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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 142/143
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Ehrenstein, Albert: Arbeitsteilung
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Ehrenstein, Albert: Versuch einer Antwort
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Ehrenstein, Albert: Hn?
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0248

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tischerweise Miguelden hab ich. ganz gern und
von der Seifensiederei versteh ich fast schon mehr
als ihr Mann, aber die Zizi hat sich leider den
Häckel und die moderne Lehre von der Arbeitsein-
teilung zu eigen gemacht, ja zu Herzen genommen
und sie auf ihre, also eine jedenfalls total falsche
und unlogische Weise ausgelegt ... sie läßt sich
schainloser- und humanerweise auch der übrigen
Menschheit zugute kommen . . . und denk dir nur,
ein Konkurrent von mir, ein ganz gewöhnlicher
Kerl, ein gewisser Hans Zillinger, bildet ihr Supple-
ment, d. h. er teilt sich in die Arbeit mit ihrem
Mann: er .hat Tagschicht, und der Mann hat Nacht-
schicht und ich hab das Nachschn und Seifensie-
den . . . Um einen gediegnen Ehebruch bin ich ge-
kommen, genieße bloß hie und da das leider, ach
allzu wörtlich zu nehmende Gnadenbrot eines vor-
zeitig eremitierten, Hausfreunds . . . und um die
Kundschaft.bin ich auch gekommen! O, alles kommt
einem heim ... ja, ja: Verlorne Liebe, verlornes
Leben!“ Der starke Mann schluchzte. „Dieser
herbe Rebensaft ist unter der Wiener Kritik und
jedem weitern Hunde,“ mundwerkte noch mein
würdiger Freund Doktor Michael Scheibenstoß er-
klärend, dann erhob sieh der brutale, stiernackige
Lackel und berühmte Operateur und ging still und
in sich gekehrt und schwankend heim . . .
Mir aber ließ er eine klagende Sehnsucht zu-
rück, auch etwas zu erleben, o, nicht so grobe und
brutale Dinge . . . nein, ich bin mit wenigem zufrie-
den ... . O, ich will ja nicht viel: gehn möchte ich
bloß ein wenig neben dem Mädchen, das ich gern
hab, und vielleicht mit ihr kleine Worte reden,
ihren Augenaufschlag sehn, atmen den zarten Duft
ihrer Wangen, bewundern das leise, weiche und
innige Ineinanderversinken ihrer lieben Lippen . . .
Warum muß ich denn immer betrübte Hände
haben, daneben sitzen und neidisch zuschaun, wie
andre den goldnen Schaum des goldnen Lebens
köstlich schlürfen, schlückern, genießen, ach, was?
genießen? achtlos hinunterstürzen!
Aber ich weiß es zu wohl, Doktor Michael
Scheibenstoß, der berühmte Operateur, und ein
ganz gewöhnlicher Mensch, ein gewisser Hans Zil-
linger, und die Seifensieder der Welt arbeitsterlen
sich in alle Mädchen . . . und ich gehöre zu den
Zwetschgen, die in keinen Knödel kamen ... ich
darf bloß Geschichten erzählen . . . und bekomme
so gar nichts, denn ich bin ein Dichter, linkisch,
schüchtern und scheinbar hochfahrend . . . ein
Dichter bin ich und ein Geschichtenerzähler . . . der
goldne Glast des goldnen Weins, der schöne Strom
des schönen Lebens schäumt und fließt an mir vor-
bei und ich darf davon bloß erzählen . . . Vielleicht
schön , . . darf kein.Mitschwimmer, sein und tän-
zelnder Ueberschreiter des Niagara . . . bloß Sport-
berichterstatter und tintenklecksender Beschreiber
der donnernden Katarakte . . . Arbeitsteilung! . . .
Im Gegenteil: man,gratuliere mir,nicht! .... ,

