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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 146/147
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von Gorsleben, John: Die Geschichte: von Uli Tarosch und dem Kater Schopenhauer
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Soffici, Ardengo: Glosse zu meinem Werk
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Wagner, Hermann: Die rote Flamme, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0264

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sank auf seine Hände, warf qualvoll das katzen-
artig entstellte Haupt in den Nacken und begann
mit schmerzlich verzogenem Mund ein herz-
erbrechendes Miauen, leidenschaftlich bemüht, das
Triumphgeheul des glücklichen Nebenbuhlers zu
übertönen. Ein kurzes Auflachen Ulis erklang,
befremdlich in seiner Trockenheit. Schopenhauer
aber, der erregt und mit sonderbar scharfen Wen-
dungen und mit gesträubtem Rücken seine Herrin
umkreiste, fuhr wutfauchend und mit grünen
Augen, Aladjew entgegen. So stierten sich die
Gegner eine Weile fletschend und voll blöden
Hasses an. Lediglich Schopenhauers Schweif, der
kerzengerade und erbost in den Aether stach,
störte die Symmetrie des ungewöhnlichen Bildes,
bi§ sich langsam, behutsam die elastischen Glie-
der des Katers lösten. Er glitt lautlos zurück,
offenbar in listiger Absicht, sich wie zum Sprunge
dicht an den Boden kauernd. Das lauernde
sprungbereite Tier erweckte in Aladjews Seele
eine sinnlose phänomenale und unzähmbare
Furcht, eine Furcht, die in seinem gemarterten
Gehirn vollends den kalten Wahnsinn entfachte.
Er stieß ein tiefes dumpfes Brüllen aus, wie es nur
eine grenzenlose Furcht gebären kann, ein Brül-
len, das nicht aus Lungen, sondern aus Eingewei-
den zu kommen schien und in rollendem Rythmus
die Glasscheiben erklirren ließ. Dann sprang er
auf und mit großer angstgejagter Gebärde zur
Tür hinaus und die dunkle Treppe hinunter, als
wenn der leibhaftige Teufel ihm mit kalten Kral-
len im Nacken säße. Schopenhauer, anfänglich
verdutzt durch das Furchtgebrüll, verharrte einen
Augenblick mit zugekniffenen Augen und zurück-
gelegten Ohren; dann schoß er wie ein Schatten
durch die Luft auf den Flur und über die knacken-
den Stufen dem Fliehenden nach.
War es der suggestive Eindruck dieses fabel-
haften Vorganges oder waren sie ohnehin schon
dem Wahnsinn verfallen, urplötzlich hüben der
nieder-österreichische Musiker und der dänische
Bildhauer zu schreien an wie zuvor Aladjew und
stürmten polternd hinaus und hinterdrein.
In der stillen Umgebung der nächtlichen
Straße wurde es lebendig. Ein Hund schlug an,
Fenster öffneten sich und verwunderte Hälse
reckten die Köpfe heraus nach den drei Menschen,
die mit unvernünftigen Gebärden, schreiend und
miauend in der trüben Mondhelle die Straße mit
der weißen Bogenlampenreihe hinunterliefen. Dies
alles machte einen solch seltsamen Eindruck, daß
die späten Spaziergänger, die der Erscheinung
begegneten, nicht nur verwundert stehen blieben,
sondern unwillkürlich ins Laufen gerieten, sei es
aus Neugierde oder unter jenem unbestimmten
Zwang, der Menschen laufen macht, wenn sie
andere laufen sehen.
Alles geriet in kopflose verständnislose Auf-
regung und Bewegung, schrie und brüllte. Rufe
des Staunens und des Schreckens wurden laut,
Höfe und Seitenstraßen spien kläffende Hunde und
fauchende Katzen aus, die einander hetzten und
in der allgemeinen Jagd kläffend, fauchend und
heulend dem Schwarm lächerlich hastender Men-
schen folgten. So kollerte die Menge, Nikolai
Iwanowitsch Aladjew und Schopenhauer allen
voraus, die Leopoldstraße hinunter und schließlich
um die Ecke einer Straße, die zum Englischen
Garten führt. Gerade als der Schwarm in das
Dunkel des Parkes einbiegen wollte, flammten
zwei gelbe Blendlaternen auf, eine Hupe ertönte
und ein Elektromobil glitt gedankeschnell heran.
Als wenn der rücksichtslose stets gleiche Laut der
Hupe den Bann gebrochen hätte, stoppte plötzlich
die geisterhafte Jagd. Das Elektromobil knisterte
interesselos an dem Häuflein verwunderter abge-
hetzter Menschen vorbei, die sich unwissend fra-

