Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

DOI Heft:
Nr. 121/122
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Deutsche Dichter und deutsche Richter: 2/Berlin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0117

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Deutsche Dichter und deutsche
Richter
2 / Berlin
Wer die Wahrheit kennt und sie trotzdem ver-
klagt, muß entschieden schon ein so sachliches In-
teresse besitzen, wie ich. Denn es ist mir natürlich
nicht einmal im Wachen eingefallen, mich von dem
Blättchen des Herrn Bruhn beleidigt zu fühlen. Mir
lag daran, zu wissen, ob aucn Berliner Richter in
strafrechtlicher unjdj zivilrechtlicher Hinsicht so to-
lerant gegen deutsche „Redakteure“ sind, wie die
Herren in Hamburg. Der Tatsachenbestand war
genau derselbe. Die Wahrheit hatte die Dreistig-
keit, ein Gedicht der Else Lasker-Schüler
nachzudrucken, und die Verfasserin mit den gröb-
sten Schimpfworten zu bewerfen. Das Amtsge-
richt Berlin-Mitte billigte, so unglaublich es klin-
gen mag, dem Schimpfer den Schutz des Paragra-
phen 193 zu. Man kann nach Ansicht dieses Rich-
ters in Wahrnehmung berechtigter Interessen gegen
jeden Menschen öffentlich beschimpfende Worte
gebrauchen, wenn man nämlich materielle
Interessen zu verteidigen hat. Die Ausführung die-
ser Motivierung ist meisterhaft. Neben dem Straf-
prozeß war gleichzeitig zivilrechtlich ein Schaden-
ersatzanspruch wegen unbefugten Nachdrucks des
Gedichtes Abel geltend gemacht worden. Herr
Dr. Neimann, der Rechtsanwalt der Klägerin, hatte
wie üblich die Zeitung vor Anstrengung des Pro-
zesses zur Zahlung aufgefordert. Die Wahrheit
druckte den Brief des Anwalts ab und bemerkte
neben einigen Schimpfereien, daß das Gericht schon
sein Urteil über diese Lyrik abgeben würde.
Dieses Aufforderungsschreiben des Anwalts gab
dem Amtsgericht Berlin-Mitte die Möglichkeit, dem
beklagten Redakteur die Wahrung berechtigter In-
teressen zuzusprechen. Die Klägerin verlangte
von ihm Geld, sagte das Amtsgricht, der Redakteur
mußte sich also wehren, und besaß infolgedessen
ein berechtigtes Interesse, die Klägerin zu be-
schimpfen. Das Amtsgericht Berlin-Mitte sah na-
türlich in den Schimpfworten keine Schimpfworte,
sondern hielt sie nur für eine Art, „Auswüchse der
lyrischen Poesie in derb-ironischer Weise zu gei-
ßeln, um sie in Zukunft zu verhindern“. Das
Amtsgericht meinte es sicher sehr gut mit der Ly-
rik, aber das Landgericht I war bereits anderer
Ansicht über die Geißelung in derb-ironischer Wei-
se. Der vorsitzende Landgerichtsdirektor erklärte
nämlich dem angeklagten Redakteur, daß er ihm
sehr dringend zu einem Vergleich rate. Bei der
Schwere der Beleidigung wäre ihm nach Ansicht
der Kammer eine Gefängnisstrafe von
vier Wochen ziemlich sicher. Woraus
man sehen kann, daß nicht nur über Lyrik ver-
schiedene Ansichten in der Welt herrschen. Die
tapfere Wahrheit verglich sich also schleunigst,
nahm alle Beleidigungen und Beschimpfungen mit
dem Ausdruck lebhaften Bedauerns zurück und trug
sämtliche Kosten beider Instanzen. Hinterher
schrieb sie allerdings, daß ihr der Vergleich vom
Gericht „erpreßt“ worden sei. Ich habe darnach
beschlossen, keinen Redakteur der Wahrheit mehr
vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren.
Hierauf wurde vor dem Königlichen Amtsge-
richt Berlin-Mitte der Zivilprozeß auf Schadener-
satz wegen unbefugten Nachdrucks anhängig ge-
macht. Herr Amtsrichter Braun wies die Klage
kostenpflichtig ab. Er (interessierte sich offenbar
für den Prozeß mehr literarisch als juristisch. Denn
seine Entscheidungsgründe lauten:
Der Klägerin ist darin zuzustimmen, daß der
Beklagte ohne ihre Genehmigung nicht be-
rechtigt war, das Gedicht abzudrucken und
zu verbreiten, da ein Fall zulässiger Wieder-

