Möge der Mann, von der Familie befreit,
ein Leben voll Kühnheit und Eroberung führen,
wenn er die physischen Kräfte besitzt, als Sohhj
oder Vater. Der Mann, der sät, hält nicht be?
der ersten Furche, die er düngt.
In meinen „Poemes d’orgueil" und in „La
soif et les mirages" habe ich den Sentimentalist
mus verleugnet als eine verächtliche Schwäche,
der die Kraft vermindert und tötet.
Die Wollust ist eine Kraft, weil sie die
Schwachen zermalmt, die Starken zur Hingabe
von Kräften, also zu ihrer Erneuerung erregt.
Jedes heroische Volk ist sinnlich. Die Frau ist
der verlockendste Preis.
Die Frau muß Mutter oder Geliebte sein.
Wahre Mütter sind immer mäßige Geliebte, und
Geliebte mäßige Mütter. Im Leben ergänzen sich
beide. Die gebärende Mutter bringt mit der Ver-
gangenheit die Zukunft, die Geliebte verkündet
die Sehnsucht nach der Zukunft.
Schluß: die Frau, die durch ihre Tränen)
und durch ihre Sentimentalität den Mann zu, ihren!
Füßen zurückhält, ist verächtlicher als das Mäd-
chen, das aus Prahlerei ihren Liebhaber dazu
treibt, mit dem (Revolver in der Hand seine)
prahlerische Herrschaft über die Niederungen der
Stadt zu behaupten; sie zeigt wenigstens pinei
einer besseren Sache würdigen Energie.
Frauen, ihr wäret zu lange in Moral tund
Vorurteilen irrgläubig; kehrt zu eurem erhabenen
Instinkt zurück, zur Wildheit, zur Grausamkeit.
Während die Männer siph bekriegen und)
kämpfen, schafft ihr Kinder als blutigen Tribut
für den Krieg und den Heroismus, denkt an'
die Forderung des Schicksals. Laßt sie wachsen
nicht für euch, für euer Vergnügen, sondern in
schrankenloser Freiheit zur Blüte.
Statt die Männer unter das Joch der erbärm-
lichen sentimentalen Bedürfnisse zu bringen,
treibt eure Söhne, eure Männer, sich selbst zu
übertreffen.
j Ihr schafft sie. Ihr könnt alles über sie.
Ihr Schuldet der Menschheit Helden. Gebt sie
ihr!
Autorisierte Uebertragung von Jean-Jacques
Fritz Stahl
i
Ich habe die Absicht, einen Bürger, den
den ich für aufrichtig halte und daher gesell-
schaftlich achte, aus Amt und Würden zu jagen.
Ich werde todernst sein; niemand soll mir nach-
sagen können, ich habe wo einen Witz machen
wollen. Stinktiere, welche im Grunde den Kitsch
lieben, aber pathosdick eintreten für Kunstwerke,,
die bereits so anerkannt sind, daß man sich bla-
möre, wenn ... (Stinktiere, welche, beispielsweise,
einem neuartig-kraftvollen jungen Dichter die
Mitarbeit grundlos verweigern, aber nach seinem
sensationellen Tode den Verleger sofort um eine
Novelle anschnorren): Stinktiere müssen brutal
behandelt, mit den unzulässigsten Mitteln be-
kämpft werden. Doch einen Ehrenmann schlage
ich zyniklos.
II
Von Literatur verstehe ich gar nichts. Denn
als ich, um von ihr etwas zu lernen, neunzehn-
jährig zu Professor Ludwig Geiger lief, hörte
ich: „Wir kommen nunmehr zu Paragraph 14:
Goethes Lyrik", dachte: „Aha, Literatur ist ein
Reglement oder eine Logarithmentafel" und lief
wieder weg. Ebensowenig verstehe ich von
Malerei; denn als ich einen Professor, mit vir-
tuoser Anschaulichkeit und einem langen beth-
mannesken Zeigestock, Gebärden und Geometrica
auf Raffael-Tafeln demonstrieren sah, vermutete
ich, mein ursprünglicher Gedanke, Malkunst be-
deute etwas Frohes und Wildes, sei ein Vorurteil;
in Wahrheit sei sie . , eine (Strafverschärfung;
und eilte wiederum von dannen.
