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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 113/114
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Lánský, Egon T.: Der Philosoph
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Walden, Herwarth: Kunst als Spiel und Stil
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Seidel, Ernst Curt: La Voce
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0075

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die Welt zeugenden Deutung, nach der Deutung
von etwas das wir nur zum kleinsten Teil erlebt
haben und uns weigern zu erleben. Der tiefste
Gründ des Pessimismus liegt im Wesen des Genies,
das die Welt die unendliche durch eine endliche
Formel fassen will. Er will daß die Weir arm sei
und sträubt sich dagegen. Das Genie wird Pessi-
mist und verliert indem es die Ungewißheit der
Hoffnung nach Muster der Wissenschaft durch die
Gewißheit, durch etwas was er in seinem kleinen
Leben erleben könnte, ersetzt das allgemeine Le-
bensgefühl das alle Wesen aufrecht hält.
Nun beginnt erst die Philosophie ihre positive
Arbeit. Der Philosoph baut und baut und muß sich
die Welt stets vor Augen führen er muß sich erfüllen
mit dem Endlichen. Die anderen sind der Welt
sicher ohne etwas von ihr zu wissen. Sie haben
die Hoffnung. Ihre Gedanken kommen aus dem
Leben während die des Philosophen ihm das Leben
ersetzen sollen, das er nicht führen kann, da
die Dinge nicht ihre eigene Deutung in sich tra-
gen, daher nicht geheiligt sind und man nicht allen
Gegenständen, etwa Mann wie Weib auf gleiche
Art gegenübersehen kann. Seine Konstruktionen
sind deshalb einheitlich und arm; in seiner geistigen
Welt herrscht die Methode. Die Herrschaft der
Methode nennt man Materialismus. Nicht zu ver-
wechseln mit mechanistischer Weltanschauung,
Materialismus oder Methode ist identisch mit Pessi-
mismus und steht als unrythmisch dem Rythmus
des Lebens gegenüber der jeder jedes Ding vor
und zurückstellt und die durchgängige Methode nicht
kennt, die ein auseinandergezogener Augenblick ist.
Nur des Zufalls, des Geschenkes freuen wir uns
Der Beruf, die Fertigkeit, die Tätigkeit sind
Mechanisierungen der Berufung, des schöpferischen
Augenblickes, der Tat. Wer Fertigkeiten hat mit
dem ist man bald fertig; es ist voraus zu berechnen
auch mit dem Philosophen der den Rhytmus des
Lebens durch die Methode vergewaltigt.
Egon Löwy

Kunst als Spiel und Stil


Max Reinhardt feiert in Paris die beliebten
Triumphe mit Sumurun. Die französische Presse
soll außer sich sein, sie geht in sich und staunt über
die Gedanken Reinhardts. Warum Sumurum öde-
stester Kitsch ist, wurde in dieser Zeitschrift bereits
auseinandergesetzt. Das Wesen der Pantomime,,
die nur aus der Musik geschaffen werden kann, also
nicht von Viktor Hdllaender, wurde von Max
Reinhardt nicht erkannt. Das Wesen der Kunst
auch nicht. Das Wesen des Theaters auch nicht.
Oesterreichische Dramaturgen sind stets für Stil
Der Oesterreicher des Deutschen Theaters, der so
nett dichtende Herr Artur Kahane erklärt: „Was
wir im Leben des Herzens Takt oder Distanz
nennen, das heißt in der Kunst Stil. Stil ist ihm
ferner die durch Scham gebändigte Leidenschaft;
das Verstecken hinter Masken, ihr Verbergen hin-
ter Formen: die neugierigen Blicke der. Mitmen-
schen von sich ab zu eindm Ewigen lenken. Das
nennt man nach Kahane Klassizismus, „als deren
Vollender und Ueberwinder uns Moliere er-
scheint“. Moliere, weil man gerade ein Stück von
ihm dort spielt. Menschen ohne Leidenschaft ver-
bergen sie stets hinter Masken. Man zieht sich
einfach einen Smoking an, läßt sich den Schnurrbart
wachsen, und das Leben des Herzens tut
dasselbe wie das Leben des Menschen: es frißt.
Während im Innern alles nur so frißt, ist man

