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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 125/126
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Liliencron, Detlev von: Briefe an Peter Hille
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Heinrich, Karl Borromäus: Menschen von Gottes Gnaden, [3]: aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutnant Miéville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0138

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hätte ich meine Schulden abgezahlt. Aber nein,!
Die Schweinehunde zerrten solange, bis ich den
Abschied nahm. Wohin ich ziehen werde, weiß
ich noch nicht. Jedenfalls bleibe ich solange Mer,
bis ich alles arrangiert habe; dann nach Berlin.
Einmal, und wenn es auf dem Sirius wäre, müssen
wir beide uns sehen und gemütlich zusammen
kneipen. —
Sehr gütig war es von Ihnen, mir aus Ihrem
Vorleben zu erzählen. Sie werden gewiß sein,
daß es mich des Aeußersten interessiert hat. Nun
erkläre ich mir auch die Wiedergabe der Bueren
(Boeren)- Hymne in der Völkemuse.
Vergessen Sie mich nicht,, und schreiben Sie
mir bald wieder. Senden Sie mir Gedichte p.p.
Ich bin zu sehr gespannt.
Ihr mehr wie ein Stück Vieh gequälter Freund
Detlev Liliencron
Fünfter Brief
Kellinghusen, Holstein, 12. 2. 1886.
Mein sehr lieber Freund!
Ihr letzer Brief vom :. dieses Monats habe
zu empfangen ich die Ehre gehabt; ich ersah aus
ihm mit herzlichem Bedauern, welchen Kampf Sie
mit Ihrn Verlegern resp. Verlegerwollern zu be-
stehen haben und schon bestanden.
Ganz unendlich interessierte mich Ihre Reihe
von Autoren, die Sie als Ihnen, soll ich sagen: con"
venierende mir nannten. Farina und Turgenieff
sind auch meine Lieblinge und Leibnitz und Th.
Storm. Kennen Sie überhaupt Th. Storm? Ueber
den Franz Hirsch und unser herrlicher Karl Bleib-
treu durchaus falsch sprachen. Mais donc:
Bleibtreu und seine rote Broschüre. Ich nehme an,
daß Sie: „Revolution der Litteratur“ gelesen haben.
Welche Tollkühnheit oft. Wie sind Sie — ich bin
sehr gespannt darüber, — einverstanden mit Bleib-
treu’s Urteil über Paul Heyse und Gottfried Keller!
Und Konrad Ferdinand Meyer hat er ganz verges-
sen; vielleicht unser größter Novellist.
Ich hoffte, von Ihnen einiges Schriftliche: No-
vellen p.p. zu erhalten. Ich bin sehr interessiert
darauf. Es kommt mir vor, als müßten Sie etwas
ganz besonders auffälliges und auffallendes schrei-
ben. Lasen Sie: Conradä’s „Brutalitäten“? Ja,
ja, der gute Zola hat mit vollen Händen Feuer nach
Deutschland geworfen. Conradi übrigens: Erzäh-
ler 1. Ranges! Einzelne wundervolle Naturbeschrei-
bungen.
Kennen Sie — ich wiederhole — Th. Storm?
Lassen Sie bald Gutes von sich hören, Sie
lieber Mensch, Ihren
Detlev Liliencron
Sechster Brief
Anfang fehlt
Nur eins gleich hier: Sie müssen, lieber Freund,
nicht verzagen, wenn Sie Abschläge zuerst haben.
Denken Sie an das deutsche Millionenleserpack
(— Fürst und Eckensteher, ganz Wurst —). Un-
sere biederen Landsleute lesen nicht gerne originale
Gedanken, nicht gern: ihnen neu ins blöde Hirn
Fallendes. Und somit prophezeihe ich Ihnen: Sie
kommen durch!!! Aber nach sc/hwerem Rin"
gen. Also'Kampf! Geben Sie nicht klein bei — Dies
möchte ich auch hier noch mir ergebens! gestatten
zu bemerken: Ihre Prosasachen können noch die
Feile haben. Es sind noch manche Schreibfehler
stehen geblieben.
Haben Sie herzlichen Dank f.r Öiren langen,
interessanter Daten vollen Brief.
Ich werde diesen Frühling oder Sommer defi-
nitiv nach Berlin übersiedeln, da ich hier auch nicht

