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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 123/124
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Walden, Herwarth: Bab, der Lyriksucher
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Heinrich, Karl Borromäus: Menschen von Gottes Gnaden, [2]: aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutnant Miéville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0129

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die drei Dichter, die in dem Buch außer dieser
Künstlerin noch enthalten sind. Herr Julius Bab
aber wird ,^an die verzweifelt äußerlichen Form-
verrenkungen verstiegener Originalitätssucht in
den dunkelsten Winkel der berliner Sezession er-
innert“.' Wirklich, berliner Sezession. Dieser Satz
zeigt das Verhältnis des Herrn Julius Bab zur
Malerei. Man fühlt intensiv die unwahre Anerken-
nung, die er für die berliner Sezession heutzutage
zu empfinden schon für nötig hält. Während seine
Seele, seine frühlingstrunkene Seele sich nach der
großen Kunstausstellung sehnt, wo man die Formen
erkennt. Kann man denn wirklich diesem Unfug
der vornehmen Form nie ein Ende machen? Der
gebändigten Leidenschaft, der schönen Linie,, des
edlen Klangs? Natürlich ist Julius Bab für Georg
Heym. Georg Heym ist beim Eislauf auf der Havel
ertrunken, bemerkt Herr Bab. Natürlich findet
Herr Bab in dem letzten Gedicht Heyms deshalb
„etwas Dämonisches, ein wissendes,, todeswilliges
Gelüst“. Ich halte ein Ertrinken beim Eislauf nicht
für eine todeswillige Angelegenheit, und kann auch
nicht finden, daß so etwas tragisch ist. Ich kann
auch nicht finden, „daß dieser sinnlose Zufall, der
unserer Lyrik das vielleicht stärkste Talent des
letzten Jahrzehnts entriß, in irgend einer Ordnung
der Dinge doch mehr als Zufall bedeutet“. Heym
war kein starkes Talent. Herr Bab rühmt seinen
harten jambischen Rhythmus, und daß Heym „in
ganz kurzen springenden Sätzen eine wilde
Jagd brennender Bilder vorübe r=
hetz t“. Gewiß, er hetzt Bilder vorüber.
Sie brennen zwar nicht. Aber Bilder, Herr
Bab, kann man nicht hetzen. Nicht einmal,
wenn sie wirklich brennen^ Und noch viel-
weniger in jambischen Rhythmen. Heym hat
sich nie in einem Erlebnis gefunden. Ob man den
sogenannten Stoff zum Dichten aus Königsmänteln
und Purpurbaldachinen, oder aus Dreck und Tin-
tenschwärze herstellt, ist gleichgültig. Man kann
trotz Wasserratten und Adamsapfel unoriginell sein*
Selbst wenn kein Mensch die Wasserratte
und den Adamsapfel unserer Lyrik auf
den nun schon sehr geduldigen Leib ge^
worfen hat. Ein Stoff kann doch wohl nie etwas
Geborenes, etwas Ursprüngliches sein. Und da-
von abgesehen; was ist das für ein Erlebnis, das
den Atem nicht ändert. Was ist das für eine Lei-
denschaft, bei der die Brust sich wie im Schlaf
gleichmäßig hebt und senkt. Ist das Gestaltung?;
Aus vielen Pfützen dampft des Blutes Rauch,
die schwarz und rot den braunen Feldweg decken,
und weißlich quillt der toten Pferde Bauch,,
die ihre Beine in die Frühe strecken.
Sieht man einen braunen Feldweg schwarz und
rot, wenn man es sagt. Strecken tote Pferde ihre
Beine jambisch in die Frühe? Vielleicht tun sie es.
Wie alle Toten. Denn in dem todeswilligen Schwa-
nensang heißt es:
Froh sind die Toten, die zur Ruhe kehren
Und strecken ihre weißen Hände aus
den Engeln zu, die groß und schattig gehen
mit Flügelschlagen idurch das hohe Haus.
Engel und tote Pferde sind in demselben Rhyth-
mus erlebt. Kann man stärkere Beweise des feh-
lenden Erlebnisses beibringen? Oder sind es
„springende Sätze“ und „gehetzte Bilder“, wenn
jemand des Reimes wegen Bilder willkürlich zer-
reißt:
— — — _ — Eine Zahl.
Hat jeder Kranke. Und mit weißer Kreide
Sind seine Qualen sauber aufnotiert.
Das Fieber donnert. Ihre Eingeweide
Brennen wie Berge. Und ihr Auge stiert.
Zur Decke auf, wo ein paar große Spinnen
Aus ihrem Bauche lange Fäden ziehn
Sie sitzen auf in ihrem kalten Linnen
Und ihrem Schweiß mit hochgezogenen Knien. .

