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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 127/128
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Liliencron, Detlev von: Briefe an Peter Hille
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0148

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Briefe an Peter Hille
Von Detlev von Liliencron
Fortsetzung
Siebenter Brief
Anfang des Briefes fehlt
Continuatio von heute Mittag.
Hamburg, Central-Hotel, 23. September 86.
Ach, Lieber, was denn ist es? Eins halte ich
für vollkommen notwendig, ja für unbedingt not-
wendig: ein Charakter zu sein. Und wie oft
schmähen wir einen solchen Menschen, nennen ihn
Pedanten, kalt, nichts vom Leben habend, eisig,
unsinnig: daß er nichts vom Leben hat; usw. Ja,
und dennoch, tausendmal dennoch ist mir der
Mensch, der unglückselige, der von Traum zu
Traum fällt, unpraktisch: dadurch stets „hinein-
fällt“: glühend, glühend, ohne zu bedenken: 'den
Augenblick (— o weile, du bist so schön! —) er-
greift: um zu genießen; nach keiner Zukunft fragt;
alle die Millionen Widerwärtigkeiten hinnimmt,
ohne vorher an sie zu denken, der sympathischere.
Was, wie sollen wir denken . . . handeln. Immer
nur ein einziger ungeheurer Widerspruch des
Lebens. Und so widerspreche ich mir jetzt: es
sind die Menschen des Höchsten zu achten, die
ruhig, kalt, geradeaus berechnend (— da sie ein-
sehen, sonst sofort unter die Füße getrampelt zu
werden —) ihres Weges: ohne Freude, ohne In-
nerstes, gehen. Welche Studien habe ich gerade
darin im Offizierkorps machen können. In fliegen-
der Hast schreibe ich jetzt an einem Roman, um die
oben genannten Kategorien, wenn ich so sagen
darf festzunageln (— zwei Rittmeister, Vettern, die
sich durch ihre gegenüberstehenden Naturen has-
sen —); das kann ein tiefes und vertieftes Lebens-
bild geben. Ich fange sehr naturalistisch an: „wat,
Schiet, lat mi tofreden . . .“, usw. Echte Szenen
aus Bauernkneipen dazwischen, aus dem Volke;
dann wieder in der „Gesellschaft“; und so kann
Tausendes hineinkommen. Ich sehe nämlich das
„Volk“ viel durch meine Jagdzüge. Ein Dichter
müßte Jäger sein. Gerade das Abseits des gewöhn-
lichen Weges des Jägers bringt ihn zur Natur.
Freilich, freilich, ich meine unter Jäger keinen
Mörder nur; pfui über solchen Aasjäger. Aber
Jäger: Sanft an die Natur schmiegen; im Gras,
unter Bäumen, in der Schänke frühstücken. . .
Und doch, und doch! immerwieder: Ein Charakter
ist das höchste. Der Charakter aber macht die
Pflicht: die Pflicht gegen sich selbst, die Pflicht
gegen sein Volk, König. Land. Es ist ja entschieden
der Patriotismus der äußerste Grad des Philister-
tums; aber ohne Vaterlandsliebe: wie elend!!! Ich
betrachte jetzt in diesen Tagen das wieder: die
altpreußische nüchterne Pflicht: wie iin ^mei(nen
Bureaus die Feldwebel, die Unteroffiziere, die
Schreiber, an der Spitze auch die Offiziere: ar-
beiten; wie zum toll werden ist dieses nüchterne
Kasernenstubenleben! Aber wie exakt, wie pünkt-
lich geht alles. Immer egal weg. Mich überläuft
oft ein Schauder, wenn ich um %8 jetzt in mein
Bureau trete: zuerst 500 Briefe täglich öffnen,
meistens derselbe Quark; dann verteilen. Dann
sitzt alles bis 2 Uhr, und schreibt und schreibt und
schreibt: immer derselbe Quark; gräßlich, aber —
die altpreußische Pflicht, ob General, ob Musketier.
Wie komisch. Lieber, kommt es mir nun vor: Vor-
trag über so langweilige Dinge halten zu müssen,
mit tiefernstem Gesicht: immer dasselbe, immer
dasselbe! Und doch: wie eine Ruhe, so kommt es
über einen. Freilich jene Ruhe, an der man ge-
fälligst nach 6 Wochen in der Schaukel der gräß-
lichsten Langeweile sitzt. Aber —die Pflicht. Und
glaube mir: In diesem preußischen Exerzierregle-
ment, ob in der Schreibstube, ob auf der Felddienst-
übung, auf dem Exerzierplatz im langsamen
Schritt: es sitzt Geist darin! Das ist’s ja gerade.
