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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 111
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Zech, Paul: Gedichte
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Rivière, Jacques: Cézanne, [2]
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Beachtenswerte Bücher / Notiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0058

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Gedichte
Die Namenlosen
Was uns auch immer so von diesem Leben bleibt,
Ist nur ein Lampenabend, blätternd in Papieren,
Ein kurzverliebtes: sich im Arm der Frau Ver-
lieren
Und eine runde Frucht, die schmale Reiser treibt.
Vielleicht ein heller Sonntag noch, fernab im Grün
Mit den sehr viel Geliebten tröstlich hingelagert
Und dann zu sehen, wie man dem Verfall ent-
gegenmagert,
Indes die Söhne reifen und die Töchter blühn.
Und fühlend, daß, was uns an diese Welt je
schnürte,
Weit weniger ist, als wie das Wurzeln eines
i Baumes,
Entschlagen wir uns angestrengt des wachen
Traumes,
Und schüren immer heftiger den Selbstbetrug
Und werden alt und arm und schließlich nicht
i mehr klug
Aus dem, was unsre Ahnen fortzugehn verführte.

Rosenmond
Tiefes Gebläu der Tannenwaldbuchten
Spiegelt sich lange im Strom, der zwischen
i Weiden fließt,
Bis ein rostrotes Knochengerippe querrüber
, schießt
Und des Nachtwindes albdrückend Wuchten.
Hütte an Hütte rücken im Avegemurmel zu-
sammen,
Und der Kirchtum schwingt schon den Hirten-
v , stock.
Hügelkuppen dröhn schwarz wie ein Henker-
i , ; block —
Bald wird das Mondbeil wächsern entflammen.
Aber wir zwei ducken uns still
Und verhöhnen das Zucken,
Das uns erschlagen will.
Und mein Posaunenmund
Und deine verliebten Launen
Blasen die letzten Rosenblätter wund.

Erbteil
Der Mutter Scham und zärtliches Verschwenden
In Jugendfrische und erwachter Lust,
Des Vaters Seufzer aus gespannter Brust
In der Umarmung hellem Aufruhr und Voll-
enden,
Und dann die bangen Abende beim Lampen-
i schimmer
In Zuspruch und verhaltner Wartenot,
Bis sich aus dem geborstnen Mundenrot
Sanft löste eines Kinderstimmchens klar Ge-
| wimmer:
Dies alles ruht, verhundertfachte Saat,
Tief in mir, um bei Drosselsang und Sommer-
regen
Saftsch'wellend aufzublühen im Karnat.
Und wies durch magre Rillen sich gezwängt
Und dann zu vollerm Licht ward hingedrängt,
Fiel aus geliebtem Mund der erste Tropfensegen.

Paul Zech


54

Cezanne
Von Jacques Rivifcre
Schluß
Nicht nur die Anordnung, sondern auch
die Nachhaltigkeit dieser Bilder macht tiefen
Eindruck auf mich. Dieselbe Schwere wie im
Raume erhält sie auch in der Zeit aufrecht: sie
bleiben bestehen, sie sind mit ihrer eigenen Per-
manenz unlöslich verbunden. Die Farbe ist aller-
dings nicht die, die das Licht wie eine Flüssig-
keit über die Dinge ausbreitet; sie ist unbeweglich,
sie kommt aus dem innersten Grunde des Gegen-
standes, aus seiner Essenz; sie ist nicht seine
Hülle, sondern der Ausdruck seiner inneren
Beschaffenheit, seiner Zusammensetzung; des-
halb hat sie die innere Trockenheit der Flamme
und wahrt den Anschein der Innerlichkeit von
etwas, das sich aus sich: selbst heraus ernährt:
es scheint, Cezannq hat das trübe, glanzerloschene
Leuchten der Töne dadurch erzielt, daß er den
Oberflächen dieses glänzende Flüssigsein genom-
men hat, in dem die Variationen und das Ab-
gleiten der Atmosphäre spielen; er hat gespart,
um unter den Augenblicken die Dauer zu ent-
decken. Zweifellos kann er die feinsten Ereig-
nisse erfassen, die trockene Durchsichtigkeit der
Luft auf den Felsen, die unruhig wandernden]
Wolken. Aber immer ordnet er das dem haupt-
Sjächlichen unter; es gibt etwas, an dem das]
Vorübergehende vorübergeht, und das das Ein-
tägige überlebt. Seine Landschaften warten auf
nichts; sie sind von der einförmigen Bewegung
der Zeit so durchdrungen, daß sie sich von ihr
tragen lassen; sie sind deml Strom der Zeit über-
lassen ; und in der Nacht] werden sie ihre düstere1
Gegenwart behalten.
Personen wie Landschaften erwecken den
Eindruck der Beharrlichkeit. In den vortreff-
lichen Frauenakten bannt die Schwere des Nach-
mittags die Bewegungen wie Trauben an das
Geäst. In den Porträts prägt Cezanne keine
überraschende Haltung, sondern die brennende
Größe der Ruhe. Die Farbe der Gewänder brennt
in ihrer Pracht; aber im Augenblick, da sie
blendet, gleitend funkelt, hält sie inne und ver-
liert sich in ihrem dumpfen Ton. Der Ton ist
in sukzessiven Uebermalungen festgelegt worde,
langsam und mit Berechnung, er braucht sich;
nur noch mit seinem Glanze zu umgeben; aber
paßte er sich auch1 dieser höchsten Reichhaltig-
keit an, vielleicht würde sich der Stoff beleben,
vielleicht die Falten sich drapieren, alle Personen;
in einer Pose daliegen. Nötig ist es nicht. —
In allen Porträts von Madame Cezanne
lese ich den unzerstörbaren Glauben an die
Müdigkeit.
* *