III
Aber oft, ich weiß nicht wie, geschieht mir's,
daß etwas Gemaltes mich . . ja welche Aus,-
drücke sind da die angemessenen)? . . mich in
Erstaunen oder Rührung oder Ekstase bringt;
mich beben oder jubeln oder beten macht. In
solchen Fällen denke ich manchmal, es müßte
andern Leuten ebenso gehen; und die Erreger
so erhabener Gefühle müßten von der Ein-
wohnerschaft aufs höchste geehrt, ja odoriert
werden. Namentlich solange sie noch unver-
storben sind. . . Die Zeitungen (deren oberste,
nein einzige Aufgabe es ist, von wichtigen Er-
eignissen Mitteilung zu machen) müßten die
Namen dieser herrlichen Zauberer dem Uni-
versum mit Posaunen der Ehrfurcht verkünden.
Das Leben hat vielleicht keinen Sinn; aber wenn
es einen hat, dann kann er doch nur in jenen
seltsamen Erschütterungen des Gemüts bestehen,
die durch Liebe und Kunst erzeugt werden.
IV
In letzter Zeit bestürzten uns durch glühende
Klarheit und bewegte Tiefe manche Maler; aus
Oesterreich, Deutschland, Frankreich, Belgien,
Italien; ich nenne (ohne lyrische Einzelepitheta):
Oskar Kokoschka; Teile des Kreises „Neue
Sezession"; Picasso, de Vlaminck, De-
launey; zuletzt — und vielleicht am stärksten
— Umberto Boccioni und Severini.
Jeder von diesen allein bedeutete uns mehr als
die Gesamtheit der ewig gleichen Akademiker
in Salons, Glaspalästen, Sezessionen . . . Der
Kunstreferent nun des einflußreichsten deutschen
Tage-Blattes, der sämtliche Salon-, Palast- und
Sezessionspintscherchen mit einem, wenn auch
kalten, Wohlwollen zu verzeichnen pflegt, hat
jene großen Namen teils verschwiegen, teils mit
Spott übergossen. Er übersieht Titanen, als wären
es kleine Leute; und Genies denunziert er als
Wahnsinnige. Er hat den Mut, sich zu blamieren ;
den Mut, späteren Läuften seinen Namen her-
zugeben als schlagworthafte Bezeichnung für
einen total unfähigen Beurteiler, für einen be-
schränkten Feind der Jugend, für einen Wider-
sacher der umstürzenden Größe, der Kraft, der
Kunst; er hat den Mut, unfreiwilliger Organisator
eines Gelächters aller Famosen zu werden. Er
heuchelt mitnichten; er stellt sich heraus; er ist
(und darum achte ich ihn) eine ehrliche Haut.
Aber bürgerliche Achtung kann den, der sich
solidarisch fühlt mit allen erfreuenden Neuerern,
von der Sehnsucht, einen Schädling auszurotten,
nicht abbringen. Herr Stahl wagt es, die Futu-
risten (in deren Ausstellung, einem glaubhaften
Gerücht zufolge, Max Liebermann drei Stunden
verweilt hat) in pauschquanto als „Verrückte"
!zu proklamieren. Seine Mission ist: dem ver-
ruchten Haß der Menge gegen die Auserwählten
das gute Gewissen: zu geben; die gemeinen
Instinkte selbstsicher zu machen. Anstatt dem)
dreckigen Geldverdiener zu suggerieren, er müsse
Bilder dieser Maler kaufen, bestätigt Stahl ihm
das vermeintliche Recht, zu grinsen, zu feixen,
zu geifern.
