Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

DOI Heft:
Nr. 108
DOI Artikel:
Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [4]: Roman
DOI Artikel:
Friedlaender, Salomo: Max Steiner: "Die Welt der Aufklärung", [2]: nachgelassene Schriften
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0032

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wort wieder ein, das er verächtlich von Irenens
Namen getrennt hatte und das ihn doch näher
an sie führte. „Liebe": Puppenspielen und!
Kuchenbacken — freilich, eine holdselige Tor-
heit, aber gerade nicht anders sollte sein Ge-
schenk sein; sein Herz koste und ,segnete alles
Leichte, an das sie ihn gerettet hatte, und nur
mit einer spielerischen Holdseligkeit konnte seine
Dankbarkeit die Schöne behängen.
Die Augen wurden ihm hellsichtig, als ihn
dies Wort Wege zeigte.
Tändelnd, grau alltäglich mit lauem Kommen
und Gehen, mit zufriedenem Grüßen, und
Winken hatte das Stückchen angefangen, ein
behaglich selbst genügsames Stückchen; jetzt
konnte es einen Sinn empfangen,, einen endlichen:
unerwarteten Sinn. Er wollte Kreise um sie ziehen
und sie mit einem Spiel erfreuen. Dankbarkeit
und Gelächter erfüllte ihn nun gegen die Men-
schen und Schwätzer, die jhm dieses gewollt
hatten.
Was für hübsche Dinge die Menschen er-
funden hatten. In einem Wort lagen tausend;
kleine Freuden und Winke eingepackt, als wenn,
andere für ihn vorgesorgt hatten.
Bequem konnte er die Goldstücke von der
«Straße aufnehmen. Er sah mit Lust auf sich'
und die anderen; er fühlte sich1 als Mensch, wo
sich die Gaben der Menschen, die schwere Wolke
der Worte auf ihn senkte; und es war so er-
legend, Mensch zu sein.
Ja, wie reich machte ihn mit einem Schlage
dieses Wort. Seine Lust wurde, je mehr er das!
Wort recht bedachte, unbändig und springend;
so lachte sein Uebermut früher, miit dem jüngeren.
Freunde über die hochbewachsenen Gartenbeete
und Sträucher hinweg. Girlanden und stark
duftende Blüten rankten wirr über schwankende
Brücken und hoben sich zu einer schmalen;
Triumpfpforte.
Er sollte nun lieben, er konnte lieben; nur
zugreifen brauchte seine Hand. Lieben: heißt
das nicht besitzen? Besitzen in der Maske des
Sklaven? Ein Mensch ging neben ihm, ein
Lebendes! Er hatte ein Geschenk für Irene ge-
sucht, ein liebliches feines Geschenk, und nun
war ihm selber unvermutet eines geworden.
Er versteckte sich vor der überbrausenden
Wildheit seiner Freude. Schützend verschränkte
er seine Arme über die ( Brust, die Hände
krampften sich greifgierig, und die Füße und!
Knie wollten rennen zu Irene. Er dachte nicht
mehr an Irene; erst als er sich: wohin? fragte
und der Name Irene irgend von weitem ant-
wortete, besann er sich mit Mühe, und faßte;
sich wieder.
Seine Augen sahen mit Widerstreben ihr
unentstelltes Bild, das blaßrote Haar über dem
Ohr, die Hände strjehen das Haar zurück, das
erdbeerfarbene Gewand, und! er hörtei die weiche,
klare Stimme, die bei langsamem^ Sprechen schon
frauenhaft tief klang. Es war ihm schwer, ihr
Bild festzuhalten. Was wollte er eigentlich von
ihr mit solchen Wünschen ? Er hatte mit diesem;
bestimmten Wesen nichts zu schaffen, und sie
erniedrigte ihn. Lind doch, er hatte ja alles
eigentlich für sie gedacht, die er beschenken
wollte, dankbar schmücken mußte. Noch ein-
mal dachte er nur für sie und suchte ihr Bild
vor alle Wildheit zu halten; alles zerrann ihm
jetzt. Sie beschränkte ihn und| er wußte unruhig,
nicht mehr, was er eigentlich sollte. Lieben;
wollte er sie, eine dumme Puppenliebe beginnen,
eine Liebelei: und das wollte er ihr dankbar,
schenken.
Seufzend reckte er sich. Wohin ließ er sich
treiben durch die Menschenworte? Langsam
kroch noch jener Strom weiter; aber immer
mehr Steinblöcke und Erdmassen stürzten
über ihn.
* *
*

