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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 58 (April 1911)
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Hallström, Per: Adonia, [1]
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Lasker-Schüler, Else: Gedichte
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [2]: ein Volksroman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0017
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Licht. Die Jungen liebten ihn, die Alten, die das
Leben gesehen hatten, schüttelten ihr Haupt, wenn
er vorübereilte und sahen gedankervoll zu Boden.

Als er an Davids Bett trat, war Abisag in der
Kammer und zwei Diener, doch er bemerkte sie nicht.
Er fiel nieder und drückte seine Stirn an die Löwen-
liaut und presste beide Arme fest auf sein pochendes
Herz.

„Heil, Israels König!“ rief er. „Mögest du lange
leben und deiner Feinde Kinder ebenso tief vor dir
sehen, wie ihre Väter vor dir gekrochen sind! Möge
«Jer Lenz dein Blut erwärmen! Senke deinen Blick
herab zu deinem Sohne, gib ihm deinen Segen! Des
mächtigen Qottes Hand ruhte stets auf deiner
Schulter!“

„O, zürne nicht, dass. ich davon spreche. Wenn
deine Sehnen ihre Stärke eingebüsst haben und das
Volk weint und sein Haar, zerreisst, weil sein Held
tot ist, was soll ihm da gesagt werden, welches Wort
deines Willens? Ich erzittere in Furcht vor dir.
Mein Herz speit Galle gegen die, die du hassest, ich
leuchte und glühe für die, die du liebst. Den Wider-
hall deines Namens will ich stärken und ihm laut
ausrufen, auf dass er niemals aussterbe. Gib mir
deinen Segen!“

Der alte König regte seine Hand nicht. Er schien
kaum zu hören, was gesprochen wurde, denn es war
kein Verständnis in seinem Blick zu gewahren. Es
blitzte in Stolz auf bei dem Bilde einer ewig auch
nach dem Tode lebenden Gewalt, aber er ermattete
sogleich; er lächelte vor List bei den demütigen Worten
des Sohnes, aber bald wurde er wieder schwer und
kummermüde. Da sah er Adonias Haar, und seine
Augen weiteten sich und starrten funkelnd. Seine
Lippen bewegten sich in seltsamen, schluckenden Be-
wegungen und seine Stimme flüsterte heiser „Absalom“.
Es war nicht Freude darin, nicht Wahn, er wusste,
dass Absalom tot war und sein Gedanke tastete über
tote Sorgen. Langsam zog sich sein Antlitz in gelbe
Falten und Runzeln zusammen; als kämpfte ein
Weinen gegen die Hüllen langer laslender jahre an
und würde darunter erstickt; es war Mitleid in seinem
trüben Blick.

Aber Adonia sah nicht auf und sprach weiter:

„Absaloms Leben ist verfiucht. Er erhob sicli in
Ungehorsam, seine Freunde waren deine Feinde, aber
Adonias Lust wird deine Lust sein, seine Stimme wird
deine Gedanken sprechen. Seine Seele brennt von
deinem Blute.“

David starrte hinaus. Fort, über ihn weg.

„!m Königstal“, sagte er, „errichtete er sich ein
Denkmal aus Stein — keine Söhne hinterliess er! Ein-
sam steht es und hoch, und die Habichte spähen von
dort nach Raub aus. Ich wollte hin und Absaloms
Stein sehen!“

Und seine Gedanken sanken zurück in tote
Schmerzen, er hörte wieder die Botschaft von des
Sohnes Fall und sah seinen Körper unter den
schwarz-grünen Kronen der Eichen hängen. Mehr als
Tränen waren in seinem Blick, mehr als Verzweiflung,
es waren dunkle Tiefen grausamer Gewissheit und
müder Unterwerfung Er sah weit fort, sein Ohr war
verschlossen von verschwundener Zeiten Wogen.

