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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 109
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Walden, Herwarth: Abwehr
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0037

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Einzelbezug 20 Pfennig

DER STURM

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

DRITTER JAHRGANG BERLIN MAI 1912 NUMMER 109


Inhalt* H. W.: Abwehr / ALFRED DÖBLIN: Der schwarze Vorhang / Dr. S. FRIEDLAENDER: Max Steiner: Die Welt der Aufklärung /
luumi. HANS Ei1RENBAUM=DEGELE; Gedicht / F. T. MARINETTI: Ä 1’Automobile de course / JACQUES RIVIERE: Cezanne / J. A.:
Berliner Frühling / BEACHTENSWERTE BÜCHER / UMBERTO BOCCIONI: La peinture des etats d’äme / III: Ceux, qui restent / Original-
zeichnung / WILHELM MORQNER: Der Rattenfallenhändler / Originalholzschnitt

Abwehr
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Herr Karl Scheffler hat sich nun auch über
die Futuristen geäußert. Zur Orientierung über
diesen besseren Kritiker teile ich den Lesern der
Zeitschrift mit, daß Herr Scheffler „Oskar Ko-
koschka an Klimt orientiert" findet. Ferner hält
Herr Scheffler Dichtung für eine „Ideenkunst".
Herr Scheffler stützt gedankenvoll sein Haupt,
denn schon sieht er die Gedankenmalerei sich
wieder hervordrängen. Beweis: Die Titel der
Bilder. „Die Titel: „Der Abschied" „Die Macht
der Straße", Die Erinnerung einer Nacht", sind
Novellentitel, wie man sieht." Herr Scheffler
scheint so mit <dem Lesen des Katalogs beschäftigt
gewesen zu sein, daß er vor lauter Erklärungen
die Bilder nicht gesehen hat. Die Erklärungen
sind doch natürlich nur für den total harmlosen
Laien bestimmt, der absolut nichts „erkennen"
kann. Konnte man ahnen, daß Kritiker den Ka-
talog statt der Bilder kritisieren. Was könnte
Herr Scheffler nicht gegen die Bildertitel „Das
Frühstück im Freien", „Das Urteil des Paris",
„Die Pflege der Wissenschaften am Hofe von
Urbino", „Die Eroberung von Tunis durch Kaiser
Karl den Fünften", „Der Jugendbrunnen" ein-
wenden. Er tut es aber nicht, da sie von ver-
storbenen Meistern „erdacht" worden sind. Herr
Scheffler findet die Futuristen total talentlos, be-
hauptet, daß unsere modernen Künstler
ihre diskutierbaren Absichten längst verwirk-
licht haebn, und nennt als Beispiel Carl Strath-
mann und Martin Brandenburg. Wenn Herr
Scheffler diese beiden Herren auch nur für talent-
voll hält, möge er bei seinen Meinung bleiben.
Unverschämt aber finde ich folgendes: „Das Be-
denklichste ist; sie wirken intellektuell unehrlich.
Ihre Kunst stellt sich dar als ein unlauterer Wett-
bewerb. Bei allem zur Schau getragenen Enthu-
siasmus wittert man zwischen den Zeilen ihres
Programms Neid und andere unreine Instinkte.
Sie sind nicht Fanatiker der Wahrheit, wie sie
sagen, sondern Fanatiker des lauten Erfolgs um
jeden Preis. Nicht jugendlicher Sturm und Drang
steht hinter ihrer Malerei, sondern ein recht übles
Menschentum." Wenn Herr Scheffler besser
wittern könnte, wenn Herr Scheffler Instinkte be-
säße, und wären es auch nur „unreine", so würde
ihm ein übles Menschentum in nächster Nähe

