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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 125/126
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Heinrich, Karl Borromäus: Menschen von Gottes Gnaden, [3]: aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutnant Miéville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0139
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„Ah, Herr Paul Mieville, ,Pater Bonaventura
aus Chamfort, Freund von Maman und Papa?“
fragte der junge Baron.
Dieser bejahte unter leichtem Erröten: sei es,
daß ihm das Benehmen des Knaben zu stolz er-
schien, sei es, daß er die Korrektur oder vielmehr
den Zusatz zu dem Namen, mit dem er sich vor«
gestellt hatte,, fast wie eine Zurechtweisung emp-
fand.
„Es ist mir eine große Ehre, Euer Hochwürden
kennen zu lernen“, sprach Frangart ruhig zu ihm.
„Sie können Baron Frangart nicht mehr sehen; der
Sarg ist gschlossen und steht aufgebahrt in der
Kirche. (Dabei verneigte er sich ernst und lang-
sam in der Richtung nach dem Portal). Ich werde
Sie selbst bei Baronin Frangart, meiner Maman,,
melden“. Das kleine Schloß derer von Frangart
lag wenige Schritte von der Kirche entfernt. Drei
schlanke, schwarze Zypressen auf jeder Seite be-
grenzten den Weg. Die Mauern des Schlosses
waren rötlich verwittert. Es schien verschiedene
Male umgebaut worden zu sein; ein Teil war mit
dem Hauptgebäude lässig durch einen Mauerbogen
verbunden; ein freistehender Turm, der früher ein-
mal eine der Ecken abgeschlossen haben mochte,
war durch Um- und Anbauten jetzt, lächerlicher-
weise, in den kleinen Hof gedrängt, den man durch
jenen Mauerbogen ein wenig übersah. Die Fenster
staken tief in der Mauer und gaben dem Schloß,
das in lautloser Ruhe dalag, den Ausdruck der
Erwartung. Der junge Baron schritt ein wenig vor
Bonaventura her, der seine elastische, liebenswür-
dige Knabengestalt mit den Blicken maß und sich
entzückt fühlte von ihrer Zierlichkeit .... „Ah,,
j’avais oublie que vous etes Franqais, venerable
Pere!“ unterbrach dieser jetzt das kurze Schwei-
gen, „je vous demande mille fois pardon, vous n’a-
vez peutetre point compris ce que je viens de vous
dire?“ „Ich verstehe wenig Deutsch, aber ich
habe Sie verstanden, Baron;“ antwortete der Pater
lächelnd und zugleich erstaunt über soviel Selbst-?
Verständlichkeit und Sicherheit der Form bei einem
so jungen Menschen. Einen Augenblick dachte er,
mit zarter Trauer, an seine eigene illegitime Ab-
kunft, unsd daß er als Knabe sehr schüchtern ge-
wesen war1. Wie durchdrungen vom Glauben an
seine gute Rasse erschien der schöne Junge! —
Dieser nun öffnete das Tor und ließ Bonaventura
eintreten in den dunkeln, breiten und überwölbten
Gang, der mit dicken Teppichen belegt war und
den Schritt bis zur Unhörbarkeit dämpfte. Eine
Dienerin erschien und füjhrte Bonaventura in das
■Empfangszimmer, während der junge Baron ge-
lassen die Treppe hinauf stieg, um ihn seiner Mut-
ter zu melden, Als er oben war, ging er den Gang
hinunter bis an das letzte Zimmer und klopfte leise.
Ohne Hast betrat er das alte, niedrige Zimmer,
dessen Decke in Holztafeln abgeteilt war und auf
den kleinen quadratischen Feldern verblaßte Bilder
zeigte. Die Möbel schienen wohl neu zu sein, aber
vermieden alle modernen Formen. Ein alter,
schwerer Leuchter, aus getriebenem Silber und im
Stile des Barock, hing über dem Tisch, der in der
Ecke stand, nahe am Fenster, und vom milden
schiefen Licht der Abendsonne noch einige Strahlen
auffing. Am mittleren Fenster saß in einem nie-
drigen Fauteuil die Baronin Frangart. Um ihre
Schultern hing ein tiefgrüner Shawl, der sich gro-
tesk vom Halbdunkel des Zimmers abhob. Mit
großen verträumten Augen sah sie ihrem Sohn ent-
gegen, der ihre Rechte am Handgelenk küßte (schon
als dreijähriges Kind hatte er mit Vorliebe dieses
unvergleichlich zar^e Handgelenk geküßt) ....
