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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 132
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Heinrich, Karl Borromäus: Menschen von Gottes Gnaden, [8]: aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutnant Miéville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
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Marc, Franz: Die Futuristen
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Döblin, Alfred: Arnold Schönberg
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Byk, Edgar: Bemerkung nach: einem Vortrag von Arnold Schönberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0188

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schneller als sonst; er eilte fort, um diesem Fest
, zu entkommen.
Hiermit übrigens hielt er selbst die Versuche,
: „Genießer von Beruf'* zu werden, für beendigt. Er
; fand es aber nötig, sich durch ein dreitägiges un-
unterbrochenes Schweigen, in seiner Wohnung
emgeschlossen, von den letzten Impressionen
dieser Versuche zu reinigen. Am vierten Tag
ging er in den alten .Liebfrauendom und blieb
mehrere Stunden dort, ■bis er das völlige Gleich-
maß seiner Seele und seines Geistes wiedergefun-
den hatte.
Er eignete sich also nicht zum Genießer; er war
„zu kultiviert“ für einen so unreinlichen Beruf. Der
Heeresdienst lockte ihn nicht. Geistlicher zu wer-
den, das hatte Zeit. Baron Frangart beschloß,
einstweilen jede Art von Beruf sein zu lassen.
Fortsetzung folgt

Die Futuristen
Was dem Hundezüchter die schwarzen Lefzen
und andere Merkmale der reinen Rasse seiner
Hunde sind, das ist für den modernen Bilderkenner
der Begriff der „peinture“. Wer sich nicht näher
auskennt, sieht in das Züchterbuch. Die ,>peinture“
ist bei Bildern, was die „Blume“ der guten Weine
ist, Gefühlssache. Wer sich auch hier nicht aus-
kennt, sieht auf die Etikette, die die Firma aufge-
klebt hat. Und dann kommt die Blamage. Der
Picassosanimler läuft in die Futuristenausstellung
und schreit: sehr schön, wunderschön, aber keine
peinture, meine Herren. Da antwortet ihm ein
Klügerer: ma pittura, signore. Damit hört die Un-
terhaltung auf. Man kann ihm dann ein japani-
sches Gedicht oder etwas, das mindestens so schön
ist und nicht immer nur von Kranichen und Pflau-
menblüten handelt, vorlesen:
„Wenn man ein Fenster öffnet, tritt der ganze
Lärm der Straße, die Bewegungen und die Gegen-
ständlichkeit der Dinge draußen plötzlich in das
Zimmer.“
Oder:
„Die Macht der Straße, das Leben, der Ehr-
geiz, die Angst, die man in der Stadt beobachten
kann, das erdrückende Gefühl,, das der Lärm ver-
ursacht“
Und solche Dinge zu malen gelang den Futu-
risten, vorzüglich sogar. Carra, Boccioni und Se-
verini werden ein Markstein der Geschichte der
modernen Malerei sein. Wir werden Italien noch
um seine Söhne beneiden und ihre Werke in un-
seren Galerien aufhängen.
Franz Marc

Arnold Schönberg
Das Konzert von Schönberg im Choralionsaal
letzte Woche ist von einigen, ich glaube, der Mehr-
zahl der Berliner Musikkritiker zu groben Ex-
zessen der Witzlosigkeit benutzt worden. Und man
kann nicht sagen, daß die, die gar nicht schrieben,
damit einen besseren Witz gemacht haben. Die
Herren scheitern eben an der kleinsten Aufgabe.
Sobald man sie zu einem selbständigen Urteil
zwingt, versagen sie; was nicht im Trott der Kon-
servatoriumsliteratur hegt, die einige von ihnen
sicher vorzüglich gelernt haben, bleibt unverstan-
den. Subalterne Intelligenzen; mit der alleinigen
Fähigkeit zur Pensionsberechtigung. Es ist in der
Literatur, der Schriftstellerei meine ich, viel besser,
viel gesünder; da schlagen wir, die wir auch ar-
beiten, in jedem ernsteren Falle deutlichen Lärm.

