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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 146/147
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Walden, Herwarth: Kunst
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers: ein Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0260

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Kunst

diesen allerdings nur scheinbar auf Ewigkeits-
werten aufgebauten Riesen des Hochgebirges“.

Die Maler mit dem Dichter
Es gibt nur eine berechtigte Art von Kunst-
kritik. und die schreibt Herr Doktor Willy Burger
in den „Münchener Neuesten Nachrichten“. Wenn
doch eine Faschingsnummer dieses Blattes jemals
die Höhe dieser Kunstkritik erreichen würde.
Zum Beispiel:
„Reinh. M. Eichler zwei schöne dekorative
Bilder „Weidenkätzchen“, ein junges Mädchen,
das z u s a m ni e n mit de n Anzeichen des
F r ü h 1 i n g s s o ä rrangiert ist, daß man
unwillkürlich an beste japanische Vorbilder er-
innert wird und den „Vasenschmuck“, ein Breit-
bild. auf dem den kostbaren Erzeug-
nissen moderner Keramik a u f d.e r
einen Seite d u r c h ein junges Mäd-
chen auf der andern ein Paroli ge-
böte n w i r d , ohne daß das notwendige I n -

Der Maler malt auch für die Kleinen und Schwa-
chen: „Am ,Sonntagmorgen4 versammeln sich die
Bergbewohner vor der kleinen hölzernen Kirche,
in ihrer bunten Landestracht, Werte von stark de-
korativer Wirksamkeit an sich tragend.“ Was
bleibt einem Maler bei soviel Werten noch übrig,
als sie zu besingen, sie, die schon malerisch an
sich sind. Aber der Maler kann noch mehr:
„Ein alter Mähder neben seinem gealterten Weibe
schildert ergreifend die Kürze und Mühseligkeit
allen menschlichen Lebens, wie es im neunten
Psalm knapp und eindringlich gekennzeichnet
wird.“ Dieser Maler hat es wirklich schwer.
Hier hat der neunte Psalm sein Bild schon so
knapp und eindringlich gemalt, daß dem Maler
kaum das Malen übrig blieb. Wer einen Burger
so begeistert, kann sicher als Maler nur ein Bür-
ger sein.

b e z i e h u n g s e t z e n der beide« fehlte.“ !
Das Inbeziehungsetze.il der Keramik mit dem
jungen Mädchen, zusammen mit den Anzeichen
des Frühlings, geschah bereits am 17. Dezember.
Der Januar wird noch lustiger. Was malt Herr
Friedrich von Keller? „Zwar rauhe, aber kraft-
volle, seimige Gestalten, denen die harte Arbeit-
nichts von der Gesundheit zu rauben vermochte!“

Der Maler ohne Dichter
Die Wochenschrift ’ „Die Aktion“, heraus-
gegeben von Franz Pfemfert, Berlin-Wilmersdorf,
Nassauische Str. 17, Telephon Amt Pfalzburg 6242,
leistet für ihre Mitarbeiter eine Nummer „Lyrische
Antologie“. So schlimm steht es um die Lyrik
doch noch nicht, wie diese Nummer glauben