einen Menschen habe, mit dem ich mich in litte-
rarischen Dingen aussprechen könnte. Ich hoffe,
daß wir dort uns treffen. Ich habe auch noch mit
Regulierung von — 50 000 Mark Schulden zu tun.
(— aus früheren Zeiten —), die mich fast täglich
in die Mündung meines Revolvers söhauen lassen.
Das ist ja so sehr günstig für einen Dichter.
Aber wir sind ja deutsche Dichter. Und des-
halb erst perumptorisches Verlangen unserer
Landsleute: Hunger die Bestie, Wahnsinn erst —
denn weshalb ist das Vieh ^Dichter“ geworden und
nicht Käsehändler.
Was Sie über Pantenius schreiben, unterschrei-
be ich unter Trommelschall. Es ist nur ein herz-
loser Patron. —
leih werde nun also auch den Rest Ihrer M. S.
warten nnd zguleich, ob ich es an O. und Gr, wei-
terschicken soll, oder an Sie zurück. Ich bin sehr
glücklich, daß Sie in Pyrmont einen netten
Hauswirt haben. Bravo! Geben Sie dem Mann
von mir einen herzlichen Händedruck.
Aus Ihrer (— brieflichen —) allerliebsten
Schilderung Ihres Restaurations-Besuches auf dem
Berge werden Ihre: Die Kinder entstanden sein.
Ich bin gespannt auf die Ausführung. Die Skizze
läßt herrliches erwarten! Ihre Vorliebe für Dran-
mor teile ich mit ganzer Seele. Wer kennt ihn?
Nur wenige.
Ja: ,,das Einvernehmen“. Der Titel scjhon ist
gut. Aber der Titel ist zu weit ab von der Land-
straße, und — siehe unsere braven Landsleute.
Ich habe insofern Bedenken gegen diese geplante
Zeitschrift, weil ich glaube, daß die erwähnten!
Fächer ja alle schon in E i n z e Ibearbeitungen
(— Journalen p.p. —) in unendlichen Massen auf
den Markt kommen. Ich finde sonst Ihre Idee
ausgezeichnet.
Hoffentlich haben wir noch Gelegenheit, uns
mündlich zu sprechen, und shaks hands zu machen
sei es, wo es sei.
Ihr treuer
Liliencron

Menschen von Gottes Gnaden
Aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutenant MiS-
ville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
Von Karl Borromäus Heinrich
Fortsetzung

Gegen vier Uhr nachmittags war Pater Bona-
ventura in Bozen angekdmmen fuhr mit seinem
Gepäck, um keine Zeit zu verlieren, rasch in das
nächste Hotel, erkundigte sich in aller Eile nach
Lage und Entfernung von Frangart und ließ sich so-
fort einen Wagen holen. Frangart liegt ja von
Bozen nur anderthalb Wegstunden südlich. Dann
ging der Pater auf sein Zimmer, um sich zu wa-
schen und um seine Kleider zu wechseln; denn hier
in Oesterreich stand es ihm frei, das Ordenshabit
der Jesuiten anzulegen. Nachdem er sich Hände
und Gesicht gereinigt hatte, überlegte er einen
Augenblick, ob es sich verlohne, heute noch das
Habit zu tragen. In der großen Eile aber, die er
hatte, der Wdtwe Baronin Frangart seine Teilnah-
me zu versichern und ihren Sohn kennen zu lernen,
vergaß er, wie es schien, auf das was er überlegen
wollte, ergriff seinen Hut, ging eiligen Fußes die
Treppe hinab und schritt auf den wartenden Wagen
zu. Es war ein offener Landauer, und als Pater
Bonaventura den Fuß aufsetzte, um einzusteigen,
erinnerte er sich plötzlich wieder des Habits. In-
dessen wollte er nicht mehr umkehren, nahm ent-
schlossen Platz und mahnte den Kutscher zu ru-