auffallen. Bilder, die er nicht fassen kann, möchte
er am liebsten in seine Moralkiste mit Hilfe der
Naturalisten (G. m. b. H.) stecken lassen. Aber
Herrn Scheffler fehlt nicht nur die körperliche,
auch die geistige Kraft. Seine Kritik wirkt intel-
lektuell unehrlich. „Es vergeht kein Tag, daß
ich nicht einige Male gefragt werde; was halten
Sie von den Futuristen? Merkwürdig, noch nie
hat jemand von mir zu wissen verlangt, was ich
vor Rembrandts Werken empfinde." Ich bin
nicht neugierig, aber das möchte ich wissen, Herr
Scheffler.
Herr Robert Breuer ist seit der vorigen Woche
in Raserei verfallen. Ihm blieb nur soviel Besin-
nung, die Zeitschrift Der Sturm als Veranstalterin
der Ausstellung der Futuristen nicht zu nennen.
Aus Furcht, daß seine Leser sich über die kri-
tischen Fähigkeiten ihres Herrn Breuer unter-
richten könnten. Der Unglückliche schreit seine
Wut in alle Provinzzeitungen von Weimar bis
Hamburg. „In den guten Zeiten des finsteren
Mittelalters hätte man solche Bürschlein in
die Jahrmarktsbuden oder in ein Halseisen ge-
steckt." „Wir haben Besseres zu tun, als dauernd
titanischen Lausbüblein das Vergnügen
des Ansturms undder Analyse zu be-
reiten." Warum tut Herr Breuer nichts Bes-
seres? Wer zwingt ihn, sich über Dinge zu
äußern, die ihm auf den Kopf fallen. Aber Herr
Robert Breuer tut Besseres. Ich entdecke eine
Zeitschrift der Kunstgewerbezeichner, schlage sie
auf und finde einen Beitrag des Herrn Robert
Breuer: „Der Lehrer als Organisator":
„Mit dem, was die Natur wachsen läßt, wird
nicht vorsichtiger noch klüger umgegangen.
Festnageln heißt die Parole. Mitten
durchs Herz werden die Nägel ge-
trieben. Der Naturunterricht aber kann nur
Wahrheit und Leben schaffen, wenn er anleitet:
die Logik, den fruchtbaren Geist der ge-
wachsenen Formen zu erfassen, das Gesetz
der Verhältnisse, die Unbedingtheit der Tektonik
und der Struktur. Und nicht minder den Ge-
schichtsunterricht, er will darauf hinaus: in neuen
Materialien für neue Zwecke Dinge von jener
Vernunft und Schönheit zu schaffen, die das Alte
ehrwürdig machen; er will darauf hinaus: die
Welt der Gegenwart so tief und rein zu erkennen,

wie die Babylonier und Griechen die Welt ihrer
Tage erkannten. Studieren heißt nicht stehlen,
begreifen nicht auswendig lernen. Es gilt, den
Geist, der hinter den Formen steht, zu erfassen.
Die Sinne sollen denken lernen."
Oder:
Nicht jeder Schüler kann das leisten, was
das Reglement fordert; das bedeutet aber nicht
im entferntesten einen Mangel an Begabung.
Die von den Unterrichts beamten zuge-
schnittene Uniform ist für die Mit-
telmäßigkeit berechnet. Der weise
Lehrer geht nicht von dem Stundenplan, son-
dern von den Schülern aus ; er sucht vor allem
zu erfahren: mit wem er es eigentlich zu tun
hat. Es ist notwendig, die schwachen und starken
Anlagen aufzudecken und den Schüler bewußt
zu machen. Wie ein Stahlbad wirkt
eine solche Ehrlichkeit. Durch das ewige
Vorpredigen einer bestimmten Unzulänglich-
keit wird der Novize gelähmt, wird er oft zu
entmutigt, die besonderen Keime, die in ihm
ruhen und die allen Mangel zehnfach wett
machen, nach Herzenslust zu entfalten. — Ge-
wiß, auch schwache Gaben wollen ge-
pflegt sein. Uebung stärkt. Harmonie
des Könnens nützt der speziellen
Stärke. Aber wichtiger als die Harmonie
ist der Charakter, und der Charakter ist deter-
miniert. Die wichtigste Pflicht des Lehrers ist
es: den Charakter des Schülers zu entdecken
jund als ein Heiligtum zu achten.
Ja, Harmonie des Könnens nützt der
speziellen Stärke. Wie ein Stahlbad wirkt eine
solche Ehrlichkeit. Festnageln heißt die Parole.
Wir können nichts Besseres wünschen, als
dauernd für titanische Lausbüblein uns
das Vergnügen des Sturmes und der
Analyse zu bereiten.
*
Die alldeutsche Zeitung ,Die Post' sieht durch
die Ausstellung natürlich das gesamte deutsche
Reich gefährdet. Mutvoll schickt sie ein Weib-
chen, das früher Modenberichte schrieb, zum
Kampfe vor. „Inmitten unserer stolzen Tier-
gartenpracht, gerade da, wo die gesundesten
Naturkräfte mit sto-Izer Gewalt aus dem Erd-
boden quellen, macht sich diese fäulniserregende
Gesellschaft breit." Hoffentlich halten es die

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