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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 119/120
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Dame und Dirne
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Jung, Franz: Josef
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Dame und Dirne
Die Moral ist wieder einmal schwer erschüt-
tert worden, und die E 1 e g a n t e W e 11 hat einen
heftigen Stoß erlitten. Vielleicht gerade an jenem
Tage, an dem diese mit einer perfiden Anhimme-
lung der Dame alle Scham verletzte, legte unter
der Erde der Schutzmann Hand auf jene Wunde, die
wie die blutige Rache des schwächeren Geschlech-
tes klafft. Auf einem sittlich höheren Niveau, als
die Voraussetzung eines Plauderers der Elegan-
ten Welt: daß die bürgerliche Tugend im Leben
4er Dame tief verankert sei, stand ein Keller, zwi-
schen dessen vier Wänden die großen Distanzen,
die die Herren der Schöpfung im Laufe vieler
Jahrhunderte zwischen der Frtau und derl
Dirne geschaffen haben, im Nu zusammenschrumpf-
ten. Die letzte Existenzberechtigung der Elegan-
ten Welt hätte von recEtswegen an einer Notiz
aus der plebejischen Gerichtssaalecke zerschellen
müssen. Dieses Käseblatt verpestet zum Ueber-
druß das schmutzige Ventilationsgeschäft zwischen
dem Drinnen der Sinnlichkeit und dem Draüßen der
Moral. Es redet von Noblesse und ist gemein, es
preist die Aesthetik und ist ordinär, es paktiert
mit der Moral und ist frivol, und mit Causerien und
Phrasen, die schon in der großen Tagespresse zu
Trödelware abgetragen worden sind, begrüßt es
jede neue Mode. Zu zwei dritteln existiert diese
Erbärmlichkeit von der Photographie Gnaden, der,
da schon die Besten ihrer Macht nicht widerstehen
können, die Kleinen, die Nur-eiteln immer zu Wil-
len sind. Ihrer Bilder ist nicht allein die Elegante
Welt zum Bersten voll. Bis in ihr Schlafgemach
läßt die Dame den servilen und allerdings eunu-
chenhaften Photographen vor, sie posiert noch in
ihrem Bette, sie lächelt, als gewährte ihr die Ver-
sicherung, populär zu werden, flüssige Wonnesum-
men der Befriedigung. Was wird nicht alles von
der „Woche” bis zur „Eleganten Welt” an der
Hand von Aufnahmen breitgetreten.. Zu einer Se-
rie Photografien berühmter Monocleträ-
:g e r es gehören zu diesen auch Ewers, der M! o -
de-Epoegene, Harry Walden, der Einzige, und
der schnurrige Roda Roda, liefert ein Schmock
einen Text, darin er sich mit Worten, die originell
sein sollen, in einer Weise übernimmt, daß man das
ganze als Retourware wieder von sich geben
möchte.
Aber das Höchste an minutiöser Anbiederungs-
taktik ist doch mit den ,„S tundender Dame“
geschlagen. Mit einer Vergewaltigung des Stils
setzt die Galanterie ein.
Von allen häuslichen Stunden im Leben einer
eleganten Frau ist die erste, den Tag begin-
nende, wohl die wichtigste seit jeher gewesen
■ und noch heute: das Lever — die 'T o i 1 e 11 e.
Diese Stunde legt die Basis,, auf der sich die
anderen Tagesereignisse organisch aufbauen.
In ihr entscheidet sich die Toilettfrage, die in
engem Konnex mit der! Einteilung des Tages,
diesem die Note gibt. Der eine Tag gehört
ausschließlich der Schneiderin, der andere teilt
sich zwischen Modistin und Shoping, der dritte
bringt Rennen,, Spazierfahrten, Bälle, Theater,
die erst die Abendstunden, in Anspruch nehmen
und doch schon bei der Toilette erwogen wer-
den. Von allen exzeptionellen Ereignissen will
ich absehen und nur vom normalen Tage-
werk der Dame von Welt sprechen”.
