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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 105
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Maler-Kritiker: eine Erwiderung
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Nachlese
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Hatvani, Paul: Vorlesung Else Lasker-Schüler
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Notiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0010

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„Sturm-Ausstellung" mit so lauter Stimme —
daß alle im Raum befindlichen Personen es an-
hören mußten —, darüber aufgeklärt, daß alles
Dreck, Kitsch und langweiliges Zeug sei.
Dann haben Sie wohl auch aus derselben
Quelle die schon etwas verbrauchte Behauptung,
daß wir zwischen dem „Begriff eines Plakates",
— was Sie so darunter verstehen — „und dem
eines Bildes nicht unterscheiden" ? Daß Sie als
Maler den Unterschied nicht selbst gefunden
haben, entschuldigt sich vielleicht damit, daß
Sie selbst keinen gemacht haben. Vor zwei, drei
Jahren las ich in der Zeitung (wenn ich nicht
irre, Stahl im „Tageblatt"), der Maler Beckmann
habe auf der Sezession (alte) ein Plakat für eine
Schaubude ausgestellt; ich glaube, der Titel war:
„Der Untergang von Messina". Ich habe aller-
dings seinerzeit keinen Unterschied zwischen
diesem Plakat und Ihren Bildern finden können.
„Wie komisch ist es überhaupt." Da habe
ich mich früher gewundert, bei Ihnen nie etwas
wie Kompositionsidee zu finden, und nun schrei-
ben Sie: „Es ist gerade die große Kunst, die
Kompositionsidee zu verstecken". Nur weiß ich
nicht, ob sich der Erfolg, den sie sich versprechen,
einstellt, wenn „die Komposition wieder ganz na-
türlich und dabei dofch rhythmisch und aus-
geglichen, im guten Sinn konstruiert, wirkt."
„Wie ich zu dem Kubismus eines Picasso
stehe, habe ich oben bereits auseinandergesetzt."
Wo oben ? Herr Beckmann, ich finde nichts.
Verbergen Sie uns schon wieder Ideen?
„Aber auch ich will einmal von Qualität
reden. Qualität, wie ich sie verstehe. Dem Sinn
nämlich für den pfirsichfarbenen Schimmer einer
Haut, für den Glanz eines Nagels, für das künst-
lerisch Sinnliche, was in der Weichheit des Flei-
sches, in der Tiefe und Abstufung des Raumes,
nicht n u r in der Fläche, sondern auch in der
riefe liegt. Und dann vor allem in dem Reiz
der Materie, den Schmelz der Oelfarbe, wenn
ich an Rembrandt, Leibi, Cezanne denke, oder die
geistvolle Struktur des Striches bei Hals."
Da sind wir ganz einig, Herr Beckmann.
Sie hätten nur noch fortfahren brauchen: Die
Herrlichkeit einer Gauguintapete, der Rhythmus
eines MatisSestoffes öder die Großartigkeit eines
PicassöschaChbrettchens und so weiter.
Bleibt die „Struktur eines Striches geistvoll",
wenn eine flächige Wirkung erzielt wird, oder
nur, wenn eine räumliche beabsichtigt ist?
Wenn nun ein Maler etwa einen Tisch mit
Flaschen, Früchten und dahinter ein Stück Tapete
malt, läßt er sich nun allgemein-ästhetisch oder
künstlerisch-sinnlich reizen?
Zu welchen Reizen gehören Blumen und
Früchte? — Sie müssen doch das gissen. Sie
können doch Ihre Gefühle so hübsch auseinander-
halten. „Wenn sie gerade wollen und in
Stimmung sind, können sie auch beim Anblick
einer schönen Tapete oder Kleides ein mysteriöses
Gefühl .haben." Aber man weiß nachher, daß
es nur . ein allgemein-ästhetisches Behagen war.
„Sie wissen den ernsten Unterschied."
Nein, Herr Beckmann, man kann nicht mit
allgemeinen Redensarten beweisen, daß Ab-
sichten und Ansichten anderer solche sind.
„Aber es ist ja die alte Geschichte. Auch
bei Liebermann sieht man keine andere Möglich-
keit, als ihn nachzuahmen, wenn man nicht als
talentlos verschrien werden will. Auch heute ent-
steht ja im lieben Berlin ein „Reichtum" von
Bildern, bei dem sich langsam die Welt Berlin W.
beruhigt." „Wie nennt man nun heute die Per-
sönlichkeiten, die weiter wollen? Arme, rohe
Plakatmaler, schwächliche Kunstgewerbler und
zu ästhetische Menschen, die vom wahren Heil
der Kunst nichts wissen wollen." „Und sie
existieren merkwürdigerweise doch."
... Aber-noch eine Kleinigkeit, Herr Beckmann.
Sie schreiben: „Es ist ja verständlich, daß sich
die Herren berufen fühlen, zu siegen, denn nichts

wirkt im Augenblick sicherer, als eine möglichst
große Anzahl von Leuten, die sich zu ein und
derselben Tendenz (zusammengetan haben."
Seltsam, Herr Beckmann, sehr seltsam. Das ist
ja eine merkwürdige Verwandtschaft mit Herrn
Westheims „vielen, vielen Künstlern". Ist es eine
zufällige Harmonie der Seelen, oder haben Sie
sich mit Herrn Westheim zu ein und derselben
Tendenz zusammengetan ?
Richter-Berlin