Der preußische Soldat wird, trotz der eisernen

Strenge (und, Gott sei Dank!, daß es so ist), nie-
mals Automat. Eine gewisse Selbständigkeit wird
jedem Soldaten unausgesetzt gepredigt: im vor-
kommenden Falle für sich handeln zu können.
Und das zeichnet vor den anderen unsere Armee
aus. Und wie streng wird unser Offizierkorps er-
zogen! Wieviele Rüffel, Ermahnungen. . . Wk -
viele liebevolle Winke auch vom älteren dem jün
geren Offizier. . .
Ja, die Pflicht, o diese langweilige Weide am
grauen Eisenbach, der nicht plätschert, der nicht
murmelt, der keine Blume mit sich führt. Die un-
scheinbare graue Weide am grauen, gleichmäßig
ohne Getöse vorbeiziehenden Fluß.
Ja, die Pflicht, du Lieber. Es ist etwas Hei-
liges in der Pflicht. Goethe sagt: „Was ist deine
Pflicht? Die Forderung des Tages.“ Wie immer
bei Goethe: ein Himmels-, ein Weltwort. Pflicht
macht aus unserer Selbstsucht die Selbstzucht.
Selbstsucht — — Selbstzucht.
Wie herrlich das Wort des Kronprinzen neu-
lich in Heidelberg. . . Aber beim Jupiter. . . Die
Pflicht? Ja, aber dann können wir ja ruhig den
Degen einstecken. . . Dann: wenn wir die kalte
strenge, gleichmäßige Dame Pflicht beherbergen
— o Welt, wo bist du denn mit deiner Lust, mit
deinen Freuden . . .
Da geht ein Weib, ein Mädchen . . . O mein
Gott, du liebst sie gleich, du möchtest dein Blut im
warmen Bett hergeben, sie heiß, heiß, wie es die
Natur will, an dein stürmisches Herz pressen . . .
aber ... da sitzt vielleicht ein ander Weib, dir
treu, dir aufopferungsfreudig, nur dir gut . . . und
du, o Lieber, Lieber, du beachtest sie nicht ... ihr
gehört dein Blut . . . sie ist dir treu; sie sieht es
jetzt nicht . . . und alle Adern doch stürzen in
schäumendem Mußfall der andern zu . . . und diese
andere öffnet dir die Arme . . . sinnlos, sinnlos . . .
schon ... o ... die Pflicht: das anständige Ge-
fühl in uns: zu handeln wie jeder treue alter Bie-
dermeier ... ich frage dich: „Ist es dem einen er-
laubt?“. . . sein heißes Blut?. . dieser eine viel-
leicht ... du ... ich .. . wir fühlen anders wie
das Millionenmenschenvieh . . . und doch die —
Pflicht! Und aus diesem graugrützartigen Worte
Pflicht, aus diesen Eisenklammern reißt sich das
Wort los: „nach uns die Sündflut“; „zum Teufel
mit der Pflicht“. Leben will ich, heiß, glühend; die
Gelegenheit wahrnehmen ... ist es doch im läng-
sten Menschenleben nur nach Stunden zu zählen:
daß wir glücklich waren. Und wenn nun eine
solche glückliche, d. h. alles, alles uns Peinigende
auf kurze Zeit abnehmende Stunde kommt: Greif
zu, greif zu: das Leben ist so kurz, so kurz — und
in den Abgrund mit dem alten Rechnengesicht der
Pflicht.
Und dann: alles liegt im Wort: Sei ein Mann!
Das Wort gibt uns die Richtschnur, adlig zu denken,
adlig zuhandeln; rein zu denken, rein zu handeln;
aber da, da ist es schon wieder: sofort, wenn wir
nicht weltklug (o du Vipernwort!) durchs Leben
gehn, sofort stampft auf uns die Mitmenschengesell-
schaft; auf; Visier vor; erst betrüge ich dich; wart’
nur, du sollst schon sehen: so müssen wir denken!
Wer gläubig denkt mit kindlichem Gemüth: das
sind die glücklichsten Menschen: alles der liebe
Gott! die Unbefleckten! der Erbarmer! und damit
holla . . . Und, o, du Lieber mit den Dichter-
augen: hast du an den Erbarmer gedacht? Welch’
ein Mensch. Der einzige, der je ohne Selbstsucht
über die Welt wanderte, im heiligsten Betrüge den
heiligsten Betrug lehrend — aus Erbarmen zu sei-
nen Mitmenschen, aus ewiger Liebe. Und das
Weltgesindel, diese Menschencanaille gegen diesen
einen! in den Staub! in den Staub! vor Jesus
Christus!