Und nicht auch vom abnormalen. Warum
reicht? Das wäre so schön. Jedenfalls gehört
hierzu das Liebesleben, Der Chronist berührt
es mit keinem Sterbenswörtchen -—■ als ob es in
einem erschreckenden Gegensatz zu dem norma-
len, harmlosen Tagewerk der Dame stände, die

„sich nach der Toilette und dem Frühstück an
den Schreibtisch setzt um mit Hilfe eine1"
Stenotypistin, schlimmstenfalls eigenhändig, ih-
re Korrespondenz zu erledigen. Die elegante
Frau von 1912Hat eine viel umfangreichere
Korrespondenz als die Dame vor zwei Jahren.
Große Korrespondenz gilt heute als schick. Und
die aus'T’aris stammende Mode, sic für diesen
Zweck eine Stenotypistin zu engagieren, findet
ihre leichte Erklärung in der Tatsache, daß so
viele der elegantesten Bühnenkünstlerinnen und
bekannten Schönheiten mit der Gram<matik und
der Schrift überhaupt arg auf dem Kriegsfuße
stehen.
Ueberhaupt. Dann'doch noch lieber als die
leidige Grammatik mit allen bekannten Schönhei-
ten auf Kriegsfuß stehn, als als Zeitgenossen mit
einem Schmok in Frieden leben. Das wäre der Tod.
Viele von diesen Luxuspflänzchen, deren Hei-
mat die Loge eines Theaterportiers war, leisten
in vieler Beziehung Hervorragndes und sind
doch nicht zu bewegen, einen Brief zu schreiben.
Ein Barbar, der sie zu solchen Dingen miß-
brauchen will. Gibt es nicht schon Männer genug,
die immerzu schreiben,, Briefe und anderes, und
auch sonst in keiner Beziehung hervorragendes
leisten ?
Mit Klavierspiel, Anproben und anderen Pas-
sionen, harmloser Natur geht die Zeit bis zum Di-
ner hin.
Falls nach diesem im Interesse des guten Aus-
sehens ein Nickerchen angebracht ist,
verschlummert man äußerst angenehm die
Stunde,, die zum Tee nachmittags überleitet.
Die Teestunde spielt jedenfalls eine große Rolle
im Leben der Dame. Oeffentlich oder privat,
tanzend oder wohltätig.
Man staune nur über die Launen einer höheren,
unabwendbaren Regie. Die Teestunde spielt j e-
d en falls eine große Rolle im Leben der
Dame; die Liebe eine so kleine, so unwich-
tige, daß der Plauderer ihren Namen nicht
einmal unter dem Vermerk nennt: ferner tra-
gen noch zum Gelingen der Posse —. Er schweigt
von ihr wie von einem Statisten, dessen Namen
man. nicht kennt, der im Hintergrund so gut wie
nicht da ist. Die Dame von Welt, in deren Leben
die Frieseurin., der Schneider und die Teestunden
die Bombenrollen beständig nur so hinschmeißen,
muß selber
„drei Stunden im Theater absitzen. Aber
kaum ist das letztemal der Vorhang gesunken,
eilt man zum Auto, und während die Unsoliden
den strahlend aufflammenden Lichtern der
Nachtlokale nachschwirren, wie die Motten ans
Licht, saust man den heimatlichen Penaten zu,
gähnt müde und unterdrückt und freut
sich auf’s Bett.
Was wird unterdrückt?
Im Pyjama kommt der Herr des Hauses noch
mal herein um Gutenacht zu sagen, aber die
tiefen Atemzüge verraten schon den gesunden,
regelmäßigen Schlaf. Und zärtliche oder junge
Ehegatten knipsen dann wohl noch mal das
Licht an und betrachten, bevor sie zur Ruhe
gehen, im Schimmer des rosigen Limpenschir-
mes das zarte Kindergesicht von aufgelöstem
Haar umgeben, das vor wenigen Minuten noch
in der Loge saß und unter dem kostbaren Hut
von wohlondulierten Locken umgeben hochmü-
tig um sich sah, und das sich in so kurzer Zeit
von der Lady zum Baby entwickelte.
Was doch in der vornehmen Welt möglich ist.
