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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 121/122
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Döblin, Alfred: Ueber Jungfräulichkeit
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Rivière, Jacques: César Franck
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Beachtenswerte Bücher / Notiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0125

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Wenn Jungfräulichkeit mehr als solche über-
flüssige Randglosse eines Müßiggängers sein will,
so muß sie ein sexuelles Verhalten bezeichnen, un-
abhängig von der Tatsache des vollzogenen Kon-,
gressus; noch mehr. Da die Vollziehung des Kon-
gressus nach dem im Eingang Entwickelten zum
Leben des reifen Menschen, — von welchem
Menschen wir ausschließlich reden, — gehört, so
bezeichnet Jungfräulichkeit etwas an den Men-
schen, der den Kongressus vollzieht, und zwar et-
was, betreffend sein Verhältnis zum Kongressus..
Demnach muß Jungfräulichkeit, soll das Wort einen
Sinn haben, wesentliche Eigenschaft eines Sexu-
altypus sein, denn diese eben verkörpern Stellun-
gen zum BeziehungsaktJ Wenn wir nun den Be-
griff der Jungfräulichkeit recht fassen, so finden
wir: er drückt eine Abneigung gegen die Ansicht
aus, daß die Sexualität eine gleichgiltige Angele-
genheit sei, daß man etwa nach Art eines Kokot-
tentypus in den Sexualorganen zufällige oder nütz-
liche oder erfreuliche Qebrauchsgegenstände zu
sehen habe. Wenn der Heilige durchdrungen ist
von dem Ernst, der in der Sexualität liegt, und von
ihrer außerordentlichen Wichtgkeit, so stimmt die
Jungfrau ihm bei; sie weicht von ihm ab in der
Schlußfolge aus dieser Ueberzeugung für das Han-
deln: Der heilige lehnt die Sexualität als die
schlimmste aller Ichversuchungen ab, die Jungfrau
erkennt sie an als die stärkste aller Ichdarstellun-
gen. Damit ist der Sexualtypus der Jungfrau aber
schon bestimmt, denn indem die Jungfräulichkeit
sich manifestierte in einer wahrhaft organischen
Verbindung von Sexualität und Ich, ist diese Eigen-
schaftsbezeichnung schon lokalisiert. Aus der Auf,
fassung der Sexualaktion als Individualaktion, dar-
aus folgend: aus der Eindringung vieler Ichteile
in den Beziehungstrieb erklären, sich die Stigmata-
iungfräulichen Verhaltens: Hie lange Keuschheit,
das zögernde, mit sarken Kämpfen verbundene
Aufgeben des Widerstrebens gegen den Kongreß,
nach sogenannter Gewöhnung. Was wir oben als
iPseudojungfräulichkeit verwerfen, äfft äußerlich
sinnlos dieses Verhalten nach, ist eine Karikatur der
Jungfräulichkeit.
Die von uns eben beschriebene Eigenschaft wird
gemein hin als Wert gefaßt und von den Trägern
als „sexuelle Ehre“ empfunden.
Unschuld ist ein anderes Wort für Jungfräulich-
keit und bezeichnet demnach entweder das Wesen
der Liebestypen oder die Eigenschaft einer Vor-
und. Fehlform oder einen Intelligenzdefekt.