Arbeiter, die sogar die Malerei des Herrn von
Keller überstanden. Aber „wo sie im Freien auf-
treten, überschneiden sie um ein Bedeutendes den
Horizont.“ Herr Doktor Burger nennt das Ueber-
schneiden einen Kunst g r i f f. Kellers Arbeiter
sind „in einer hellen ein wenig gelbbraunen Farbe
gemalt, die stark an den Sandstein erinnert,, mit
dem die meisten seiner Arbeiter zu tun haben“.
So w a h r malt dieser Meister. Noch mehr.
„Keller gehört auch zu den wenigen Künstlern,
die das Hohe Lied der Arbeit ohne jede
Nebenmelodie singen.“ Er malt, wie der
Vogel singt. Aber „auch die religiöse Malerei
pflegt er; das Bild Loth und seine .Töchter ver-
tritt neben, einer älteren Grablegung Christi
dieses F a c h.“ Und wie er neben dieses Fach
vertritt! Das vermag nur ein Maler, wie der Herr
Kritiker Burger, zu besingen:
„Gebückt ermattet von der Anstrengung, aber
urweltlich groß, kommt Loth an der Hand des En-
gels den Berg herauf: an Michelangelos Sintflut
denkt man; an der anderen freien Hand halten
sich die Töchter fest; in der Zäsur zwi-
schen ihnen und dem Vater wird Loths Weib
sichtbar, die sich umwendet und in das von
schwefelgelben Blitzen gräßlich zerrissene nächt-
liche Dunkel zurückblickt. Ein Bild von gewal-
tigem und tiefergreifendem Eindruck, das wie eine
Illustration zu Lord Byrons Gedicht
wirkt oder vielmehr dessen Geist atmet.“
Sonst „begegnet man in der Gallerie Heinemann
noch einer größeren Kollektion des ebenso flei-
ßigen und vielseitigen wie geistreichen Profes-
sors . . .“ Diese Bilder müßte man eigentlich ge-
sehen haben. Am 28. Januar ist Herr Doktor Bur-
ger, darf er endlich wieder alpin sein. Er sieht
den bedeutendsten lebenden Darsteller der Alpen:
„Er verliert sich nicht allzu stark in die g e n a u e
Wiedergabe der einzelnen Fels- und Gebirgsfor-

macht. Man schwärmt allgemein für Huren, Lues
und Exkremente. Herr Kurt Hiller hat sehr oft
den Ehrgeiz besessen, als Lyriker im Sturm
gedruckt zu werden. Ich will ihm loyal diesmal
für vier Zeilen vier Zeilen öffnen:
Täglich nimmt mein Daseinstrieb ab,
Denn das Leben trieft von Lues,
Wenn ich irgendwas noch lieb hab,
Stahlgeäugter, dann bist Du es!
Das nennt man fortgeschrittene Lyrik. Aber
die Aktion hat nicht nur diesen Lyriker und viele
ebenso schlechte entdeckt, sondern auch einen
Maler. Natürlich Herrn Max Oppenheimer, der ja
bei den Lesern dieser Zeitschrift berühmt genug
geworden ist. Nicht einmal die Aktionslyriker
vermochten sich für diesen Maler so zu be-
geistern, daß sie ihn mit den üblichen lyrischen
Exkrementen bewarfen. Aber Herr Franz Pfem-
fert (Amt Pfalzburg 6242) ist nicht umsonst der
große Politiker. Er nimmt einfach ein Gedicht
von Reinhold Lenz, nennt ihn sehr dichterisch
Frühling, druckt sein Gedicht „Gemälde des Er-
schlagenen“ ab und erschlägt den Toten durch
die Widmung: „Auf Max Oppenheimers Gemälde:
Der Erschlagene.“ Es genügt, daß Herr Franz
Pfemfert (Amt Pfalzburg 6242) diese lyrische
Antologie dem unsinnig überschätzten, aber da-
durch unterschätzten Georg Heym widmet. Für
Herrn Max Oppenheimer jedoch möge er selber
zur Leier greifen und nicht einem toten Dichter
einen unlebendigen Maler nachrufen.
H. W.
Die Schwermut des

mationen — das ist Sache und Aufgabe des To-
pographen —, noch sucht er den Eindruck des

Genießers

Bedeutenden, Majestätischen durch allzu große
Vereinfachung, durch eine bloße Beschränkung
auf dem ja allerdings auch noch starke

Ein Roman
Von Artur Babillotte

Wirkungen in sich bergenden Kontur zu errei-
chen.“ Aber auch eine „ideale Seite im Be-
schauer wird angeschlagen“. Nämlich: „nämlich
das eigener Kleinheit und Schwachheit gegenüber

„Schaffen — das ist die große Erlösung
vom Leiden, und des Lebens Leichtwerden.
Aber daß der Schaffende sei, dazu selber
tut Leid not und viel Verwandelung.

