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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 142/143
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Ehrenstein, Albert: Gruss
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Ehrenstein, Albert: Rimbaud
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Ehrenstein, Albert: Hildebrandslied
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Ehrenstein, Albert: Die Filmlöwen sind los
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0245

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Gruss
Wen ich, mich beugend, ehre, hasse ich.
Denn grüße ich das Nicht-ich, sterbe ich.
Knirschend zu sehen eine Welt, die nie
zu mir wird,
nie . -
an mir zerbirst!
O, nur im Traume ringe ich sie tot.
Und ewig wachsend saust ob mir das Schwert
des Grußes, Tod,, das Nicht-ich. bis ich es.
Sieger auf Leichen thronen?! Ich nicht, Weg-
wurf fall ich, meine Tage, ach. zermalmt
sind Hufen eines. Siegers, dessen Nahn
röchelnd zu ahnen Atem in mich stieß.
Albert Ehrenstein

Rimbaud
Schwingt urschwarzer Roch dem Land entbogen,
stürmt die Erde Sonnendunkel.
ist er bald im Tod erzogen,
Sternziel, Gral im Weltforunkel.
Albert Ehrenstein

Tod warten zu müssen, ärgerlich kundgab, erschien
auf dem Wege ein weiser Wildkater und klärte
ihn sexuell auf: „Nicht dies ist der Weg zum Tode,
o König Zweihorn, du könntest allerdings, wenn du
schneller ans Ziel gelangen willst, gegen die Bäume
reiten. Aber du reite lieber diese zwei Wälder
hier seitwärts durch und wenn du an der letzten
Lichtung meine Frau sehen wirst, so sage ihr, daß
ich sie noch heute besuchen werde.“ Da dankte
der König dem liebenswürdigen Kater und als er
einen halben Kamelritt weiter wirklich die Katze
erblickte, grüßte er sie höflich und richtete seine
Botschaft aus. Dafür belehrte ihn die Wildkatze
freundlich über die nahe Möglichkeit eines annehm-
baren Todes — nur eine Parasange weit!
Und als er sich über diese Strecke hinweg-
gesetzt hatte, traf er richtig dort einen Mann, an
Stärke gleich einem ausgewachsenen Löwen.
„Nächstens lasse mich nicht so lange warten“
brüllte der Mann. „Ich bin dein Vater Rustan und
da ich dich ins Leben gepflanzt habe, schickt es
sich auch, daß ich dich töte.“ Begann auch so-
gleich dem unpünktlichen Sohne die Hörner aus
dem Kopfe zu drehen und Iskandar Zualkarnain
ehrte den Vater, getreu dem. Gesetze des Prophe-
ten. Er wagte es nicht, diesen Tod am Barte zu
zupfen, noch auch ihm den vorbereitenten Esel ins
Gesicht zu rülpsen. So benommen war er von den
Schmerzen des Lebens.

