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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 119/120
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Fuchs, Richard: Der Ursprung der Künste
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Rittner, Tadeusz: Jour Fixe
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0109

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Der Ursprung der Künste
Von Richard Fuchs
Originalität scheint mir die Kraft, die
alles und nichts mit andern Wesen teilt und alles
will, was keines will, sodaß ihr Ziel zugleich die
wirklichen Ziele aller enthüllt. Gleiche Ursachen
wirken in den Menschen nicht gleiche Instinkte. Von
großer Vernunft ist die Natur, die diesen stattli-
chen Wechsel der Stoffe bietet, dessen Ausdeutung
eine Kunst ist. Die allgemeinen Unerzogenheiten
Podanterien, Lügen erleiden, eine kleine Ortsver-
änderung, und die daraus werdenden Qualitäten
sind zur Bedeutung von Rasse unterschieden er-
hoben. Schon bestehende Ungleichheiten werden
also gut bewahrt und nicht beseitigt,, ja alle kleinen
Unterscheidungen noch pendelich gemacht. Der
Wert Genie, der keine halsbrechende abstrakte
Aktion ist, bekommt keine geringe Macht dadurch»
daß über dem verwickelten Kleinen nun zugleich
das Große von so einfacher Güte, wie sie nur mög“
lieh ist, erscheint. Im Künstler herrscht ein Wider-
willen gegen das Persönliche wie das Abstrakte.
Der Künstler selbst ist eine jPerson und hat eine
Welt zur Aufgabe. Nur kein privater und kein all-
gemeiner Begriff, sonst alles nützt ihm zu diesem
eigentümlichen Ideale. Im individuellen Werk er-
holt sich sein Menschlichstes von seiner Verach-
tung der Menschlichkeiten.
Jugend wehrt sich lange dagegen,, daß es nicht
mehr als blos eine physische Lebensform geben
soll, bis beginnende Reife in der Kunst die wohl-
tuende Erdhäftigkeit bemerkt, wodurch der über
die glückliche Mittelmäßigkeit entzückte sich zu
freiem Leben rettet. So bereichert doch der Kün-
stler die Möglichkeiten des Lebens, findet die Har-
monie, ist eine Einheit in der Natur, die unbekann-
ten Schauder,, die er für sich suchte, erweckt er uun
mit Lust. Bei andern machen die Korrespondenzen
das Geheimnis des Lebens. Jeder von diesen ver-
steht von der Sprache der Kunst, was er nach der
Spezialität seines Standes von ihren Begriffen und!
Zeichen konjugiert. Der Artist weiß, daß alle Worte
Orte des Lebens sind uid genügnd für das Werk
des Menschen zeugen. Th. Gautier, ein Maler in
der Literatur, war nach eigenem Geständnis ein
Mensch, für den die äußere Welt existierte. Aber
es ist nichts poetisch, was nicht wahrhaft frei ist.
Die sensuellsten Menschen sind nur die aufrichti-
geren Mystiker, Während die Symbolisten 'eitle
Missionen treiben, wenn sie zu Gott sagen: „Ich
nähere mich ihnen, Herr, um zu verschwinden vor
Ihnen.“
Impressionisten und Expressi-
onisten können in den bildenden Künsten in die-
ser Reihenfolge mit wachsender Kraft einander ab-
lösen. Hier sind in der bloßen Andeutung reine
Farbe, reine Form und absoluter Klang wenig-
stens möglich, wiewohl das Ausdrucksvolle erst
das Wahre und Wirkliche ist. Aber reiner Geist,
reines Gewissen wäre der reinste Sproß. Erst
im Kampf mit der Wirklichkeit findet der Geist
seine Einfachheit. Der Eindruck und die .Bedeu-
tung des Ausdrucks fallen zeitlich in vielen Fällen
auseinander. Denn durch den im Werk ausgedrück-
ten freien Gegensatz zur einengenden Welt feiert
der Geist seine Kunst, der Geist des Lebens, der
organisch an der Sprache haftet. Jeder Kampf geht
um den Sieg einer Anschauung, die das größere
Leben in sich faßt. In keiner Kunst reißt so leicht
der Stoff ab,, und eine Kunst, die nirgends Wider-
spruch erregte, währe ohne Wert.
