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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 112
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Scheerbart, Paul: Tiefe Geschäftsweisheit: eine Mondschein-Novelle
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [7]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0063

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wir also.bald weiterkommen. Und nächste Ostern
können wir heiraten. Darauf kannst du dich ver-
lassen."
„Das wäre ja fein!" sagte die Auguste.
Doch sie wollte nun gleich etwas Näheres
von den Geschäften ihres Johanns wissen, und
der ließ sich nicht lange bitten — er war so recht
in seinem Fahrwasser. <
„Du weißt ja, liebe Auguste," fuhr er leb-
haft fort, „daß ich jetzt in Mutterns Grünkram-
keller tätig bin. Zu Weihnachten soll ich Teil-
nehmer am Geschäft werden; Mutter hat eben
eingesehen, daß ich 'ein guter Geschäftsmann bin.
Und das kam so: Mutter ärgerte sich, daß ich
immer nur mit ganz dummen Kerls verkehrte,
besonders über August ärgerte sie sich, den du
ja kennst. Wenn Mutter darüber redete, lachte
ich immer ganz verschmitzt und sagte nur: Na
warte nur! Du wirst mir noch mal dankbar sein
für meine dummen Kerls. Und die gute Gelegen-
heit kam auch bald. Du mußt nämlich wissen,
liebe Auguste, wodurch man zum Geschäfts-
mann wird. Sieh mal, der muß stets darauf be-
dacht sein, andern Leuten was wegzunehmen,
ohne dabei eingekastelt zu werden. Wer aber
läßt sich was wegnehmen ? Wer ist so gutmütig,
daß er das, was man haben will, gutmütig her-
gibt? Wer ist so dumm? Doch nur der Dumme!
Und darum muß der gute Geschäftsmann nur
mit den Dummen verkehren."
„Jh du, Johann!" rief da die Auguste lachend,
„darum verkehrst du auch wohl mit mir, nicht
wahr?"
„Liebe Auguste," sagte da der Johann, „ein
guter Geschäftsmann wird sich doch keine
dumme Frau nehmen. Die könnte ihm doch nur
alles verfahren. Eine dumme Frau ist viel ge-
fährlicher, als du denkst. Doch jetzt hör mal
erst die Geschichte vom dummen August. Der
erzählte mir eines Tages, daß er für dreitausend
Mark Brennholz liefern sollte. Und ich sagte
ihm: verlange nur dreihundert Mark mehr. Und
das tat er auch. Ich aber erzähle die Geschichte
Muttem und sage ihr, sie solle zu der bewußten
Firma hingehen und ihr Brennholz anbieten.
Da nun die Firma soeben den Brief vom August
bekommen hatte, war sie sehr ärgerlich, und
Mutter bekam den Auftrag, für dreitausend
Mark Brennholz zu liefern. Das war ein hübsches
Geschäft, Mutter teilte mit mir. Und August
merkte nichts; der ist so dumm, daß man
lachen muß."
Auguste lachte auch, aber sie sagte dabei:
„Es ist nur gut, daß ich kein Mann bin,
sonst müßte ich mich vor. dir sehr in acht
nehmen."
Johann aber fuhr fort, nachdem sie sich
auf eine Parkbank gesetzt hatten mitten in den
Mondenschein.
„Du ahnst es nicht," sagte er, „woran man
die Dummheit der Menschen erkennt Ich wills dir
erzählen: an seiner Unzufriedenheit erkennt man
den Dummerjahn. Wer so recht unzufrieden mit
seinem Schicksal ist — der ist immer ein kleines
Schaf. Darauf kannst du dich verlassen. Der
kluge Mann fängt alles so an, daß er stets zu-
frieden ist. Wodurch werden denn die Leute
unzufrieden mit ihrem Leben? Doch nur da-
durch, daß sie Dummheiten machen. Mach
keine Dummheiten, so bist du ein zufriedener
Mensch und wirst immer Geld in der Tasche
haben. Wenn ich nun die Dummen suche, so
geh ich also zu den Unzufriedenen. Das sind
diejenigen, die immer gerne Revolution machen."
Da knisterte es hinten im Gebüsch, Johann drehte
sich um, sah über nichts; der Mond beschien nicht
das Gebüsch; zwei Fledermäuse flatterten vor-
über.
Auguste rief:
„Sieh nur die Fledermäuse!"

