Und es war Leon Stappen, der so pfiff und das
Söhnchen noch immer auf und nieder wippte mit
dem Knie.
Leon Stappen ließ den Buben wippen und
dachte, ohne Madelaine anzuschauen: wie hübsch \
sie aussieht, nun sie da vor dem Fenster steht. Und
ihre Haare sind so blau wie polierter Stahl. Und
ihre Brüste sind rund und fest. So rund, als hätte
diese Frau nie das Söhnchen geboren.
Und Madelaine stand am Fenster und hatte noch
immer die weiße, knittrige Latzschürze vor.
Ein Brummer stieß sich an die Scheiben und
draußen auf der Landstraße tackte ein Hahn die
Hühner herbei.
Da ließ der Vlame den Knaben plötzlich fahren
und richtete sich auf.
Madelaine erbebte am ganzen Körper wie eine
junge Magd, die den Liebsten kommen hört.
Halb ärgerlich, als merkte er daß sie ihn an-
starrte, wandte er sich zur Tür und warf sie ins
Schloß. Die Bodentreppe knarrte laut auf unter den
harten Schritten.
Und Madelaines Kleid wurde schwarz und
frostig wie das Gewand einer Witwe. Und ihr
Herz fiel herab und tat einsamere Schläge.
Um die Vesperzeit betrat Leon Stappen unge-
rufen die Stube. Das Söhnchen war draußen auf
der Gasse. Und der Kater lag zusammengerollt
auf dem Söpha.
Madelaine goß dem Vlamen den Kaffe in die
große Tasse, die mit Goldbuchstaben verziert war.
Alit gespreizten Fingern warf sie den Zucker hinein
und machte einen langen Hals dabei.
Es war ganz still im Zimmer.
Und plötzlich nahm er ihre kleine weiße Hand
mit einer heftigen Bewegung und hielt sie wie ein
Geschenk. So wie ein Geschenk, das ihm schon
lange gehörte.
Wohl lag zwischen Beider Augen, die sich
kreuzten und bekriegten und verschlangen, eine
fragende Unruhe. Aber die Frage wurde nicht aus-
gesprochen. Und es war eine kleine Lüge als der
Vlame leise sagte: „Ja, ja, du bist seine Frau“.
Aber von ihren Lippen prallte es ab wie ein
Echo: ja seine Frau! Dahinter stand es schon ganz
straff und zugespitzt wie ein Pfeil: ich wollte, ich
könnte schon ehrlos sein!
Und da sie das Gesicht voll zu ihm aufhob,
nahm er ihre beiden Hände und wollte sie küssen.
„Nein, o nein“ hauchte Madelaine. „nein, nein,
nicht die Hände!“
Und so fuhr er wilden Bluts über ihr Gesicht
mit warmen Lippen und fühlte wie ein Gift das
feste runde Fleisch der Arme, die jäh seinen Hals
umklammerten. Und sein Atem schrillte wie ein
Pfiff.
Und Madelaine stöhnte wie unter einem Mes-
ser, das die Fasern ihrer letzten Begierden bloß-
legte. Und sie gab ihm alles, wonach ihn hun-
gerte und dürstete. Und es geschah zum ersten
Mal, daß einer die Seele dieses Weibes küßte.
Und es war ein Vlame, der so küßte.
Wie ein Betrunkener torkelte Leon Stappen
ans der Kammer. Und als er die Klinke der Stu-
bentür packte, erhob sich Madelaine - und ging
ihm nach.
Mitten im Zimmer blieb sie stehen, da er drau-
ßen war. Und sie zerfloß und floß hin wie sein
Schatten.
Der Geruch seiner blonden Haare aber blieb
wie ein fremder Duft in der Stube und legte sich
schwer auf Polster und Geräte.
Der Steiger HuysmatWis sagte nach dem Abend-
essen ganz langsam und sehr fern sein monotones:
„Liebe Madelaine!“
Aber ihr Mund lag verchlossener denn je zwi-
schen den scharfen Winkeln. Und sie fühlte mit
einem verbissenen Groll, daß es Nacht wurde und
ein klebriger Dunst den fremden Geruch von den
Geräten und aus der Kammer wegfraß.
