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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 134/135
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Walden, Herwarth: Schöne Kunst
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Schöne Künste
Ariadne auf Naxos
Also wieder einmal stehen wir bei dem Anfang
einer neuen Entwicklung. Oder vielmehr wir
standen. Denn Herr Doktor Leopold Schmidt vom
»Berliner Tageblatt1, der der Entwicklung eigens
bis Stuttgart entgegenreiste, nimmt die neue Ent-
wicklung wieder zurück. Die Stimmung vor der
Aufführung scheint festlicher gewesen zu sein, als
bei ihr. Zwai war alles anwesend, sogar Herr
Professor Die und der „Roland von Berlin“. Nach-
dem aber die eigentliche Sensation des Abends,
der Preis des Platzes für fünfzig Mark, vorüber
war, scheint man die billige Oper nicht mehr ge-
nießen zu wollen. Die große Baisse ist in Stutt-
gart ausgebrochen, und man verkauft gern sein
Theaterpapier für fünf Mark, wenn man dafür die
Oper nicht zu hören braucht. Selbst Herr Dok-
tor Leopold Schmidt als Oberhaussier macht jetzt
flau. Aber vorher ging es toll zu: „Auch wer es
hoch n i ch t k a n n t e , ahnte darin einen Schritt
vorwärts in der Kunst, vielleicht den Anfang einer
neuen Entwickelung“. Von Herrn Dräseke schrieb
Herr Doktor Schmidt vor einigen Monaten, daß
der es abgelehnt habe die Entwicklung mitzu-
machen und so in die Reihen der Konservativen
gekommen sei. Aber Richard Strauß steht fort-
gesetzt auf dem Boden der fortschrittlichen Volks-
partei. Die neue Entwicklung bestand also nach
Herrn Schmidt darin, „die Oper und zugleich auch
den Tanz mit dem Schauspiel zu verknüpfen“.
Die Idee ist so originell, daß man ihr wirklich
„mit Spannung und Vertrauen“ wenigstens bis
nach Stuttgart entgegenkommen konnte. Ist man
dort angelangt, so stellt sich dem Fortschrittsmann
etwas in den Weg: „Die Frage erhebt sich,
liegt darin ein Bekenntnis, ein Prinzip? Oder
galt es nur, einmal ein interessantes künstlerisches
Problem zu lösen?“ Aber Herr Doktor Schmidt
läßt die erhobene Frage nicht lange einsam auf
dem Platze stehen: „Die äußere Veranlassung für
die beiden Autoren war ein Gefälligkeits-
akt gegen Reinhardt, dem Helfer bei ihrem- Rosen-
kavalier.“ Die Frage kann sich ruhig wieder set-
zen, denn es liegt kein Zweifel vor, daß schon die
äußere Veranlassung eines Gefälligkeitsaktes mehr
auf ein Bekenntnis als auf ein Prinzip hinfällt.
Moliere ließ in seinem Spiel „Der Bürger als Edel-
mann“ musikalische Einlagen durch Lully hinzu-
fügen. Die Herren Hofmannsthal und Strauß füg-
ten der Entwicklung zuliebe eine richtige Oper ein.
Diese Entwicklung, die zu einer Ver-
knüpfung von Oper und Schauspiel führte,
scheint nur verworren zu sein. Daß Herr Doktor
Schmidt mit seinen plumpen Händen den Knäuel
noch weiter verheddert, liegt in der Sache seiner
Natur. Einzelne Fäden dieser Nähgeschichte blei-
ben ihm in der Hand und man kann an ihnen ver-
gnügt konstatieren, daß eine geheimnisvolle Ver-
wirrung des schlechten Materials von Kunst- und
Musikkritikern nicht ein Geheimnis vortäuschen
kann. Ein Faden: „Mit feinem Stilgefühl überläßt
der Dichter der heiteren Muse das letzte
Wort.“ Herr von Hofmannsthal macht sich das
liebe Leben sehr einfach, indem er einfach das
recht verstopfte liebe Leben der heitren Muse
aufbürdet und dieses recht alte Mädchen als Kön-
nerin seines Versagens anpreisen läßt. Die heitre
Muse (also nicht Herr von Hofmannsthal) leistet
sich folgendes Liedchen:
Lieben, hassen, hoffen, zagen,
alle Lust und alle Qual,
alles kann ein Herz ertragen
veinmal um das andre Mal.