Johann sah ihnen nach, vergaß, daß es vor-
hin im Gebüsch knisterte, und fuhr in seiner Be-
lehrung fort:
„Mit den Revolutionären," rief er ganz laut,
„ist immer das beste Geschäft zu machen. Da-
rauf kannst du dich verlassen."
„Das solltest du," sagte Auguste rasch und
leise, „nicht so laut sagen, sonst hält man dich
auch für einen Roten — und dann wirst du ein-
gekastelt."
„Hier," rief Johann abermals ganz laut, „wird
uns kein Mensch belauschen. Was ich gesagt
habe, ist eine tiefe Geschäftsweisheit.
So was hörst du nicht alle Tage. Du glaubst
ja gar nicht, wie dumm die Kerls sind. Die Roten
fallen auf alles rein. Sie wären ja gar nicht rot,
wenn sie immer klug gehandelt und ihr Schäfchen
beizeiten ins Trockene gebracht hätten. Wahr-
lich, ich sage dir, an ihre Unzufriedenheit sollst
du die Dummen erkennen. Die machen auch
noch mal eine Revolution — die Kerls sind so
dumm. Ich rede ihnen gut zu und mach mein
Geschäftchen dabei — mit jedem einzeln —
immer anders. Ostern können wir heiraten, liebe
Auguste!"
„Sei nur immer," sagte die Auguste, „schön
vorsichtig, damit sie nichts merken. Sonst ver-
hauen sie dich noch mal. Mit den Roten ist
nicht zu spaßen."
„Ich bin doch kein Dummerjahn," rief nun
ganz erregt der Johann, „ich verstehs, mit Re-
volutionären umzugehen. Jch geh auf alles ein
und rede dann ein paar kluge Worte, spreche über
Revolutionen im allgemeinen —- über russische
und spanische Revolutionäre, daß den Roten ganz
rot vor den Augen wird. Dann sehen sie nicht
mehr ordentlich, und man kann das Geschäft
einleiten. Die Zukunftsrevolutionen . . ."
Bei dem letzten Worte Johannes brachen die
drei Einbrecher aus dem Gebüsch hervor, hiel-
ten drei Revolver dem Johann vor die Nase,
und der Aelteste von den dreien sagte leise:
„Sie sind wegen Aufreizung zur Gewalt und
wegen offenkundiger Geheimbündelei verhaftet;
setzen Sie sich nicht zur Wehr, sonst schießen
wir Sie nieder. Wir sind Geheimpolizisten’und
haben gehört, was Sie sagten. Hier ist meine
Erkennungsmarke."
Danach zeigte der alte Einbrecher dem ver-
blüfften Johann ein altes Stück Blech in der linken
Hand. Auguste fiel in Ohnmacht.
„Meine Herren," sagte Johann leise, „ich
sehe, Sie wollen mit mir ein Geschäft machen,
Da sind Sie grade an den Richtigen gekommen,
denn ich bin ein guter Geschäftsmann. Was be-
kommen Sie denn dafür, wenn Sie mich ver-
haften? Viel doch nicht. Jeder bekommt doch
höchstens zwanzig Mark dafür. Gut! Ich biete
jedem von Ihnen einen Hundertmarkschein,
wenn Sie mich freilassen."
Die Geheimpolizisten sahen einander an, und
dann sagte der Aelteste:
„Die Verhaftung fand vor Zeugen statt."
„Oh!" sagte Johann leise, „meine Auguste
hört und sieht augenblicklich nichts. Sie wird
nachher schon wieder zu sich kommen, und dann
sind sie nicht mehr hier."
Johann holte nach diesen Worten ein kleines
Buch aus der Tasche und entnahm ihm drei
Scheine, die er freundlich den drei Herren über-
reichte. Diese steckten die drei Revolver ein und
die Scheine ebenfalls und verschwanden wieder
im Gebüsch.
Der Hausdiener horchte mit der Hand am
Ohr in den Waldpark hinein, und als er die
Schritte der Verschwundenen nicht mehr hörte,
riß er einen Grashalm aus und kitzelte damit der
Auguste unter der Nase.
Auguste erwachte, sah ganz verwirrt um-
her, und rief dann laut:
„Wo sind die drei?"