; i v
Es gibt kaum die Möglichkeit, einen Herrn,
der im Antlitz einen Vollbart und fast ein halbes
Jahrhundert auf dem Buckel trägt, in Kunst-
dingen umzustimmen. Auch die fanatischsten
Modelversuche würden fehlschlagen. Ihm aber
das Ansinnen zu stellen, gegen seine Ueber-
zeugung zu schreiben, wäre unsittlich. Ich sehe
also nur den einen Weg zur Besserung (zur
Besserung der Zustände nämlich): er lasse sich
pensionieren. Eine Zeitung — ich wiederholte
das, pflichtgemäß, zum hundertundsiebzehnten,
Male —, die auf ihre Reputation hält; eine
Zeitung, die wirklich den „kulturellen Fort-
schritt" zu fördern sucht; eine Zeitung, (die
radikal . . nicht bloß in Steuer-, Zoll- und sonsti-
gen Portemonnaieangelegenheiten, sondern auch'
in geistigen Dingen radikal sein will —: ein)e
.derartige Zeitung darf Herrn Fritz Stahl als
Meinungsmacher in Malereifragen einfach nicht
mehr dulden. Diese (unliterarische) Wahrheit,
als welche so sicher ist wie das Einmaleins und
so ennuyant wie die Erkenntnistheorie, muß so
lange, und mit Aplomb, geäußert werden, bis
'die Herren Mosse und Theodor Wolff sich'
gütigst entschlössen haben. ...
' VI
Die Vermögensverhältnisse Stahls sind mir
unbekannt. Sollten sie, was ich nicht hoffe,
schlechte sein, so w,ird Herr Rudolf Mosse
(Inhaber eines stark achtstelligen Schatzes) es
leicht haben, dem langjährigen Mitarbeiter eine
sehr anständige Altersrente auszusetzen. Jeden-
falls ist Wehleidigkeit, wo Interessen der Kunst
(auch: der Philosophie) auf dem Spiele stehen,
völlig unangebracht. Zugegeben, daß ein Ex-
sultan etwas Beweinenswertes ist; aber es sind
eben, messieurs, die Jungtürken, auf die es an-
kommt. Und gewiß: auch uns, die Herrschenden,
wird man dereinst verjagen; jedoch was küm-
mert das uns, die Erobernden?!
Kurt Hiller
Der schwarze Vorhang
Roman
Von Alfred Döblin
Fortsetzung
Der schwere Breitstirnige und die Kühle mit
dem roten Haar schritten zusammen. Das zog
viele Blicke an und bewegte viele Münder. Jo-
hannes hörte einmal hinter seinem Rücken von
Liebe flüstern. Wie Fliegensummen berührte
solch Reden Johannes; er zuckte und lächelte.
Was wußten auch die Wortschäumer von ihm.
Und die Liebe, die sie meinten: eine artige Kin-
derei wie Puppenspielen, Wettlaufen, Kuchen-
backen. Er fand aber, daß) die Menschen aufdring-
lich vertraut wurden, indem sie ihm ihre nied-
lichen Torheiten unterschoben. Ob er sie nicht
wieder von sich abschütteln sollte und die Narren
zu den Narren zurückweisen ? Irene meiden ?
Das hieße aber nichts, als vor ihnen fliehen und
sich selber die Narrenkappe aufsetzen. Er wollte
sich durch ihr lästiges Summen nicht beirren
Hassen. Und ein leichter Trotz hielt ihn jetzt
an Irene und gerade an sie. — Wenn seine Ge-
danken an sie bisher nur blasse Allerweltsfarben
trugen, von einer vorübergehenden Dankbarkeit,
einer schwachen Ueberlegenheit; einer netten
Verachtung und einer spielerischen Neugier —
denn jene wilde Erschütterung schwang nur noch
sehr leise nach — so nahmen sie jetzt eine eigene
trotzig dunkle Farbe an.
Seine Freude an der spöttischen Verachtung
der Schwätzer und dieser verschwiegene Trotz)
ließen ihn oft mit dem1 Worte Liebe spielen.j Wäh-
rend er eines Tages mit Irene ging und! plauderte,
und von dem Gedanken überwältigt, wie sanft
sich doch alles nach jenen Stürmen gewendet
hatte, vor Glück und Dankbarkeit überschwoll,
sann er auf ein Geschenk; für die gütige, die sich
seiner angenommen hatte und ihn jetzt bewahrte.,
Er wollte sich ihr ganz) unterwerfen, er wollte sie
Schmücken, wie es leise zarte Worte tun, die
er so schwer seiner Stimme abrang und Irenen;'
doch gerne darbot. Von jener überschwänglichen)
Verehrung, die seine eben flügge Jugend den’
fremden, zarten, feinstimmigen Wesen entgegen-
gebracht hatte, zog die Dankbarkeit für Irene
nun wieder etwas herauf. Nach dem feinen köst-
lichen Geschenke in welchem er seine Demut
bekunde, suchte er; da fiel ihm jenes artige
27
ein Leben voll Kühnheit und Eroberung führen,
wenn er die physischen Kräfte besitzt, als Sohhj
oder Vater. Der Mann, der sät, hält nicht be?
der ersten Furche, die er düngt.