gend ansahen und schließlich beschämt von dan-
nen schlichen, indessen die Katzen die Bäume er-
stiegen und die Hunde, allen Hader vergessend,
eifrig hinter einer Hündin hergaloppierten, die mit
eingezogenem Schwanz quer über die Grasfläche
floh.
Es war des andern Morgens schon spät, als
Schopenhauer vor der Ateliertür Ulis Einlaß be-
gehrte. Zu Schopenhauers Erstaunen, war es
Küll, der ihm öffnete. — Es muß an dieser Stelle
endlich gesagt werden, daß Hugo Küll, der Philo-
soph, den Ort der Katastrophe nicht mehr verlas-
sen hatte. Uli hob den Ankömmling, der scheu
und verlegen entschlüpfen wollte, auf ihre Arme
und sah ihm mit unheilvoller Ruhe in die grünen
Augen. Dann küßte sie flüchtig seine heiße
Schnauze, trat an das offene Fenster und, ehe es
jemand hätte hindern können, schleuderte sie das
Tier in die Tiefe des asphaltglatten Hofes.
„Bist du nun zufrieden?“ fragte sie vom Fen-
ster zurücktretend und lächelte Küll ergeben zu.
Zur selben Stunde aber brachte man den
Maler Nikolai Iwanowitsch Aladjew' mit einem
grünen Wagen in die Kreisirrenanstalt.

Glosse zu meinem Werk
Von Ardengo Soffici
Permettez-mori de vous r^peter ce que je
vous disais ici: traiter la nature par le
cylindre, la sphere, le cone ..
Paul Cezanne: Brief an Emil Bernard
Da ich zum ersten Male in Deutschland aus-
stelle, halte ich es für nötig, dem deutschen Pu-
blikum eine Idee von der Entwicklung meiner
Kunst zu geben. Nur einen Teil meiner Versuche
will ich hier vorlegen: das Resultat der letzten
fünf Jahre — nämlich seitdem ich mich in meiner
Kunst vollständig jener Bewegung in der Malerei
angeschlossen habe, die zur Zeit in ganz Europa
unter dem zwar nicht zutreffenden aber durch
den Gebrauch geheiligten Namen „Kubismus“ be-
kannt ist.
Ich hätte die Ausstellung auf die letzten Resul-
tate meines Schaffens beschränken können, aber
indem ich dem Beschauer in meinen Arbeiten
zeigte, wie diese Tendenz auftauchte, fortschritt
und sich durchsetzte, glaubte ich am besten ihre
Natur und Notwendigkeit klar zu legen, und da-
durch ein Urteil, sei es gut oder böse, über die
mannigfaltige Realisierung zu erleichtern.
In der Tat wird es für den Kunstverständigen
genügen, die hier ausgestellten Gemälde aufmerk-
sam zu betrachten, um zwischen den ersten und
letzten etwas wie eine starke geistige Verwandt-
schaft zu entdecken, die logische Entwicklung
eines künstlerischen Problems, die notwendige
Umbildung einer immer exklusiveren Konzeption
der sichtbaren Welt.
So wird man zum Beispiel sehen, wije auch in
mir, der ich für kurze Zeit ein Anhänger der so-
genannten impressionistischen Aesthetik war, wie
fast alle Künstler meiner Generation, sich genau
in dem Augenblicke der ersten in Frankreich ein-
getretenen Reaktion, ein Bedürfnis nach Einfach-
heit, Wirklichkeit und Disziplin geltend machte,
wie sie der Impressionismus niemals oder fast
niemals kannte.
Chromatischer Ueberschwang, zitterndes Ver-
schwimmen der Formen und der Zeichnung, an-
archische Erregtheit der Sensibilität waren die
hervorstechenden Züge des Impressionismus.
Diesen Eigentümlichkeiten, die zu Fehlern wurden
bei den Fortsetzern, den Nachahmern und auch