Vielleicht gibt es keinen größeren Maler als
Cezanne. Ich besitze die Schwäche, manchmal
zu (bedauern, daß in seinen Werken der Mensch;
ijmmer nur der dienstbare Geist der Dinge ist,
daß er immer nur seine Gegenwart durch seine
Ergebenheit und das Bemühen zu verschwinden,
ahnen läßt. Aber ist seine Bescheidenheit nicht
nötig, um die Unverschämtheit aller derer gut-
zumachen, die sich als Eindringlinge festsetzen
und sich inmitten ihrer Bilder ausstellen?
Uebertragung aus dem Französischen von Jean-Jacques
Neues von der Kunst
1 „Aus München wird gemeldet: Karl
Ettlinger arbeitet an einem Stoff aus der
Odyssee. Wenn das Werk rechtzeitig fertig
wird, soll es noch in dieser Spielzeit im Münchner
Künstlertheater zur Aufführung kommen. Dem
Stück soll eine Musik beigegeben werden, die
Dr. Leopold Schmidt einrichtet."

2 „Uebrigens teilt nach einer Meldung unse-
res Weimarer Korrespondenten der Vorsitzende
in der letzten Sitzung des Gemeinderates der
Stadt Weimar mit, daß die Entscheidung über die
Ueberführung oder Beisetzung des Schädels
Schillers der Stadt vorbehalten bleibe. Die Ge-
beine Schillers sind 'Eigentum der
Stadt. Sie hat auch allein das Recht,
Gipsabgüsse herstellen zu lassen. Professor von
Froriep wird der Dank und der Glückwunsch
der Stadt zu seinem Erfolg ausgesprochen wer-
den. Für die Stadt Weimar wird ein Gipsab-
guß angefertigt."
3 „Was sagen Sie zu der Mitteilung, daß m i r
Picasso letzte Bilder zeigte, auf denen er
reines Blau und Rot als reine Ma-
terie verwendet — wohlverstanden nicht
die Farbe Matisses, sondern diereine Ma-
terie in voller Stärke."
Enthüllungen eines reinen Toren in der Zeit-
schrift Pan.
4 „. . . . Die Beichte eines Toren, ein un-
erquickliches Buch, das ihm die Sympathien vieler
Tausende raubte."
Nachruf für August Strindberg im Berliner
Lokal-Anzeiger.
H. W.

Beachtenswerte Bücher
Ausführliche Besprechung vorbehalten
Rücksendung findet in keinem Falle statt
THADDÄUS RITTNER
Ich kenne Sie / Novellen
Wien und Leipzig / Deutsch-Oesterreichischer
Verlag
ALDO PALAZZESCHI
II Codice di Perelä
Romanzo Futurista
Mailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
ALBERT EHRENSTEIN
Der Selbstmord eines Katers / Novellen
München / Verlag Georg Müller
F. T. MARINETTI
Distruzione / Poema
Mailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
La Momie sanglante
Poeme dramatique
Editions du „Verde e Azzuro“ / Milan

Notiz
Die Holzschnitte auf der fünften Seite jeder
Nummer sind von Mitgliedern der Neuen Sezession.

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Ständige Ausstellungen der
Zeitschrift Der Sturm
Königin-Augusta-Straße 51
gegenüber der von«der-Heydt>Straße
Französische Graphik:
Picasso / Herbin / Gauguin / und Andere
Geöffnet täglich von 10 bis 6 Uhr
Eine Mark
 
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