Die Musikanten sind wehrlos, auch meist nicht
schreibversiert; jeder Kochkünstler mit Schmock-
allüren ist ihnen überlegen. Die Tageskritiker sind
die Verderber des Publikumsurteils, sie sind ein
Krebsschaden für die Verbreitung der Kunst. In
der Wissenschaft gibt es ein solches Nonsens wie
die Tageskritik nicht; schlank und ehrlich hat der
Referent, dem höllisch auf die Finger gesehen
wird, seinen Bericht herzusagen; die Kritik be-
sorgen die, welche später dasselbe Thema bear-
beiten: Es ist schwer einzusehen, warum die
großen Zeitungsverleger, diese unheimlich schlauen
Geschäftsleute, sie wissen, wie ihrem Unternehmen
jede Nachricht schadet, die sie dementieren müs-
sen, eine so unhaltbare Sache wie die Tageskritik
gewähren lassen, mit der sie sich vor jedem
ernsten Menschen lächerlich machen. Wir haben
genug Kunstzeitschriften; es sind Leute da, die zu
der Kunst engere Fühlung haben. Das. ganze
System, Durcheinander von Berichten, ■ Politik,
Börse, Kunst, ist absurd; das „unter dem Strich“
horrend und unfaßbar. Die Bemühungen ernster
erwachsener Menschen können nicht so nebenbei
und in 'der Weise behandelt werden, einflußreich
behandelt werden, daß irgendjemand — ich sage
bewußt „irgendjemand“ — sich herstellt und in
zehn Minuten aburteilt,, das Uebrige. die nötige
Korrektur bleibt dann dem „Durchringen“ des Ta-
lents. mit allen bekannten Finessen, überlassen. Es
ist zu fatalistisch gedacht von den Zeitungsver-
legern;' und der verantwortliche Redakteur ahnt
nicht, was Verantwortung heißt.
Ich gehöre nicht zur Kritik, insbesondere nicht
zur Musikkritik; habe nur eine mehrfach nachge-
wiesene Nähe zur Kunst.
Was Schönberg anlangt, so haben die Herren
von der Kritik einmal glatt vorbeigehauen, dann,
wie ich nachweisen werde, theoretische Unkenntnis
gezeigt. Man kann nämlich so musizieren, Wie
Schönberg tut; man kann diese Arbeitsleistungen
als Musik betrachten. Die Musik hat nichts mit
Motiven, nichts mit Melos, nichts mit Harmonie,
nichts mit Rhythmus wesentlich zu tun; sie hat
sich in bekannter Weise innerhalb dieser Ordnungs-
regeln auf unserem Kontinent entwickelt. Die Re-
lativität dessen, was Harmonie ist, ist von genug
neueren Komponisten bereits — mit Anerken-
nung — demonstriert worden. Das Melos zer-
fließt den meisten der guten neueren Komponisten
in einer charakteristischen Weise; seine Tage
scheinen gezählt; mit der Rhythmik steht es nicht
besser. Ergo, zum mindesten objektiv hinzuschrei-
ben: Schönberg ein Dokument von unserer Zeiten
Schande — aber nicht Schönberg die Schande, son-
dern der Zeit. Es muß hingeschrieben werden: er
scheint zu den vorgeschrittensten Arbeitern gemäß
der herrschenden Musiktendenz zu gehören. Ich
würde seine Originalität daraufhin durchaus be-
streiten; es ist heute sicher origineller für einen
ehrlichen Mann, der mitten drin steht, melodisch
etc. zu schreiben in einer Art Trotzpolitik.
Es kann ihm der gute Kunstwille nicht abge-
sprochen werden. Wie ich bei den Bildern der
Futuristen sagte: man braucht von Zeit zu Zeit
freie Bahn; es muß Luft gemacht werden; es geht
nicht, ohne daß man einmal „Schluß“ sagt. Und
wenn der Künstler es sogar will, intellektuell will,
so ist dieses Intellektuelle, die Gewolltheit kein
Makel an seiner Kunst; man ist doch als Künstler
nicht notgedrungen Hornvieh.
Theoretisch ist diese Musik unangreifbar. Bleibt
Schönberg. Ich habe ihn zum erstenmal gehört,
Hördauer vierzig Minuten, zu wundervollen Texten
des Albert Girauds. Sie fesselt ungemein, diese
Musik; es sind Klänge, Bewegungen drin, wie ich
sie noch nicht gehört habe; bei manchen Liedern
hatte ich den Eindruck, daß sie nur so komponiert

werden können. Es läßt sich vieles über diese
Lieder sagen. Es schien mir: wir sind auf neuem,
noch schwer gangbaren Boden. Man muß mehr
von Schönberg hören, mehr sich in diese Art ver-
tiefen, ich halte über Schönbergs Begabung so-
lange mein Urteil zurück. Der künstlerische In-
stinkt in dem ganzen ist eben unverkennbar.
Alfred Döblin

