Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

DOI Heft:
Nr. 142/143
DOI Artikel:
Ehrenstein, Albert: Die Filmlöwen sind los
DOI Artikel:
Ehrenstein, Albert: Der Ritter Rococo
DOI Artikel:
Ehrenstein, Albert: Spruch
DOI Artikel:
Ehrenstein, Albert: Herbst
DOI Artikel:
Ehrenstein, Albert: Frühes Leid
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0246

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gerechten Strafe gegeben wurde. Spartacus ap-
portiert den ungetreuen Franz und entseelt den
Leichnam des Rachsüchtigen: pro domo et mundo.
Ein, für mein Gefühl, herzergreifender Ausgang ...

Der Ritter Rococo
Der Ritter Rococo
ritt auf seinem Pferde
weit weg von seiner Burg,
Der schönen, die da hieß Reim auf „erde“.
Weit weg von seinem Weib,
der schönen, die da hieß Reim auf „urg“,
Als Rococo von seinen Buhurten
kam, da winkte nicht sein Weib
vom Söller mit dem. weißen
Seidentuche, der alte Reim auf „urten“,
so hieß der graue Knappe,
kam nicht entgegen, wie geheißen,
bis zur dürren Föhre. Rappe,
das Roß, zog scheu den Weg
zur Burg, der bleichen, todesstillem
Der Ritter dann sprang ab
und eilte rufend seiner Fraue
Namen seiner Säle Geheg
durch, durch Todesstillen.
Und an der kahlen Mauer ab
eine Spinne sich Verhaue
machte, ganz dem Ort gemäß,
und das allein der Ritter sah.
Und wieder eilte hin und her,
der Ritter Rococo,
schon nicht mehr klagend, seinem Sinn gemäß,
doch Tränenspuren viel man sah,
wo sein rüstungswnnder Fuß
sorgend eilte hin und her.
Doch endlich als zum erstenmal
ms Schlafgemach des Ritters Fuß
trat, lag so bleich und kalt und kühl
wie Marmorstein die Frau im Pfuhl.
Und bald lag bleich und kalt und kühl,
so sanft umschlungen mit der Frau,
der Ritter Rococo.
Albert Ehrenstein (1902)

Spruch
Solang du noch Knabe bist,
lieb es zu wandeln im Sturme,
ein leichtes Lächeln pfeife
allen den Winden.
Und wenn dann,
in immer anderen Orkanen
das Leben kommt,
siehe, dann wuchs es dich längst
schlank und fest.
Albert Ehrenstein (1904)

Herbst
Schon sind meine Haare weiß:
aus der Höhe
fällt die Zeit
in Tropfen mir
auf meine Stirn,
von unten kommt
die Ewigkeit:
schläft der Fuß,
starrt zu Eis,
aufwärts, bis der Tod im Greis
Zeit vermählt
und Ewigkeit.
Albert Ehrenstein

Frühes Leid
Von Albert Ehrenstein
Ich war kein Tierfreund, eher vielleicht ein
tyrannischer Beobachter der Tiere. Seit jeher reizte
es mich, diesen schwachen Wesen zuzusehen, mit-
zuspielen, Herrschaft über sie auszuüben, da ich
die Menschen nicht knechten konnte. Ich ging ja
in die Schule, war Sklave von Rohrstäben, Katalo-
gen, Klassenbüchern und Zensurzetteln. Und da-
heim saßen grausame Zieheltern, die meine Abnei-
gung gegen das Leben nährten, indem sie mich
stets zum Essen zwangen, zur Strafe mit den wi-
derwärtigsten Speisen traktierten, wenn ich den
grammatikalischen Kram nicht wissenswert fand.
Die Existenz von Schulbüchern war doch eine
Gnade meinerseits? Nein! man begnügte sich un-
bescheidenerweise nicht damit, daß ich das Vor-
handensein derartiger Materien hypothetisch an-
nahm. gelten ließ, ich sollte sie empfangen, die Bü-
cher sollten in mich übergehen und ich Buch wer-
den. Passte mir diese Besessenheit nicht, reagierte
ich auf solche Vernichtung meines Ichs sauer oder,
was meistens geschah: ließ ich mich auf derlei
Provokationen überhaupt nicht ein, sah man in mei-
nem Vorgehen alles eher denn Selbstbewahrung.
Meine früh erwachte Aversion dagegen, Gedichte
anderer Schriftsteller auswendig zu lernen, von ma-
thematischen Formeln koitiert zu werden, diese
eminent männliche Eigenschaft hieß auf einmal
Faulheit und man entleerte über mich ein Füllhorn
von Strafen.
Ich besaß eine kleine Kaninchenzucht. Gab ich
mich mit Hühnern und Tauben ab, fesselten den
Verwachsenen, der für seine Person Raufereien
scheute und mied, die schonunglosen Kämpfe
zwischen rivalisierenden Hähnen oder Taubern.
Blutliebe war es, Freude an diesen ebenso form-
strengen als gefühlsheißen Duellen, die erbittert
und unerbittlich bis zur Entscheidung ausgetragen
wurden. Bei meiner Zucht, bei meinem Kult von
übrigens unfreiwilligen Mitgliedern der Friedens-
gesellschaft, den pazifistisch angehauchten Kanin-
chen gegenüber hatte ich lautere Motive. Ich er-
götzte mich an rein vegetativen Prozessen, freute
mich, wie die jungen Tierchen schnupperten und
dann mit langen Froschsprüngen herbeieilten, um
mir die Kohlblätter aus der Hand zu fressen. Aber
Kohl — der kostete Geld, ein paar Pfennige täglich,
und die Fütterung und Wartung fraß Zeit, die ich
nach Ansicht meiner Pflegeeltern besser an das
Studium gewendet hatte. Ihr ewiges: „Hugo,
lerne!“ scholl an mir vorbei, ich betrachtete die un-
regelmäßigen Zeitwörter als Verbalinjurien und