äußerlich mondain, telefoniert, denkt und läßt das,
was sonst Dramatungen taten. Es gibt keine un-
künstlerische Vorstellungen als Stil, Formen und
Aufführungen des Deutschen Theaters Denn was
man dort Stil nennt, nämlich Festlegung eines
Theaterabends auf einen bestimmten Begriff, zum
Beispiel Klassizismus, also eine intellektuelle Tätig-
keit, wird nciht einmal erreicht. Wenn den Herr-
schaften ihr eigener Stil zu langweilig wird, ver-
suchen sie es mit echtem Naturalismus, da die
Leidenschaften aus inneren Gründen absagen
mußten. Der Unterschied zwischen Naturalismus
und Stil im Deutschen Theater wird einfach zahlen-
mäßig bestimmt. Naturalismus: Das Amazonenheer
besteht aus dreißig Statistinnen. Massenwirkung.
Stil: „Führt die Gefangenen ab“. Zwei Gefangene
werden abgeführt Die andern nämlich kann sich
die durch Scham gebändigte Phantasie der Zu-
schauer denken. Amazonen sieht man nicht so
häufig wie Gefangene. Da wird das Heer darge-
stellt. Naturalismus: Odysseus spricht und gesti-
kuliert wie ein verschmitzter Kleiderhändler aus der
Rosenthalerstraße. ‘Odysseus nämlich war ver-
schmitzt, vaschtehste. Hingegen Stil: Achilles
brüllt, teils nach Moissi, teils nach Kainz. Aber er
brüllt Denn er ist der Sohn des Peliden. Natura-
lismus: Die Amazonen schlagen auf die Schilder
von Pappe. Daß es nur so kracht, ohne durchzu-
brechen, zeigt die Festigkeit der deutschen Indu-
strie. Stil: Während der Liebe wird rot einge-
schaltet. Wer wüßte nicht, daß es sich im Roten
gut lieben läßt. Aus zahlreichen ähnlichen Details
wird die Tragödie Penthelisea aufgebaut. Kleist
ist ja beinahe Klassiker, man kann ihn also
stilisieren. Daß er es nicht ganz wurde, daran hat
ihn nur die1 verfluchte Leidenschaft gehindert Es
bleibt zu hoffen, daß Herr Hugo von Hofmannsthal
ihn bearbeitet, und ihm die Maske fester anbindet.
Dann könnte das Deutsche Theater auch noch die
einzige Schauspielerin sich sparen,, die es für die
Tragödie aufgewendet hat, Mary Dietrich.
Ihr fehlt in diesem Spiel zur Künstlerin, daß. sie
dem Erlebnis von Heinrich Kleist noch nicht er-
wachsen ist. Wo sie es 'ist, gestattet sie es. Wo
sie Kleist nicht fassen kann, 'sucht sie zu begreifen
und Temperament als LeVdt »sei alt zu geben. Die
übrigen Personen au -der Bühne versteckten selbst
ihre Begabung hinter Masken, so daß sie sie kaum
ahnen ließen. Die Tragödie gefällt übrigens noch
immer nicht Nach wie vor erscheint unkünstle-
rischen Menschen, also besonders "Theaterkritikern
und Literaturhistorikern, ein starker Instinkt als
Ueberschwänglichkeit, ein Ausbruch der Leiden-
schaft als Perversität. Man hetzt keine Hunde auf
den doch so Geliebten. Das ist unnatürlich. Oder
pervers. Das würde der Theaterkritiker nie tun
Auch seine Frau nicht. Der Literarhistoriker
kann die Angelegenheit schon eher durch Mytho-
logie entschuldigen. Die Mythologie nämlich ist
„nur“ Phantasie. Also: Der Dichter, der keine
Phantasie besitzt, braucht nur mythologisch zu
kommen, und er ist ein Dichter für den Theater-
kritiker und den Literarhistoriker (Ernst Hardt,
H’ugo von Hofmannsthal, Eberhard König). Wäh-
rend ich sage: die einzige Schwäche dieser unge-
heuren Dichtung ist, daß Kleist sein Erlebnis, offen-
bar noch unter dem Einfluß von Goethe, zum Teil
mythologisch verbarg. Erlebtes also in überlebte
und unerlebte Begriffe steckte. Diese Dichtung,
vielleicht jede, ist zu groß für das Theater und zu
klein. Zu klein, weil sie ohne Rücksicht auf die
Kunst Theater geschrieben ist. Denn Theater und
Literatur stehen so entfernt zueinander, wie Plastik
und Malerei Theater wird ohne Schauspieler-
persönlichkeiten nie Kunst sein. Und wie sollte die
ein Regisseur finden, der sein Theater für eine
Angelegenheit des Malers Stern hält, der sich Felix
riolla^nder als literarischen Beirat, Viktor Höhnen-
der als- Komponisten und Artur Kahane als kleinen