gabe im Sinne der Paragraphen 16 ff des
Reichsgesetzes betreffend das Urheberrecht
an Werken der Literatur und der Tonkunst
vom 19. Juli 1901 nicht vorliegt. Trotzdem
war die Klage abzuweisen, da dem Ge-
dicht literarischer Wert nicht
beigemessen also nicht aner-
kannt werden kann, 'daß der Klä-
gerin durch den Nachdruck ein
Schaden entstanden ist. Die Kosten
des Rechtsstreits hat die Klägerin nach Pa-
ragraph 91 Zivilprozeßordnung zu tragen.
Da dem Gedicht literarischer Wert nicht bei-
gemessen werden kann. So hat der Amtsrichter
Braun für Recht erkannt. Zwar steht in dem Ge-
setz „betreffend das Urheberrecht“ nichts davon,
daß das Gericht den literarischen Wert eines Ge-
dichts beimessen oder anerkennen soll.1 Aber Herr
Amtsrichter Braun ist nun einmal gegen gute Li-
teratur und kann deshalb im Nachdruck keinen
Schaden sehen.
Jedenfalls ist diese Art literarische Kritik auf
dem Instanzweg zu üben ebenso einfach wie neu.
Es wurde Berufung beim Landgericht Berlin I ein-
gelegt und darauf hingewiesen, daß nicht die 1 i t e-
r a r i s c h e, sondern die j u r i s ti s c h e Seite die-
ser Angelegenheit zu prüfen sei. Die einundzwan-
zigste Zivilkammer stimmte dieser Ansicht bei und
es wurde für Recht erkannt:
Das am 6. November 1911 verkündete Urteil
des Königlichen Amtsgerichts Abteilung 8a
wird abgeändert:
Der Klag e a n sp r u c h ist dem Grun-
de nach gerechtfertigt.
Zur Verhandlung und Entscheidung über, den
Betrag des Anspruchs und die Kosten des
Rechtsstreits einschließlich der Kosten der
Berufungsinstanz wird die Sache an das Ge-
richt erster Instanz zurückgewiesen.
Die Entscheidungsgründe seien ihrer Wichtigkeit
wegen hier wiedergegeben:
Der erste Richter ist mit Recht davon ausge-
gangen, daß das streitige Gedicht Abel ein
Schriftwerk im Sinne des Paragraphen 1 des
Gesetzes vom 19. Juni 1901 sei, daß die Wie-
dergabe durch dem Beklagten nicht be-
rechtigt war, ohne Genehmigung der Kläge-
rin das Gedicht abzudrucken und zu verbrei-
ten. Demgegenüber ist die Behauptung des
Beklagten, daß das Gedicht literarisch wert-
los sei unerheblich. Denn für die Frage, ob
ein Schriftwerk im Sinne des Gesetzes vor-
liegt, kommt es auf den literarischen Wert
oder Minderwert der Arbeit nicht an. Es ge-
nügt, daß ein Erzeugnis individueller geistiger
Tätigkeit gegeben ist. Das ist bei dem Ge-
dicht „Abel“ zweifellos der Fall, und das
mußte auch dem Beklagten klar sein.
Im Uebrigen kann jedoch nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme dem ersten Richter nicht
beigetreten werden. Die Klägerin ist mit
Recht der Ansicht, daß es für ihren Scha-
de n e r s at z a ns p ru ch auf den li-
terarischen Wert nicht ankom-
m e, sondern nur darauf, ob sie ihr Urheber-
recht hätte verwerten können. Diese beiden
Fragen fallen nicht — wie der erste Richter
annimmt — zusammen.
Ein allgemein gültiges einstim*
miges Urteil über Werke derzeit-
genössischen Autoren wird sich
nur in Ausnahmefällen feststel-
le n 1 a s s e n. So erklärt auch der Sachvef
ständige, der seinerseits von dem Gedicht
keinen tieferen Eindruck empfangen hat, er