Versuch einer Antwort
Von Albert Ehrenstein
Große Unbilden haben die Ziegelschupferinnen
und Mörtelweiber zu erdulden, denn nicht beför-
dert sie der Polier zu einer auskömmlichen Stelle,
ehe sie ihm den Genuß ihres Leibes verstattet
haben. Sehr ergrimmt sind auch die Maschinisten:
Die Adligen nämlich vermögen die Exhibitionen
ihrer Tapferkeit unter den Augen des Königs zu
vollstrecken. Ein Edler watet durch einen tiefen
und kalten Sumpf, erfaßt den Ansehnlichsten der
Feinde mit den Zähnen und trägt ihn so vor den
Herrscher. Die, Gefahren , der Heizer jedoch sieht

der Fürst nicht und kann sie also auch nicht be-
lohnen. Anderen vermag er nicht einmal zu helfen.
Sehet: sogar die Diebe beweinen vergeblich ihr
Schicksal, indem sie auf die Aerzte, Rechtsgelehrten
und Minister mit den Fingern zeigen. Den Dieben
kann man leicht antworten und ihnen ihre Selbst-
sucht beweisen. Das Benehmen eines Armen, der
zu Reichtümern gelangte, ist nicht das Richtige.
Bei ihm und seinen Kindern ist noch das Ueber-
raschende des Geschickes wahrnehmbar, erst in
der dritten Generation bewegt er sich einwand-
frei. So ist denn auch nie einer durch eigene An-
strengung, Arzt, Rechtsgelehrter oder Minister ge-
worden, die Vorzüge trefflicher Eltern und Ahnen
wirken in ihm, und er kann sich an die Krippe
setzen. Nicht also die Diebe. Sie lassen nicht
ihre Kinder und Enkel lernen, egoistisch wollen
sie bereits in der ersten Generation stehlen und
daran gehen sie zugrunde.
Die Sklaven aber gehen nicht zugrunde und
um ihre Beschwerden wissen sie nicht, man gibt
sie ihnen. Sie selbst nämlich schreien nicht, sie
stöhnen nur und beklagen sich durch ihr übles und
kaum menschenwürdiges Aussehen. An ihrer
Stelle verrichten vielmehr die roten Priester das
Gemurre. Diese wollen sich selbst durch eine hier
.und da veranstaltete Verlesung der Sehnsuchts-
ziele der Geknechteten aus der Schande der Ar-
beit in die Seligkeit des Nichtstuns retten. Den
Redensarten solcher Drohnen läßt sich folgendes
entgegnen: „Nicht ohne Opfer und Kampf rangen
sich unter den Völkern der Erde die Menschen zur
Obmacht über die andern Tiere und Pflanzen.
Unter den Menschen wieder kam keiner, ohne zu
bezahlen, zu der ihm also teuren Macht. Um zu
goldhaltigen Erzen zu gelangen, mußten Moham-
med und Wallenstein die ältliche Witwe Kadidja
heiraten, der erste österreichische Schwarzenberg,
der noch bedeutend talentierter war, eine zweiund-
achtzigjährige Dame. Wisset: auch die Vorvor-
dern der Poliere und Könige mußten lange Zeit
unten Frondienste leisten, damit ihre Nachkommen
heiterer Ruhe teilhaftig würden. Auf daß ihre
Kindeskinder die Krumen unter den Tischen der
Kaiser sammeln, in ihren Händen vereinigen könn-
ten, Aelterväter der Grafen in belagerten Städten
Vorhungerer waren . . .

Hn?
Von Albert Ehrenstein
Ein Rätsel hat mich überfallen, und ich weiß
nicht, ob es mir schon gelang, es zu lösen. Die
Welt starrt ja von Rätseln, doch meines dürfte das
reizendste, dem, rationalistischen Laster unzugäng-
lichste sein. Ich will vollkommen human vorgehen,
niemanden lange martern und lieber gleich sagen,
was mich vexiert. Es handelt sieh um folgendes.
Gleichgültig, ob sie ein Augentrost sind oder extre-
men Alters: Viele Damen haben die Gewjohnheit,
ihre Rede mindestens einmal in der Minute durch
ein vernehmliches „Hn“ zu unterbrechen. Dieser
Laut wird nicht gesprochen, er wird hervorgesto-
ßen, aus tiefstem Innern herausgeholt. Wenn man
mich fragt, was für eine Klangfarbe diese sonder-
bare Interjektion besitzt, so ist zu erwidern: keine
konstante. Aroma und Gefühlswert des Hauches
schwanken, es is bis jetzt noch keine bestimmte
Aussprache von „Hn“ vorgeschrieben ....
Wenn ich mit einer hübschen Dame bekannt ge-
macht werde, die empfehlen sollende Bemerkung
fällt: „Sie hat deine Logarithmen gelesen, mein
Lieber!“ und ich höflich antworte: „Ich gratuliere

