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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 119/120
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Jung, Franz: Josef
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Nowak, Heinrich: Gedichte
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Beachtenswerte Bücher / Notiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0113

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Aber in seinen Worten zitterte etwas Gehei-
mes. Verstecktes, Lauerndes.
Er sagte: „Wenn du die Sache satt hast, so
geh’“.
Sie lachte gereizt: „Das willst du mir sagen,
du — aber warte!“ Sie zerriß eine Photographie
und warf ihm die Stücke vor die Füße.
„So — sie spuckte wieder aus — ich geh'!“
Dann lief sie dem Haus zu. i
’ Er setzte sich in die Laube und dachter
Was ist eigentlich, warum der Streit? Er ver-
suchte sich der Vorgänge zu erinnern, ich habe sie
zwar gescholten — vorhin — wegen der Bemer-
kungen — aber sie sah mich so feindselig an —
Ja, wieso eigentlich?
In der Laube saß Josef. F
Er achtete nicht auf ihn.
Josef war der kleine Sohn des Wirtes, auf
einer Seite gelähmt. Er fuhr mit dem Finger die
Tischritzen entlang und stieß kurze pfeifende
Schreie aus.
Der Mann achtete nicht auf ihn. Er dachte
weiter: Da unten liegt sicher mein Bild, was wird
sie tun? Was soll das alles — Er sah sich Jahre
zurück, wie er sie liebte, wie er bebte und getrof-
fen wurde. Und schließlich ist sie mit mir ver-
wachsen, fühlte er. Vielleicht ist sie auch über
mich hinaus. Er erschrak.
Nein> zitterte es in ihm, mit dieser Behandlung
ist es nichts. Soll ich ihr nach,, sie küssen, um Ver-
zeihung bitten wie früher — oder still sein?
Rasender Schmerz fraß an ihm.
Er fühlte plötzlich, wie tief er Josef haßte.
Was tut er hier, warum schlägt man ein solches
Vieh nicht tot? Nur zum Ekel lebt er.
Er hörte ihre Stimme. Sie stand in einem Kreis
von Leuten und schien sehr erregt. Sie schrie und
weinte und lachte dann wieder auf.
Josef humpelte scheu aus der Laube heraus.
Ein kleines Mädchen sammelte Steine in einen
Schubkarren.
Josef zeigte auf die Steine und schrie.
Das Mädchen lachte und fragte ihn etwas.
In; der Luft lag Milde. Die Sonne brannte. An
den Kirschbäumen waren die ersten Blüten.
Josef stand mit gesenktem Kopf und lauschte.
Dann schleppte er das eine Bein nach und drehte
sich auf dem anderen langsam herum.
Josef tanzte.
Die Gartentür fiel ins Schloß.
Der Mann in der Laube fuhr auf,, Wenn sie jetzt
geht, dachte er, mag sie mich wieder verleumdet
haben, bespien, alles wieder breitgetreten, vor den
Leuten da, es ist gleich, ganz gleich, und es rang
sich etwas empor in ihm, gewaltsam, es war für
ihn schon zu spät darüber klar zu werden, er
schrie verzweifelt: „Du — Du .... “
Aber es klang hart und rauh und befehlend.
Er schrak zusammen, gestand sich, daß es
weich und mild hätte klingen sollen.
Es war zu spät.
Doch er fühlte sofort: Nein, nicht zu spät. Sie
wird wiederkommen, vielleicht wird es doch wir-
ken. Sie wird sich damit beschäftigen. Ich werde
sie dann prügeln, wie, früher, als sie auf dem Boden
lag und ich ihr den Haß aus den Augen schlug. Sie
braucht das. Was tuts, ich verliere einige Stunden,
was tuts.
Eine Unruhe hatte ihn erfaßt.
Er rief den Wirt und zeigte lachend auf Josef.
Auch der Wirt lachte. Dann ging er zu seinem
Sohn und faßte ihn grob am Arm.
„Was tust du hier? Habe ich dir nicht ver-
boten?“
Josef hing regungslos in der Faust des Vaters.
Er gab keinen Laut von sich, als man ihn in
seine Bodenkammer schleppte.
Der Mann ging im Garten auf und ab.
Ich werde sie doch anders behandeln, dachte
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er, mehr nach außen, mit Liebe. Wenn sie kommt,
werde ich vielleicht vorerst gut zu ihr sein,
Er wurde zufrieden und lächelte. Die Stücke
seines Bildes hob er auf und verwahrte sie in sei-
ner Brusttasche. Sie wird sich freuen, fühlte er.
Das Mädchen sammelte weiter Steine.
Ab und zu erschien Josef in der Dachluke und
stieß schrille, pfeifende Schreie aus.
Es klang wie der Schrei wandernder Affen im
Urwald.
Der Wirt bediente lächelnd seine Gäste. Wenn
man ihn totschlagen könnte, dieses Rabenas,
knurrte er, und bediente lächelnd weiter.
Spätabends kam sie heim.
Er saß im Zimmer und wartete.
Sie beobachtete ihn lauernd und sagte schnell:
„Weißt du, wen ich getroffen habe, den T. Es war
riesig nett“. ’
„Laß nur. Eigentlich wollte ich mit dir noch
fortgehen, aber jetzt.“
„Ach ja. Er wird noch warten,, im Cafe, er
wußte nicht . . . “ fügte sie schelmisch hinzu.
Er stimmte traurig zu. Eine Angst quälte ihn.
Nur keine weiteren Worte, und wie gehetzt er-
zählte er von Josef, dem Tanz und dem Wirt und
nannte ihn irgendwie.
Seine Worte bekamen Würde, daß sie erstaunt
zu ihm aufsah.
Dann schritten sie schweigend durch die Nacht.

