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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 138/139
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Walden, Herwarth: Von der Kunst
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Mürr, Günther: Irischer Abend
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Heinrich, Karl Borromäus: Menschen von Gottes Gnaden, [12]: aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutenant Miéville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0221

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Von d ■ unst •
Barmer Kunst
Ich kann der Stadt Barmen nicht helfen: sie hat
sich schon einmal über den Sturm beschwert, sie
wird es wieder tun. Die Herren, die im Namen
' i Sta v Barmen beleidigt sind, tragen selbst die
Sdirdd. Die Barmer Zeitung öffnet die Spalten
ihres Herzens nicht nur dem kunstleidenden Kri-
tiker: auch die „Anwohner“ dürfen sich ausweinen.
Unfälle durch die Straßenbahn und Ausfälle gegen
die Ruhmeshalle, der zerquetschte Bürger und die
zerquatschte Kunst findet in der Barmer Zeitung
Raum, Die Folge ist eine Btegriffsverirrifhg. Der
künstlerische Anwohner verlangt ..Scheuklappen“,
um nicht in der Ruhmeshalle wild zu werden. Er
erhält sie wohl auch von einem unkünstlerischen
Pferd, das infolgedessen schuldlos den un-
künstlerischen Anwohner übertrampelt Der künst-
lerische Anwohner fordert hinwiederum den Bar-
mer Kunstverein auf, ..seinen starken erzieherischen
Einfluß auch auf die Künstler auszudehnen und
nicht auf das Publikum allein“. Der erzieherische
Einfluß des Kunstvereins scheint sich auf das Bar-
mer Publikum noch nicht allzusehr ausgedehnt zu
haben, denn der künstlerische Anwohner mit den
Scheuklappen rebelliert: „Die Bilder des Herrn
Marc-München sind denn doch so herausfordern-
der Natur, daß man nicht verstehen kann, wie die
Hängekommission irgendeines Kunstvereins diese
Moritaten annehmen kann. Es scheint nunmehr an
der Zeit, eine gründliche Tempelreinigung vorzu-
nehmen, und den bösen Geist aus unseren Hallen
zu bannen, der dort schon allzu lange sein Un-
wesen treibt.“ Es geht eben den Barniern zu
schnell. Aber es darf so nicht weiter gehen und
so nicht weiter gefahren werden, sonst wird die
Behörde darunter zu leiden haben. Die Revolu-
tion hebt ihr genügend bekanntes Haupt: „... und
hauptsächlich deshalb nicht, weil man des naiven
Glaubens ist, daß die dazu berufene Behörde schon
nichts zulassen wird, was den einzelnen Bürger
schädigt. Die Bewohner bitten die Verwaltung der
städtischen Straßenbahn dringend, den Wagenfüh-
rern em mäßigeres Tempo vorzuschreiben und die
genaue Ausführung dieser Vorschrift zu überwa-
chen.“ So können dann weniger Moritaten ge-
schehen, die hinwiederum Franz Marc nicht zu
malen braucht. Woraufhin eine allgemeine Reini-
gung der Hängekommission stattfinden kann. So
daß die bösen Geister der Anwohner in die Halle
verbannt werden können, aus der die Kunst unter
die Straßenbahn verscheucht wurde. Wodurch
schließlich die berufene Behörde sich wieder den
Glauben gewinnen wird, durch den sie die Kunst
verloren hat. Das ist alles sehr verständlich,
sowie man sich Scheuklappen umlegt.
Münchener Kunst
Es . ist eine Beleidigung, den Münchnern das
Bier vorzuwerfen. So hat neulich ein preußischer
Richter gegen mich erkannt. Bier soll getrunken
und nicht geworfen werden. Es ist eine Beleidi-
gung, den Münchnern Kunst vorzusetzen. Sie wer-
den schon an ihren Weißwürsten satt genug. Auch
deckt der einheimische Markt die Bedürfnisse. Die
Stadt München ist also durchaus künstlerisch ge-
sonnen. Der künstlerische Geist weht durch die
sonst leeren Straßen, wovon schon die Tauben auf
dem Odeonsplatz zeugen. Wenn also die Kunst
sich schon so auf den Gassen Balm bricht, so kann
ein Nichtmünchner sich gar nicht vorstellen, wie
künstlerisch es erst in den Innenräumen zugeht.
Und erst in den Künstlerateliers. Man braucht
weder Künstler noch Bilder mehr, wenn man in
ein echtes Künstleratelier tritt. Der Kritiker der

