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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 140/141
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Walden, Herwarth: Vorschmack
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Kunowski, Lothar: Kunst sühnt den Tod der Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0232

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Vorsehmack
Ein Brevier des Geschmacks
Die Literatur dringt in initiier weitere Kreise.
Zu Weihnachten ist das Bedürfnis nach guten Bü-
chern im deutschen Volk vorhanden. Sie sollen
nicht viel kosten. Die Konfektion trägt diesem
Verlangen Rechnung. Ist sie höher als fünf Mark,
erhält man in einem Spezialhaus für feine Herren-
ausstattungen feine und feinausgestattete Litera-
tur umsonst. Die Krawatte. Ein Brevier des Ge-
schmacks. „. . . Wir haben alles, was man von
der Krawatte weiß, Historisches, Aesthetisches,
Ethisches, Praktisches, Alltägliches und Witziges
gesammelt und zusammengestellt und her v o r -
ragende Schriftsteller,. die weiß Gott sich
sonst m i t ernsteren Dingen beschäf-
tigen, halfen uns bei diesem nicht leichten Unter-
nehmen. Leute, die auch für das Oberfläch-
liche ein tiefes Verständnis haben . . .“ Die
Herausgeber, die sich sonst mit ernsteren Din-
gen beschäftigen und nur ausnahmsweise Krawat-
tengeschäften helfen, heißen: Edmund Edel, W,
Fred, Hans Heinz Ewers, Roda Roda. Diese ernste-
ren Schriftsteller haben sonst für das Tiefe ein
oberflächliches Verständnis. Man wird sich also
nicht zu sehr wundern, daß sie ausnahmsweise für
das Oberflächliche ein tiefes Verständnis haben.
Man wundert sich höchstens, daß Herr Ewers das
einen seines Vornamens Hans abgelegt, und dafür
achtundsechzig Krawatten dem staunenden Publi-
kum angebunden hat. Herr Doktor Ewers hat es
schwer auf dieser Erde. Entweder speit ihn das
deutsche Volk an, wie er in einer Reklameschrift
seines Verlags bekennt, oder das deutsche Volk be-
lästigt ihn mit der Bitte um Autogramme. Das
deutsche Volk schreibt meistens an ihn: „Ver-
ehrter Meister“. Man erzählt ihm, daß man schon
Autogramme von Herzog besitze (gemeint ist nicht
der Unterschriftsteller, der in der vorigen Nummer
dieser Zeitschrift durch Fettdruck hervorgehoben
wurde, sondern der große Rudolf). Ja sogar von
Frenssen, Eulenburg und Otto Ernst besitzt man.
Manchmal schickt das deutsche Volk dem Autor
auch seine Bücher zurück, weil es „n a c h t r ä g -
lieh noch etwa Geistreiches hineingeschrie-
ben haben will“. Dieses Verlangen des deutschen
Volkes kann man bei Werken des Her.ru Ewers
begreifen. Wie aber soll die Literatur mit' der
Krawatte verknotet werden. Man muß die dämo-
nische Phantasie des Doktors Ewers besitzen. Er
erfindet kraft seiner Gaben eine Dame, die Kra-
watten von sehr berühmten Dichtern gegen Gaben
an arme Leute sammelt. Und da Herr Doktor
Ewers nun einmal dämonisch ist, versteht es sich
von selbst, daß eine „Dame von Adel“ darauf her-
einfällt, ihn um einen Dichterschlips zu bit ¬
ten! Herr Doktor Ewers ladet die adlige Dame
zu sich, denn sie wollte einen für seine Individua-
lität charakteristischen Schlips haben: „Aber ich
fand nicht; unter meinen achtundsechzig Krawat-
ten vermochte ich nach einstündigem Suchen
durchaus nicht die zu finden, die für meine Indi-
vidualität am charakteristischesten war.“ Die Kra-
watten reichten zwar aus, aber die Individualität
war nicht vorhanden. So konnte Herr Doktor
Ewers natürlich lange suchen. Die adlige Dame
kam also: „Ich schicke meinen Sekretär, sie zu
holen.“ Nämlich die Schlipse. Die Dame besaß
Schlipse von Goethe, E. Th. A. Hoffmann, Ver-
laine, Oskar Wilde und Tolstoi; es fehlte ihr eigent-
lich also nur Doktor Ewers. Der ersucht sie, seine
Individualität unter den Schlipsen zu finden. Mit
„Kennerblick“ zog sie einen mauvefarbenen Binder
heraus und stellte fest, daß Herr Doktor Ewers
„Erotiker“ ist. AbeUaüc'h diese Feststellung seiner