Und mitten in der Nacht, genau zu derselben
Stunde da Madelaine mit blauverkrümmten Fin-
gern über die behaarte Brust ihres Mannes fuhr
und einen anderen ferneren Mund suchte, ward der
Steiger Leon Stappen vom Wetter erschlagen,
und mit ihm elf andere Männer aus demselben
Dorf.
III.
Auf fünf Leiterwagen fuhr man die Särge, wo-
rin das Zerfetzte von zwölf Männern lag, durch
das Dorf. Hinter dem ersten Wagen, der nur einen
schwarzen Sarg über das schlechte Pflaster
schleifte, gingen die Meßdiener und der Pfarrer.
Und die Grubendirektoren und der Steiger Jean
Hnysmanns und seine Frau. Sie trug einen Kranz
aus getrocknetem Moos und ein paar rote Papier-
rosen staken darin.
Die Musikanten bliesen ein trauriges Lied.
Das stolperte über die Misthaufen und zerplatzte
an den Fensterscheiben wie ein dummer Land-
regen. Aber es war niemand in den schwarzen,
torfgepichten Häusern.
Nur vor dem vierundzwanzigsten hantierte das
Söhnchen mit einem Holzpferd. Und es tanzte
damit wie nach einer sanften Musik.
Das war aber nicht der traurige Blechregen
hinter den Särgen. Der Vlame pfiff sich selbst
sein Liedchen. Und es war wie ein Reiterliedchen,
und das Söhnchen tanzte mit dem Holzpferd
hinterdrein.
IV.
Der Steiger Jean Hnysmanns fuhr jeden Mor-
gen um fünf auf seinem Dreirad zur Grube.
Und Madelaine stand wieder am Fenster. Sie
hatte eine knittrige Latzschürze vor. Und die
feinen Härchen vom Scheitel standen in der Sonne
und waren ganz weiß wie der morsche Reif des
Alterns.
Und es kamen noch viele Kostgänger ins Haus.
Und die dann wieder gingen hatten weiße Gesich-
ter, wie von einer Seuche verheert. Sie trugen
das weiße Verheerte in die Klöster und verbrann-
ten es im Weihrauch des Cölibats. Sie ließen
keine Spur und keinen Schatten zurück. Und der
Geruch von ihren Glatzen flog auf die Gasse wie
Spreu und Wurde vom Atem der Düngerhaufen
aufgesogen, bis diese voll waren wie ein
Schwamm.
Da begab es sich, daß man den zwölf Berg-
leuten, die das schwarze Wetter erschlagen hatte,
ein Denkmal setzte.
Der Steiger Jean Hnysmanns verbot aber
seiner Frau, zur Feier zu gehen. Denn sie war
schwanger und im zehnten Monat.
Madelaine zog dennoch das schwarze Braut-
kleid an, das sie auch zum Begräbnis getragen
hatte und ging auf den Kirchhof. Sie warf ein
paar sanfte Feldblumen auf das Massengrab und
ging siebenmal um das Denkmal herum, so daß
der Pfarrer sie ansah wie eine Irre.
Und so wie eine Irre torkelte sie ins Dorf zu-
rück. Ein fremder Schatten hüllte sie ein wie in
eine Wolke. Und sie spürte ihre Stunde wie das
Brausen eines Bahnzuges. Sie sah darin zwei große
Lichter, die waren blau. Und ein Dampf wirbelte
durch ihr Blut und machte es sieden.
Sie warf sich unausgekleidet auf das Bett, das
kühl und hungrig in der Kammer gähnte. Und
sie lag darin wie in einem Sarg.
Ein Fröstelschauer zerschlug ihre Glieder. Die
Lippen wurden blau und stumpf.
Die alte Bettlade stöhnte wie im Fieber. Aus
den wurmzerstochenen Fugen rieselte Blut. Made-
laine zerfloß wie ein Schatten.
Als Jean Hnysmanns des Abends kam und die
ausgelaugte Luft seinen Atem wegfraß, holte er
die Schwiegermutter. Er führte sie in die Kam-
mer. Aber das Kind war schon da.
Da hob es die alte Frau empor und prüfte es
und wog es in den Händen wie eine billige Ware.
Und zu dem Steiger sagte sie halb im Lachen:
„Ja, ja. Gestern hab ich der Jeanette auch so ein
Kinderl geholt. Das hat genau so blonde Haare
und so blaue heimtückische Augen. Aber meiner
andern Tochter Mann ist ein Vlame. Aus St.