In meinen „Poemes d’orgueil" und in „La
soif et les mirages" habe ich den Sentimentalist
mus verleugnet als eine verächtliche Schwäche,
der die Kraft vermindert und tötet.
Die Wollust ist eine Kraft, weil sie die
Schwachen zermalmt, die Starken zur Hingabe
von Kräften, also zu ihrer Erneuerung erregt.
Jedes heroische Volk ist sinnlich. Die Frau ist
der verlockendste Preis.
Die Frau muß Mutter oder Geliebte sein.
Wahre Mütter sind immer mäßige Geliebte, und
Geliebte mäßige Mütter. Im Leben ergänzen sich
beide. Die gebärende Mutter bringt mit der Ver-
gangenheit die Zukunft, die Geliebte verkündet
die Sehnsucht nach der Zukunft.
Schluß: die Frau, die durch ihre Tränen)
und durch ihre Sentimentalität den Mann zu, ihren!
Füßen zurückhält, ist verächtlicher als das Mäd-
chen, das aus Prahlerei ihren Liebhaber dazu
treibt, mit dem (Revolver in der Hand seine)
prahlerische Herrschaft über die Niederungen der
Stadt zu behaupten; sie zeigt wenigstens pinei
einer besseren Sache würdigen Energie.
Frauen, ihr wäret zu lange in Moral tund
Vorurteilen irrgläubig; kehrt zu eurem erhabenen
Instinkt zurück, zur Wildheit, zur Grausamkeit.
Während die Männer siph bekriegen und)
kämpfen, schafft ihr Kinder als blutigen Tribut
für den Krieg und den Heroismus, denkt an'
die Forderung des Schicksals. Laßt sie wachsen
nicht für euch, für euer Vergnügen, sondern in
schrankenloser Freiheit zur Blüte.
Statt die Männer unter das Joch der erbärm-
lichen sentimentalen Bedürfnisse zu bringen,
treibt eure Söhne, eure Männer, sich selbst zu
übertreffen.
j Ihr schafft sie. Ihr könnt alles über sie.
Ihr Schuldet der Menschheit Helden. Gebt sie
ihr!
Autorisierte Uebertragung von Jean-Jacques
Fritz Stahl
i
Ich habe die Absicht, einen Bürger, den
den ich für aufrichtig halte und daher gesell-
schaftlich achte, aus Amt und Würden zu jagen.
Ich werde todernst sein; niemand soll mir nach-
sagen können, ich habe wo einen Witz machen
wollen. Stinktiere, welche im Grunde den Kitsch
lieben, aber pathosdick eintreten für Kunstwerke,,
die bereits so anerkannt sind, daß man sich bla-
möre, wenn ... (Stinktiere, welche, beispielsweise,
einem neuartig-kraftvollen jungen Dichter die
Mitarbeit grundlos verweigern, aber nach seinem
sensationellen Tode den Verleger sofort um eine
Novelle anschnorren): Stinktiere müssen brutal
behandelt, mit den unzulässigsten Mitteln be-
kämpft werden. Doch einen Ehrenmann schlage
ich zyniklos.
II
Von Literatur verstehe ich gar nichts. Denn
als ich, um von ihr etwas zu lernen, neunzehn-
jährig zu Professor Ludwig Geiger lief, hörte
ich: „Wir kommen nunmehr zu Paragraph 14:
Goethes Lyrik", dachte: „Aha, Literatur ist ein
Reglement oder eine Logarithmentafel" und lief
wieder weg. Ebensowenig verstehe ich von
Malerei; denn als ich einen Professor, mit vir-
tuoser Anschaulichkeit und einem langen beth-
mannesken Zeigestock, Gebärden und Geometrica
auf Raffael-Tafeln demonstrieren sah, vermutete
ich, mein ursprünglicher Gedanke, Malkunst be-
deute etwas Frohes und Wildes, sei ein Vorurteil;
in Wahrheit sei sie . , eine (Strafverschärfung;
und eilte wiederum von dannen.