hei den Lehrern Monet, Sisley, Pissaro mach-
ten zuletzt ein System daraus — sowie der Ein-
seitigkeit, der Verschwommenheit, dem Anekdo-
tischen mußte eine nach Erneuerung begierige
Jugend andere Werte entgegensetzen. Sie ent-
stammen einem weiteren, konstruktiveren Wirk-
lichkeitsempfinden.
Schon im Schoße des Impressionismus selbst
lag die Reaktion. Paul Cezanne (nicht zu reden
von Renoir, dem wundervollen ganz für sich
stehenden Künstler, noch von Gauguin, noch von
Van Gogh, die bedeutungsvoll, aber ornamental
sind), Paul Cezanne — der große Lehrer von uns
allen — hatte sie begonnen und ruhmreich fort-
geführt. Indem man sich seine Lehre zunutze
machte, ohne seine ersten Kampfgenossen zu ver-
nachlässigen, brauchte man nur auf diesem Weg-
fortzuschreiten.
Aber es ist nicht genug zu reagieren gegen eine
Form der Kunst, deren Zeit vorüber ist. Das ist
nur der erste Schritt zur völligen Freiheit; und
der Geist, dem sich die Möglichkeit einer ganz
neuen Folge von Studien und Entdeckungen ent-
hüllt hatte, konnte nicht stehen bleiben, er mußte
weiter, tiefer gehen.
So kam es, daß einige der Kühnsten unter den
jungen Künstlern rasch über die Formlosigkeit,,
die koloristischen-lyrischen Exaltioneu des Im-
pressionismus hinwegschritten, zum Studium der
Komposition und der Volumina, denen Cezanne
besondere Sorgfalt widmete. Und indem sie
diese Studien immer mehr vertieften, standen sie
plötzlich' vor dem Problem der völligen Emanzi-
pation von jeder objektiven Darstellung der wirk-
lichen alltäglichen Formen, von jedem Gedanken
an Schilderung, Anekdote, Psychologie, Moral,
Empfindung, Pädagogik oder Dekoration, kurz,
vor dem Problem der wahren synthetischen ly-
rischen Malerei — und so entstand der Kubismus.
Da ich, wie ich schon sagte, ein Anhänger
dieser Schule bin, steht es mir, glaube ich, nicht
zu, sie zu beschreiben und ihre Zukunft zu prophe-
zeien. Ich habe nur in wenigen Worten ihre
geistige Geschichte skizzieren wollen, es ist auch
die Geschichte der fünfundzwanzig Arbeiten, die
ich ausstelle. Sie zeigen dem deutschen Publi-
kum und der deutschen Kritik von 1908 bis heute
die aufeinanderfolgenden Stadien meines persön-
lichen Beitrags zu der Bewegung auf einer Straße,
die die moderne Malerei notwendig bis zum Ende
wird verfolgen müssen.
Florenz, Dezember 1912

Die rote Flamme
Von Hermann Wagner
Fortsetzung
Und je lustiger und lauter sie sich gebärdete,
um so stiller und banger wurde er in seinem Her-
zen —
„Noch eins!“ sagte schließlich Fräulein Hen-
mine, indem sie Herrn Theobald gegenübertrat.
„Noch eine Bitte habe ich an Sie . . .“
Sie sprach merkwürdig gedämpft und ihre Lider
waren halb gesenkt.
Unter diesen halb geschlossenen Lidern kroch
aber ein brennender Blick hervor, und Herr Theo-
bald fühlte, wiie dieser Blick sich um seinen gan-
zen Körper wand, sich um ihn festschnürte und
allen Willen ’und alle Energie aus ihm heraus-
saugte ...
Wie einen ohnmächtigen Halm im Winde sah
er seinen Körper hin und her schwanken . . .

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