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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 113/114
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Hübner, Fritz: Ein Lyriker
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Lánský, Egon T.: Der Philosoph
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0073

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Oder sollte das Gedicht vielleicht besser mit irgend
einer subjektiv poetischen Wendung abschließen?
Etwa mit einer Sehnsuchtsklage: O Ihr Knaben,
Idie ihr noch das Leben nicht kennt, wie habt ihrs
gut! Dergleichen würde diese lyrische Kost-
barkeit ins Kitschige schleudern.
Daß man noch so wenig Sinn für „Objektivität“
auch in der Lyrik hat! Daß man sie direkt als un-
dichterisch empfindet und als Ausfluß eines unnai-
ven Theoretisierns. Daß man nicht sieht, wie hier
etwas ans Licht will, was anderswo, in der Lyrik
des fernen Ostens, längst und beinahe ausschließ-
lich die Form der poetischen Aussprache ist
Man halte gegen das Benndorfsche Gedicht das
folgende: „Der Mond“, das aus dem achten Jahr-
hundert nach Christus stanmmt:
Wie die Wolken er zerbricht!
Wie sein märchenhaftes Flimmern
silberfarbene Netze flicht
übers Meer, übers Land
über die tausend Körnchen am Strand,
daß sie wie Juwelen flimmern.
Auch „nur“ ein Bild. Auch nur sicher hinge-
zeichnete Gegenständlichkeit. Auch nur eine Na-
turstimmung, die frei von menschlicher Einmi-
schung durch sich selbst, durch ihr Beladensein mit
Allseele überwältigt
Das Prinzip der europäischen Lyrik ist, vom
Gefühle direkt auszugehen und das Gefühl deut-
lich zur Mitte der Dichtung zu machen. Wie uns
denn jene Strophen die wahrsten und echtesten er-
scheinen, die, nackt und heftig, unmittelbaren Kon-
fessionen ähneln. Dem entgegen waltet in der
fernasiatischen Kyrik die Tendenz zur Unterdrük
kung und Hintanstellung des „Ich“. Wohl bedeu-
tet auch dort das Gedicht Auslösung und Versinn-
bildlichung einer individuellen Qefühlsspannung,
aber sie spricht sich nur mittelbar und unpersön-
lich im Rhythmus, in der ganzen Tönung, oder am
Schluß in einer kargen Andeutung aus Statt akti-
ver Entblößung des Herzens sucht die japanische
und mit ihr die chinesische und indische Lyrik ihre
Wirkung in der symbolisch gemeinten Darstellung
beziehungsvoller Außenvorgänge.
Benndorfs Verfahren ist das gleiche. Ein seeli-
sches Beklemmungksgefühl findet bei ihm zum Bei-
spiel folgende diskrete Transcription:
Ahnung
In atmender Stille
geh ich allein
durch den schattenumdämmerten Garten.
Blaß scheinen die Sterne,
blaß und matt, als ob sie verlöschen wollten
Die Schritte knirschen im Kies.
Fledermäuse *
umhuschen die Bäume und Stiefmütterchen-
beete.
Der Teich liegt toteinsam:
über seinen schwarzen Spiegel
gleitet ein Hauch,
lautlos
und trübt ihn.
Worum es sich handelt, enthüllt sich hier ledig-
lich im Rythmus und in der Wortverwendung
Keine Silbe, die vordringlich auf Bestimmtes hin-
wiese. Aber daß es heißt: Geh ich „allein“ . . .
„schattenumdämmerten“ Garten . . . „blaß“ die
Sterne . . „als ob sie verlöschen wollten“ bringt
mindestens für mich eine so zwingende Suggestion1
namenloser Melancholie zu Wege, wie es; eben
weil ein beinahe unsagbares Erlebnis vorliefH, ein
direktes Eröffnen nie vermöchte.
Als eine andere Eigenschaft, die Benndo Ly-
rik erlesen und wundersam macht, kommt mzu,