scher Fahrt. Es läßt sich schwer sagen, was wäh-
rend der wenigen Sekunden dn ihm vorging. Die
Frage, ob er nicht lieber nochmals auf sein Zimmer
gehen und das geistliche Gewand anlegen sollte,
war in ihm leise wach geworden, gleich einer stil-
len Welle, die sich aufkreiselt im See der Seele.
Aber der Hufschiag der jPierde und das Rollen der
Räder töteten diese Frage.
Bonaventura betete sein Brevier und sah von
Zeit zu Zeit auf, über die blühenden Gärten und
Wiesen hinweg. Er fuhr durch Gries und dann
auf stiller,, abendlidher Straße durch Sigmundskron.
„Dort oben liegt Frangart, gleich neben der Kir1-
che“, bemerkte der Kutscher und zeigte mit der
Peitsche auf die Höhe. Bonaventura berechnete,
daß es höchstens noch fünfzehn Minuten zu Fuß
sein könnten, und ließ den Kutscher halten, mit der
Weisung, ihn hier zu erwarten. . Der stellte sein
Pferd im Gasthof rechts an der Straße ein und be-
gab sich in die Wirtsstube. Der Pater aber stieg,
von merkwürdigen und unerklärlichen Gefühlen
beherrscht, die Straße nach Frangart hinauf.
Er ging ziemlich schnell, hielt aber zuweilen an,
und sah in das Tal herunter, wie um sich an des-
sen Freundlichkeit Mut zu holen. Die Abendsonne
senkte sich gemächlich, breit und reif; sie statnd
nur noch wenig über den Bergen.
Bonaventura näherte sich der Kirche. An der
Friedhofsmauer, die sie umgab, lehnte, die Arme
über die Brust gekreuzt, ein Knabe. Er lehnte dort
und sah dem Herankommenden gleichmütig entge-
gen. Gekleidet war er in schwarzen Samt, und um
die Hüfte war ihm eine schwarzseidene Schärpe
lässig gschlungen. Er trug einen leinenen Kragen,
gerändert mit zierlichen Sptzen, dessen Enden breit
auseinandergingen, der schlanke Hals lag bloß.
Träg und gleichmütig war die ganze Haltung des
Knaben, aber trotzdem nicht schlaff und nicht ohne
Stolz. Seine seidenen, weichen, schwarzen Haare
waren ein wenig gelockt und trugen keinerlei Be-
deckung. Lange lange Wimpern beschatteten die
dunkeln, mandelförmigen Augen, deren Weiß durch
bläulichen Schimmer gemildert war; der Mund
des Knaben war halb geschlossen und zeigte seine
stolzen Linien.. Die Nase erschien schlank und ge-
rade. Die merkwürdig kleinen Ohren waren fast
unter den Haaren versteckt. Seine Figur war von
liebenswürdigster Zartheit in ihren weichen und
doch so bestimmten Formen. Durch die leichten
Strümpfe, die an die Kniee gingen* verriet sich ein
geschmeidiges schlankes Bein. So lehnte er an
der Friedhofsmauer und sah Bonaventura ohne je-
de Neugier ruhig entgegen.
Bonaventura blieb, unter tiefen Atemzuge, ste-
hen. Sein Herz klopfte laut. Er wollte die Arme
ausbreiten und rief halblaut: „Mein Sohn! . . .,
Mit einem einzigen heißen Blick hatte er die selt-
same Ähnlichkeit zwischen sich und dem Sohne der
Komtesse Riom, der Baronin Frangart, erfaßt. Und
er trank diese Ähnlichkeit förmlich in sich hinein. .
Mittlerweile hatte der Knabe die Augenlider
etwas hochgezogen, um den Kommenden schärfer
anzusenen. Plötzlich schien seine reizvolle, zarte
Figur ein leichtes Beben zu durchlaufen. Aber das
dauerte nur kurz. Dann stand er wieder vollkom-
men ruhig und kalt, nur sein Mund öffnete sich
leicht zu einem Lächeln. „Er sieht aus wie ein
älterer Bruder von mir“, dachte er.
Bonaventura seinerseits hatte sich auch ge
sammelt, fühlte, daß er dieses Anstarren nicht eine
Sekunde länger fortsetzen durfte, und schritt, den
Hut lüftend, auf den Knaben zu. Dieser nahm die
gekreuzten Arme auseiandter^ ließ sie sinken,
rückte ein wenig von der Friedhofsmauer ab und
sagte mit leichter Verneigung: „Baron Frangart“.
,,Ich bin Paul Mieville“, antwortete Bonaven-
tura.

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