Ein Kindergesicht entwickelt sich in der kürzesten
Zeit von einer Lady zu einem Baby. Als Lady
unterdrückt es etwas im dahinsausenden Auto,, und
als Baby schleicht es zu Bett — ladyg. Nochmals
läßt sich der Herr des Hauses, dies Mal im Py-

jama (er liest Ewers) sehen, aber schon ver-
raten tiefe Atemzüge einen festen Schlaf. Und
ei* macht es sich leicht. Ist er jung oder gar zärt-
lich, knipst er nochmals das Licht an, und er sieht
nur noch ein Baby vor sich, wo erst die Lust nach
einem erstorben ist. Kindlich unschuldig sind alle
Unterbrechungen, die die Stunden der Dame
im Heim erfahren; als prominenteste der
Spazirgang, das Shopping, das Rendezvous, der
Besuch,, die Teevisite zu nennen, die vor- oder
nachmittäglich in launigem Wechsel variieren.
Der Spaziergang ersolgt unter Assistenz des
Autos, das auf dem Fahrdamm neben- oder hin-
terherrollt, während Madame, das Hündchen
auf dem Arm oder im Muff, einige Schritte trip-
pelt, um bald wieder das schützende Innere
des Wagens aufzusuchen.,
Aber es gibt Dinge, zwischen zwei Straßen-
ecken. hinter die nur die Polizei gelangt. Den Sei-
nen gibt der Herr im Schlaf, wovon sich der gut
unterrichtete Schmok nichts träumen läßt.
In ein eigenartiges Milieu leuchtete eine Ver-
handlung hinein, die gestern) unter Ausschluß
der OeffentlldEkeit das Schöffengericht Berlin*
Mitte beschäftigte. Angeklagt wegen Erre-
gung öf f ent’lTche n Aer ger n iss es
war die Klavierspielerin Anna P r u k s c h. Die
Angeklagte war in einem Kellerlokal in der
Taubenstraße 8 angestellt, in dem es recht
sonderbar zuging. In dem Lokal verkehrten
ausschließlich Angehörige des weiblichen Ge-
schlechts und zwar von der Bankiers-
gattin vom Kurfürstndamm bis her-
unter zu den zweifelhaftesten Elementen aus
der Friedrichstraße. Die Polizeibeamten be-
obachteten häufig, daß tiefverschleierte Damen*
die ihrem eleganten Automobil, um nicht aufzu*
fallen, schon, an der nächsten Straßenecke ent-
stiegen waren, schnell in jenen Keller hinein-
schlüpften. Um diesen skandalösen Zuständen
endlich ein Ende zu bereiten, erschien eines
Nachts der Revier vorstand des zuständigen
Polizeireviers in Begleitung eines Kriminal-
wachmeisters unvermutet in dem Lokal. Sie
kamen gerade dazu, wie die Angeklagte vor
einem aus angetrunkenen Frauenzimmern be-
stehenden Auditorium ein zotiges Lied sang.
Das Gricht erkannte mit Rücksicht darauf, daß
der Kampf gegen derartige Lasterhöhlen nach
jeder Richtung mit aller Schärfe geführt werden
müsse, auf eine Gefängnisstrafe von
neun Monaten.
In einem Dirnen-Keller, in eine Lasterhöhle,
stieg die Dame vom dürren Gipfel der Eleganz hin-
ab. Die Dame von Welt, das Baby gesellte sich
dem Mädchen von der Straße, dem Weib, das
reicher ist als sie.
J. A.

josei
Von Franz Jung
Sie zankten sich.
Er erklärte ihr, daß er sie im allgemeinen nicht
ernst nehme, daß er ihre Erregung irgeneiner
Krankheit zuschreiben müsse, es wäre ihm im übri-
gen auch gleichgiltig und so:
Sie schrie ihn,an: „Pack’ dich!”
Dann bekam sie einen feuerroten Kopf.
„Du blöder Einfaltspinsel!” Sie spuckte aus.
Er entgegnete ruhig: „Du wirst dich beherr-
schen müssen”.

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