»»Herr Paul Mieville, Pater Bonaventura aus Cham.
fort, ist hier. Willst du ihn empfangen?“ „Fritz!
. . . .“ „Maman?“ ,,Paul Mieville?“ — „Ja, Herr
Mieville. Denk dir, Maman, ein /Pater im engli-
schen Reiseanzug! Und sieht aus, wie wenn er
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mein älterer Bruder wäre!“ Während dieser leich-
ten kindlichen Worte betrachtete er aufmerksam,,
aber mit respektvoller Zurückhaltung das Gesicht
seiner Mütter. Diese atmete lebhaft und warf einen
langen seltsamen Blick zur Kirche hinüber. Ein
kurzes Schweigen entstand. ,,Fritz, willst du mit
mir und Herrn Mieville zusammen Abend essen?
Nein, düs nicht, natürlich nicht, so lange darf er
sich nicht aufhalten .... Ich meine, du möchtest
Herrn Mieville selbst heraufführen ... Er kommt
von weit her und kann wohl1 noch eine Stunde
bleiben.“
Es mochte jetzt gegen sieben Uhr abends sein.
Der Schall der Aveglocke klang von der nahen;
Kirche ungebrochen und tief durch die leichte Luft.
„Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft
und sie empfing vom Heiligen Geist“. Während
die Baronin wieder mit langen seltsamen Blicken
zur Kirche hinübersah, betete sie mechanisch die
heiligen Worte. Und der heutige 'Traum des Pater
Bonaventura, der nunmehr seinen Weg gemacht
hatte, stand jetzt auch vor ihrer Seele. Ein Fenster
im Schloß Choiseul .... Die Trauer der Baronin
war zart wie das Blatt der Mimose, das sich zu-
sammenlegt beim leisesten Windhauch . , . . Ihre
Trauer wurde sogleich getötet durch den ungebro-
chnen Schall der Glocke.
Aber die Erinnerung war wach und ebenso
ungebrochen wie der Glockenklang dort drüben . .
Sie hatte ihre Bilder gerettet, weil sie in so langen
Jahren des Krankseins nichts Neues erlebt hatte . „
Und was den armen Toten betraf: hatte sie sich
nicht schon nach wenigen Wochen innerlich von-
einander getrennt! ....
Paul Mieville, lieber Paul Mieville, einige Wo-
chen braucht man doch, um zu erwachen, um zu
verstehen! ....
Oh allmächtiger Gott, warum läßt du uns nicht
so lange Zeit, warum bindest du uns ewig? . . . .
Ach, die Glocke schweigt nicht.: ,,Und
Maria sprach, sieh, ich bin eine Dienerin des Herrn
— mir geschehe nach deinem Wort! gegrüßt seist
du, Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir . .“
Mieville, diu wärest nicht im Kloster, wenn
du gewußt hättest, wie edel Frangart war. Er ist
schweigend von mir gegangen, ohne ein Wort der
Klage, der edle Frangart! ....
Aber man konnte das göttliche Band nicht lö-
sen, die heilige Kirche scheidet nicht .... Oh
unerforschlicher Gott!.
Die Glocke,, wieder die Glocke! .... „Und
das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns
gewohnt . . .“ Das Wort, ach, das Wort, das
Wort, war Mieville . . . Armer, edler Frangart,
wie weh habe ich dir getan in jener Nacht, mit dem
Wort, mit dem Schrei ... Oh verlorene Jugend,
oh Schrei der Sehnsucht! .... Der Schrei war
Mieville . . . Und ist Fleisch geworden . . . Fre-
ve(, grausiger Frevel! .... Fritz! . . .
Endlich war die Baronin wieder zu sich ge-
kommen. Pater Bonaventura streichelte leise ihr
weiches, leichtergrautes Haar und ihre schmaile,
zitternde Hand. „Ach, Baronin“,, sagte er und ver-
suchte zu lächeln, „wir sind beide alt geworden“.
Aber vielleicht sagte er das nur, um alles als unbe-
deutend hinzustellen, zum Beispiel, daß er,, »Pater
Bonaventura, über eine siebenundzwanzigjährftge
Frau geneigt war.
Der junge Baron saß mit übereinandergeschla-
genen Beinen auf einem Stuhl und starrte zu Bo-
den; aber in seinen Augen lag jene Glut, welche ist
wie eine Fackel, mit der man hineinleuchtet in die
Irrgänge, in die dunkeln Winkel der Geheimnisse.