Aber weder Lust noch Schmerzen,
abgestorben auch der Pein,
das ist tötlich deinem Herzen
und so darfst du mir nicht sein
Mußt dich aus dem Dunkel heben,
wär es auch um neue Qual;
leben mußt du, liebes Leben
lebe noch dies eine Mal!
Das geht wie mit der Maschine gemacht . Es ist
zwar ein Archaismus, aber auch „Richard Strauß
deutet mit leisem Archaismen Zeit und Milieu der
Handlung an.“ Diese Entwicklung nach rückwärts
kann Strauß um soweniger übelgenommen werden,
„da er sich nicht etwa auf den Musikhistoriker hin-
ausspielt.“ Das tut bereits Herr Doktor Schmidt.
Und man darf einem Musikkritiker nicht in ein ver-
pfuschtes Handwerk fallen. So etwas weiß ein Mann
der Taten wie Richard Strauß. Andrerseits
fallen die Ideen jetzt auf den Magen: „Bis zum Ein-
setzen der Oper bietet Strauß eine leichte, zum
Teil sehr graziöse Lustspielmusik und gefällt
sich bei der Dinerscene, in der die einzelnen
Gänge musikalisch illustriert wer-
den, in humorvollen Anspielungen mancherlei
Art.“ Die einzelnen Gänge sind nicht etwa Gänge
der Musik, wie vielleicht irgend ein hungriger Mu-
siker glauben könnte, sondern Gänge des Diners
Nicht nur, daß die Entwicklung des Fortschritts und
der neuzeitliche Komfort die einzelnen Gänge mit
den leichten Weisen unserer Operettenheroen (siehe
Bilder mit Dingen Nummer 132 dieser Zeitschrift)
begleiten läßt, nicht damit genug, daß bei diesem
Diner a part die aparte Musik unsres Richard
Strauß statt des sonst unvermeidlichen Oskars er-
tönt: Herr Richard Strauß liefert die illustrierten
Schüssel selber, Krebsschwänze, Hammelrücken,
und Mehlspeisen nach Wiener Art oder was die
Herren auf der Bühne sonst gegessen haben mögen,
alles wird in die Musik des Herrn Strauß getunkt.
Man versteht nun endlich, aus welcher Seelenver-
wandschaft Herr Erich Urban, Musikkritiker der
B. Z. am Mittag und Verfasser des neuen Koch-
buchs im Verlage Ullstein (gut gebunden Drei
Mark) so energisch für Richard Strauß eintritt.
Die Liebe geht nun einmal durch den Magen, und
ein gesunder Magen kann selbst Richard Strauß
vertragen. Nach dieser Eßgeschichte bei der sich
Strauß gefällt, ist Herr Doktor Schmidt des Weines
voll, ihm ist sehr wohlig zu Mute und trunken
schreibt er: „Das Doppelspiel selbst aber ist in
einer Weise behandelt, wie sie nur dem Genie
glücken konnte. Der paradische Ton der Com-
media dell’ Arte ist ebenso scharf heraus-
gearbeitet wie die tragische Lyrik.“ Ich
dachte immer, daß im Paradies so scharfe Töne
nicht beliebt sind. Aber Herr Doktor Schmidt als
Historiker wird dort besser orientiert sein. Viel-
leicht liegt auch der Hase nach diesem starken
Diner im Pfeffer, und infolgedessen ist die tragische
Lyrik versalzen. Leben mußt du, liebes Leben!