Amand. Du weißt ja!“
Jean Hnysmanns nickte nur ganz fern. Ge-
lähmt durch ein ahnendes Gefühl, das von dieser
Alten, angebohrt, weitersägte in den verfetteten
Nerven, rang er wie ein Bewußtloser nach Wor-
ten, die Bewußtlose auf den zerwalkten Kissen da-
mit zu beschmutzen und wegzuwerfen wie ein zer-
brochenes Gefäß.
Aber die hörte ein Reiterliedchen pfeifen. Und
es waren des Vlamen Leon Stappen Lippen, die
also pfiffen.
Gedichte
Die Nacht ist groß
Die Häuser sind Paläste geworden
Vor soviel Nacht.
Fast könnte es Herbst sein.
Aber es ist keine Jahreszeit.
Und die sich begegnen,
Schauen sich an —
Heimlich, Heilig:
Denn der andre könnte ja ein König
Sein.
Späte Oktobernacht
Schließlich verlöschen die Straßenflammen,
Die noch vom letzten Abend stammen,
Und eine Stille wird ringsherum,
Als wären tausend Seelen beisammen
Und unterhielten sich stumm.
Aber der Mond mit unversehrten.
Ängstigend überriesen Gestalt
Dringt noch, langsam, doch ohne Halt,
Und pflanzt auf den kahlen, kalten Asphalt
Fabelhafte Gärten.
Manfred Adam
Ueber das Licht
Von Robert Delaunay
Im Verlauf des Impressionismus wurde in der
Malerei das Licht entdeckt, das aus der Tiefe der
Empfindung erfaßte Licht als Farben-Organismus
aus komplementären Werten, aus zum Paar sich
ergänzenden Maßen, aus Kontrasten auf mehreren
Seiten zugleich. Man gelangte so über das zufällig
Naheliegende hinaus zu einer universalen Wirklich-
keit von größter Tiefenwirkung (nous voyons jus-
qu’ aux etoiles). Das Auge vermittelt nun als unser
bevorzugter Sinn zwischen dem Gehirn und der
durch das Gleichzeitigkeitsverhältnis von Teilung
und Vereinigung charakterisierten Vitalität der
Welt. Dabei müssen sich Auffassungskraft und
255
Söhnchen noch immer auf und nieder wippte mit
dem Knie.
Leon Stappen ließ den Buben wippen und
dachte, ohne Madelaine anzuschauen: wie hübsch \
sie aussieht, nun sie da vor dem Fenster steht. Und
ihre Haare sind so blau wie polierter Stahl. Und
ihre Brüste sind rund und fest. So rund, als hätte
diese Frau nie das Söhnchen geboren.
Und Madelaine stand am Fenster und hatte noch
immer die weiße, knittrige Latzschürze vor.
Ein Brummer stieß sich an die Scheiben und
draußen auf der Landstraße tackte ein Hahn die
Hühner herbei.
Da ließ der Vlame den Knaben plötzlich fahren
und richtete sich auf.
Madelaine erbebte am ganzen Körper wie eine
junge Magd, die den Liebsten kommen hört.
Halb ärgerlich, als merkte er daß sie ihn an-
starrte, wandte er sich zur Tür und warf sie ins
Schloß. Die Bodentreppe knarrte laut auf unter den
harten Schritten.
Und Madelaines Kleid wurde schwarz und
frostig wie das Gewand einer Witwe. Und ihr
Herz fiel herab und tat einsamere Schläge.
Um die Vesperzeit betrat Leon Stappen unge-
rufen die Stube. Das Söhnchen war draußen auf
der Gasse. Und der Kater lag zusammengerollt
auf dem Söpha.
Madelaine goß dem Vlamen den Kaffe in die
große Tasse, die mit Goldbuchstaben verziert war.
Alit gespreizten Fingern warf sie den Zucker hinein
und machte einen langen Hals dabei.
Es war ganz still im Zimmer.
Und plötzlich nahm er ihre kleine weiße Hand
mit einer heftigen Bewegung und hielt sie wie ein
Geschenk. So wie ein Geschenk, das ihm schon
lange gehörte.
Wohl lag zwischen Beider Augen, die sich
kreuzten und bekriegten und verschlangen, eine
fragende Unruhe. Aber die Frage wurde nicht aus-
gesprochen. Und es war eine kleine Lüge als der
Vlame leise sagte: „Ja, ja, du bist seine Frau“.