Adonia erhob sich in dumpfer Hoffnungslosigkeit
und liess die Löwentatze fahren, mit derem Gold er
er gespielt hatte — jäh vergass er alles

Abisag war neben ihm, Abisag war über ihm, ihre
Schönheit nahm ihn gefangen. Sie war hurtig und
scheu wie Geflatter und Taubenschwingen, ihre Sanft-
mut schwebte ihm entgegen wie Duft aus einer Blume,
ihre Augen leuchteten.

Ihre schwarzen Augen leuchteten wie glimmendes
Gold, Gold lag auf ihrer Wange, erloschener Gold-
glanz in der Last des Haares. Ihre Blicke wichen
vor den seinen zurück, wandten sich aber nicht ab,
zogen sich nach innen, zogen seine Seele mit. Sie
trug ein purpurviolettes Gewand, Goldschnüre um die
Mitte mit goldenen Knospen geknüpft, in der Form
gleich geschlossenen Zederzapfen; die Farbe brannte
um sie mit der Glut von Sonnenuntergängen.

Er wusste, dass sie Abisag war, obgleich er sie
nie zuvor gesehen hatte, und sein Wille, sie zu be-
sitzen, loderte plötzlich in Flammen auf. In sein Ver-
langen nach Macht kam ein neuer aufreizender Wunsch,
stärker als der frühere. Durch seine Kraft trug er
Gewissheit in sich. Vor seinen Augen zuckten blut-
schwarze Blitze, und er wankte, dem Fallen nahe.
Aber er liess nichts von dem ahnen, was er dachte,
denn noch gehörte sie dem König.

Er beugte sich wieder über die Löwenhaut an
Davids Lager.

„Du bestimmst alles“, sagte er, „du kannst deine
Hand ausstrecken und mich gross machen, du kannst
mich vernichten unter deinem Fuss. Du wolltest nicht
sprechen, Adonia geht und wartet in Unterwürfigkeit.
Sein Glück ist geborgen in deinen Händen.“

Der Greis sah ihm gerade in die Augen, ohne
Strenge, mit hilflosem Kummer sah er hinein, als
forschte er in dem Künftigen, als erkannte und be-
klagte er die Macht des Unausweichlichen.

„Absalom,“ murmelte er wieder, „Absalom“!

Und Adonia ging mit gesenkten Augenlidern und
ohne sich zu Abisag zu wenden. Doch sein Blick
brannte unter den Wimpern, und er atmete bebend die
Luft der Kammer, um ihren Duft zu ahnen.

Seither sah er sie immer vor sich. Es flog kein
Schatten an seinem Auge vorüber, der nicht in violettem
Purpur glühte, es leuchtete kein Sonnenstrahl, der nicht
den Glanz ihrer Haut trug. Ueber seinem Lager
brannten und lockten ihre Augen, seine Träume wurden
gestört von dem Suchen nach ihrer Stimme.

Seine Jagd nach der Krone ward noch heisser als
früher, noch flammender, unruhiger. Seine Freunde
sagten: „Das Gold, die Macht,“ er selbst sagte: „Die
Macht und Abisag, das Gold und Abisag, die Sonne
und Abisagl

Sie war ihm der Wein, der nach einem sonnigen
Feste wartete, sie war ihm des Lagers Ruhe und der
Träume Glück, sie war ihm alles. Er ächzte vor
Jammer, nicht zu ihr sprechen zu können, seine Worte
schossen auf wie üppige Blumentriebe und brannten
wie Räucherwerk, wenn er vor sich hinflüsterte, seine
Hände spielten mit Geschmeide und Gold. Es erstickte
ihn, nichts offenbaren zu können.

Aber wenn die Krone sein war und alles, was das
Königshaus barg, dann würde Abisag vor ihn hintreten
wie ein scheues, goldbraunes Reh, und seine Liebe
würde Ströme von Gold und schimmernden Gaben über
sie ausgiessen und zu ihren Füssen flehen.

Als Adonias Freunde sahen, dass David unschlüssig
war, und da«s er mehr und mehr erlosch, rieten sie
Adonia, auszuziehen und an dem Brunnen Rogel auf
dem Steine Soheleth zu opfern:

„Nimm die Hauptleute mit dir und deine Bruder,
nur Salomo nicht, so machen wir dich zum König.“

SctiUut folgt

Gedichte

Von Else Lasker-Schüler

Nachklänge

Auf den harten Linien
Meiner Siege

Lass ich meine späte Liebe tanzen.