Hätt’ ich Dich hier, lieber Freund Hille! Du
mit Deinem tiefen Geist, mit Deiner Ursprünglich-

keit! mit Deinem so fremden Herzen ... ich seh*
Dein Bild jetzt an . . .
Detlev Liliencron
Achter Brief
Hamburg, Centralhotel, 14. X. 86.
sonst Kellinghusen, Holstein
Eben, mein sehr lieber Peter Hille, erhalte ich
Deinen langen, so lieben, lieben und interessanten
Brief. Steckt doch so vieles in ihm: Eine verliebte
Seele (— wie eine stille schmetterlingsüberflogene
Blume ist oft solche Sehnsuchtsseele wie die Dei-
nige nach Igstadt —); eine Fülle von Geist in oft
markantester Ausdrucksweise, in oft geheimnisvoll-
verständlichster Sprache. Dann endlich: wie in
allen Deinen Briefen: auch in Deinem letzten: so
viel Herz und Güte und Menschenliebe!
— Wie war es mir ins Herz ziehend, was Du
mir von Deiner Liebe und von Deinen Brü-
dern erzähltest. Alles erlebt’ ich ja mit Dir.
Hättest Du in Rom nicht Anhalt durch Deinen
Bruder Franziskaner, ich meine bei etwaigem
dortigen Aufenthalt . . . Und Du, die freie
klare, menschlich denkende, große Seele
hast zwei Priesterbrüder. Weißt Du denn, daß ich
1868 katholisch wurde durch den damaligen Bischof
Emanuel Kattlar in Mainz. Jetzt muß ich lachen,
wenn ich an den Unsinn denke. — Viele Neuig-
keiten: Was sagst Du zu dem Angriff Julius Hart’s
in Nr. 40 der „Gegenwart“ gegen unsern Bleibtreu.
Ich sage ad 1: Karlchen Bleibtreu hat die Hart’s
durch versteckte, und doch durch saftige
Angriffe auf’s Aeußerste gebracht. Nun wehren sie
sich — aber mit ganz offenem Visir. Welch fabel-
haft viel Gift sich gesammelt hat gegen Bleibtreu,
wirst Du ermessen können. Eins bleibt mir bis ans
Grab für Bleibtreu: Eine stürmische Seele für seine
große Tapferkeit, für seinen Muth. Ob einer eine
eingefangene wilde Stute bändigt, oder ob er wie
K. Bleibtreu ä la Hutten in verdickteste Literatur-
zustände hineinpeitscht: Es war Muth! und deshalb
evviva Bleibtreu.
Ich habe meinen ersten Maler kennen gelernt,
d. h. zum ersten Mal in meinem Leben mit einem
Maler gesprochen. Das kam so: In meinem Büreau
meldete sich ein Reserve-Husaren-Offizier Günter.
Ein reizendes Kerlchen: dunkelschwarze Augen,
kleiner, schwarzer, gedrehter Schnurrbart, elegan-
teste Figur: avec un mot: der Husarenlieutenant
„wie er im Buche steht“. Er erzählte mir, daß er
Maler sei, in Düsseldorf seine Studien mache, und
nun nach seiner militärischen Dienstleistung bei
seiner Mutter in Hamburg wohne. Schon am selben
Abend trafen wir uns in den Alsterarkaden in einem
elektrisch beleuchteten neuen Lokal, und es war
mir enorm interessant, mit einem Maler (— das
erste Mal! —) sprechen zu können. Du kannst Dir
denken, wie unser Gespräch hin und herflog, lieber
Freund! Welche neue Seiten des Lebens dämmer-
ten mir herauf: Wie erzählte er von den Achen-
bach’s, Feuerbach und Gott weiß was für Bach’s p. p.
— Vorgestern besuchte ich ihn in seinem Atelier
hier (d. h. seiner Stube im Hause seiner Mutter).
Er gehört zu einer der prominenten Familien Ham-
burgs, hat so 70—90 000 Mark jährlich. Da kann
er Maler sein! O Gott, wie schwer doch wird’s
manchem gemacht! wie leicht dem Andern! Und
— wir sollen nicht murren, immer fein anständig
sein, immer die Schultern beugen-
Uebrigens: Sowie ich sein Zimmer betrat, merkt’
ich auf der Stelle, bei wem ich, daß ich bei einem
Maler eingetreten sei. Alles echt (Bronzen
p. p.); tausend „malerisch“ verteilte Kunstgegen-
stände. Namentlich viel von ihm geschossene
Raubvögel, gut ausgestopft, nach seiner Zeichnung
die Stellung der Flügel und Fänge p. p. Man sieht’s
doch auf den ersten Blick. Das also war meine
erste Malerbekanntschaft. Morgen abend wollen
wir wieder Zusammenkommen.

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