„Die,"' versetzte Johann, „hängen da drüben
an der großen Eiche. Siehst du sie nicht? Ich
hab sie umgebracht und dann da drüben auf-
gehängt. Jeder Mensch wird glauben, daß da
drei arme Selbstmörder hängen."
An der Eiche hing auch etwas, und der
Schatten des Mondscheins vergrößerte dieses Et-
was. Auguste sah hin und schrie furchtbar auf
und lief dann wie eine Rasende davon. Johann
lachte ihr nach, daß es schauerlich durch den
Waldpark schallte. Wieder flogen zwei Fleder-
mäuse vorüber und streiften beinahe Johanns
Mütze — das erschreckte ihm aber nicht; er
ging lächelnd nach Hause zu Muttern.
Und Muttern erzählte er lachend die ganze
Geschichte. Mutter schlug die Hände überm
Kopf zusammen, als sie hörte, daß ihr Johann
dreihundert Mark diesen Revolverhelden über-
geben hatte.
Aber Johann lachte immerzu, und die Mutter
sagte schließlich heftig:
„Bist du denn närrisch geworden?"
„Nee," versetzte der biedere Hausdiener und
sehr gute Geschäftsmann, „aber die Scheine waren
ja falsch. Ich bekam sie neulich von einem Ro-
ten, der auch ein guter Geschäftsmann ist. Im
Laden wollten wir die Scheine alle beide nicht
ausgeben — aber, was nicht im Laden geht
das geht doch im Mondenschein. Der Monden-
schein war herrlich, liebe Mutter."
Am nächsten Tage aber kam ein Brief von
der Auguste, die bei Schultze-Bernau im Dienst
stand. In dem Briefe war mit großen zitternden
Buchstaben geschrieben :
Komm nicht wieder zu mir! Sonst zeig ich
dich an. Ich habe Angst vor dir, will deine
Frau nicht werden. So dumm bin ich nicht, wie
du denkst. Ich laß mich nicht an einem Eich-
baum aufhängen. Ich gehe zum August.
Auguste."

Der schwarze Vorhang
Roman
Von Alfred Doblin
Fortsetzung
Warum ich? Sie mag es Liebe heißen.
Warum liebt sie mich, gerade mich? Sie —
liebt, <aber nicht gerade mich; mag sie auch'
noch so zärtlich auf mein: Auge und mein Haar
schauen. Unruhige, lachhafte kleine Zufällchen
haben sich gehoben, um ihre Liebe mir auf das
Haar zu legen, zwischen heute, gestern und
Monaten und Wochen, bis der Kranz dicht und
voll war, in dem wirres, seltenes und gemein
alltägliches blüht.
i Den Kranz muß ich dulden und mich seiner
freuen. Wir leiden unter tausend Qualen, tausend
Wunder entzücken unsre Herzen.
Wir sind alle geborene Dirnen.
Wo ist die Staude, die unbrechbare gerade
Staude, die für mich, für mich gewachsen ist?
Wo ist meine Staude? Mein Geliebtes? — Oh,
die Staude wächst nimmer.
Johannes, was wirft und wälzt sich deine
Schwere? Ach, mich drückt's, daß sie auf solch
klingelndem Schlitten, närrisch vor mein Haus
gefahren kommt.
* *
*
i Und von ihr schwand immer mehr die Klar-
heit und gelassene Sicherheit. Das Geheimnis
ihrer Liebe, das Seltsame und Fremdartige ihres
Gefühls für ihn drängte sie in sich hinein, und
hier wußte sie sich nicht aus.
Sie wusch sich morgens und badete abends,
dazwischen sprang, hüpfte und schritt ihr Leben
wie sonst. Aber wenn sie sich umschaute, fühlte
sie sich verwandelt. Sie war wie tief von innen

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