Cesar Franck
Von Jacques Riviere
Die Größe Cesar Francks besteht darin, daß er
niemals gesagt hat, was er zu sagen hatte. Er,
ahnte nicht, daß man mit der Materie spielen könne,
er achtete ihre Nützlichkeit und er hat sie nur be-
nutzt, um sie einem Zwecke dienstbar zu machen.
Nicht, daß er sich erst zu dieser Rechtschaffenheit
entschloß; es war seine Natur, denn er gehörte
zu denen, die nur sprechen, weil sie nicht anders
können. Seine Belohnung war diese freie Sprache’
die seine Schüler als einziges nicht haben nach-
ahmen können, diese Freiheit, die Folge eines prä-
zisen Planes und der Verbindlichkeit; da er immer
wußte, was er sagen wolltte, hinderte ihn nichts.
Die Notwendigkeit der Musik Francks ist die
Quelle aller seiner Tugenden. Zuerst seiner be-
wunderungswürdigen Genauigkeit. Jedes Instru-
ment füllt seinen Platz aus und,, gerufen von allen
anderen, macht sein Einsetzen großen Eindruck.
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Niemals erzielt er eine Wirkung durch etwas Uner-
wartetes. Wenn ich zittere, so geschieht es nur,
weil mein Erwarten mit Vollendung erfüllt ist. Das
klare Gespräch wird abgerollt, die Worte entstehen
im selben Maße wie die auszudrückenden Gedan-
ken. Nicht etwa, daß man sie vorausahnt; jede
Maßnahme ist eine Ueberraschung, aber sie über-
rascht nur, weil sie befriedigt.
Darum gibt diese Sorgsamkeit seiner Musik
den besonderen Fluß, die so eigenartige Kontinui-
tät. Sie ist so geschlossen, sie wird so gewissen-
haft angeordnet, daß sich keine Unterbrechung ein-
schleicht; nichts fehlt, keine Stelle die so verloren
ist, daß sie zu einer Ablenkung dienen könnte; der
Plan biegt in jeder Einzelheit, immer gegenwärtig
und verhindert jede Zerstreuung. Die Entwicke-
lung entlehnt nichts der äußeren Handlung; er läßt
die Musik nach und nach immer mehr erblühen, die
Melodie entfaltet sich, den zerbrechlichen und
wiederholten Durchbruch eines Schößlings; sie ent-
wickelt sich nur, indem sie sich durch die Wieder“
holungen genauer festlegt. Je fester sie wird, um-
so mehr Klang entströmt tihr und umgibt sie; Be-
reicherung entsteht durch innere Vervielfältigung
und nur durch Vertiefung der Vergangenheit ent-
stehen neue Wunderdeckungen. Die Modulation
ist bei Franck eine Form der Kontinuität; niemals
will sie einen Kontrast schaffen; aber sie wird be-
nutzt, um den einzelnen Stellen den Stempel der
Fertigkeit aufzuprägen; sie ist immer wie eine
Hand, die sich langsam öffnet; wie das unmerkliche
Einführen in größere Helligkeit.
Eine Seele wird: mit Treue besungen. Alles
kommt von ihr. Sie entfaltet sich in der Einsam-
keit; sie entwickelt sich, wehst, wird mit süßer
offener Verschwendung gegeben. Aber sie ist allein’
man fühlt, daß sie nichts zu besiegen hatte, daß sie
seit ihrer Geburt himmlisch war. Kein Kampf. Nir-
gends läßt die Sinnlichkeit ihre Reize schweben.
Weil sie so rein ist, ist Francks Musik so schön.
Man muß der bewunderungswürdigen Psyche
gewogen sein. Franck beraubt Eros und Psyche
ihre Weihe erreichen eine packende Tonalität,
setzt er durch die Geschichte der Seele und der
Liebe; wohlverstanden: der göttlichen Liebe. Die
Ewigkeit, die in Flammen ineinandergreift und die
plötzlich aus dem Orchester ausglüht, ist voll geist-
reichem Pathos erfüllt, es ist die Hochzeit Gottes
und der heiligen Seele. Und die immer größer
werdende Erhebung dieser Seele, ihre wachsende
Begeisterung, das immer leidenschaftlichere Zittern
ihre Weihe erreichen eine packende Tonalsität.
Sodaß man kaum wagt, im geheimen andern,
menschlichere, weniger sichere Musik vorzuziehen’
die sehr schwankt, vor mehr Hindernissen zögert
und ihre Kontinuität nur dadurch erhält, daß sie die
Stimmen der Umgebung in sich aufnimmt, indem
sie unaufhörlich ihr Herz mit den Einwürfen jener
vergänglichen Welt verwechselt, in der sie wandelt*
Autorisierte Uebertragung aus dem Französischen von
Jean-Jacques
Beachtenswerte Bücher
Ausführliche Besprechung vorbehalten
Rücksendung findet in keinem Falle statt
BALLHAUS / LYRISCHES FLUGBLATT
Verlag A. R. Meyer i Berlin Wilmersdorf
GOTTFRIED BENN
AJorgue und andere Gedichte
Verlag A. R. Meyer ■ Berlin-Wilmersdorf
DE WITTE MIER
Eine kleine Monatsschrift für Bücherfreunde
unter Leitung von .1. Greshoff.j In holländi-
scher Sprache
Verlag C. M. B. Gixon , Apeldoorn / Holland

BOTHO GRAEF
Hodlers und Hofmanns Wandbilder in der UnL
versität Jena
Verlag Eugen Diederich’s / Jena
FRANCIS VIELe GRIFFIN
La Lumiere de Grece
Paris Editionsde la Nouvelte Reoue Franchise /
Marcel Riviere et Cie
THADDÄUS RITTNER
Ich kenne Sie / Novellen
Wien und Leipzig / Deutsch-Oesterreichischer
Verlag
ALDO PALAZZESCHI
II Codice di Peielä
Romanzo Futurista
Afailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
ALBERT EHRENSTEIN
Der Selbstmord eines Katers / Novellen
München / Verlag Georg Müller
F. T. MARINETTI
Distruzione / Poema
Mailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
La Momie sanglante
Poeme dramatique
Editions du „Verde e Azzuro“ / Milan
D’Annunzio intime
4e edition
Editions du „Verde e Azzuro“ / Milan
Le Roi Bombance
Tragedie satirique, 3e edition
Edition du „Mercure de France“ / Paris
La Ville Charnelle
4e edition
E. Sansot et Cie. / editeurs / Paris
CARL DALLAGO
Philister
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KARL KRAUS
Nestroy und die Nachwelt
zum fünfzigsten Todestag
Verlag Jahoda und Siegef/Wien
PIERRE HAMP
Vieille Histoire
Contes ecrits dans le Nord
Paris I Editions de la Nouvelle Revue Frangaise/
Marcel Riviere et Co
SVEND BORBERG
Liliths Bog
Kopenhagen / Qyldendal.s Forlag
NICOLAS BEAUDUIN
Les Poetes
Paris ' E. Basset et O ! Editeurs
JEAN BONNEROT
Province / Carnets de Vogoge
Moulins [Allier] / Les Cahiers du Cenire
AAGE VON KOHL
Der Weg durch die Nacht / Roman
Verlag Rätter und Loening / Frankfurt am Main
Notiz
Die Holzschnitte auf der fünften Seite jeder
Nummer sind von Mitgliedern der Neuen Sezession.

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Ständige Ausstellungen
der Zeitschrift Der Sturm


Könighi-Augusta-Strasse S I
gegenüber der von-der-Heydt-Stranse
FRANZÖSISCHE EXPRESSIONISTEN
Braque / Derain / Friesz / Herbin / Marie Lau-
rencin / Vlaminck
Geöffnet täglich von 10 bis 6 Uhr
Eintritt 1 Mark 9 Dsuerkarte 6 Mark
 
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