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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 129
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Heinrich, Karl Borromäus: Menschen von Gottes Gnaden, [5]: aus den Bekenntnissen der Herrn Lieutnant Miéville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
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Menschen von Gottes
Gnaden
Aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutenant Mic
ville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
Von Karl Borromäus Heinrich
Fortsetzung
Bonaventura tut nochmals Buße
Bonaventura ging bekümmert im Kloster um-
her; nicht so sehr seinetwegen, da er doch glauben
durfte, der Herr habe ihm die oft gebeichtete
Sünde — wenn es eine Sünde war — gnädig ver-
geben. Aber er fürchtete für die Zukunft von Fritz
Frangart. Und in der milden Einfalt seines liebens-
würdigen Herzens beschloß er, des Guten lieber zu
viel zu tun, denn zu wenig. War für seine Sünden
genug der Buße geschehen, so sollte alles, was ver-
blieb, für Fritz Frangart getan sein.
Und so bat er seine Obern um die Erlaubnis,
ein Jahr bei den Trappisten zubringen zu dürfen.
Die Obern erstaunten nicht wenig. Sie erlegten
ihm auf, seinen Entschluß noch einige Wochen
reifen zu lassen. Als er jedoch nach Umlauf dieser
Zeit darauf stehen blieb, gewährten sie ihm, um
was er sie gebeten hatte.
Pater Bonaventura verbrachte also ein volles
Jahr bei den Trappisten und schloß sich in allen
Dingen ihrem strengen Leben an. Die Trappisten
sprechen unter sich nie etwas anderes als jenen
Gruß: „Memento mori!“ Zum Schlafen benutzen
sie den Sarg, in dem sie später beerdigt werden.
Nur einmal des Tages nehmen sie Speise zu sich;
Fleisch genießen sie niemals. Sie müssen sich zu
jeder Stunde der Nacht erheben, um die Horen zu
beten. Gleichviel, welcher Herkunft der einzelne
auch sein mag, jeder muß ohne Unterschied und
ohne Erleichterung in allen Verrichtungen des
Tages sich selbst und die andern bedienen. Sie
bringen ihr Leben in einer Enthaltsamkeit und
Selbstverleugnung zu, die bis an die äußersten
Grenzen der menschlichen Natur geht, ja diese
manchmal sogar zu übersteigen scheint.
Nach ihren Regeln also lebte Bonaventura ein
langes Jahr, um seine Seele vom Makel zu reini-
gen und Gottes Segen auf den jungen Frangart
herabzuflehen.
Er sah zum Erbarmen aus nach diesem Jahr,
so war er abgemagert. Aber es war doch eine
neue Zuversicht über ihn gekommen: daß ihm Gott
vergeben hatte, empfand er mit tröstlicher Gewiß-
heit. Und was das Wohl des jungen Frangart be-
traf, so hatte ihm Gott während der letzten Nacht,
die er büßend im Trappistenkloster zubrachte, im
Traume Worte der Weisheit gesandt: „Du sollst
auch im Gebete nichts erzwingen wollen; das käme
einem Kampf wider Meinen unerforschlichen Rat-
schluß gleich. Aber das glaube, daß kein Gebet
verloren geht: die Engel sammeln seine silbernen
Tautropfen in goldenen Schalen. Und in dem Maße
gießen sie himmlische Stärkung in das Herz des
Betenden, als er selbst die Schale gefüllt hat. Und
manchmal mehr. Ich will ja ein reichliches Aus-
maß. Fahre du fort zu beten und sei getrost!“
Pater Bonaventura kehrte nach Chamfort zu-
rück. Oft, wenn er außer Hörweite war, flüster-
ten sich seine Ordensbrüder zu: „Wann im Leben
haben wir jemals ein so gütiges Auge gesehen!“
Baron Frangart und der Bajazzo
In einer süddeutschen Stadt, sagen wir es ge-
rade heraus: in München, sollte Baron Frangart
— von Seiten des Ordens und diesem nahestehen-
den hochmögenden Persönlichkeiten an den Rektor
eines Gymnasiums herzlichst empfohlen — die
Oberprima durchmachen und sich das Maturitäts-
zeugnis erwerben. Er stieg in einem alten Hotel
ab, wo auch sonst die Angehörigen unseres alten

Kanc insky I Originalholzschnitt / 1907^


Adels Quartier nehmen. Nachmittags nahm er
sich einen Wagen und durchfuhr die Stadt: außer
einigen Häusern in der Briennerstraße, die er vor-
nehm fand, gefiel ihm nur die Frauenkirche („das
einzige Gebäude, das alt genug ist für unsereinen“)
und die Ludwigsstraße, diese indes nicht wegen
des Stils ihrer Häuser, sondern wegen ihrer Breite
und weil die Häuser selbst, nach seinem Ge-
schmack, wenigstens einfach genug gebaut waren.
„Das übrige kann man alles in einen Topf werfen,
moderne Ware, ekelhaft,“ Dies war sein Urteil
über München, das zu berichtigen er während der
folgenden Zeit seines Aufenthaltes nicht Anlaß
nahm.
Auch am andern Morgen begab er sich zuerst
wiederum in die Frauenkirche. Es war dies
übrigens während der ganzen Zeit seines Mün-
chener Aufenthaltes sein erster täglicher Gang.
Er fand, daß er dort mit seinem Gott in
einer Dessen würdigen, für ihn, Baron Fran-
gart, auch standesgemäßen Stätte reden könne;
nichts schien ihm verkehrter als die Be-
hauptung, die so oft ausgesprochen wird: „Gott sei
überall gleich gern zu Hause, wozu also besondere
Gotteshäuser bauen;“ diese Behauptung war ihm
gleich verwerflich wie jene andere: daß Gott alle
Menschen seelisch gleich ausgestattet und keinen
bevorrechtet habe.

Um Mittag kleidete sich Baron Frangart zu
Besuch an und fuhr zu dem Rektor, an den er emp-
fohlen war. Er wurde in das Empfangszimmer
eingelassen, dessen Möbel ihm für die Wohnung
eines höheren Beamten zu schlecht erschienen. Das
mochte wohl daher kommen, daß der Staat einen
zu niedrigen Gehalt an die Rektoren bezahle. Er
sagte sich — was für ihn das Wichtige an der
Sache war —, daß der Staat daran sehr unrecht
tue und mit seiner pauvrete die Ausbreitung der
Revolution offenbar in unsinnigster Weise unter-
stütze.
Mittlerweile trat der Rektor ein; man verneigte
sich gegenseitig, und der Rektor streckte Baron
Frangart freundlich die Hand zum Gruße hin (diese
Hand, stellte Baron Frangart in aller Ruhe fest, ist
gottlob soeben gewaschen worden. Im Hotel hatte
er nämlich nicht ohne Groll bemerkt, daß, wenig-
stens nach dem Frühstück, keine Wasserschale
serviert wurde, ein Versehen, das im Jesuiten-
kloster nie vorgekommen war). Der Rektor sagte,
es freue ihn sehr, Baron Frangart als Schüler zu
bekommen; dieser erwiderte, es sei ihm eine be-
sondere Ehre, in dem Rektor seinen zukünftigen
Lehrer begrüßen zu dürfen. So spielte sich wenig-
stens der Anfang in jenen Formen ab, die Baron
Frangart so ungern vermißte. Ueberhaupt stellte
sich heraus, daß der Rektor weltmännische Bildung


W. Kandinsky: Originalholzschnitt / 1906

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