Bemerkung nach
einem Vortrag von Arnold Schönberg
Niemals würde einer, der nicht Technik stu-
diert hat und daher nicht mehr Wissen von der
Elektrizität als ein Gymnasiast hat, es wagen
über die Anlage eines städtischen Elektrizitäts-
werkes zu sagen, ob sie gelungen oder mißlungen
ist, ob hier oder dort ein technisches Problem
genial oder dilettantisch gelöst wurde. Denn jeder
gesteht freimütig ein, daß er dieses als nicht zu
seinem Beruf gehörig eben nicht verstehe. Bei
Beurteilung eines Maschinenbaues, einer Eisen-
bahntrace, eines Wasserbaues sind die Leute be-
scheiden; der Arzt, der Jurist, der Philologe, der
Bankier, der Geschäftsmann, sie alle erklären be-
scheiden: das verstehen wir nicht! Das versteht
nur der Fachmann! Beim Hochbau jedoch: da
tritt schon Architektur hinzu: was man so Archi-
tektur nennt: die Facade! Oh! und darüber ver-
stehen nun schon viele, sehr viele zu urteilen.
Und warum auch nicht? Sie haben sich zwar auch
alle nie mit Architektur befaßt („was hat denn
Grundriß oder Zweck des Baues mit der Facade
zu tun“, „mit dem ob’s schön ist oder nicht“,
„wer sagt denn, das Grundriß und Bauzweck für
die Facade und die dem betreffenden Bau eigene
Schönheit bestimmend sind“?), aber jeder Trottel
kann doch ein schönes Haus von einem häßlichen
unterscheiden — sagt jeder Trottel! Und sie ha-
ben es auch beim Haus des Adolf Loos in Wien
bewiesen! Jeder Trottel verstand es zu beur-
teilen — wie ein Trottel.
Aber immerhin: es gibt noch einige, die sich
nicht um Architekten kümmern. Aber Kunst? —
Kunst verstehen sie alle, der Jurist, der Bankier,
der Philologe, der Arzt, der Fabrikant und der
Verkäufer, der Engrossist und der Detaillist, alle!
alle! Kann denn nicht jeder lesen und schreiben,
nicht jeder Klavier, Violine oder zumindest Gitarre
oder Zither spielen, hat nicht jeder in der Schule
zeichnen gelernt, unterscheidet denn nicht ein
jeder Rot von Grün, Blau von Gelb, eine krumme
von einer geraden Linie, einen Menschen von
einem Ochsen . . . sagen sie! Wie sollte da
nicht jeder Dichtkunst. Musik und Malerei ver-
stehen?
Aber man sagt auch noch, allerdings mit eini-
ger Berechtigung, wahre Kunst löse Ergriffenheit,
also Gefühle aus. und die habe doch jeder! Mögen
sie also ihren Gefühlen freien Lauf lassen, aber nur
diesen und alle Wertungen, also Urteile unter-
lassen! Den Wert einer technischen Arbeit ver-
mag nur der Techniker, einer handwerklichen nur
der Handwerker, und den Wert einer künstle-
rischen nur einzig und allein der Künstler zu be-
urteilen. Und auch hier versteht wiederum nur
das Genie das Genie.
Selten hat jemand über das Wesen der Genia-
lität Tieferes geäußert, niemand die Genialität
Gustav Mahlers stärker geäußert und daher auch
Besseres darüber gesagt, als der Komponist Ar-
nold Schönberg in seinem Vortrag über Gustav
Mahler, gehalten am Sonntag, den 13. Oktober
1912 zu Berlin.
Edgar Byk

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