend mit den
Knieeen, stehnupperte in die Luft, horchte nach aflen
Seiten, flüsterte längstlich: „Nur einsCharren will
ich den Kopf, weiter nichtsl Dann ist alles gut.
Rasch, bitte, bitte.“ Er schloß unglücklich die
Augen, drehte sich wie versehentlich auf den Hacken
um. Dann schltenderte er, als wäre nichts geschtehem,
gerade auS abwärts, im gfeichgültigen Spazier-
gängersChritt, mit lteisem Pfeifen, in das er einen
Sorgfosen Ton legte und streichelte, während er
befreit aufatmete, die Baumstämme am Wege. Da-
bei lächelte er, und Sein Mäulchen wurde rund wie
ein Loch. L’aut sang er ein Lied, das ihüi plötzlich
einfiel: „HäSchen ,in der Grube saß und schlief.“
Das frühere Tänzeln, Wiegen der Hüfte, Arm-
schlenkern machte er nach. Das Stöckchen liatte er
schuldbewußt hoch in den Aermel hinaufgeschoben.
Manchmaf stehlich er bei der Biegung des Weges
rasCh zurück, ob ihn jemand beobachtete.

Viellleicht lebte sie überhaupt noteh; ja, woher
wußte er denn, daß sie schon tot war? Ihm huschte
durch den Kopf, daß er die Verletzte wieder heilen
könnte, wenn er sie mit Höfzchen stützte und etwa
rings herum um Kopf und Stief einen KlebteVerband
anltegte. Er fing an Schneller zu gehten, seine
Haltung zu vtergessen, zu rennen. Mit einmal zittterte
.er vor Erwartung. Und stürzte läng an einer
Biegung hin gegen einen abgehoizten Stamm, schlug
sicli Brust und Kinn, so daß er faut ächzte. AIs
er sich aufraffte, yergaß er den Hut im Gras;
das zerbrochene Stöckchen zerriß ihüi den Aermel
Von innen; er ünerkte nichts. Hohb, man wiollte
ihn aufhalten, ihn söllte nichts aufhalten; er würde
sie schon finden. Er kletterte wieder zurück. Wo
war die Stefle? Er mußte die Stelle finden. Wenn
er die Bl'ume nur rufen könnte. Aber wie hieß
sie denn? Er wußte nicht einmaf, wie sie hieß.
Eflen? Sie hieß vielleicht Ellen, gewiß Ellen. Er
flüsterte ins Gras, bückte sich, um die Blumen mit
der Hand anzustoßen.

„Ist Eflen hier? wo liegt Ellen? Ihr, nun?
Sie ist verwundet, am Kopf, etwas unterhalb des
Kopfes. Ihr wißt es vielleicht noch nicht. Ich will
ihr heffen; iCh bjn Arzt, Samariter. Nun, wo liegt
sie? Ihr könnte es mir ruhig anvertrauen, sag
ich euch.“

Aber wie soflte er, die er zerbrochen hatte,
erkennen? Viefleicht faßte er elie gerade mit der

Hand, vielleicht seufzte sie dicht nebten ih'm den
ltetzten Atemzug aus.

DaÜ durfte nicht sein.

Erbrüllte: „Gebt sie heraus. Macht mich nicht
unglücklich, Ihr Hunde. Ich bin Samariter. Ver-
steht Ihr kein Deutsch?“

Ganz ltegte er sich auf die Erde, suchte, wühlte
schließlich blind im Gras, zerknäulte und zerkratzte
die Blümen, während sein Mund offen stand und
steine Augen gradaus flackerten. Er dumpfte lange
vor sich hin.

„Herausgeben. Es müssen Bedingungen ge-
gestellt werden. Präliminarien. Der Arzt hat ein
Recht auf den Kranken. Gesetze müssen einge-
bracht werden.“

Die Bäume standen tiefschwarz in der grauen
Luft am Wege und überall herum. Es war auch zu
spät; der Kopf gewiß stehon Vertrocknet. Ihn ent-
stetzte der endgültige Todesgedanke und sChüttelte
ihm die Schultern.