Was sollte nun geschehen? denn es mußte
etwas geschehen, fühlte er. Der reißende Strom;
war genug versandet, das Rauschen klang aber
noch hetzend in seiner Erinnerung und klang
unablässig; das Feuer war erloschen, aber seine
kalten Finger wühlten in der; Asche. Nichts von;
Dankbarkeit war mehr in ihm, aber nun mußte
er ihr etwas schenken. Wie; eine Pflicht mahnte;
und trieb es ihn jetzt.. Er hatte das Spiel einmal'
mit ihr begonnen, er mußte es weiterführen und:
beenden. Daß er so zügellos geträumt hatte,
wollte sich jetzt, so meinte er wieder rächen;
die Geister, die er heraufbeschworen; hatte, hielten
ihn fest: nun mußte er ausführen, was er ge-
träumt hatte, womit er nur gespielt hatte. Und
sie rächten sich auch, indem; sie nichts von dem;
Glück eintreten ließen, das ihn gelockt hatte.
Im Traum war alle Erfüllung von seinen trunke-
nen unbesonnenen Lippen vorweg getrunken.
Das Leben wußte der alte Träumer schon, läßt
sich nicht vorzeitig die dichten, schweren Schleier;
abreißen, die Flechten auf lösen, schamhaft gibt
es sich nur dem unschuldigen, wilden Augen-
blick hin, haßt die buhlerischen Blicke der Ge-
danken.
Und alle Trübsal Irenes wegen, eines Weibes
die ihn nichts anging und das ihm über (den*
Weg gelaufen war. Er wollte dieses Spiel nicht
weiter treiben, er mußte sich wieder auf seine
einsame Ruhe und Kühle besinnen.
An die Wörtchen, diese Angeln der Ver-
schwätzten, wollte er nicht anbeißen, nicht er,
der wortlose, einsame. Irene war gütig zu ihm1
(gewesen; er mochte sie hassen, die seine Ge-
danken immer von neuem zu sich zurückzwang
und ihn wider seinen Willen: festhielt. Er mußte
ihr ein Geschenk bringen und! er wollte ihr eins
bringen, ein Puppengeschenk, ein Narren-
geschenk, recht für ihre zarte Fratze passend,
zum Hängen über das; rote} Teufelshaar und über
di,e süßen Arme und Finger. Sie konnte damit
zur Hölle gehen. Was wollte sie, was verlangte
sie eigentlich von ihm? Für die sanften Worte;
und die zarte Fratze? Nichts, nichts wollte er
mit ihr zu schaffen haben, nichts wollte er ihr
geben für ihre Anmaßung und! freches Begehren,
der undankbaren, der frechen Hündin. Je mehr
seine Gedanken sich freundlich und feindlich
mit dem seltsamen Geschenk und mit Irene be-
schäftigten, je mehr besonnene Ueberlegungen
die Wirrnisse zu lichten suchten, um so tiefer
wuchs der neue Plan, den eine abenteuerliche
Laune ausgeheckt hatte; nistete sich ein, forderte,
hockte wie selbstverständlich in seiner Seele.
*
*
Fortsetzung folgt

Max Steiner:
„Die Welt der Aufklärung“
Nachgelassene Schriften
Kritischer Hinweis
Von Dr. S. Friedlaender
Fortsetzung
Der Wille zum ethischen Leben war in Steiner
fast entschieden stärker, als der Wille zu leben.
Er war der Sklave der logischen Konsequenz;
in Sonderheit, wo sie sich praktisch entschied.
Seine äquilibrische Deliberation verbot ihm, das
gleiche logische Gewicht zwischen Diesseits und
Jenseits, Natur und Gott, Darwin und Kant zu-
gunsten des einen oder des anderen aufzuheben.
Sein logisches Gehör hielt eine Doppelzüngig-
keit nicht lange aus. Was blieb denn übrig? —
Das Weiterleben, Weiterdenken; aber es gibt in
gewissen Momenten allzu leicht die verführerische