Nachlese
Der Dichter Heller ist schon zweimal „in
jenem dunkeln Hafen" erwacht, dem sein
Kahn im Sommer, als allerorten die Schiffahrt
lahmgelegt war, zur Ruh entgegenfuhr.
Laßt mich schlafen; laßt mich schlafen,
Laßt mich schlafen und vergessen
bat der Dichter, und ich war auch sogleich
bereit, für ihn um Ruhe zu bitten. Und auch
alle seine schäbigen Erinnerungen an die Ro-
mantiker wollte ich ihm vergessen. Wahrhaftig.
Sie aber haben ihn bis in den Schlaf ver-
folgt. Der seichteste Weltschmerz hat ihn aus
der tiefsten Ruhe geweckt. Erschüttert fuhr er
mitten aus dem Winterschlaf aller Dilettanten
empor und reimte:
Alle Felder sind verschneit,
Teich und Pfützen starren Eis,
Alle Ziele, die ich weiß,
Scheinen mir so weit, so weit.
Auf dem Baum im fahlen Licht
Krächzt ein Rabe: Kalter Tag!
Und mit keckem Flügelschlag
Wirft er Schnee in mein Gesicht.
Unerfroren hat sich der Poet den Schnee aus
dem Gesicht gewischt und ist weiter gegangen. Zu
Feinsliebchen. Dem hysterischen „Schäfzlein
mein". Doch schon vier Wochen später hat er
Abschied von ihm genommen. In Strophen, die
wie das Kupfergeld aus Heines Falschmünzerei
klingen :
Ach Liebste, ich muß scheiden,
Mich drängt der Wandertrieb.
Du sollst nicht Mangel leiden;
Ich schenke dir zwölf Lieder,
Zwölf Lieder, die ich schrieb.
Du findest sie im Schranke
Du sollst sie fleißig lesen,
Dann denkst du immerdar,
Wie schön es einst gewesen,
Als der, der die zwölf Lieder
Gesungen, bei dir war.
Wenn das nicht eine Parodie auf Heine
ist, dann ist das ein Diebstahl an ihm. Die
„Welt am Montag" bringt ihn zu Ehren. Netto
ein Dutzend Lieder ließ der Heller im Schrank
der Liebsten zurück. Er kann seine Verwandt-
schaft zur Konfektion nicht bemänteln.
J. A.

Vorlesung Else Lasker-Schüler
Wien am elften März 1912
Da kamen ihre Worte
Wie klagende Derwische . . .
Und sie zerrissen unsere Seelen
Und alle Sehnsüchte, die sie erfüllten,
Und sie zerrissen unsere Seelen,
So daß die dunklen Städte durchschimmerten,
Die hinter den Seelen gelagert sind.

Nächte fielen in die Tage
Und bedeckten sie,
Und Tage fielen in die Nächte
Und erhellten sie.
(Und es war ein tagebuntes Märchen,
Wortgewebt und nächteschwer.)
Und Worte fielen in die Welt
Und Welten in die Worte.
Und sie fielen in unsere zerrissenen Seelen
Und füllten sie an
Mit Säulen und Bildnissen,
Auf daß Moscheen würden aus ihnen,
Darin sie beten könne.
Und sie kam in unsere Seelenmoscheen
Zu beten
Und die seelenweiten Kuppeln
Können den Widerhall nicht hergeben,
Den ihre Stimme ruft,
Niemals.
Paul Hatvanr

Beachtenswerte
Bücher
Ausführliche Besprechung Vorbehalten
Rücksendung findet in keinem Falle statt
KANDINSKY
Ueber das Geistige in der Kunst
insbesondere in der Malerei
Mit acht Tafeln und zehn Originalholzschnitten
München / R. Piper und Co. Verlag
EDOUARD DEVERIN
Planes
suivi de Jouets ä Treize
Preface de Frantz Jourdain
Croquis d’Edouard et Roger Deverin
Paris / Chez l’auteur
65 Rue Claude Bernard
KARL KRAUS
Pro domo et mundo
Aphorismen
Die chinesische Mauer
Essays
München / Verlag Albert Langen
Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Gemälde-Ausstellung
Zeitschrift Der Sturm
Tiergartenstraße 34 a
Futuristen

Eröffnung am 12. April

Notiz


Mit dieser Nummer beginnt der dritte
Jahrgang der Wochenschrift Der Sturm.
Der Einzelbezug wird auf zwanzig Pfennig
erhöht. Der Dauerbezugpreis bleibt unver-
ändert.
Wir bitten die Bezieher dieser Zeitschrift um
Einsendung der fälligen Beträge. Falls die Ein-
sendung nicht bis zum Erscheinen der nächsten
Nummer erfolgt ist, nehmen wir an, daß die
Behebung durch Nachnahme gewünscht wird.
Probenummern werden an jede angegebene
Adresse kostenlos gesandt.
Verlag Der Sturm


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