III
Aber oft, ich weiß nicht wie, geschieht mir's,
daß etwas Gemaltes mich . . ja welche Aus,-
drücke sind da die angemessenen)? . . mich in
Erstaunen oder Rührung oder Ekstase bringt;
mich beben oder jubeln oder beten macht. In
solchen Fällen denke ich manchmal, es müßte
andern Leuten ebenso gehen; und die Erreger
so erhabener Gefühle müßten von der Ein-
wohnerschaft aufs höchste geehrt, ja odoriert
werden. Namentlich solange sie noch unver-
storben sind. . . Die Zeitungen (deren oberste,
nein einzige Aufgabe es ist, von wichtigen Er-
eignissen Mitteilung zu machen) müßten die
Namen dieser herrlichen Zauberer dem Uni-
versum mit Posaunen der Ehrfurcht verkünden.
Das Leben hat vielleicht keinen Sinn; aber wenn
es einen hat, dann kann er doch nur in jenen
seltsamen Erschütterungen des Gemüts bestehen,
die durch Liebe und Kunst erzeugt werden.
IV
In letzter Zeit bestürzten uns durch glühende
Klarheit und bewegte Tiefe manche Maler; aus
Oesterreich, Deutschland, Frankreich, Belgien,
Italien; ich nenne (ohne lyrische Einzelepitheta):
Oskar Kokoschka; Teile des Kreises „Neue
Sezession"; Picasso, de Vlaminck, De-
launey; zuletzt — und vielleicht am stärksten
— Umberto Boccioni und Severini.
Jeder von diesen allein bedeutete uns mehr als
die Gesamtheit der ewig gleichen Akademiker
in Salons, Glaspalästen, Sezessionen . . . Der
Kunstreferent nun des einflußreichsten deutschen
Tage-Blattes, der sämtliche Salon-, Palast- und
Sezessionspintscherchen mit einem, wenn auch
kalten, Wohlwollen zu verzeichnen pflegt, hat
jene großen Namen teils verschwiegen, teils mit
Spott übergossen. Er übersieht Titanen, als wären
es kleine Leute; und Genies denunziert er als
Wahnsinnige. Er hat den Mut, sich zu blamieren ;
den Mut, späteren Läuften seinen Namen her-
zugeben als schlagworthafte Bezeichnung für
einen total unfähigen Beurteiler, für einen be-
schränkten Feind der Jugend, für einen Wider-
sacher der umstürzenden Größe, der Kraft, der
Kunst; er hat den Mut, unfreiwilliger Organisator
eines Gelächters aller Famosen zu werden. Er
heuchelt mitnichten; er stellt sich heraus; er ist
(und darum achte ich ihn) eine ehrliche Haut.
Aber bürgerliche Achtung kann den, der sich
solidarisch fühlt mit allen erfreuenden Neuerern,
von der Sehnsucht, einen Schädling auszurotten,
nicht abbringen. Herr Stahl wagt es, die Futu-
risten (in deren Ausstellung, einem glaubhaften
Gerücht zufolge, Max Liebermann drei Stunden
verweilt hat) in pauschquanto als „Verrückte"
!zu proklamieren. Seine Mission ist: dem ver-
ruchten Haß der Menge gegen die Auserwählten
das gute Gewissen: zu geben; die gemeinen
Instinkte selbstsicher zu machen. Anstatt dem)
dreckigen Geldverdiener zu suggerieren, er müsse
Bilder dieser Maler kaufen, bestätigt Stahl ihm
das vermeintliche Recht, zu grinsen, zu feixen,
zu geifern.
; i v
Es gibt kaum die Möglichkeit, einen Herrn,
der im Antlitz einen Vollbart und fast ein halbes
Jahrhundert auf dem Buckel trägt, in Kunst-
dingen umzustimmen. Auch die fanatischsten
Modelversuche würden fehlschlagen. Ihm aber
das Ansinnen zu stellen, gegen seine Ueber-
zeugung zu schreiben, wäre unsittlich. Ich sehe
also nur den einen Weg zur Besserung (zur
Besserung der Zustände nämlich): er lasse sich
pensionieren. Eine Zeitung — ich wiederholte
das, pflichtgemäß, zum hundertundsiebzehnten,
Male —, die auf ihre Reputation hält; eine
Zeitung, die wirklich den „kulturellen Fort-
schritt" zu fördern sucht; eine Zeitung, (die
radikal . . nicht bloß in Steuer-, Zoll- und sonsti-
gen Portemonnaieangelegenheiten, sondern auch'
in geistigen Dingen radikal sein will —: ein)e
.derartige Zeitung darf Herrn Fritz Stahl als
Meinungsmacher in Malereifragen einfach nicht
mehr dulden. Diese (unliterarische) Wahrheit,
als welche so sicher ist wie das Einmaleins und
so ennuyant wie die Erkenntnistheorie, muß so
lange, und mit Aplomb, geäußert werden, bis
'die Herren Mosse und Theodor Wolff sich'
gütigst entschlössen haben. ...