Hildebrandslied

Die Filmlöwen sind los

Von Albert Ehrenstein
Es wird berichtet, daß eine Stimme sprach
gegen Iskandar Zualkarnain und ihm befahl, seine
Lenden zum Tode zu gürten und dem letzten
Kampfe entgegenzureiten. Und da er auf seinen
Reisen alle Gegenden und Menschen genossen
hatte, sagte er vor sich hin: „O, blinder Sklave
des Geschickes, wohlan, freue dich endlich, denn
nun wirst du erfahren, was nach diesem kleinen
Leben sein wird.“ Also haderte er nicht mit jener
Stimme des letzten Befehls, sondern gebot seinen
Sklaven, ihm seine zwei Hörner wie zu einem
Feste zu putzen und nachdem er noch vorsichts-
halber einen ganzen Wildesel verzehrt hatte, be-
stieg er ein Eilkamel, um nicht zu säumen und so
zu beleidigen den Ruf des ehrwürdigen Todes.
Aber seine Dichter, die Nachtigalleulen, begannen,
auf eine schöne Weise zu klagen und versuchten,
sein gleichgültig schauendes Herz mit ihren gelin-
den Traurigkeiten zu erfüllen und den der neuen
Sache Beflissenen wieder an die knappen Hab-
seligkeiten des Lebens zu binden. Das Eilkamel
jedoch in seiner Weisheit erinnerte sich verzehrter
Dattelkerne und indem es den Dichtern den war-
men Mist des Lebens ließ für die rauhen Nächte
der Zukunft, verschwand er mit dem König der
Zeit im Walde. Er aber sprach zu seinem Barte:
„Nicht begreife ich die sachte Trauer der Gefähr-
ten meines Atemholens. Wenn ich ihnen entgleite,
so können sie mich doch zurückhalten in den Bo-
gen und Windungen ihrer schlangengleichen Ge-
dichte. Ich aber habe es schwerer als diese Ge-
zähmten: ich muß etwas tun. Nun habe ich einen
ganzen Wildesel gegessen, denn es ist nicht gut,
dem Tod angstvoll und mit einem hungernden Ma-
gen gegenüberzutreten. Sollte er mir nicht ge-
fallen, so kann ich ihm wenigstens einiges ins Ge-
sicht rülpsen, wie es sich für einen Herrn gebührt.
Doch noch sehe ich hier niemanden, der mich töten
könnte.“ Indem er also seinen Unwillen auf den

Von Albert Ehrenstehi
Frau von Berre — alabasterbleich glitzern ihre
Hände als hätte sie sie soeben mit echter
Dschelaleddin Rumiseife gewaschen und sie dann
einer Manicure ä la Mucius Scävola unterzogen —
diese holdreizende Frau von Berre besitzt smar-
terweise einen mondänen Wintergarten, dessen
Hauptattraktion ein Löwenkäfig ist, der in der
einen Abteilung einen alten, gewaltigen Mähnen-
löwen, im Damencoupe zwei ebenso rastlos auf
und ab rasende Löwinnen beherbergt.
Wenn eine Dame Löwen im Käfig hält, ist das
weder grausam noch pervers — es deutet dies
eben eine andere Art und Sinnlichkeit an, als
wenn sie einen Kanarienvogel besäße. Frau von
Berre scheint mir so recht das filmeske Gegen-
stück der Ibsenschen Frau vom Meere. Man
glaubt, ein Film könne keine so tiefe Symbolik in
sich schließen? Es kommt nur darauf an. daß
ihn jemand sieht, der das nötige Quantum Mystik
hineinlegen kann.
Der Löwenwärter hört auf den treuherzigen
Namen Franz, aber er ist ein hinterhältiger
Schurke, ein Apache der Apachen, würdig der
Ehrenmitgliedschaft jeder Maffia. Er quält und
peinigt aus seiner Sicherheit heraus den ihm an-
vertrauten Löwen, prügelt den Wehrlosen, der
hinter dem Gitter nur fauchen kann wie eine Wild-
katze. Und doch ist es gefährlich, sich den Zorn
dieses Löwen zuzuziehen. Man kann das furcht-
bare, totdrohende Aussehen dieses Ungeheuers
nicht besser schildern, als indem man jene Keil-
inschriften zitiert, auf denen die Marduk-iddin-ahi,
Tukulti-ninib, Samsi-ramman sich und ihr groß-
königliches Wild besangen. Wir danken einem
unserer namhaftesten Assyrologen, Professor Dr.
Paul Scheerbart, diese Ausgrabungen im Tempel
von Iharsagkurkurra, deren geradezu phantastische
Ergebnisse wohl noch allen in Erinnerung sind.
Auf einer dieser Tontafeln verherrlicht der Patisi