Aristoteles hält. Aber Engels Zunge. Stahls Auge
und Schmidts Ohr rühmen den Ruhm von Max
Reinhardt. Er ist zu Bahn nach Frankreich. Keine
Angst. Herr Auburtin gibt ihn uns wieder.
* *
Mit schwarzen Üeftern seien die Namen folgen-
der Künstler des Varietes genannt: Claire
Waldoff, Littke Carlsen (Passagetheater)
Robledillo (Wintergarten). Sie haben Er-
lebnisse und können sie gestalten. Sie brauchen
sich nicht hinter klassischen Formen zu verstecken,,
weil sie, wie jeder Künstler., ihrem Erlebnis seine
Form geben können. Die Waldoff singt, Carlsen
tanzt, Robledillo läuft Seil. Natürlich kann die
Waldoff keinen Ton singen; aber jeder Ton den sie
singt, gestaltet ein Erlebnis, versinnlicht das Ma-
terial des Erlebnisses. Sie gibt mit einem Tonfall'
dem Zuhörer den Zwang zu ihrer und die Fähigkeit
zu seiner Phantasie. Mit einer Bewegung seines
Fußes gibt Carlsen den Twostep, zahlreiche Paare^
den Tanzsaal, seine Stimmung. Mit einigen Schrit-
ten auf dem Seil stellt Robledillo einen Betrun-
kenen, den Betrunkenen dar Er torkelt nicht sti-
lisiert, er fällt nicht naturalistisch vom Seil hinunter.
Er bewegt seinen Körper. Hier ist das Geheimnis
der Kunst: diese Drei finden für äußere und innere'
Vorgänge des Lebens durch ihre Begabung und
ihre Phantasie die gleichwertige k ü 'n sbt 1 e r i -
sehe Formung, nicht die Formel. Ohne Leiden-
schaft, das heißt, ohne Trieb und ohne Fähigkeit des
Erlebnisses geht es nun einmal in der Kunst nicht.
Künstler ist man erst durch die Gestaltung. Die
aber hängt natürlich nicht von Goethe oder Beetho-
ven ab, oder von Raffael und Michelangelo, sonder11
von der eigenen Persönlichkeit. Persönlichkeit ist
Stil. Stil an sich hat nur der Bürger.

H. W.


La Voce
Ich bin keiner von den deutschen hoffnungs-
vollen Malern, die nach dem „sonnigen Süden“
pilgern, um in den Galerien der Uffizien von Florenz
vor Meisterwerken ihre fehlende Persönlichkeit zu
begraben.
Ich bin auch keiner von den vielen, in Rom
wimmelnden Zeitungsschreibern, die ihre ethnolo-
gischen, psychologischen, ethischen und sozialen
Betrachtungen über das italienische Volk, sein Land
und seine Sitten in dem öffentlichen Waschhaus,
dem Cafe Aragus sammeln. Von diesen Schmierern'
die ihre parlamentarischen Notizen im Korridor von
Montocitorio aufkehren und in der Via nazionale
den Provinzklatsch erhaschen, empfängt der Deut-
sche seine Kenntnisse des Italien von heute
So ist das Italien, des Herrn Dr. Zacher nichts
als eine Sammlung falscher Berichte, falscher Auf-
fassungen und Beobachtungen, So wanderte Hans
Barth aus Mangel von Rom nach Verona mit dem
Ziele einer glücklichen Entdeckungsreise alter
Weinkneipen.
Das junge Italien ist in Deutschland nicht be-
kannt. Vor ungefähr zehn Jahren scharte sich
eine kleine Gruppe junger williger Männer (teils
Autodidakten, teils aus der philosophischen und
kritischen Schule Croces) um den Leonardo, eine
Monatsschrift. Sie wollten dem alten akademischen:
 
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