Herzauf, seelehin,

Tanze, tanze meine späte Liebe,

Und ich lächle schwervergessene Lieder.

Und mein Blut beginnt zu wittern
Sich zu sehnen

Und zu flattern.

Schon vor Sternzeiten
Wünschte ich mir diese blaue,

Helle, leuchteblaue Liebe

Deine Augen singen
Schönheit,

Duftende ....

Auf den harten Linien
Meiner Siege

Lass ich meine späte Liebe tanzen.

Und ich schwinge sie —

„Fangt auf Ihr Rosenhimmel,

Auf und niederl“

Tanze, tanze meine späte Liebe,
Herzab, seelehin —

Arglos über stille Tiefen ....
Ueber mein bezwungenes Leben.

Mein Volk

Der Fels wird morsch,

Dem ich entspringe

Und meine Gotteslieder singe . . .

Jäh stürz ich vom Weg
Und riesle ganz in mir
Fernab, allein über Klagegestein
Dem Meer zu.

Hab mich so abgeströmt
Von meines Blutes
Mostvergorenheit.

Und immer, immer noch der Widerhall
In mir,

Wenn schauerlich gen Ost
Das morsche Felsgebein,

Mein Volk,

Zu Gott schreit.

Aus dem Gedichtband von Else Lasker-SchüIer:Meine
W u n d e r, der soeben im Dreililien-Veriag Karlsruhe erschienen ist.

Der Kaiser von Utopia

Ein Volksroman

Von Paul Scheerbart

LXXX

Das Gebet

Wie alle draussen waren, wollte Philander allei«
aufstehen. nnd dabei fie! er lang auf den Teppich bin
und blieb liegen.

Da faltete er die Hände zusammen und sprach
leise und schnell:

„Erhabener Geist, der Du uns alle führst und dem
wir keinen Namen geben wollen, erhöre mich — ver-
nichte nicht mein irdisches Leben. Ich will leben —
leben — nicht bloss will ich ein einfaches mensch-
liches Genussleben leben. Vergib mir, dass ich doch
so oft ihm nicht widerstanden habe. Aber — es soH
anders werden. Erhöre mich noch ein einziges Mal.
lch werde kämpfen um das grosse Leben und meiner*
Volke das grosse Leben begreiflich machen. Ich werde
mich bessern. Ich werde stark werden. Vergib mir
meine Schwäche. Lass mich nicht versinken. Rette
mich. Ich will meine Sehnen anspannen. Ich will mir
Schmerz machen, dass ich nicht versinke “

Und mit gewaltiger Anstrengung kroch er nun auf
allen Vieren zum nächsten Tisch, auf dem Instrumente
lagen, und mit einer spitzen Nadelbürste stach er sich
in den Arm, dass er blutete.

Da schrak er aber zusammen — der Blutverlust
konnte gefährlich werden - er klingelte.

Und die Aerzte kamen und verbanden den kranke*
Philander, sodass der Arm nicht mehr blutete.

Dann aber liess der Kranke sich ein hartes Holz-
lager machen und lag nun ganz stili.

LXXXI

Der Kampf

Jetzt jagten sich die Gedanken durch Philanders
Kopf mit grösster Schnelligkeit und wollten immerzu i«
reizende weiche feine Fantasieen hinein — es war so,
als ob überall kleine feine Engelsköpfchen auftauchten
und den Philander anlächelten und winkten und fort-
zuführen suchten in weiche Wolkenbetten, allwo man
versinken kann.

Aber der Philander zwang andere Bilder herror
— schauderhafte — grässliche — blutige — wilde
Raubtiergestalten, die sich bissen und sich zerrissen.

Und immer glühender wurde Philanders Körper, aie
blauen, grünen und roten Körperflecke leuchteten durch
die Bettdecke.

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