So etwas ist Unfähigkeit. Nicht etwa Gestaltung
eines Fieberspitals. Denn eine Messe, dieser
Schwanensang, wird genau mit denselben Mitteln
„dargestellt“:
Bei dreier Kerzen mildem Lichte
Die Leiche schläft Und hohe Mönche gehen
Um sie herurn^ Und legen ihre Finger
Manchmal über ihr Angesicht.
Das ist doch wohl keine Gefühlsvorstellung,
die „gehetzte“ Bilder und springende“ Sätze er-
fordert. Vielleicht die Unfähigkeit, rhythmisch zu
gestalten.
Das ist der Spaziergang des Herrn Julius Bab
zur Sommerszeit in der Gegenwart. Ich freue mich
für „unsere Lyrik“, daß Herr Bab sich bald im
Winter seines Mißvergnügens bei dem hundert-
armigen Dämon Theater zu deutsch bei Herrn
Reinhardt, einfindet, und der Lyrik seine Anteil-
nahme wieder entzieht. Das Drama kann es ohne
seinen Bäb nicht aushalten. Er zeige ihm die
Wege, die nach Rom führen, dem Ziel aller Ober-
lehrer. Wir bleiben im Lande, zu dem kein Weg
führt
H. W.


Menschen von Gottes Gnaden
Aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutenant MiG-
ville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
Von Karl Borromäus Heinrich
Fortsetzung
An den hochwürdigen Pater Bona-
ventura S. J., Chamfort (Belgien)
In deo pax!
Wien 7. Februar 1894
Hochwürdiger Bruder in Christo dem Herrn,
ich bin Deiner Angelegenheit während der
letzten Wochen mit großem Eifer nachgegangen,
was mich in den Stand setzt, Dir heute die gewün-
schten Nachrichten zu geben.
So muß ich Dir denn zu meiner großen Be-
trübnis mitteilen, daß das immerhin bemerkenswerte
unihöfliche, zehnjährige Schweigen, das Baron
Frangart und seine Familie Dir als einzige Antwort
auf Deine Briefe gegeben haben, sich aus mancher-
lei traurigen Begebenheiten erklärt, die Gott, in;
Seiner unerfoinschlichen Absicht, über diese edle
Familie verhängt hat. Wobei ich von vorn herein
dem Wunsche Ausdruck gebe, und auch der in-
nigen Ueberzeugung, daß Er alles, so oder so,
zu einem guten Ende führen werde. Denn er hat
in Seiner großen Gnade unserer heiligen Kirche
drei Selige aus der Familie Frangart zugeführt,
die im dreizehnten, sechzehnten und siebzehnten
Jahrhundert von den Päpsten ritu als solche er-
klärt worden sind. Freilich sind, was sehr zu
beklagen ist, seit dem siebzehnten Jahrhunderft
sieben der Herren von Frangart im Zweikampf ge“
tötet worden, allemal mit ihrem Verschulden, indem
sie Frauen aus edlen Geschlechtern, obwohl selbst
verheiratet, wider alle Heiligkeit der Ehe begehrt
und verführt hatten.
Im Hause des jetzigen Herrn von Frangart ist
es folgendermaßen hergegangen: Die verehrungs-
würdige Freifrau von Frangart liegt seit der Ge-
burt ihres einzigen Kindes und noch länger krank.
Sie ist daher in der Gesellschaft hier persönlich
nahezu unbekannt. Schon vor neun Jahren mußte
sie auf Geheiß der Aerzte, die das hiesige Klima
als nachteilig für sie erklärten, in den Süden über-
sh y Sie wohnt jetzt in dem winzigen Stamm-
ler Frangarts, auf Frangart bei Sigmunds-