daß der Dichter zu der Natur ein ganz und gar
panisches Verhältnis hat. Das will sagen, er trägt
in sie niemals von Menschen genommene Begriffe
und Intentionen. Er anthropomorphisiert nicht, er
enthält sich auch des beliebten Mythologisierens.
Er arbeitet nur mit Anschauungen, die aus den
Dingen sich ablösen. Seine Worte bleiben allezeit
behutsam und wie ahnend; sie haben Angst vor
Uebergriffen in ein Bewußtsein, das anders aufge-
baut als das unsrige ist. Sie wollen nicht herr-
schen, sondern dienend der Natur ihre heimlichen
Mitteilungen ablauschen. Sie weisen alle nach
einer äußersten Hingabe, nach einer letzten verge-
henden Hinnahme, hinter der‘ sich ‘das selige
Schweigen des Ali- Eins- Schauens ausdehnt.
Und dies ist die dritte Gruppe von Benndorfs
landschaftlichen etats d’äme Dichtungen: seine Wi-
dergaben des monistischmystischen Einheitsge-
fühls der Menschenseele gegenüber der in jeder
landschaftlichen Einzelerscheinung lebendigen gro-
ßen Naturseele. Das Naturgefühl hat sich bis zu
einer religiösen Ueberzeugung entwickelt. Die
Dinge werden, im Lichte neuer naturwissenschaft-
licher Aufdeckung nichts geringeres als Stationen
einer allgemeinen von ewig her bestehenden
Metempsychose. Die Darstellungsfähgikeit Benn-
dorfs erreicht die Höhe
Und so lausche man denn gesammelt und an-
dächtig dem folgenden traumschönen Paean:
Dort wo still und kühl das Leben webt: im

Bergkrystall, in dem metallisch glimmernden Flü-
gelstäubchen der Abendfalter, im Kirschblütenblätt-
chen, das am Spinnenetz zittert, hab ich einst ge-
wöhnt
Dort, wo still und kühl das Leben webt: in den
nächtigen Schauern des Meers, im tonlosen Nebel-
grau überm Fluß, im scheuen Blinken der Sterne
beim ersten Hahnenschrei,, hab‘ ich einst gewöhnt!
In den bebenden Fasern der Qualle im blitz-
haft, erhellten Blick der Eidechse, im Aufschurren
des Käfers, hab ich gewohnt und im Schelten des
Wasserfalls und Stöhnen der föhngezausten
Lärchenwälder!
■Und manchmal verlangt mich wieder hinab zur
Eiqfalt des keimhaft Bewußten; verlangt mich, Mit-
wisser zu sein des Muttergeheimnisses der Dinge
und ihres ewigen Werdedrangs.
Aber den panisch Versunkenen reift die Stunde,
wo grußloses - Unverwandtes heimlichen Gruß
tauscht und Unmündiges sich verführen läßt zu
lächelnder Wortgebärde!
Fritz Hübner

Der Philosoph
Die Schöpfung einer der Welt begleitenden
Symbolwelt (in Stein, Tönen, Worten) hat der Welt
einen neuen Schmerz gegeben jenen an welchem
Augustinus litt, den Erfüllungsschmerz. Er pflegte
in sich einige Abstrakta für die er den Gegenstand
suchte. Diese waren der Welt von wenig tiefen
aber übermütigen aufgedrängt worden und die Ur-
heber ahnten nicht welcher Vertiefung ihre eigenen
Worte fähig waren. Wie untilgbar und verderben-
bringend war für die Vertiefer der in ihnen schlum-
mernde frivole Gehalt! Er war nicht zu überwinden
Die Philosophie der großen Philosophen ist die
Beichte eingeschüchterter Menschen, die nicht die
Kraft haben, sich in eigenen Formeln rücksichtslos
auszudrücken, die Formeln ihrer natürlichen Feinde
anzuerkennen und sie doch revolutionieren weil sie
ihr verleugnetes Selbst irgendwie zum Ausdruck