Ihnen, Fräulein, Sie sind sehr schön!“, wird sie je
nach ihrer Stimmung auf eine bange, schmerzliche,
verlangende oder befriedigte Weise „Hn“ seuf-
zen ....
Man frage ein kleines Dienstmädchen, ob die
gnädige Frau zuhause ist. Es gehorsoht der Epi-
demie, antwortet langgezogen, in Intervallen, die
das Aergste befürchten lassen: „Die gnädige Frau
. . . hn . . . ist zu . . . hn . . . sprechen.” Nun
könnte man zu dem Glauben neigen, gleiche Äeuße-
rungen der Atemlosigkeit könnten in gleichen Lei-
den ihre Ursachen haben, in einem nasalen, bron-
chialen, hoffentlich aber in einem rein cordialen
Asthma. Gefehlt. Die undifferenzierte Gesundheit
aller „Hn“ schmachtenden Wesen ist überwälti-
gend. Und ein Psychologe bewies mir sehr scharf-
sinnig, meine Vermutung sei die klägliche Folge
einer gariz kommunen Lautbildassociation: ich
hätte bei „Hn“ an HN;, — Stickstoffwasserstoff-
säure gedacht. Unterbewußt natürlich. Er begann
seine Hypothese zu deuten, supponierte meiner
frauenfeindlichen Asthmatheorie freundschaftlichst
den Wunsch des Erstickens, den Damen erstickte
Wünsche, irgend einen verhaltenen psychophysi-
schen Hunger. Ich erwiderte in meiner Unschuld,
mein Beobachtungsmaterial bestehe zum Teil auch
aus mehrfach verheirateten Witwen und des py-
thagoreischen Le hrsatzes beflissenen Schulmäd-
chen. Er glitt über meine Beschränktheit lächelnd
hinweg und erklärte schließlich apodiktisch, in dem
„Hn“ stecke hauptsächlich hoffnungsvolle Furcht
vor einem Ueberfall. Ich war verblüfft über diesen
hübschen Zynismus.
Denn immerhin: andere, die ich konsultierte,
machten sich die Sache doch wesentlich leichter.
Diese Unkomplizierten vermuteten billigerweise in’
„Hn“ eine Abkürzung für eine Telefonzentrale und
verbreiteten sich über die oft Besessenheit hervor-
rufende Kraft täglich gebrauchter, an sich sinnloser
Abbreviaturen .... Und ich erhielt bald darauf
mehrere unfrankierte Briefe, in .denen ich auf eine
wichtige Tatsache aufmerksam gemacht wurde.
Die Stadtbahndampfer nämlich, die den stürmischen
Halensee kreuzen, kann man nur mit Fahrkarten
besteigen, welche den ominösen Vermerk „Hn“
tragen.
Ein schwanker Reiter, der den Tiergarten be-
völkerte und den ich meiner Affäre wegen anhielt,
erblickte unter dem ärgerlichen Wiehern seiner er-
tappten Stute das geheime Zeichen einer feministi-
schen Verschwörung in dem rätselhaften Dipht-
hong. Der Kerl riet mir, stets mit „Hn“ zu antwor-
ten und das Weitere abzuwarten.
„Hn“ dürfte schon etwas feministisches sein,
am ehesten eine mir vorläufig allerdings recht
schleierhafte Form der Anknüpfung. Da ich aber,
dem schlechten Rate folgend, lediglich mit einem
unbefriedigten „Hn“ das Echo spielte, kam es leider
zu keinerlei „Weiterungen“. . . . Höchstens zu
Frozzeleien. Eine namhafte Altphilologin, die ich
direkt fragte, diese Pythia erkühnte sich, mir gegen-
über zu behaupten: „Hn“ . . . „dies ist ein Ausat-
men, noch nicht das Einatmen der Chärybdis“.
Diese Interpretation war mir zu delphisch-symbo-
listisch. Ich beschwor die Gelehrte, mir genauere
Daten über die Atemprozesse der Chärybdis zu
geben. Aber diese Humanistin war eine ent-
menschte Schäkerin, sie sagte schlicht: „Trösten
sie sich. Traun! Auch die Sphinx dürfte Hn ge-
seufzt haben!“
Unter solchen Umständen blieb mir nur noch
Eines übrig: In meiner Not griff ich zu dem heute
sehr selten angewendeten Tierorakel. Mein grauer
Kater, der kleine Marduk Sminthurnix ist das für
derartige Versuche prädestinierteste Geschöpf. Er
stammt von den heiligen Katzen der Isis ab. Wenn
man den Erzlügner glauben darf, standen einige

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