Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

DOI Heft:
Nr. 134/135
DOI Artikel:
Wichmann, Erich: Etwa im Jahre 1845
DOI Artikel:
Hausmann, Raoul: Die gesunde Kunst
DOI Artikel:
Ehrenstein, Albert: Anmerkungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0206

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Etwa im Jahre 1845
schrieb die „Kölnische Zeitung4.,
daß sie dem Grazer Irrenhause, in dem Theater
gespielt wurde, die Stücke Hebbels bestens zur
Aufführung empfehle.
(Siehe Wursbachs Biographisches Lexikon
unter Hebbel.)
Im Jahre 1912
schreibt die „Kölnische Zeitung“:
„ . . . der Versuch, der Sonderbund-Malerei mit
städtischem Geld auf die Strümpfe zu helfen, Ge-
mälde zu züchten, die eher in die Sammlung eines
Nerven- oder Irrenarztes als in eine Oeffentliche
Kunstausstellung gehören . . .“
(J5. Oktober 1912, Mittags-Ausgabe.)
Man sieht, daß der „Kölnischen Zeitung“ wenig-
stens keine Inkonsequenz (ebensowenig wie Ori-
ginalität) in ihrem Verhalten gegen die geistige Neu-
erscheinungen, vorzuwerfen ist.
Freilich „sich zu blamieren ist ein unveräußer-
liches Menschenrecht“. („Kölnische Zeitung“,
ebenda.)
An der Sache ist aber noch etwas kurios:
Sobald nämlich einmal eine „Maßgebende Stelle“
(ebenda) einer jungen Bewegung, wenn auch in
noch so bescheidenem Maße, entgegenkommt,
dann offenbaren diejenigen, die sonst „in be-
schränktem Untertanenverstand ruhig beiseite
stehen“ (ebenda) auf einmal Männerstolz vor
Königsthronen (Donnerwetter noch mal!) und jam-
mern mutig über ihr schönes Geld, das möglicher-
weise zum Kuckuck geht („bringen wir Steuern
auf um . . . .“ ebenda). Man bedenke doch:
es liegt nicht genügende Sicherheit für ein „gutes
Geschäft“ vor.
Die Einsicht, daß die Kunstzuhälter (und
ihre Gehilfen), denen die Kunst (sagen wir es
euphemistisch mit dem guten Schiller:) eine gute
Milchkuh ist, wenn sie schon ihr unsauberes Geld
einstreichen, wenigstens durchaus den Rand zu
halten haben, ist offenbar noch immer nicht ge-
nügend verbreitet.
Sonst könnte doch seit fünfzig Jahren komi-
schen Blättchen wie dieser „Kölnischen Zeitung“
das Handwerk gelegt sein.
Utrecht, 23. Oktober 1912
E. Wichmann
j
Nachwort: Soeben erfahre ich, daß die
„Kölnische Zeitung“ im Jahre 1833 ernsthaft gegen
Straßenbeleuchtung protestierte mit der Begrün-
dung, daß erstens Gott Nacht und Tag geschieden
hätte und zweitens, daß Straßenbeleuchtung die
öffentliche Sittlichkeit gefährden würde.
Man sieht, auch bei der Erleuchtung bleibt die
„Kölnische Zeitung“ konsequent.

Die gesunde Kunst
„Einer unserer ersten Bildhauer, der abseits
der-Tagesmode Jahrzehnte in Rom lebte, und des-
sen Name den Klang eines Meisters hat, gibt seine
Lebenserinnerungen und sagt Grundsätzliches über
seine Kunst. Die Erinnerungen haben den beson-
deren Wert, daß sie sich fast ausschließlich nur
auf das Zusammenleben mit Hans von Marees und
206

dessen Persönlichkeit beziehen. Marees, dessen
Größe heute unbestritten ist, ist noch als Mensch
wenig bekannt. Darum sind die Erinnerungen
Volkmanns von größtem Interesse für die Verehrer
seiner Kunst. Wir haben, außer von Klinger,
Hildebrand und Thoma, noch keine Bücher, in
denen Künstler über ihr Schaffen reden. In diese
Lücke tritt jetzt Arthur Volkmann“ — so kündet
Eugen Diederichs Verlag an.
In Heft 7 des vierten Jahrgangs der „TAT“
schreibt Volkmann selbst: „Ein geistreicher Künst-
ler kann nur der sein, dessen Werke beim bloßen
Ausschauen verständlich werden“. Und er identi-
fiziert sich mit dem Geist der Gesundheit, der
Verständlichkeit, führt Goethe an: „Klassisch ist
das Gesunde, romantisch das Kranke!“ Marees
ist klassisch, denn er ist absolut gesund. Gesund,
heiter und klar. Aber: „Heute schätzt man es
wohl, wenn einer bestrebt ist, mit eigenen Augen
zu sehen. Wenn die Darstellungen dann sonder-
bar oder in irgend welcher Weise absurd sind, so
daß niemand sie recht versteht, (er schließt von
sich) dann findet man das ehrlich und interessant,
auch wohl genial.“ Er versichert, daß er sich
Marees nähere, „indem“ er sich nicht sklavisch
an jedes seiner Worte halte; daß man ihn, den
wahren Schüler Marees für einen bloßen Nach-
ahmer hielte, der der Beachtung nicht wert sei;
er bejammert immer wieder die „nicht komponier-
ten“, „schlecht komponierten“ Bilder der Anderen,
Starken, und möchte sie gern moralisch abmurk-
sen, durch die Versicherung, daß sie Durchschnitts-
begabungen seien und daß seine Künsteleien viel
mehr an Zeit und Geld erforderten.
„Der höchste Stil kommt der Natur am näch-
sten“ sagte Marees; „In der Kunst kommt es in
erster Linie darauf an, daß einer etwas zu sagen
hat“ und „Das Kunstwerk soll nicht auffällig sein“
meint Volkmann. Er selbst hat nichts zu sagen.
Er spricht zwar immer wieder vom „Erlebnis“,
zu dem es ihn, den echten Schüler, der so viele
Sinneseindrücke aufnahm, „drängt“ — aber seine
ausdrucklos gräzisierenden Naturstudien sprechen
gegen ihn, gegen sein Erleben —■ „selbstverständ-
lich und unauffällig“ hat man keine Erlebnisse.
Es war einer ganz gesund, ganz normal; er
setzte sich hin und machte Kunst, unauffällig und
selbstverständlich. So unauffällig, daß wir an-
dern garnichts davon merkten, Herr Volkmann!
Raoul Hausmann