Die schwarze runde Gestalt stand aus|dem Grase
auf und torkelte am Wegrand entlang abwärts.

Sie war tot. Von seiner Hand.

Er steufzte und rieb sich sinnend die Stirn.

Man würde über ihn herfaflen, von allen Seiten.
Man sollte nur, ihn kümmerte nichts mehr. Ihm
war alles gleichgültig. Sie würden ihm den Kopf
abschlägen, die Ohren abreißen, die Hände in
glühende Kohlen legen. Er konnte nichts mehr tun.
Er wußte, es würde ihnen aflen einen Spaß machten,
doch er würde keinen Laut von sich geben, um die
gemeinen Henkersknechte zu ergötzen. Sie hatten
kein Recht, ihn zu strafen; waren selbst verworfen.
Ja, er hatte die Blüme getötet, und das 1 ging sie
garnichts an, und das war sein gutes Recht,
woran er festhielte gegen sie alle. Es war seiit
Recht, Blümen zu töten, und er fühlte Sich nicht ver-
pflichtet, das näher zu begründen. Soviel Blumen
wie er wolle, könnte er umbringen, im Umkreise
von taustend Meifen, nach Norden, Süden, Westen,
Osten, wenn sie auch darübter grinsten. Und wenn
sie weiter so lütehten, würde er ihnen an die Kehle
springen.

Stehen blieb er; seine Blicke gifteten in das
schwere Dunkef der Fichten. Seine Lippen waren
prall mit Blut gefüllt. Dann hastete er weiter.

Er mußte wohf hier im Wald kondolieren, den
Schwestern der Toten. Er wies darauf hin, daß
das Unglück geschehen sei, fast ohne sein Zutun,
erinnerte an die traurige Erschöpfung, in der er
aufgestiegen war. Und an die HitZe. Im Grunde
seien ihm allerdings alle Butterblumen gleichgültig.

Verzweifelt zuckte er wieder mit den Schultern:
„Was werden sie noch mit mir machen ?“ Er strich
sich mit den schmutzigen Fingern die Wangen; er
fand siteh nicht meh’r zurecht.

Was solite das alles; um Gotteswillen, was
suchte er hier!

Auf dem kürzesten Wege wollte er davon-
sChfeichen, querabwärts durch die Bäume, sich ein-
mal ganz klar und ruhig besinnen. Ganz langsam,
Punkt für Punkt.

Um niteht auf dem glatten Boden auszugleiten,
tastet er sich Von Baum zu Baum. Die Blüme,
datehte er hinterlistig, konnte ja auf dem Wege
Stehen bleiben, wo sie stand. Es gibt genug sblc'h
toten Unkrauts in der Welt.

Entsetzen packt ihn aber, afs er sieht, wie aus
einem Stamrne, den er bterührt, ein runder bläßheller
Harztropfen tritt; der Baum weint. Im Dunkefn auf
einen Pfad flütehtend, merkt er bäld, daß sich der
Weg sönderbar verengt, als ob der Wald ihn in eine
Falle locken wolle. Die Bäume treten zum Gericht
zusämmen.

Er muß hinauS.

Wieder rennt er hart gegen eine niedrige Tanne;
die schlägt mit aufgehobenen Händen auf ihn nieder.
Da briteht er siteh 1 mit Gewalt Bahn, während ihm
daS Bfut stromweise über das Gesicht fließt. Er
speit, schfägt um sich, stößt laut schreiend mit
den Füßen gegen die Bäume, rutscht sitzend und
koflernd abwärts, läuft schließlich Hals über Kopf
den ltetzten Abhang am Rand deS! Waldes herunter,
den Dorflichtern zu, den zerfetzten Gehrock über
den Kopf gestehlügen, während hinter ihm der Berg
drohsam rausc'ht, die Fäuste schÜttelt und übterall
ein Bersten und Brechen von Bäumen sich hören
läßt, die ihm natehlaufen und stehimpfen.

Schluss folgt

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