wußte mir etwas Besseres, als Verben reiten, kon-
jugieren: Kaninchen. Die waren mein Trost, halfen
mir mit ihren Farben- und Bewegungen über
schlechten Ausfall der Schularbeiten und Mittag-
mahle hinweg. Bekam ich zu Weihnachten eine
üble Zensur und wurde demgemäß statt jeden an-
deren Geschenkes strafweise täglich diejenige
Speise aufgeführt, die ich am stärksten haßte:
Sauerkraut — und noch dazu in ungebranntem Zu-
stande — flüchtete ich nach Tisch zu den Kanin-
chen. Und siehe da! es gab Wesen, denen die
Verabreichung dieses Giftes, die Ausspeisung mit
Krautblättern Glücksaugenblicke schuf, Wesen, die
mir, dem göttergleichen Spender, durch ihr zufrie-
den-geräuschvolles Mahl zu einigem Selbstgefühle
verhalfen und nicht genug daran: sozusagen durch
die Vernichtung eines Teiles des Sauerkrautbe-
standes der Welt mir dankbar einen großen Dienst
erwiesen.
Es kam eine Zeit, wo ich mein Reich nicht ver-
teidigen konnte und die Bacillen drangen ein. Mit
den Bacillen meine ich nicht etwa die Erreger der
Windpocken. Die machten sich nicht so breit, mit
denen wurde ich leicht fertig und wenn ich dennoch
mich schwach zu fühlen vorgab, nicht aufstehen
wollte, so lag das an dem: ich hatte wenig Lust,
ins äußere Leben zurückzukehren, in die Schule,
diesen Garten voll bitterer Kräuter, die — o boden-
lose Verruchtheit — obendrein botanisch-lateinische
Namen trugen! Das Kranksein bedeutete für mich
sorgsame Pflege, Ruhe und Waffenstillstand und
ich kann sagen, ich machte häufig von Halsentzün-
dungen Gebrauch. Wenn das Fieber geschwunden
war, sagte man wohl: „Liegend lesen schadet den
Augen“, aber ich durfte eine Weile Lektüre treiben,
was mir sonst — schlechter Zeugnisse halber —
verwehrt war. Der Arzt ließ mich gerne liegen,
er verordnete sogar zur Behebung der allgemeinen
Schwäche kräftigende und wohlschmeckend von
mir bejahte Gerichte, vor allem Weißfleisch. Doch
für die Wirtschaft, für das Staubabwischen und
Aufräumen bedeutete mein Kränkelnwollen, mein
Zärtlichkeitsbedürfnis Hemmung und Ueberarbeit.
Weißfleisch? Wozu Hühner kaufen, wenn herr-
liche Kaninchen im Hause waren, Kaninchen über-
dies, die, wenn man sie dem eigensinnigen Knaben
ins Bett geben mußte, sich unsauber betrugen.
Sonst zwar wurden Kaninchen nicht gegessen, aus
Ekel . . . aber ein wehrlos in der Genesung be-
griffenes Kind aus der Geborgenheit, aus dem
sicheren Bett zu scheuchen, dazu war kein Mittel
schlecht genug. Thyestes nährte sich vom Fleisch
der eigenen Kinder. Atreus hat ihn damit brüder-
lich bewirtet. Das ist noch gar nichts. Denn
Thyest war ahnungslos,, wußte nicht, wovon er
zehrte, wußte nicht, was er wieder zu, sich nahm.
Auch ich mußte die Geschöpfe essen, die mir am
liebsten waren. Aber ich fühlte, was ich hinabzu-
würgen gezwungen wurde. Ich verschluchzte mein
Herz. Anfangs sagte man, auf das Kaninchenfleisch
weisend: dies sei Backhuhn. Als sie jedoch mein
tiefes Wissen um diese Welt durch das Gerede
nicht übertäuben ließ, hieß es, ich solle nicht so kin-
disch sein. Kindisch? Leichtsinnig hatte ich die
Kaninchen preisgegeben, verraten. In der Zeit, wo
es mir beliebte, krank zu sein, wurden sie wenig
gefüttert, gemordet. Da gab ich die Krankheit hin,
stand auf, um die übriggebliebenen Kaninchen vor
meinen Zieheltern, vor den Bacillen, vor dem Tode
zu schützen. So rief mich das Leben. „Hugo,
lerne!“
 
Annotationen