Aber ist im Leben das Unschuldige und Un-
schädliche nicht zu achten? Gegen die Uebergrif-
fe der Intellektuellen verdient bescheidne Dumm-
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heit Ehre und philiströse Ansicht Respekt. Die
Wut der Fortgeschrittenen deutet die Erscheinun-
gen der Menschen moralisch, sie wünschen sie zu
regeln und aufzuheben, aber damit wollen sie das
Glück und das Genie auf heben. Jede glatte Lö-
sung fällt in die Wissenschaft. Der Aberglaube
aller Literatur ist, daß Tatsachen aufgehoben sei-
en, , sobald sie beschrieben werden. Beschreibung
ist ein Handwerk und wird gelernt. Man sagt uns,
daß eine Kultur bloß der Vornehmen aufreizen wür-
de. Beachten wir, wie in Wirklichkeit immer sie
konservierte und heilte, was individualistischer
Uebereifer hinter dem Schild der Befreiung ver-
nichten wollte: bestehende persönliche
Schwäche als natur;liehe und a n ge-
be r n e, und persönliche Stärke als angeborne.
Die Freigeister hoffen noch mehr als auf die Gleich-
heit auf die Kraft der Nachahmung. Aber dank
der Schwäche und Dehnbarkeit der Welt ist Per-
sönlichkeit, die mit dem Bewußtsein ihres Natur-
wertes sich abhebt, nicht nachahmbar, Freiheit al-
so im Kleinen und Großen unübertragbar.
Wissens ch aft lehrt nur, ihr Leben liegt
in keiner Anschauung. Die künstlerisch von ihr
Gebildeten haben mehr Geist als irgend ein Künst-
ler und vermitteln heute die Künste materialge-
recht ä jour. Das ist der literarische Sieg der bil-
denden Künste, in der Sprachkunst als ihrer Tech-
nik. Lautlos hat sich die Welt gedreht. Das stum-
me Wort ringt ungeboren, einsam, um seine Ent-
stehung. Von ihrem Künstler abgetrennt, sinkt die
lebende Sprache zum bloßen Buchwert. Wie könn-
te man ein Kunstwerk überhaupt/das schon ein
Leben enthält, abgezogen von seinem Ursprung,
eigner leben? Gegen so hohe Gunst gäbe es für
wohlgeratene Seelen als Rettung noch die Liebe
zu einem ersten so vorbildlich Lebenden, und
Kunstgenuß würde zum Anzeichen für feine In-
nenwelt. Wird doch ein ganzer Mensch schon
durch sein natürliches Ideal gebildet, und sogar
der ursprüngliche Künstler besteht trotz dem Bil-
dungsstoff. Ich bin entschieden gegen das Dogma,
daß es gewisse noble Künste gebe. Der Gegen-
satz unnobel fehlt in der Kunst ganz und gar, und
von rohen Herzen ist keine Kunst zu erwarten.
Sie charakterisieren weder die Wissenschaft noch
die Kunst, sondern, nur das Leben. Ihr Geist ist ein
anderer Mensch als ihr Charakter. Man kann nicht
Künstler sein und mit dem Volk vermitteln in einer
Person, man ist eben damit kein Künstler und schä-
digt die echten Menschen in ihrer Sicherheit. Hinter
unseren aesthetischen Gelehrten vermutet der Laie
einen geschmackvollen Müßiggang. O Schrecken
— möge er den raffinierten Geschäftsgang derer
nie kennen lernen, die hier die Feder im Kampf um
die geistige Not führen! Wirklicher Glanz und
Kraft der Blendung würde nicht stören. Um Bei-
fall werben alle. Aber der Aesthet will unser
Kunstwerk erst vollenden,, nach der Theorie vom
wahren Schönen; doch kann er nur technische In-
dustrien darauf gründen. Wohl gibt es Grade
der Vollendung in einzelnen Werken des Künst-
lers. Geniale Menschen sind verwundete und
doch gewiß vollendete Wesen, wenn auch noch
nicht das Vollendete. Sie sind das erreichbar
Höchste, wenn auch nicht das absolut Höchste.
Aber sie brauchen keine Vermittler. Der Künstler
selbst gibt in seinem Werk seine Aesthetik. Das
Komplement jeder Kunst ist der Mensch. Keine
Kunst ergänzt 'auch die andere, keine
Kunst erklärt eine andere, und die Erklärung der
einzelnen Künste würde nur den Menschenfeind
unterrichten, wie man ohne Künste lebt. In grö-
ßeren Kulturen, als die heutige ist, gingen alle
Künste aus der Weltdichtung hervor. Ein Künst-
ler, der etwas zu sagen hat, .meldet sich durch
ein einziges Wort. („Im Wald! Entzücken! Wer
kann alles ausdrücken! Allmächtiger im Wald,

heilig! heilig! .... In den Höhen ist Ruhe, — Ru-
he, ihm zu dienen!“ Beethoven).