Gedichte
Der liebende Knabe
Die Zeit geht durch die Nacht im Uhrenticken —
auf einen Knabenleib drückt Schwüle schwer —-
und Kraft ergießt sich dann in Augenblicken
die Hand fühlt Glieder und gefällt sich sehr —
Bald greift sie in der weißen Decke Brüste,
aus Dunkelheit türmt sich ein Frauenleib,
verlockend gibt er jetzt einsame Lüste,
und alle Dinge ringsum sind nur Weib —

Heinrich Nowak

Durch die Nacht
Ein Auto jagt vorbei auf schiefen Rädern,
die Steine schaukeln wie auf weichen Federn
und laufen wippend unter allen Füßen —
Zwei Häuser türmen sich zu Hindernissen —•
Ueppige Weiberbrüste gehn spazieren
ein Gasthausschild wird sich noch strangulieren.
Die weißen Bogenlampenlichter kreischen.
Ein offnes Fenster will sich gar zerfleischen —
Die Nacht krallt ihre Finger, in die Gassen.
Ein geiler Mensch will eine Dirne fassen.
Ein Winterrock wird sich durch Gehn ermüden
Und spricht in großen Gesten Plattitüden —.
Heinrich Nowak
Wegen »ianeutetellender Druckfehler wiederholt.

Beachtenswerte Bücher

Ausführliche Besprechung Vorbehalten
Rücksendung findet in keinem Falle statt
BOTHO GRAEF
Hodlers und Hofmanns Wandbilder in der Unk
versität Jena
Verlag Eugen Diederich’s Jena

FRANCIS VIELe GRIFFIN
La Lumiere de Grece
Paris Editionsde la Nouvclte Reoue Fran<;aise /
Marcel Riviere et Cie
THADDÄUS RITTNER
Ich kenne Sie / Novellen
Wien und Leipzig / Deutsch-Oester reichischer
Verlag
ALDO PALAZZESCHI
II Codice di Perelä
Romanzo Futurista
Mailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
ALBERT EHRENSTEIN
Der' Selbstmord eines Katers / Novellen
München / Verlag Georg Müller
F. T, MARINETTI
Distruzione / Poema
Mailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
La Momie sanglante
Poeme dramatique
Editions du „Verde, e Azzuro“ / Milan
D’Annunzio intime
4e editipn
Editions du „Verde e Azzuro“ / Milan
Le Roi Bombance
Tragödie satirique, 3e edition
Edition du „Mercure de France“ / Paris
La Ville Charnelle
4e ödition
E. Sansot et Cie. / öditeurs / Paris1
CARL DALLAGO
Philister
Brejiner-Verlag / Innsbruck. ’
KARL KRAUS *
Nestroy und die Nachwelt
zum fünfzigsten Todestag
Verlag Jahoda und Sieget/Wien
PIERRE HAMP
Vieille Histoire
Contes ecrits dans le Nord
Paris / Editions de la Nouvelle Revue Franchise/
Marcel Riviere et Co
SVEND BORBERD
Liliths Bog
Kopenhagen / Gyldendals Forlag
NICOLAS BEAUDUIN
Les Poetes
Paris / E. Basset et G‘® / Editeurs
JEAN BONNEROT
Province / Carnets de Vogoge
Monlins [Allier] / Les Cahiers du Cenire
AAGE VON KOHL
Der Weg durch die Nacht / Roman
Verlag Rütter und Loening / Frankfurt am Main

Notiz


Die Holzschnitte auf der fünften Seite jeder
Nummer sind von Mitgliedern der Neuen Sezession.
Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE


Ständige Ausstellungen
der Zeitschrift Der Sturm
Königin-Augusta-Strasse 51
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Zurückgestellte Bilder
des Sonderbundes/Köln
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