des Assur, der große Dichter Nil-mirari den Herrn
der Wüste folgendermaßen:
„Wenn er vom Lager aufsteht, legt er sich
nicht nieder;
Er geht aus mit Gebrüll,
Sein Donner tötet die Nacht,
Sein Auge ist Blut, Mord seine Mähne.
Giftig sind die Stacheln seines Schweifes,
Wo ist der Held, der ihm die Klauen seiner
Pranken beschnitte?
Wer nach dem Tode hungert, mag ihm nahen.“
Einen besseren Löwen sich zum Feinde zu
wählen, heißt den Tod am Barte zupfen, bis der
die „Es ist erreicht“-Fasson annimmt. Was trieb
den Strolch Franz zur Löwenquälerei?
Aletaphysische Zusammenhänge tun sich auf.
leiden Franz und der Löwe an akuter Metempsy-
chose? Die Frage ist zu bejahen. Obgleich der
gefangene Leu seinem Aussehen, seiner Varietät
nach nur aus dem Maweralnaher, dem turkesta-
nischen Zwischenstromland, stammen kann, heißt
er nicht Abdullah Khan, sondern wie jener be-
rühmte Sklavenführer: Spartacus! Ahnt man
tiefste Verschlingungen? Es schnitzlert. War
Franz einmal der Herr und Peiniger des Sklaven
Spartacus, bis sich der Gequälte blutig an dem
Tyrannen rächte? Versucht Franz jetzt dem Lö-
wen seinen früheren Tod heimzuzahlen?
Jedenfalls wird der menschliche Quälgeist in
seinem viehischen Beginnen gestört, mitten in
einer Geißelung des Löwen überrascht ihn die
entrüstete Herrin und knallt dem Wärter eins mit
der Peitsche ins Gesicht, enläßt den Wutschnau-
benden.
Soiree bei der Frau von Berre. Wir sehen, mit
welch unvergleichlicher Eleganz Sieur de Mor-
bihan dem Grafen Pallawatsch die Rechte reicht
und Wie dieser wieder dem Modedichter Salomon
Erdgeruch, dessen Dasein ein Enjambement ist,
eisig die keusche Hand umkrampft. So ist das
Leben . . . Dann führt die Wirtin ihre Gäste zu
den Löwenkäfigen, und die ganze Gesellschaft ent-
fernt sich wieder — der Arie einer Amateursän-
gerin entgegen. Aber man hat die Rechnung ohne
den Franz gemacht. Der schleicht sich ins Haus
und läßt die Löwen frei.
Und nun verdichten sich die Spannungen,
reichen ihre Höhepunkte — eine kondensierte
witteratmosphäre legt sich keuchend über
Dinge ...
In einem reichen Kinderbett sitzt das junge
Töchterchen der Frau von Berre, ein kleines, her-
ziges Ipünktchen, und betet innig bis achtzig . . .
Die Löwen sind los und dringen ins Gesellschafts-
zimmer, in einen Salon Louis XVII. Atembeklem-
mende Flucht. >
Aber der Löwe ist nicht mehr der König, höch-
stens eine Vizekönig der Tiere, ein Präsident der
Tiere. Durch ihre zahllosen Erfindungen ist es
den Menschen gelungen, die Tiere vollkommen
zu entwerten, viele Rassen sind vor Gram über
diese Entehrung ausgestorben, andere, selbstmord-
fernere durch die Menschen gewaltsam von der
Erdoberfläche verdrängt worden. Es ist weit ge-
kommen mit den Tieren. Die Löwinnen, diese
feigen Hündinnen werden von einem Weibe in
ihren Pferch gejagt, das innig bis achtzig betende
Kindchen wird jählings gerettet. Aber auch dem
Löwen, dem gewaltigen Abdullah Khan Spartacus
geht es im Zeitalter der Suffragetten nicht gut.
Den Frauen sind heute bereits Revolver gewach-
sen: ein Weib brennt dem männlichsten Fiere ein
Loch, nein Löcher in den Pelz. Allerdings nicht,
ohne daß zuvor Gott eine Gelegenheit zu einer

er-
Ge-
die

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