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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 152/153
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Walden, Herwarth: Zeitgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0284

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Zeitgeschichte
Der Mann mit den Unterhosen
Ich habe den Kunst wart seit vielen Jahren
nicht mehr gesehen. Er ist indessen viel dicker, ge-
worden, der Mann auf dem Titelblatt mit offenem
Hals stützt sich noch immer auf eine Mistgabel,
Naturnähe, vaschteste, er heißt jetzt außerdem
noch Kultur wart und ferner Halbmonatschau für
Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten. Nur
der Herausgeber, Herr F. Avenarius, bat sich noch
nicht verändert. Ein Vater der Deutschen Nation
sdhauter über die Lande, preist schlechte, alte und
neue Lyrik an, reproduziert mit gefl. Erlaubnis
Bilder von mäßigen Malern, bringt Noten und be-
tätigt sich eben auf allen Lebensgebieten. Gute
Gegenbeispiele verderben unter Umständen böse
Beispiele. Im zweiten Januarheft veröffentlicht
Herr Avenarius Reproduktionen nach Gemälden
von Cezanne, Signac, Matisse, Pechstein, Burljuk,
Kandinsky, Boccioni, Carra. Alles dies in schlich-
tem Schwarz, aber mit Farben, mit giftgrünen
Farben, prangt ein Gemälde von Albert Lamm. So
nämlich muß man malen. Dieser Lamm erledigt
so giftgrün, wie seine Bäume, alle begabten Maler
der Gegenwart. Dieser Lamm wütet gegen die
Wölfe, daß ihm das Blöken vergeht. Er fängt
an zu r e d e n. Er ist nämlich „gewohnt Kunst an-
zusehen als eine Wiederholung der gegebenen
Welt, welche dem Gefühl die Beschäftigung mit
dem anschaulich Gegebenen vertieft und verein-
facht“. Was Gott vollkommen geschaffen hat,
muß lammfromm wiederholt werden, damit es dem
Gefühl des Unschuldigen für die Beschäftigung
vereinfacht wird. Man muß eine Lammsgeduld be-
sitzen, um diesen Herdenbegriff nicht los zu wer-
den. Aber Herr Lamm besitzt die Geduld. Er fin-
det sogar die Kunst der Gegenwart nicht einmal
wissenschaftlich haltbar. Er zappelt an seiner
Leine und glaubt, daß die anderen angebunden
sind. Man wird mit ihm anbinden und seine Flug-
schrift kurz angebunden behandeln; denn dieser
Papierdrachen fliegt doch nur so hoch, wie es
eben dumme Jungen vermögen. Kunst ist zwar
Spiel, aber kein Spielzeug. Alles darf man eben
Kindern nicht in den Händen lassen. Der gute
Vater Avenarius vergißt seine Vaterpflicht. Oder
er ist zu sehr von seinem Blut überzeugt. Er ver-
teidigt sein Lämmchen und schimpft auf die Er-
wachsenen. die das Jüngelchen anrempelte und
die nie unter der Zucht der Ausdruckskultur stan-
den. Herr Averiiarius drückt sich nunmehr auf
allen Lebensgebieten aus. Zunächst auf dem Le-
hensgebiet des Humors. Bezugsauelle: Die Lusti-
gen Blätter.: „Also nun hätten wir die Expressio-
nisten, die Kubisten, die Futuristen usw., sagen wir
zusammenfassend: die Meschuggisten“. Siehe
Nummer 22 der Lustigen Blätter vom Jahre 1912.
Dieser Witz durfte nicht umkommen, er mußte im
Kunstwart ausgedrückt werden, trotzdem an der
Zitrone schon verschiedene Jahrzehnte gequescht
haben. Nachdem Herr Avenarius noch einige an-
dere humoristische Spässe auf Kandinsky insbe-
sondere losgelassen hat. wird er trübsinnig über
seinen Humor, was man begreifen kann, und fragt:
„So spotte ich, aber seltsam, schon fühle ich mich
in Verlegenheit. Es ist Tatsache, daß so und so
viele Leute in diesen Kandinsky’schen Zeichnungen
Kunst, ja wirklich: tiefe und hohe Kunst sehen.