Münchner Neuesten Nachrichten versichert es:
„Mehr oder weniger drückt sich schon im ganzen
Raum eines Ateliers, in der ganzen Ausstattung und
Passung das Wollen und Streben eines Künstlers
aus. Auf weichen Pfühlen ruht man beim Orient-
maler, inmitten unter Blumen sitzt man beim Blu-
menmaler und unter Rüschen und Röckchen, unter
Kostümen und Balhoben kann man beim- Damen-
maler (zwar nicht sitzen, aber:) wühlen.“ Die Da-
i lempater ziehen in München offenbar ihre unschul-
digen Opfer gründlich an und aus. Ich wage nicht
auszudenken, wie es in den Ateliers von Akt- und
Stillebenmälern aussieht, worauf man da sitzen
mag. Aber ein Pferdemaler hat es auch ganz nett:
„Bei Professor Angelo Jank, der wieder allerhand
Neues auf der Staffelei -hat, erkennt man gleich den
Militärmaler und Pferdefreupd Da hängen aller-
hand alte Waffen und Rüstungen herum. Standar-
ten zittern, wenn die Tür aufgeht, und schwere
alte Helme stehen auf einem Brett in Reih und
Glied: denn wer wie er sich mit der Historie der
Uniform abgibt, muß auch greifbare Modelle,
alte Stücke, vor sich haben.“ Ja, man braucht viele
greifbare Dinge zum .Malen, und ein Maler, der sich
nicht so einen Trödelladen zulegen kann, muß schon
aus reiner Armut Expressionist werden. An Herrn
Professor Jank werden überhaupt die allerschwie-
rigsten Forderungen gestellt. So zum Beispiel für
das Porträt des Herzogs von Sachsen-Coburg-
Gotha: „Dieses Reiterbiki ist für den Empfangs-
raum im Schlosse zu Gotha bestimmt, wo die Ah-
nengalerie der Herzoge sich befindet. So mußte
Jank in der ganzen Komposition auf den Raum tmd
die Umgebung Rücksicht nehmen/ Und trotzdem
erreichte er die größten malerischen Effekte: ..Den
Rücken des Pferdes deckt die schwärze Fell-
schabracke, die wirksam vom w e i ß e n Tierkör-
per absticht.“ Ein reiner Schwarzweiß-Künstler,
aber auch das höllische Rot hat er nicht verges-
sen : „Das reiche Zaumzeug mit dem r o t c n Puf-
felschweif gibt ebenfalls gute farbige Momente ab.“
Dieses schwarzweißrote Bild stammt nicht aus
Preußen, sondern aus einem Münchner Trödel-
laden. Und so: \,,So wird auch bald Münchner
neue Kunst im alten Gothaer Schloß vertreten
sein: „Gute neue Kuhst, die sich der Nachbarschaft
■ der alte n nicht zu sch ä m e n braucht.“ Der
' Göthaische Kalender wird sicher davon in späten
Tagen noch zu melden wissen.
Münchner Kunstverein
i
Herr von Ostini, der greise Führer der Jugend,
entdeckt jede Woche zahllose Talente. Er ent-
deckte sogar, daß die Malerei der Futuristen eine
< grandiose Satire sei, eigens zu dem Zwecke er-
funden, die zu entlarven, die Herr von Ostini nicht
für Talente hält. Seine Talente sehen so aus:
„Albert Reich. Das Können ist ansehnlich und
sympathisch, aber über matte Wirkungen kommt
der Künstler in dieser Sammelausstellung nicht hin-
aus. — F. Eisengräber ist gewandt im malerischen
Vortrag, allerdings auch im Besehen sorglos. —
M. Stall ist in ihren landschaftlichen Studien an-
ziehender als in dem schlechtbezwun-
gen en I n terie u r. — Karl Kessler hat sich eine
brillante Technik erworben, klare Schnee-
landschaften zu malen. — Heinrich Schlitt ist auch
in seinem neuen Bilde ein phantasierei-
cher Schilderer des Lebens der Zwerge. —
Fritz Kokos Mädchenbild gefällt durch die
Lieblichkeit des Modells. — Max Hoe-
nes weibliche Marmorbüste spricht w e n i g e r
a n.“ Herr von Ostini spricht mehr aus, als selbst
die Lieblichkeit seines Modells zuläßt. Das ist
alles so rührend harmlos: Man kann auch ihm und
seine Künstler keine grandiose Satire schreiben,