„Ja, viel bitteres Sterben muß in eurem
Leben sein, ihr Schaffenden! Also seid ihr
Fürsprecher und Rechtfertiger aller Ver-
gänglichkeit.
„Daß Mer Schaffende selber Kind sei, das
neu geboren werde, dazu muß er auch die
Gebärerin sein wollen und der Schmerz der
Gebärerin.“
Nietzsche „Also sprach Zarathustra“
Erster Teil
Lieber Theo!
Wenn ich alles um mich her zum Tönen ge-
bracht habe, ist mein Lebenszweck erfüllt. Es ist
eine Klangüberfülle in mir, daß ich manchmal' in
der festen Ueberzeugung lebe, es gebe keinen töne-
reicheren Menschen als mich. Dann gehe ich um-
her wie ein Sieger; ein Sieger über alles Unhar-
monische und Eintönige. Und spreche zu den
Menschen wie ein Verzückter und wundere mich,
wenn sie nicht widertönen und gleichsam durch
meinen Töneüberfluß befruchtet werden. In solchen
Augenblicken bin ich glücklich und unglücklich ohne
Maßen, da ich meine eigene- Kraft und. die Gici.ch-
giltigkeit der anderen erkenne und weiß, daß ich
beide Erkenntnisse, gewissermaßen in eine zusam-
mengeschmolzen, viele Stunden mit mir herum-
tragen muß.
Siehe, Theo, alles Geschehen und alles Nichtge-
schehen, alles Reden und alles Schweigen, alle Be-
wegung und aller Stillstand — alles ist Musik. Und
wer den Grundton dieser Musik gefunden, der
fand den Ursprung und den Zweck des Lebens.
Und wird selbst Musik! Du lächelst vielleicht, wenn
du dies liest. Aber ich bitte dich, lächle nicht,
bevor du mit gutem und starkem Willen versucht
hast, mich zu verstehen. Du weißt, daß ich außer-
halb des täglichen Lebens lebe, ein Sonderleben,
dessen Sinn und Wunsch nur ich. begreife. Meine
Freunde aber bitte ich, mein Leben mit ehrlichem
Willen zu betrachten und nie meinen Glaubenssatz
zu vergessen: Künstler sein, heißt, eine Eigenwelt
sein. Es ist meine Sehnsucht, daß meine Freunde
mich verstehen und in mir aufgehen möchten. Ich
bin ein Tyrann und bin ein Schöpfer, der die ganze
Persönlichkeit dessen fordert, der an ihn glaubt.
——- Nie habe ich» meine Seele lauter tönen
hören, als in einer dunklen Wolkehnacht, da ich
in einem kleinen Kahn einen waldgesäümten Fluß
hinabtrieb. Damals schon meinte ich '„alles um
mich her sei ein Tönen geworden und ich .selbst zer-
fließe in eine weiche, starke Musik. Das Wasser
tönte; die schwarzen Waldwände tönten; die Ru-
der und die Wolken und auch die Dinge, und Ge-
schehnisse außerhalb meines Gesichtskreises. Alle
Töne strömten zu mir als dem Mittelpunkt. Ich
war der Kern dieser alles in sich fassenden und
verschlingenden Musik. Ich fühlte bei vollem Be-
wußtsein, wie ich aus mir selbst gehoben wurde
und wie das kleinste Zittern der unendlichen Töne
in mir mitzitterte. Und das Wunderbarste: Ich
hatte den festen Glauben, Herr der ganzen Erde
zu sein. In einem langen Zuge dröhnten und tanz-
ten und schlichen die Prächte aller Länder an mir
vorbei und grüßten mich. Da rauschte heran die
farbentiefe klagende Lustmelodie Italiens, die
herbe, poesielose Poesie des Nordlands, die kalte
Starrheit russischer Steppen, alle Verworrenheit
asiatischer Farbenmischung prunkte vor mir • auf,
alle Glut und Einsamkeit afrikanischer Wüsten und
alle gleichgültige Sattheit der weiten Prärien Ame-
rikas und alle dämonische Wildheit seiner Felsen-
gebirge. Und die Stimmen aller Völker tanzten
vor mir wie bunte Fontänen; leuchteten, sprühten,
erloschen. Es gab nicht Raum noch Zeit mehr: Ich
lebte viele tausend Jahre vor Christus und viele
tausend Jahre nach ihm. Ich sah Alexander den

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