einer Palme. Hierauf sehnte sich der Esel Ku. H.
so heftig nach einem Gnu, daß diesem Wunsch-
traum ein Lesekränzchen entsprang. Später ver-
wandelte sich der Esel in einen Tölpel, der von
einem Kondor träumte. Das Resultat war das
Manifest eines Paniaken.
Wenn ein gewisser Aktionär schon so weit
wäre, sich für ein Schwein zu halten, würde er
sich noch immer einen Tapir nennen.
Die 'Here werden immer gelehriger. Ein Hund,
der mir zutraulich-zudringlich nachlief, ließ erst
ab, als ich ihm in der wohlwollendsten Weise
auf den rudimentären Schwanz trat. Seither
heult er jedes Mai, so oft er meinen Namen in
einem Blatte erblickt. Und winselt masochistisch,
ich hätte seit meinem ersten Auftreten eine anfangs
sachlich und übrigens auch persönlich vollkommen
ungerechte Gehässigkeit gegen ihn produziert.
Einen subalternen Interpunktionär, Schöpfer
etlicher Einleitungen und anderer minderwertiger
I-punkte, der „literarisch“ davon lebt, daß er die
Einleitungen zu den Dichtungen anderer schreibt,
nicht geben, sondern nur herausgeben kann —
nenne ich einen Kritikastraten. Wenn sich aus
einer Wanze, Blattwanze eine Lantze entwickelt,
die im Lantzieren und Abtreiben von Besprechun-
gen den Rekord hält, so nennt sich das —- „Welt-
verbesserich“.
Ich kenne einen begabten Koofmich. Eine Ak-
tion für beschleunigte Gnukotverwertung hat er
bereits gegen sich eingeleitet Da er — seinen
Briefpublikationen, Essays, Gedichten nach - ein
flotter Korrespondent, perfekter Glossist und aus-
gezeichneter Kontorist ist, will ich ein übriges
tun, und ihn auch noch an die Kondorfahrrad-
werke empfehlen.
Für den dreißigjährigen Krieg mache ich nicht
die Städte Braunau und Klostergrab verantwort-
lich, sondern Jesus Christus. Für das Vorhanden-
sein von Literaturhändlern, Neocafethikern, Neo-
pamphletisten und Neokrakeelern vom Schlage der
Ku. Hiller mache ich nicht den roten Zeitungskell-
ner des C. d. W., der noch immer keine Kondor-
kritik geschrieben hat, verantwortlich, sondern
das Ausdermodekommen des Talmudstudiums.

Anmerkungen

Von Albert Ehrenstein
Eine neue Sorte von Schmierern wirtschaftet
ab. Ich könnte diese polnische Wirtschaft ruhig
weiter ignorieren. Aber warum soll man sich ge-
legentlich nicht auch über Apfelmus ■— imbezilles
Apfelmus — äußern? • •

-• Wenn jemand, beispielsweise eine alte Jüdin,
in ihrem Hausierhandel mit irgendwelchen alten
Hosen so erfolgreich war, daß sie .einen Literatur-
agenten und Meinungshändler erhalten kann, . so
gibt das diesem reaktionären Demokratin und
Carabentier noch- nicht das.. Recht, sich. an Män-
nern, zu reiben, die nicht geatzt werden.
Ich hasse billige Exotismen—besonders wenn
sie kopiert sind. Ein. Fichtenbaünr träumte von

Einer nannte sich „Hiller“. Das klingt wie ein
impertinenter Komparativ von Hille, Peter Hille
— ist aber ein außerordentlich unregelmäßig ge-
bildeter Superlativ von Kot. Denn außer Hiller
schreibt niemand in Deutschland - Oesterreich
elendere Gedichte als Hiller.
Wenn ein Atom Fett ansetzt, ein Schiebetänzer
gleißnerisch den. Moralreaktionär .spielt, stinkt das
wie .die glossogene Defäktion eines Gnuweibchens.
Eine Propagatrice hat uns gefehlt. Und ihre -fort-
geschrittene Pubertätslyrik.
Dafür, daß der Buchmacher wochentags jahr-
aus,' jahfein seine erheuchelte,' bewußt verlogene
Begeisterüngsfähigkeit spielen' läßt, darf dieser
kleine Klaus mit der erborgten Peitsche knal-
lend. glückstrahlend einen Sonntag in der Ewig-
keit schmunzeln, grinsen, : prahlen: -,Hi! Ahe
meine - Werke!“ Zur Belohnung'' darf er' ?n
glössehfreieh ’’ Stünden ' einen Drachen, einen
papierenen Kondor drei' Meter .'‘über slöh
 
Annotationen