bringen müssen. Die Werke der großen Philoso-
phen sind Werke, eines Malermeisters mit Details
von der Hand eines Künstlers. Und wer ist der
Feind zu dem sie scheinbar übergehen? Der Geist
der Wissenschaft. Der Künstler oder der Mensch
ergreift die Dinge weil sie ihn ergreifen. Daraus
ergibt sich das komplexe Phänomen des Lebens,
das der Tyrann und der Mann der Wissenschaft
nicht kennen, die beide herrschen wollen ohne be-
herrscht zu sein Der Wissenschaft sind nach Ein-
geständnis alle Dinge gleich nah. Wenn das Genie
in die Athmosphäre der Wissenschaft eintritt wird
eine zarte Komponente seines Wesens die stets
parat liegt um in jeden Prozeß einzugehen verstärkt
Indem er, der bestimmt ist den allgemeinsten Vor-
aussetzungen dieser Welt an sich den Garaus zu
machen, zuerst eine spezielle Formelwelt durch-
bricht, entwickelt er diese und ist dadurch Philo-
soph. Der große Philosoph heult mit den Wölfen
der Wissenschaft, wenn man aber genauer zuhört,
ist es ein ergreifendes Trauerlied. Die Wissen-
schaft ist dort wo sie mehr sein will als eine An-
weisung für Handwerker, ein Pandämonium aller
im Laufe der Jahrhunderte ins Dasein getretenen
pedantischen Essenzen Wenn sie in Fleisch und
Blut übergegangen ist und eine mächtige für das
sinnvolle Leben begabte Natur zu knechten ver-
sucht entfaltet sich der Philosoph, der inkarnierte
Kampf von Leben und Tod. Der Gemütsbon der
Wissenschaft ist die Arroganz, die allen Aeuße_
rungen des Lebens um ein Wort voraus ist. Die
Wissenschaft ist Usurpator. Auf alles legt sie ihre
Hand und so kommt es Im Leben, das von der psy-
chologischen Essenz der Wissenschaft durchtränkt
ist vor, daß man in seiner Reifezeit das als Tiefe
erlebt was andere als Gemeinplatz mißbrauchen.
Aber glücklicherweise hat der Satz „Es ist mir
teuer“, einen wertvollen Doppelsinn. Die Dinge
sind soviel wert als sie uns gekostet haben. Ob
ich nun lese wie ein Künstler auf Vorbilder
reduziert wird oder die Gesamtnatur nach Analo-
gie eines ihrer Gebiete ausgelegt wird (mechanisti-
sche Weltanschauung) stets finde ich dasselbe wie-
der: Den Kult der Wahrheit, des Unumstößlichen
oder besser: die Wissenschaft sucht das Einmalige,
Unwiderbringliche auf die mechanisierten Reflexe
eines Pedantengehirns zurückzuführen, auf das, was
stets zur Hand ist, auf den Alltag den sic dadurch
erst schafft Im Falle Augustinus führte die Wis-
senschaft einen Mann durch den Anschein irre man
könne allen Dingen gleich gegenüberstehn (Mann
wie Weib zum Beispiel) und durch den Gedanken
der sogenannten Evidenz. Es vertiefte diese Ge-
danken konnte jedoch den frivolen Kern nicht aus-
tilgen, die Anmaßung der Untiefe.
Also der Ton der Wissenschaft der sich jedem
Wort, das sie gebraucht imprägniert und der da-
durch entsteht durch die Zusammenhänge die sie
findet die Welt erst zu setzen, hat Augustinus ver-
führt. Der große Mensch ist durch eine Eigenschaft
groß, die nicht genährt werden darf um ihn nicht
unglücklich zu machen. Es ist dies das Verlangen'
nach der Formulierung, nach dem Zusammenhang
oder nach der einzigen Möglichkeit so etwas herzu-
stellen nach dem Continuum einer die Welt beglei-
tenden Formenwelt. Es genügt aber diesem Ver-
langen schon wenn er den Augenblick irgend wie
deutet, in Zusammenhang bringt, bucht. Schon da-
durch tut er der Herrschaft des Augenblicks Ab-
bruch, aber er schafft die geniale Lebensführung,
das Lebensgebäude. Wo diese Eigenschaft durch
das Beispiel der Wissenschaft verstärkt wird, for-
dert er als Tyrann daß jedes Erlebnis den Beweis
seiner Richtigkeit nämlich seine Deutung in sich
trage, er wirft Formulierung und ihr Material durch-
einander, kehrt das Verhältnis von Formel und
Material um und wünscht die Unendlichkeit der
Welt durch eine Formel gesetzt zu sehn. Daher
die Frage nach dem Sinn der Welt oder nach der

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