Aber von ihren Lippen prallte es ab wie ein
Echo: ja seine Frau! Dahinter stand es schon ganz
straff und zugespitzt wie ein Pfeil: ich wollte, ich
könnte schon ehrlos sein!
Und da sie das Gesicht voll zu ihm aufhob,
nahm er ihre beiden Hände und wollte sie küssen.
„Nein, o nein“ hauchte Madelaine. „nein, nein,
nicht die Hände!“
Und so fuhr er wilden Bluts über ihr Gesicht
mit warmen Lippen und fühlte wie ein Gift das
feste runde Fleisch der Arme, die jäh seinen Hals
umklammerten. Und sein Atem schrillte wie ein
Pfiff.
Und Madelaine stöhnte wie unter einem Mes-
ser, das die Fasern ihrer letzten Begierden bloß-
legte. Und sie gab ihm alles, wonach ihn hun-
gerte und dürstete. Und es geschah zum ersten
Mal, daß einer die Seele dieses Weibes küßte.
Und es war ein Vlame, der so küßte.
Wie ein Betrunkener torkelte Leon Stappen
ans der Kammer. Und als er die Klinke der Stu-
bentür packte, erhob sich Madelaine - und ging
ihm nach.
Mitten im Zimmer blieb sie stehen, da er drau-
ßen war. Und sie zerfloß und floß hin wie sein
Schatten.
Der Geruch seiner blonden Haare aber blieb
wie ein fremder Duft in der Stube und legte sich
schwer auf Polster und Geräte.
Der Steiger HuysmatWis sagte nach dem Abend-
essen ganz langsam und sehr fern sein monotones:
„Liebe Madelaine!“
Aber ihr Mund lag verchlossener denn je zwi-
schen den scharfen Winkeln. Und sie fühlte mit
einem verbissenen Groll, daß es Nacht wurde und
ein klebriger Dunst den fremden Geruch von den
Geräten und aus der Kammer wegfraß.
Und mitten in der Nacht, genau zu derselben
Stunde da Madelaine mit blauverkrümmten Fin-
gern über die behaarte Brust ihres Mannes fuhr
und einen anderen ferneren Mund suchte, ward der
Steiger Leon Stappen vom Wetter erschlagen,
und mit ihm elf andere Männer aus demselben
Dorf.
III.
Auf fünf Leiterwagen fuhr man die Särge, wo-
rin das Zerfetzte von zwölf Männern lag, durch
das Dorf. Hinter dem ersten Wagen, der nur einen
schwarzen Sarg über das schlechte Pflaster
schleifte, gingen die Meßdiener und der Pfarrer.
Und die Grubendirektoren und der Steiger Jean
Hnysmanns und seine Frau. Sie trug einen Kranz
aus getrocknetem Moos und ein paar rote Papier-
rosen staken darin.
Die Musikanten bliesen ein trauriges Lied.
Das stolperte über die Misthaufen und zerplatzte
an den Fensterscheiben wie ein dummer Land-
regen. Aber es war niemand in den schwarzen,
torfgepichten Häusern.
Nur vor dem vierundzwanzigsten hantierte das
Söhnchen mit einem Holzpferd. Und es tanzte
damit wie nach einer sanften Musik.
Das war aber nicht der traurige Blechregen
hinter den Särgen. Der Vlame pfiff sich selbst
sein Liedchen. Und es war wie ein Reiterliedchen,
und das Söhnchen tanzte mit dem Holzpferd
hinterdrein.
IV.
Der Steiger Jean Hnysmanns fuhr jeden Mor-
gen um fünf auf seinem Dreirad zur Grube.
Und Madelaine stand wieder am Fenster. Sie
hatte eine knittrige Latzschürze vor. Und die
feinen Härchen vom Scheitel standen in der Sonne
und waren ganz weiß wie der morsche Reif des
Alterns.
Und es kamen noch viele Kostgänger ins Haus.
Und die dann wieder gingen hatten weiße Gesich-
ter, wie von einer Seuche verheert. Sie trugen
das weiße Verheerte in die Klöster und verbrann-
ten es im Weihrauch des Cölibats. Sie ließen
keine Spur und keinen Schatten zurück. Und der
Geruch von ihren Glatzen flog auf die Gasse wie
Spreu und Wurde vom Atem der Düngerhaufen
aufgesogen, bis diese voll waren wie ein
Schwamm.