kron in Südtirol. Man hat mir erzählt, -daß sie
dort mit ihrem Kind zusammen in schweigsamer
ununterbrochenen Ruhe, ohne irgend welche Men-
schen zu empfangen oder zu besuchen, die Tage
hinbringe. Das Kind, Fritz P- J. Frangart, dessen
zarte Schönheit in der ganzen Gegend dort berühmt
sein soll, erhält seinen Unterricht von einem geist-
lichen Mitbruder, der von Bozen aus jeden Tag in
das Schloß fährt. Er hat mir über die Begabung
des jungen Herrn, über seine Leichtigkeit im Er-
fassen aller geistlichen und weltlichen Dinge, eben-
so viel Rühmliches geschrieben wie Trauriges
über seine beispiellose Trägheit und seine uner-
schütterliche Selbstgenügsamkeit. Er macht indes
große Fortschritte; es soll mit ihm sein wie mit
einem Menschen, der schon alles von selbst und
von lange her weiß und dem man nur daran zu er-
innern braucht. Im übrigen, aber lehne er alle freie
Zeit an der Mauer des Schlosses, das auf einer
Höhe liegt, lasse sich schweigsam von der satten
Scanne des Südens bescheinen und sehe immerfort
hinunter in das lichtgetränkte farbenreiche 'Tal.
Nach diesen Mitteilungen unseres geistlichen
Mitbruders zu schließen, muß es ein sehr merkwür-
diger Knabe sein; dazu kommt, daß er sich im
Verkehr mit den Menschen einer ebenso natür-
liche Höflichkeit als vollkommenen Kälte befleißigt
er soll garnicht das Bedürfnis haben, das sonst
den Kindern eigen ist, sich anzuschließen und Zu-
trauen zu bezeugen. Die Mutter lebt sehr fromm
und betet viel; aber sie liegt und träumt den gan-
zen Tag. Ich gebe dir den Schluß des Briefes un-
seres Mitbruders in wörtlicher Uebersetzung:
„Selten fährt die Freifrau mit dem jungen Herrn
aus. Ihr schmächtiger Körper ist dann in Decken
gehüllt, ihre tiefliegenden Augen' träumen in die
Ferne (die Leute hier sagen: sie hat ein „allwissen-
des Geschau‘, d. i. oculos omnisaplentes). Säe
nickt von Zeit zu Zeit langsam mit dem blassen
Haupt, aber sie scheint niemand von all denen
zu sehen, die sie ehrfurchtsvoll begrüßen. Bei
ihrem Anblick füllen sich die Augen unserer Land-
bewohnerinnen mit Tränen. — Neben ihr aber sitzt
ihr Sohn, der junge Herr von Frangart, und sieht
kalt und gleichmütig über alle hinweg. Er ist sei-
ner Mutter aus dem Gesicht geschnitten, nur das
seine kindlichen Züge schon hart sind, ganz wie
gemeißelt, wie auf unsern ältesten Denkmälern
und Bildern. Seine schwarzen Haare sind leicht
gelockt, die seiner Mutter leicht ergraut.
In der Frangarter Kirche beten die Bauern
freiwillig nach jeder Messe ein Paternoster für die
Gesundheit der edlen Frau im Schloß.
Ich kann garnicht aussprechen, wie wir alle
hier die beiden lieben; die Mutter ist wahrlich wie
ein Hauch und Schatten aus der andern Welt,
der Sohn aber, in seiner zierlichen Schlankheit,
ein geborener Herr.“
So schreibt unser Mitbruder in Bozen. Wenn
Dich, hochwürdliger; Bruder in Christo, schon
manches in diesen Nachrichten betrüben wird, be-
sonders das über die Gesundheit der verehrten
Frau Gesagte, — wie wird es vollends Dein Herz
zerreißen, wenn ich, nur durch deinen; dringenden
Wunsch bewogen, Dir die Wahrheit über den Va-
ter und Gemahl eröffne. Oh, über die harte Auf-
gabe, die Du mir gestellt hast!
In der ersten Zeit seiner Ehe soll der Baron
Frangart, der noch immer in Wien Dienst macht,
mit allen Zeichen eines schwer bekümmerten Men-
schen herumgegangen sein. Das hat sich auch
nach der Geburt seines Sohnes nicht sogleich ge-
ändert. Aber als Mutter und Sohn nach dem Sü-
den übersiedelt waren, stürmte sich der Vater in
den Strudel der Welt. Wieviele leichtsinnige
Dinge werden nicht von ihm erzählt! Wieviele
Frauen hat er verführt, ohne auf göttliche und
menschliche Gesetze zu achten! Gilt er doch als
einer der schönsten Männer der großen Gesell-
schaft; bei diesen Abenteuern magert er jedes

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