Die Baronin Frangart und Bonaventura hatten
sich mehr und mehr gefaßt. Sie saßen zusammen

mit dem jungen Baron am Tisch, unter dem Scheine
der grellroten Kerzen. Der grüne Shawl, den die
Baronin trug, leuchtete noch mehr als vordem. Die
drei Menschen sprachen von belanglosen Dingen.
Und Bonaventura, der jetzt wieder Muße fand, den
jungen Frangart zu beobachten,, merkte nicht ohne
Kummer, daß dieser auch ihm gegenüber den Ton
kalter Höflichkeit niemals verließ. ,,Euer Hoch-
würden haben eine beschwerliche Fahrt gehabt“.
„Euer Hochwürden belieben . . . .“ „Euer Hoch-
würden wollen verzeihen, dae ich schon gute Nacht
sage. . . .“ Und er empfahl sich, ohne irgend etwas
anders als Formeln gesprochen zu haben.
,i,Auch ich werde gleich gehen“, sagte Bona-
ventura. „Die Rücksicht auf Ihr Befinden verlangt
es“. Die Baronin antwortete nicht, sie machte nur
eine leichte, verneinende Bewegung mit der Hand.
Es entstand ein langes Stillschweigen. Da
begegneten sich ihre Blicke und ließen nicht mehr
voneinander. Aber sie schwiegen ....
Pater Bonaventura ergriff die Hand der Ba-
ronin. „Sehen Sie, Baronin, ich könnte . . Viel-
leicht, daß der heilige Vater in Rom . . . Ich könnte
wenigstens den Versuch machen . . Vielleicht, daß
man einen Grund findet, meine Weihe ungültig zu
erklären . . Vielleicht . . Oder aus großer Güte . .“
Ein abgründliches Schweigen wurde von dem
zitternden Schein der Kerzen beleuchtet. Da öff-
nete sich die Tür, und in langem, weißem,, seide-
nem Nachthemd, das die grazile Schönheit schlan-
ker Formen durchscheinen ließ, trat Fritz Frangart
mit geschlossenen Augen ein. Die Bronzefarbe des
Gesichts, die langen langen Wimpern und das ge-
lockte schwarze Haar kontrastierten seltsam mit
dem glänzenden Weiß des Hemdes.
Die Baronin wollte aufschreien,, aber Bonaven-
tura legte ihr leis die Hand auf den Mund. ,,Laßt
ihn, Baronin“, flüsterte er,,, „laßt ihn!“ Fritz Fran-
gart setzte sich mit überschlagenen Beinen auf
einen Stuhl . . . „Aber warum liest Herr Mieville
den Brief nicht selbst“, fragte er und neigte, wie
in Erwartung der Antwort, den Kopf vor . . . „Aber
ist das nicht indiskret?“ begann er nach einigen
Sekunden .... Nun hob er die Hände, als ob sie
irgend etwas hielten,, und las zögernd: „Lieber
Freund Mieville-Bonaventura, ich werde vielleicht
morgen schon tot sein. Es ist meine letzte Pflicht,
Dich zu warnen. Bevor Du irgend etwas unter-
nimmst, frage den alten Choiseul, (was er von
Deiner Herkunft weiß. Als Ihr,, Komtesse Riom
und Du, einmal am Fenster standet und ich mit dem
Mar.uis bei seinem schwersten Bordeaux saß, fing
er an zu plappern und fraget mich lächelnd: „Sehen
sie nicht aus wie zwei Geschwister ?‘ Als ich ihn
ausfragen wollte,,, war er plötzlich nüchtern ge-
worden.
Nimm Dich in acht, Mieville! Choiseul war
keiner, der zufällige Vergleiche gebraucht hätte!
Na, Du bist ja im Kloster. Leb wohl!
Dein alter
Frangart“
Fritz Frangart schwieg. ,,Ja“, begann er schließlich,
„das ist auch merkwürdig, Pater Bonaventura sieht
aus wie mein älterer Bruder. Er könnte sogar
mein Vater sein . . . Und Maman sieht er sehr
ähnlich“.
Von da ab sprach er nichts mehr. Er lehnte
sich in den Stuhl zurück wie in die Kissen eines
Bettes. Sein Atem ging vollkommen gleichmäßig.
Nach einer Weile starren Wartens erhob sich
Bonaventura auf den Fußspitzen, um kein Geräusch
zu verursachen; die Baronin öffnete bedachtsam
die Türe und ging voran. Bonaventura hob den
Knaben vorsichtig auf seine Arme und folgte ihr.
Durch das leichte Hemd fühlte er, wie das Blut in
dem kleinen, schmächtigen und zierlichen Körper
 
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