Individualität gelang ihr etwa nicht durch den
mauvefarbenen Binder, sondern durch ein schwar-
zes Haar, das daran hing. Man ist enttäuscht.
Herr Doktor Ewers, der sich nun schon jahrelang
mit feiner Herrenkleidung der Firma Hermann
Hoffmann befaßt, säubert nicht einmal seine Kra-
watten, bevor er sie, nach der Vorschrift des
Herrn Dichters Edmund Edel weglegt. Man ist
enttäuscht. Und man sieht wieder, daß cs leich-
ter ist, in Büchern, als mit Krawatten aufzuschnei-
den. Der Erwerb von Krawatten wird den deut-
schen Dichern auch sehr schwer gemacht. Herr
Doktor Ewers zum Beispiel muß deshalb Vorträge
halten und miserable Zeitungsartikel schreiben. So
bekennt er in dem Vorwort seines Buches Indien
und ich: „Ich halte es zwar für eine Infamie, daß
ein schaffende r Künstler gezwungen ist, um
das Leben, das für s e i n e K u n s t das einzig
mögliche ist, f ü h r e n z u kö n n e n, sich
öffentlich zur Schau zu stellen. Ich bin auch der
Meinung, daß es eine Gemeinheit ist, wenn ein
Dichter jahraus jahrein Zeitungsartikel schreiben
muß, in denen er naturgemäß von aller Kunst
sich möglichst fern halten soll.“ Naturgemäß ge-
lingt es dein Dichter Ewers auch, von aller Kunst
sich möglichst weit fern zu halten. Es überrascht
geradezu, wie gut es ihm glückt. Da er weder
Kosten noch Krawatten scheut, um „das Leben zu
führen, aus dem seine Kunst Wurzel schlägt“. Er
macht nämlich dazu Reisen und muß „die Lande
sehen“. Er sieht die Lande, aber seine Kunst
schlägt keine Wurzel. Der Knotenpunkt bleibt die
Krawatte. „Und mit dieser Kunst mache ich kein
Geschäft. Ich verschenke sie.“ Das ist keine
Phrase. Bei Einkäufen über fünf Mark. „Das
deutsche Volk beachtet uns nicht? Aber gewiß
beachtet es u n s. Jede r Redakteur tut für u n s.
was er nur kann. Man schreibt über u n s, man er-
wähnt uns überall. Und aus dem Publikum
kommen s e h n s ü c h t i g e Briefe., man quält
u n s um Autogramme, beruft un s in alle Wohl-
tätigkeitskomitees. Man übersetzt uns auch,
macht uns berühmt in zwei Dutzend Sprachen.
Wenn wir sterben, widmet man uns lange Nach-
rufe, stiftet einem oder dem andern gar ein stei-
nernes Bild. (Mir freilich gewiß nicht, in bin in
Düsseldorf geboren!)“ Schiller zum Beispiel war
vorsichtiger in der Wahl seines Geburtsortes, als
Heine und Ewers. Aber dafür wurden die älteren
Herren nicht in Wohltätigkeitskomitees berufen.
Des weiteren beschwert sich Herr Ewers darüber,
„daß das deutsche Volk nur Geld für Unterhaltungs-
lektüre ausgebe.“ aber nicht einmal dafür scheint
dem deutschen Volk nach eigener Angabe der Dich-
ter Ewers gut genug: „Unsere Bücher — borgt
man sich aus oder bekommt man als' Freiexem-
plare.“ Bei Einkäufen über fünf Mark. Bitter be-
merkt der Dichter: „Ich werde mir freilich den
Luxus nie gestalten können, ein eigen Heim zu
haben und eine Familie zu gründen. Aber ich darf
mir dafür erlauben, Träume zu träumen, die kein
ariderer vor mir je zu träumen wagte . . .“ jMan
hat es gewagt. Und die Vorträumer brauchten
nicht einmal Reisen zu machen. Sie hatten das
Dichten billiger. „Wlas mir Indien ist — steht frei-
lich nicht auf diesen Seiten . . . Und trotzdem —
auch i h r möget diese Blätter lesen, ihr paar Men-
schen, die ihr mich liebt und die ich nicht kenne,
denn seht: niemand kann aus seiner Haut heraus.“
Nicht einmal, wenn ihm der Bauch anfgeschnitten
wird. Der Krawattenträumer bedichtet, naürlich
im Zeitgeist, seine Blinddarmoperation. Auf dem
Krankenbett scheint das Schreiben schlechter Lite-
ratur schwierig zu sein. Da muß man sie lesen
und empfehlen. Bei Einkäufen über fünf Mark.
Herr Doktor Ewers empfiehlt als geeignete Kran-
kenlektüre Bücher von Gaulke und Poritzky, die