Und der satte Musikkritiker stellt fest: „. . . über
die melodische Erfindung, die reicher und
wohliger quillt denn jebei Strauß, über
die feine Struktur des Ganzen wird noch des wei-
teren zu reden sein. Der Eindruck war bei allen
Zuhörern der gleich e,“ Posaunen: „Wir haben
ein Kunstwerk aus der Taufe gehoben, das, auch
losgelöst von allem, was neu, eigenartig, verwegen
an ihm ist, sich an Phantasie und Gemüt wendet
und somit die letzten edelsten Wirkungen
hervorbringt.“ Nämlich den Katzenjammer. Denn
nachdem am 25. Oktober dieses Jahres Herr Dok-
tor Schmidt das schwere Geld des Herrn Rudolf
Mosse in hochgemuter Sektlaune vertelegraphiert
hat, ist er bereits oder vielmehr erst am 28. Ok-

tober recht ernüchtert. Er äußert sich über die
Schwierigkeiten, mit der die Oper bei ihrem
Erscheinen zu kämpfen hatte. Das heißt, die Firma
A. Wertheim hatte mit dem Mut des Großindu-
striellen alles, aber auch alles aufgeboten, was sich
für Geld aufbieten läßt. Also Herrn Reinhardt,
Herrn Richard Strauß, Herrn Hugo von Hofmanns-
thal, verschiedene Tcnöre und Koloratursängerin-
nen. Sogar Herr Professor Bie war auf eigne
Kosten, jedenfalls aber nicht auf Kosten der Firma
A. Wertheim, gen Stuttgart gepilgert. (Herr Pro-
fessor Bie pilgert bekanntlich nur.) Doch das Ge-
müt und die Phantasie des Herrn Doktor Schmidt
ist erweckt und er träumt von den großen Schwie-
rigkeiten : „Ist es da zu verwundern, daß der schöne
Künstlertraum, den Richard Strauß geträumt, nicht
restlos in Erfüllung ging?“ Er ist zu bedauern,
dieser Protege der Firma A. Wertheim. Nur der
Doktor Schmidt hält den Träumenden, der so un-
sicher auf der Erde wallt (Herr Professor Bie hin-
gegen pilgert) mit seinen Händen. Und nun bricht
der Katzenjammer aus: „Als die festliche Stim-
mung verrauscht war, als die Reden,
mit denen auf dem zu Ehren des Kompo-
nisten veranstalteten Bankett die Gegensätze
geschickt überbrückt wurden, verklun-
gen waren, da gestand man sich, bei aller
Anerkennung der eminenten Verdienste, die sich die
Stuttgarter Hofbühne in redlicher Hingabe um das
neue Werk erworben hat, doch ein, daß eine end-
liche Lösung des hingestellten Problems noch nicht
gefunden war.“ Der Anfang der neuen Entwick-
lung hat in drei Tagen sein Ende gefunden. Was
tun nun die Ahnenden, die sich schon einen Schritt
vorwärts fühlten. Herr Doktor Schmidt als Histo-
riker stellt den Grund vom Ende des Anfangs fest:
„Die beiden Autoren der Ariadne haben sich selber
nicht wenige Steine in den Weg gelegt, in dem sie
ihr Opernwerk mit einer Komödie verknüpften.“
Aber das war doch gerade der Schritt vorwärts.
Hat Herr Doktor Schmidt in drei Tagen die ste-
hende Frage vergessen, ob ein Bekenntnis oder ein
Prinzip vorliegt? Was ist nun mit der äußeren Ver-
anlassung und mit dem Gefälligkeitsakt? Die heitre
Muse wird ihr Haupt verhüllen und die Fäden wer-
den sich in dem Knäuel nicht mehr zurechtfinden.
Im Katzenjammer verliert man jede Haltung und
dem Genie, dem es glückte, wird ein Vorwurf ge-
macht: „Dann ist Strauß der Vorwurf zu machen,
daß er die Sache zu schwer und gewichtig genom-
men und aus Freude am Stoff und an der Arbeit,
die ihm unter den Händen wuchs, die dramatische
Absicht totmusiziert hat.“ Vor drei Tagen nannte
das der Musikhistoriker Doktor Schmidt „heraus-
gearbeitet“. Das Dramatische und der Schritt vor-
wärts wird zurückgenommen und der nüchterne
Kritiker lobt jetzt die nüchterne Musik: „Am freu-
digsten aber ist es zu begrüßen, daß Stauß den Mut
gefunden hat, wieder einen ganz auf innere psy-
chische Wirkungen gestellten Stoff zu wählen und
damit ein hofftlich recht viel beachtetes Beispiel zu
geben.“ Die Illustration eines Diners ist zwar von
innerer aber nicht von psychischer Wirkung. Und
sie wird sicher bei den Kollegen, den Künstlern der
Lebensfreude, viel Beachtung finden. Dieser Mut
des Herrn Richard Strauß ist jedenfalls am freu-
digsten zu begrüßen. Bei Kempinski sehen wir
uns wieder!
Vielleicht erklärt Herr Dektor Schmidt, daß er
auch mir den Weg in die Oeffentlichkeit versperrt
und das Echo versagt“. Sein Unterkollege Herr
Weißmann hat diesen Bannfluch gegen Arnold
Schönberg geschleudert. Mich wird das nicht rüh-
ren. Ich verpflichte mich sogar, nicht in die tauben
Ohren des Herrn Doktor Schmidt zu schreien, wenn
er sich verpflichtet, mir als Echo versagt zu bleiben.

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