leugne nicht, daß dies bei andern anders sein
könne; man könne über den literarischen
Wert des Gedichts verschiedener Meinung
sein. Gerade dieser Tatsache pflegt auch die
Tagespresse Rechnung zu tragen und der
Sachverständige erklärt deshalbüberzeugend:
„Da aber die Zeitungen auf verschiedene Ge-
schmacksrichtungen der Leser Rücksicht zu
nehmen gewöhnt sind, kann eine Ge-
schmacksrichtung wohl nicht gut für den
literarischen Wert bestimmend sein“. Der
Sachverständige erklärt dehalb überzeugend-
trotzdem das Gedicht bereits erschienen war.
andere Zeitschriften und Zeitungen das Ge-
dicht auch noch gegen Honorar übernommen
haben würden. Diese Möglichkeit muß nach
der oben festgestellten Gewohnheit der Zei-
tungen und bei Berücksichtigung des Briefes
des Redakteurs ... vom 12. Dezember 1911.
gegen den der Beklagte nur mit einer haltlosen
Unterstellung ankämpft, als eine so nahelie-
gende und so sehr an Wahrscheinlichkeit
grenzende angesehen werden, daß danach der
Schadenersatzanspruch dem Grunde nach
gerechtfertigt erscheint. Das Gericht ist
überzeugt, daß die Klägerin in der Lage ge-
wesen wäre, das Gedicht in einer hiesigen
Zeitung erscheinen zu lassen, und daß sie da-
für von der Zeitung ein Honorar erhalten
hätte. Der Beklagte hätte ebenfalls das Ge-
dicht von der Klägerin nur gegen. Zahlung
eines Honorars zum Abdruck erhalten. Durch
den unbefugten Abdruck, mit dem der Be-
klagte unbedenklich sich mindestens einen
Fahrlässigkeit schuldig gemacht hat, ist somit
die Klägerin geschädigt in Höhe des Hono-
rars, das der Beklagte ihr bei ordnungsmäßi-
gem Erwerbe hätte zahlen müssen. Den an-
gemessenen Betrag dieses Honorars schätzt
der Sachverständige einwandfrei auf 10 Mark-.«
Das Sachverständigengutachten ergibt end-
lich auch, daß der von der Klägerin eventuell
geltend gemachte Bereicherungsanspruch
dem Grunde nach gerechtfertigt wäre.
Das Berufungsgericht wäre hiernach sachlich
in der Lage gewesen, über den Schadener-
satzanspruch der Klägerin/ auch dem B e-
t r a g nach zu erkennen. Es sieht sich jedoch
rechtlich hieran durch die Vorschrift des Pa-
ragraphen 538 Ziffer 3 Zivilprozeßordnung
gehindert, da der Anspruch nach Grund und
Betrag streitig, und die Klage in erster In-
stanz abgewiesen ist. Deshalb war unter Ab-
änderung des ersten Urteils lediglich der
Klageanspruch dem Grunde nach für ge-
rechtfertigt zu erklären. Die Entscheidung
über den Betrag des Anspruchs und die Kosten
des Rechtsstreits, einschließlich derjenigen
der Berufungsinstanz, hat das Amtsgericht
zu treffen, an das zu diesem Zweck die Sa-
che zurückzuweisen war. Bei der Kosten-
entscheidung wird das Amtsgericht die Frage
zu prüfen haben, ob nicht mit Rücksicht dar-
auf, daß der Betrag des Anspruchs von der
Ermittlung durch Sachverständige oder Fest-
setzung durch richterliches Ermessen abhän-
gig ist, von der Vorschrift des Paragraphen
92 Absatz 2 Zivilprozeßordnung Gebrauch zu
machen sein wird.
Herr Amtsrichter Braun sollte also nun dem
Betrage nach entscheiden. Aber Herr Amtsrichter
Braun — wies die ganze Klage wieder kosten-
pflichtig ab. Er fühlt sich nicht an die zweitin-
stanzliche Entscheidung gebunden, er hat „viel-
mehr bei der Beurteilung der Frage, ob und in
welcher Höhe ein Schaden entstanden ist, freie
Hand“. Die Beweisaufnahme hat ihn nicht die
Ueberzeugung gewinnen lassen, daß die Klägerin
durch das Verhalten des Beklagten geschädigr

114
 
Annotationen