' VI
Die Vermögensverhältnisse Stahls sind mir
unbekannt. Sollten sie, was ich nicht hoffe,
schlechte sein, so w,ird Herr Rudolf Mosse
(Inhaber eines stark achtstelligen Schatzes) es
leicht haben, dem langjährigen Mitarbeiter eine
sehr anständige Altersrente auszusetzen. Jeden-
falls ist Wehleidigkeit, wo Interessen der Kunst
(auch: der Philosophie) auf dem Spiele stehen,
völlig unangebracht. Zugegeben, daß ein Ex-
sultan etwas Beweinenswertes ist; aber es sind
eben, messieurs, die Jungtürken, auf die es an-
kommt. Und gewiß: auch uns, die Herrschenden,
wird man dereinst verjagen; jedoch was küm-
mert das uns, die Erobernden?!
Kurt Hiller
Der schwarze Vorhang
Roman
Von Alfred Döblin
Fortsetzung
Der schwere Breitstirnige und die Kühle mit
dem roten Haar schritten zusammen. Das zog
viele Blicke an und bewegte viele Münder. Jo-
hannes hörte einmal hinter seinem Rücken von
Liebe flüstern. Wie Fliegensummen berührte
solch Reden Johannes; er zuckte und lächelte.
Was wußten auch die Wortschäumer von ihm.
Und die Liebe, die sie meinten: eine artige Kin-
derei wie Puppenspielen, Wettlaufen, Kuchen-
backen. Er fand aber, daß) die Menschen aufdring-
lich vertraut wurden, indem sie ihm ihre nied-
lichen Torheiten unterschoben. Ob er sie nicht
wieder von sich abschütteln sollte und die Narren
zu den Narren zurückweisen ? Irene meiden ?
Das hieße aber nichts, als vor ihnen fliehen und
sich selber die Narrenkappe aufsetzen. Er wollte
sich durch ihr lästiges Summen nicht beirren
Hassen. Und ein leichter Trotz hielt ihn jetzt
an Irene und gerade an sie. — Wenn seine Ge-
danken an sie bisher nur blasse Allerweltsfarben
trugen, von einer vorübergehenden Dankbarkeit,
einer schwachen Ueberlegenheit; einer netten
Verachtung und einer spielerischen Neugier —
denn jene wilde Erschütterung schwang nur noch
sehr leise nach — so nahmen sie jetzt eine eigene
trotzig dunkle Farbe an.
Seine Freude an der spöttischen Verachtung
der Schwätzer und dieser verschwiegene Trotz)
ließen ihn oft mit dem1 Worte Liebe spielen.j Wäh-
rend er eines Tages mit Irene ging und! plauderte,
und von dem Gedanken überwältigt, wie sanft
sich doch alles nach jenen Stürmen gewendet
hatte, vor Glück und Dankbarkeit überschwoll,
sann er auf ein Geschenk; für die gütige, die sich
seiner angenommen hatte und ihn jetzt bewahrte.,
Er wollte sich ihr ganz) unterwerfen, er wollte sie
Schmücken, wie es leise zarte Worte tun, die
er so schwer seiner Stimme abrang und Irenen;'
doch gerne darbot. Von jener überschwänglichen)
Verehrung, die seine eben flügge Jugend den’
fremden, zarten, feinstimmigen Wesen entgegen-
gebracht hatte, zog die Dankbarkeit für Irene
nun wieder etwas herauf. Nach dem feinen köst-
lichen Geschenke in welchem er seine Demut
bekunde, suchte er; da fiel ihm jenes artige
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