In der K u n s t k r i t i k genießt der Nichtkünst-
ler Macht über den Künstler —- und sie ist mit un-
serer Gesellschaftspolitik verknüpft! Die Kritik
sozialer Uebelstände, diktiert von aristokratischer
Lebensführung,, wäre fast ein Teil der hohen Kunst
Oscar Wildes. Aber wenn, die Üeberwindung des
Geistes, die ihrem Schöpfer oblag, dem Nachahmer
erlassen wird, wird das Kunstwerk annuliert, ehe
es fruchtbar geworden ist. Unser Dasein im Le-
ben ist rätselhaft, ja unverständlich. Der begriffli-
che Umstand betrügt uns gerade um das Wunder-
bare. Wo ich bloß Geist entdecke, werde ich jetzt
stutzig. Der Geist, der die andern männlichen
Eigenschaften ersetzen muß, ist der Einwand, ver-
deckt den Mangel der Natur. Die Zukunft ist unbe-
wußt, aber nicht dunkel. Mehr als ein helles Ge-
fühl in mir zeigt den Willen an, den die Götter
lieben. Durch die bildende Kunst kann kein F
mut wachsen, aber auch nicht durch Geisteskunst.
Denn gerade die Absicht bleibt in jeder Kunst ver-
borgen. Die Zwecke des Genies sind verschwie-
gen. Wir empfinden, wo heute in einem guten Ma-
terial etwas gut getan wird. Das Leben mit seinen
Menschen, das uns gegeben ist,, verleiht dem Künst-
ler seine Position wie andern. Aber die Welt
ist damit nicht geschaffen, sie ist immer
eine leere Abstraktion noch. Sie war schon ein
Glauben und eine Hoffnung, ein Stolz und eine
Schani, Freiheit und Niederlage, sie war die Kunst
selbst und ein enttäuschungsreiches Nichts (Flau-
bert). Sie ist jedenfalls kein Naturwinkel einiger
Temperamente. Frage einen bildenden Menschen
um den andern, was ihm die Welt ist, er wird sa-
gen: Meine Vision der Schönheit "^Satiren auf die
Chinesische Mauer),, oder: Meine pantomimische
Musik um die Toten der Fiametta, oder: Mein Zorn
über Gabriel Schillings Flucht (zu Strindbergs Ju-
beljahr!?). Wozu mehr? Immer erfordert die
Welt ein Schicksal vom Künstler.
Die eine Art von Schriftstellern weiß genau
vorher, was von ihnen auf ihrem Blatt stehen
wird, da sie für sich bald einen aesthetischen Aus-
druck zum allgemeinen Gebrauch finden. Die hö-
here Art Schriftsteller entdeckt mühsam, welches
Wort auf das erste folgen muß. Aber dieses ihr
präzises Wort ist nicht nochmals zu formulieren,
weil sein Dichter sich selbst die Nacht mit ihren
Sternen war. Geniale Werke sind nie Worte der
Weisheit: sie stimmen nicht in sich und stimmen
nicht mit der Welt, wie sie gilt, überein. Aber sie
gehen restlos auf, sobald man nur darauf denkt,
daß ihr Urheber ein Genie und Einsamer ist. Man
blättere wie dieser Autor in den Werken der an-
deren; derselbe Zauber wird an ihnen zur Lächer"
lichkeit: nichts stimmt, weil alles nur ohne die Vor-
aussetzung eines Menschen, ja eines Menschenwun-
sches richtig und simpel ist. Aber der Künstler,
dessen Realität man nicht erträgt,, doch dessen
Kunst man nicht entbehren kann, wird auf seine
Schöpfung herabgedrückt. Vor lauter Kunst ist
der Ursprung der Künste vergessen.

Jour Fixe
Von Thaddäus Rittner
In, der Regel war es entsetzlich langweilig. Die
Anwesenden gähnten so zynisch, daß man das
Echo hörte (die Wände, der Plafond und alles war
hier von Stein) — aber hie und da kamen doch
ganz annehmbare Leute zusammen.
 
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