Darf man einfach in die Welt rufen: „Der Kaiser
hat keine Kleider“, wenn andere mit Andacht be-
haupten: er hat herrliche? wer bürgt dafür, daß
nicht ich der Dumme bin statt ihrer?“ Niemand
bürgt dafür. Man darf einfach in die Welt rufen:
der Kaiser hat keine Kleider. Man darf aber auch
einfach in die Welt rufen: Der Mann hat nur die

Unterhosen an, die man sieht, und sie sind nicht
einmal neu, die Unterhosen. Aber sie sind echt
und wahr, ohne Schmuck und dennoch die Zierde
des deutschen Mannes. Nach diesen Trübsinnigkei-
ten wird Herr Avenarius philosophisch. Was
gleichbedeutend mit pädagogisch ist. „Leute, die
man mit der 5 versehen, wurden später als Einser
eingeschätzt und umgekehrt“. Herr Avenarius be-
kam immer drei. Ihm persönlich konnte dieses
Pech nicht passieren. Nach dieser Philosophie und
ähnlicher wird Avenarius historisch. Er zählt sei-
nen Lesern chronologisch alle „Rummel“ auf. Der
Fall Böcklin und Julius Meier-Gräfe. Das deut-
sche Volk fiel auf Meier-Gräfe nicht hinein, sagt
Avenarius, und blieb bei Böcklin. Dann Marees.
Gegen ihn hat Herr Avenarius nichts einzuwenden,
nur findet er seine Begeisterung echt und die
der anderen unecht. Van Gogh. Auch ihn hält Herr
Avenarius „unzweifelhaft für ein großes Talent
und vielleicht sogar für ein Genie“. Nur findet er
das Nervenleben von van Gogh bald erschöpft,
bald höchst überhitzt. Vielleicht hat van Gogh
keine Unterhosen getragen, die so schädlich auf
seine Nerven und andererseits so günstig auf die
Nerven des Herr Avenarius wirkten. Sonst findet
Herr Avenarius, daß das Publikum sich von den
minderwertigen Bildern von van Gogh begeistern
lasse. Also von den erschöpfte oder den überhitz-
ten. Herr Avenarius und seine Schüler tun das
nur vor den Bildern mit Nummer drei. Die Hodler-
Epidemie. Herr Avenarius hat die Epidemie auch
mitgemaebt, wie er schreibt. „Aber Hodler gibt
neben seinen Meisterwerken Bilder hinaus, die
auch einem mit unseren Augen beinahe so aus-
sehen, als probiert er: ,Was kann man Publico wohl
zumuten?4 Unbesorgt, Meister: Mute ihm alles zu,
soweit deine Gemeinde reicht, trägt jeder deine
Augen als Vorsteckbrillen.“ Also, der Hodler.
Er möchte zu gern wissen, was er alles Avena-
rius zumuten kann. Aber Herr Avenarius sieht
nur mit seinen eigenen Augen, also sieht er nicht
des Kaisers herrliche Kleider, sondern nur sich und
seine Unterhosen, die dafür aber echt und wahr
sind. Del Greco. Herr Avenarius hält ihn auch
durchaus nicht für unbegabt. Nur hat er nicht die
Augen des Herr Avenarius: „Aber er sieht wie ein
Astigmathiker und arbeitet in vielem wie ein Ma-
nierist. Tut nichts: weder die Zehnkopflänge seiner
Gestalten, die an die Bösen Buben von Korinth
erinnern, nach dem Walzen, noch seine schiefen
Gesichter, noch die Klapprigkeit seines „geistigen
Gehalts“ störte irgendwen . . .“ Also auch Greco
war nicht natürlich genug. Herr Avenarius mit
seinen vor-bildlichen Augen und seinen Anatomie-
kenntnissen weiß das. Nach dieser Historie wird
Herr Avenarius nationalökonomisch. Er erschau-
ert vor dem Hohngelächter, das man einst über
unsere Museen anschlagen wird. Sie gaben „für
die französischen Modernen Geld in schweren
Haufen aus, aber sie kauften sich keinen „Welti“.
Sie opferten sogar den Lamm für die Modernen.