Möglichkeit des Nicht- Weiterlebens. — Die
geistige Situation Steiners besteht in diesem
Augenblick noch, dagegen merkt man nur zu
sehr, daß es keinen Steiner mehr gibt. In der
alten Universitätsstadt Jena findet man zwei
,,!Philosophenwege", den „oberen" und den
„unteren". Der eine führt am, (Binswangerschen)
Irrenhaus, der andere] am! Kirchhof vorbei. Welche
Ironie und tiefere Bedeutung dieser Symbolik!
Der Don Juan der Erkenntnis, der leichthin ein
so hübsch monumental und immobil scheinen-
des Problem vom Postamente ladet und leicht-
hin .Iweiter sein: munteres Dasein vertändeln
möchte, wird recht bald die gewissen Schritte
hören, die steinerne Handumklammerung desj be-
fühimten Gastes verspüren. Der moderne
atheistische Freidenker hat nicht viel mehr Mut,
als den seiner Dummheit. Er wird sich hüten,
in den Scharf geschliffenen Spiegel zu blicken,
den Steiner ihm entgegenhält, den glänzenden
Lichtenbergspiegel seines Werkes, aus dem die
Apostel des Monismus als Affen herausschauen.
Manche Geister sind wie Notventile an über-
hitzten Dampfkesseln. Ihre schrillen, schneiden-
den Töne warnen vor Explosion’.; Man darf nicht
vergessen, daß der Denker Nietzsche den
Musiker, den Dichter zu nahe hatte, um zur
Gradlinigkeit gezwungen zu sein: dadurch run-
det sich sein Weg, sein Werk; er vermag, seiner
Antipodie die Sphäre, die Harmonie der
Sphären abzugewinnen, indem er Licht und
Finsternis bunt vermählt. Sein J(a, sein Nein,
so weltverschieden sie tönen, rühren; doch aus
einem unlädierten Tonzentrum, aus einer! macht-
vollen Persona her, die miti urgewaltiger Will-
kür ihre Vorzeichen, ihr Plus, ihr Minus nach
ihrer untrüglichen Witterung ansetzt: ihr Stark,
ihr Schwach, ihr Männlich, ihr Weiblich. Ihr
Dionysisch, ihr Christlich. Diese tiefe Person in
Nietzsche liebt die Maske —< und wie sollte auch
eine so rätselvolle, wesentlich anonyme Indif-
ferenz, ein so unteilbar Mittleres anders
als inkognito zutage treten? Hier ist das kor-
dinale Gebrechen Steiners und seine1 Vorzüglich-
keit zu suchen: er verschmäht — recht männ-
lich! |— allen UmsChweif, alle Draperie und
Maskierung. Er will direkt sein, logisch bleiben
und wird sistiert, genau in’demselben Punkte,
der ihn auf das Entschiedendste hätte motivieren
müssen, wenn er nicht mehr Logik als Leben
im Leibe gehabt hätte!
Ganz gewiß gibt uns die Logik auch für
unser ethisches Verhalten die entgegengesetzten
Vorzeichen an die Hand — aber unsre Hand,
unser Geschmack, unser Wille, unser Leben
setzt sie .... und nicht unsre Logik. Der ist
verloren, der sich' hier wie' Steiner nach logischer
Hilfe sehnt; aber gleichermaßen derjenige, der,
die ... Bilateralität der Logik, ihren Magnetismus
(„Polarität") außer acht lassend, sich! nach seinen
Misch-Masch-Gelüsten „ausleben" will. Max
Steiner weiß mit so furchtbarer; Deutlichkeit wie
Nietzsche, was es mit dem Atheismus auf sich
hat: „Habt erst den Mut", ruft er den seichten
Aufklärern, den dummdreisten Freigeistern zu,
„der Hölle, deren Geister ihr gerufen, in den
Schlund zu blicken. Werdet erst reif für die Ge-
stirne des Bösen" ... Aber dieser unfehlbare
Logiker scheute offenbar wie Feuer die Anrüh-
rung der wunderbaren Grenze, deren Magie
schon Lessing empfunden hat: der Grenze
zwischen den einander entgegengesetzten mora-
lischen Wertungen. Immanuel Kant polemisiert
gegen Leibniz dahin, das radikal Böse sei keine
bloße Abwesenheit des Guten, sondern dessen
Gegenteil: das negativ Gute, nicht bloß das
Null-Gute! So wie das Gegenteil von Vermögen
Schulden seien, nicht bloß Mangel an Geld.
Eben diese Bemerkung, daß alle Logik von Posi-
tiv und Negativ beherrscht sei, hat eine Menge
schwerer Verkennungen, schiefer Blicke hervor-
gerufen.

28
 
Annotationen