noch malen. Alan muß das Alter der Jugend
ehren, wenn auch die Jugend des Alters nie vor-
handen war.
Die Münchner zeichnenden Künste
„Erfolgreich vermag mit den Leistungen der
Oelmäjerei die Aquarelltechnik zu konkurrieren,
allerdings eben nur, was die malerische Leistung
anbelangt; wie es um die Wertschätzung durch das
Publikum bestellt ist, steht auf -eirern anderer
Blatte.“ In den Münchner Neuesten Nachrich-
ten nur, wie es um die Wertschätzung durch einen
wertgeschätzten Kunstkritiker bestellt ist. „Aber
an Kraft und Tiefe der Farbe . . . nehmen die
Aquarellisten es ruhig m i t d e n in O e 1 a r bei-
tenden Kollegen auf.“ Der Münchner Kunst-
kritiker Doktor W. B. konkurriert sogar mit der
Feder. Da ist dieser Herr Rettich:- „Im Atelier
stellt er das neugierige junge Modell dem eifrig
schaffenden Künstler mit koloristischer zeich-
nerischer Feinheit gegenüber.“ „Einen wirklichen
Säugling, wie seine Mutter frisch, in Pastell h i n -
gesetzt, zeichnet Mirwald.“ Die Mutter hätte
ihm auch einen besseren, weniger farbigen Platz
aussuchen können. „Der Untersberg und hoher
Göll sind, dem Charakter des Hochge-
birges entsprechend, in einfachen, ruhigen
Linien hingesetzt.“ Da schlag einer hin. „Eine Un-
gerechtigkeit wäre es, wolle man . . . Radierungen,
als Weihnachts- und Neujahrskarten gedacht, über-
sehen. Harry Schultz leistet im Linoleum schnitt
Gutes, auch inhaltlich verdienen seine Arbei-
ten Beachtung.“ Hierauf beschließt Doktor W. B.
seine „Wanderung durch den Glaspalast, auf der
noch manche Ruh- und Aussichtspunkte zu län-
gerem Verweilen eingeladen hätten, würden Zeit
und Raum hier wenigstens einer Beschränkung
unterliegen.“ Er ist der Beschränkung unterlegen,
dieser Meister der Kunstkritik. Er wanderte zeitlos
und raumlos im Nichts. Und er ist kein Künstler,
trotzdem er Bilder zu sehen glaubte, wo keine
vorhanden waren.

H. W.

Irischer Abend


Hinter ausgewehten, dunkelnden Wolken
verschwingenSonnenwellen in das blaßgraue Nichts
Weite, schwarzgraue Wiesen
mit einsamen schwarzen Baumrändern,
erschauernd unter dünnen seidigen Nebe’decken.
Im schmutziggrauen Stadthimmel
Dächer, ein paar rote Lichter.
Kälte weht sonnab über die feuchten Wiesen.

Günther Mürr

Menschen von Gottes
Gnaden


Ans den Bekenntnissen des Herrn Lieutenant MM«
vilie, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
Von Kari Borromäus Heinrich
Schluß
Baron Frangarts Ende
Baron Frangart, der weder seinem Vormund,
noch den zwei auf Frangart lebenden Dienstboten
irgendeine Nachricht von seiner Ankunft gegeben
hatte, fuhr, gegen Abend in Bozen angekommen,
in einem Wagen über Sigmundskron hinauf nach

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