Nämlich für Manet und van Gogh. Er erschauert
vor dem Hohngelächter, das über „unsere Kunst-
zeitschriften“ wiehern wird, weil unsere Kunst-
zeitschriften nichts über Katharine Schäffner
brachten. Diese Dame ist nämlich „die ursprüng-
1 i c h s t e Begabung der ganzen großen Bewegung
um Erweiterung der Kunstgrenzen“. Und nun
stolpert Herr Avenarius über Kandinsky her. Er
hat „sogar Kandinskys Buch über Das Geistige
in der Kunst studiert“, aber „nicht kapiert, was
eigentlich sie wollen, falls sie, wie ich aus Höf-
lichkeit annehme, überhaupt was anderes wollen,
als Lärm machen“. Er findet in der künstlerischen
Produktion der Maler des Blauen Reiters „erstaun-
lich wenig Talent, aber sehr viel Schaumschläge-
rei. Was alles an meiner Dummheit liegen mag.“

Was zu bestätigen ist. Im übrigen werden auf
Wunsch des Herrn Avenarius die Blätter aus der
Flugschrift Alberts, des Lamms, im Kunstwart re-
produziert. Es ist in dieser Zeitschrift schon mit-
geteilt worden, daß die Reproduktion des Gemäl-
des von Paul Cezanne Badende Frauen mit der
Unterschrift: Genie und Faulheit? geschmückt
wurde. Unter der Reproduktion eines Bildes von
Henri Matisse wird bemerkt: „Mit Matisse be-
müht sich die junge Pariser Schule um Erreichung
echter Naivität Das Pariser Interesse hierfür ist
mäßig; dagegen verhöhnt eine Pariser Zeitschrift
Deutschland, daß Matisse zum reichen Mann
machte.“ Und Herrn Lamm nicht. Eine Pariser
Zeitschrift ist gut. Es wird wohl der französische
Kunstwart sein, wenn man auch in Paris nicht
für Jägerwäsche schwärmt. Unter einem Holz-
schnitt von Kandinsky steht: . . versuchen ein
Gewirr von Empfindungen festzühalten, welches
an der Klarheit sterben würde“. Ein Gewirr,
das an der Klarheit stirbt, ist eine ziemlich ver-
hedderte Angelegenheit Jeder kann nun eben
nicht so solide Augen haben wie die Kunstwärter.
Aber unter einer Hodlerkopie von Katharine
Schäffner steht: „Traumhaft verschwommen, wie
ein Zug vermummter Gestalten und doch nicht
Gestalten, vor fahler Weite. Hier ist die Wirkung
umgekehrt, als bei den Erkünstele™: Bei länge-
rem Betrachten wächst der Eindruck.“ Einer
Hodlerkopie. Das Bild, das giftgrüne, von Albert
Lamm blieb ohne jede Unterschrift. Denn es zeugt
weder von Genie noch von Faulheit. Keine pa-
riser Zeitschrift hat es je verhöhnt, und keine
deutsche von ihm Notiz genommen. Es stirbt an
der Klarheit. Und bei längerem Betrachten wächst
die Eindruckslosigkeit Sodaß man darunter
schreiben möchte — Schiller’ —:
„Willst du nicht das Lämmlein hüten,
Lämmlein ist so fromm und sanft.“
.Möge ihm Herr Avenarius ein getreuer Hirte sein.
Die Wacht an der Wupper
Ich muß zum dritten Male das Mißfallen der
Barmer Presse erregen. Dort gibt cs nämlich einen
Maler, der auf den Namen Fahrenkrog hört. Dort
gibt es nämlich auch einen Kimstverein, der das
Verdienst hat, Herrn Dr. Reicht' mit seiner Lei-
tung zu betrauen. Dr. Reiche hat sich um die
wertvolle Kunst unserer Zeit mit großer Energie
bemüht und verdient gemacht. Die Stadt Barmen
hat durch ihn ein Museum erhalten, daß die Mu-
seen weitaus größerer Städte an Kunstwert er-
heblich überragt. Der Fahrenkrog fühlt sich
durch diese wertvolle Tätigkeit des Herrn
Dr. Reiche in seiner Malerei bedroht. Er klam-
mert sich angstvoll an das Flugpapier des Herrn
Albert Lamm, hüpft vor Aufregung bei dieser
Fliegerei hin und her, und faßt endlich Fuß, indem
er einen offenen Brief an den Barmer Kunstverein
sendet. Der General-Anzeiger für Elberfeld-
Barmen leistet ihm Pilotendienste. Der Fahren-
krog macht also eine Eingabe „im Interesse der
Stadt, der Kunst, im besonderen der Deutschen
Kunst“. Auch der Barmer Kimstverein hat ein
Verdienst, nämlich, Herrn Dr. Reiche trotz allen
Schreiern und Schreibern zu halten. Der Fahren-
krog vermißt die Harmonie und die Erhebung in
der Ruhmeshalle, dem Barmer Museum, er fürch-
tet die Verwilderung des Geschmacks. Er tritt
für die nationale Kunst ein, worunter noch jeder
Kitscher seine eigenen Oelwerke verstand. Er
hält den harmlosen Fritz Stahl für einen wüsten
Revolutionär und beruft sich auf ihn. daß sogar

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