Da begab es sich, daß man den zwölf Berg-
leuten, die das schwarze Wetter erschlagen hatte,
ein Denkmal setzte.
Der Steiger Jean Hnysmanns verbot aber
seiner Frau, zur Feier zu gehen. Denn sie war
schwanger und im zehnten Monat.
Madelaine zog dennoch das schwarze Braut-
kleid an, das sie auch zum Begräbnis getragen
hatte und ging auf den Kirchhof. Sie warf ein
paar sanfte Feldblumen auf das Massengrab und
ging siebenmal um das Denkmal herum, so daß
der Pfarrer sie ansah wie eine Irre.
Und so wie eine Irre torkelte sie ins Dorf zu-
rück. Ein fremder Schatten hüllte sie ein wie in
eine Wolke. Und sie spürte ihre Stunde wie das
Brausen eines Bahnzuges. Sie sah darin zwei große
Lichter, die waren blau. Und ein Dampf wirbelte
durch ihr Blut und machte es sieden.
Sie warf sich unausgekleidet auf das Bett, das
kühl und hungrig in der Kammer gähnte. Und
sie lag darin wie in einem Sarg.
Ein Fröstelschauer zerschlug ihre Glieder. Die
Lippen wurden blau und stumpf.
Die alte Bettlade stöhnte wie im Fieber. Aus
den wurmzerstochenen Fugen rieselte Blut. Made-
laine zerfloß wie ein Schatten.
Als Jean Hnysmanns des Abends kam und die
ausgelaugte Luft seinen Atem wegfraß, holte er
die Schwiegermutter. Er führte sie in die Kam-
mer. Aber das Kind war schon da.
Da hob es die alte Frau empor und prüfte es
und wog es in den Händen wie eine billige Ware.
Und zu dem Steiger sagte sie halb im Lachen:
„Ja, ja. Gestern hab ich der Jeanette auch so ein
Kinderl geholt. Das hat genau so blonde Haare
und so blaue heimtückische Augen. Aber meiner
andern Tochter Mann ist ein Vlame. Aus St.
Amand. Du weißt ja!“
Jean Hnysmanns nickte nur ganz fern. Ge-
lähmt durch ein ahnendes Gefühl, das von dieser
Alten, angebohrt, weitersägte in den verfetteten
Nerven, rang er wie ein Bewußtloser nach Wor-
ten, die Bewußtlose auf den zerwalkten Kissen da-
mit zu beschmutzen und wegzuwerfen wie ein zer-
brochenes Gefäß.
Aber die hörte ein Reiterliedchen pfeifen. Und
es waren des Vlamen Leon Stappen Lippen, die
also pfiffen.
Gedichte
Die Nacht ist groß
Die Häuser sind Paläste geworden
Vor soviel Nacht.
Fast könnte es Herbst sein.
Aber es ist keine Jahreszeit.
Und die sich begegnen,
Schauen sich an —
Heimlich, Heilig:
Denn der andre könnte ja ein König
Sein.
Späte Oktobernacht
Schließlich verlöschen die Straßenflammen,
Die noch vom letzten Abend stammen,
Und eine Stille wird ringsherum,
Als wären tausend Seelen beisammen
Und unterhielten sich stumm.
Aber der Mond mit unversehrten.
Ängstigend überriesen Gestalt
Dringt noch, langsam, doch ohne Halt,
Und pflanzt auf den kahlen, kalten Asphalt
Fabelhafte Gärten.
Manfred Adam
Ueber das Licht
Von Robert Delaunay
Im Verlauf des Impressionismus wurde in der
Malerei das Licht entdeckt, das aus der Tiefe der
Empfindung erfaßte Licht als Farben-Organismus
aus komplementären Werten, aus zum Paar sich
ergänzenden Maßen, aus Kontrasten auf mehreren
Seiten zugleich. Man gelangte so über das zufällig
Naheliegende hinaus zu einer universalen Wirklich-
keit von größter Tiefenwirkung (nous voyons jus-
qu’ aux etoiles). Das Auge vermittelt nun als unser
bevorzugter Sinn zwischen dem Gehirn und der
durch das Gleichzeitigkeitsverhältnis von Teilung
und Vereinigung charakterisierten Vitalität der
Welt. Dabei müssen sich Auffassungskraft und
255