hinwiederum ihn dem- deutschen. Volk empfehlen.
Wenn er Gaulke liest', „bleibt ein wildbs grandioses
Lachen übrig.“ „Ich muß sagen, dieses Lachen tat
mir gut. Ich glaube mein Loch im Bauch wurde
etwas enger davon.“ So wirkt Gaulke. So träumt
mau sich in das Leben zurücke. Die Phantasie wird
wieder bei Edm. Wünsch selbstbinderisch beflügelt
und bei Hermann Hoffmann bekleidet. Und wenn
auch das Leben des Herrn Ewers keine Träume
hat, so bleibt doch ein Traum seine achtunsechzig
Krawatten. Zu beziehen bei Edm. Wünsch. Hoff-
manns Erzählung hat dem Doktor Ewers schon
einer vorgeträumt. Ais wohlfeiler Rest bleibt
Hoffmanns Wünsch.
Der Geschmack in anderen Dingen
Der Z w i e b e 1 f i s c h nennt sich „eine kleine
Zeitschrift für Geschmack in Bücher und anderen
Dingen“. Sie ist sehr geschmackvoll gedruckt und
gibt zweifellos den schlechten Magen der Drucker
und Verleger gute Anregungen. Leber den Ge-
schmack der kleinen Zeitschrift in diesen Dingen
läßt sich nicht streiten. Dem Zwicbelfisch muß
aber das Recht bestritten werden, Zwiebelfische
in die Malerei und Literatur zu setzen. Die Aus-
führungen über den blauen Reiter sind so naiv, so
knnstfrernd, daß man sie am besten in dem „Brief-
kasten“ der Redaktion stecken läßt. Das Lob die-
ser Zeitschrift im Zwiebelfisch wird entschieden
abgelehnt. Der Sturm duldet nicht in der gleichen
Begeisterung für Blätter angehimmelt zu werden,
die ein panischer Schreck zu einer Aktion veran-
laßt. Blätter, die sich gegen den Sturm wehren!
Aber der Zwicbelfisch treibt auch eigene Literatur..
Dort sieht er Bilder, die der blaue Reiter sicher
durchstoßen würde: „Der junge Sorgel hat den
Vogel abges cl) oss e ii , sowohl mit sei-
nem freie n w eiten Horizont, als auch
mit der klugen und diskreten Dar-
stellung. Es . . . bringt eine Fülle neuer
Gesichtspunkte . . .“ Der Horizont des
Zwiebelfisches ist für die Kunst offenbar mit dem
Vogel verstellt, den die Darstellung abgeschossen
hat. Man bleibe beim Geschmack.
Antwort
Zu der Erklärung des Wilmersdorfer Blattes
Die Aktion schreibt Herr Franz Blei dem Her-
ausgeber dieser Zeitschrift, er hätte nicht gewußt,
daß Herr Kurt Hiller Herrn Ehrenstein traktiert
habe, wie dieser ihn.
Dies fasse ich so auf, daß nun nur dreizehn
„Unterschriftsteller“ übrig bleiben.
H. W.

Kunst sühnt den Tod
der Natur
Von Lothar von Kunow ski
Als Bonifacius die heilige Eiche der Deutschen
fällte, hätte ihn das Volk mit Recht für einen Mör-
der gehalten, wenn er den Dom der Wälder nicht
verwandelt hätte in ein Gebilde, in dem die Kraft
der Eiche, Buche und Linde sich doppelt ausdrucks-
voll und obendrein verbunden mit den Mächten des
Steins offenbaren konnte. Nur der Erbauer des
Tempels eines Gottes der Liebe, eines Gottes der
Kultur durfte es wagen, die Axt an das Heiligtum
der Naturgötter zu legen. Wenn die Einführung
des Christentums einen grausamen Eingriff in das

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