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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 119/120
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Deutsche Dichter und Deutsche Richter: 1/Hamburg
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Lasker-Schüler, Else: Leise sagen
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Herczeg, Ferenc: Die blaue Dohle
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0107

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Gedankengang ihres Urteils für unverständlich,
widersinnig und — unfreiwillig komisch erklärte;
sie würden wahrscheinlich garnichts sagen, sondern
die Achseln zucken und lachen. Ich denke, die
Dichterin wird desgleichen tun. Ich mejnesteils —
da Sie meine Ansicht zu hören, wünschen —• halte
das abgeurteilte Gedicht für eines ihrer schönsten,
weil einfachsten; das sage ich ausdrücklich deshalb,
weil manches andre Gedicht von Else Lasker-
Schüler in der Tat so labyrinthisch gebaut ist, daß
sich der gewöhnliche Zeitungsleser, dessen lite-
rarisches Urteil den Herren Richtern' maßgebend
scheint, gewiß nicht ohne vorherige Erweichung
seines vertrockneten Gehirns hineinfinden kann.
Natürlich stelle ich Ihnen frei, diese meine unmaß-
gebliche Meinung zu veröffentlichen.
Besten Gruß
D e h m e 1
Es möge hier nochmals das mißhandelte Gedicht
selbst stehen.

Leise sagen
Du nahmst dir alle Sterne
Ueber meinem Herzen.
Meine Gedanken kräuseln sich
Ich muß tanzen.
Immer tust du das, was mich äufschauen läßt,
Mein Leben zu müden.
Ich kann den Abend nicht mehr
Ueber die Hecken tragen.
Im Spiegel der Bäche
Finde ich mein Bild nicht mehr.
Dem Erzengel hast du
Die schwebenden Augen gestohlen.
Aber ich nasche vom Seim
Ihrer Bläue.
Mein Herz geht langsam unter
Ich weiß nicht wo —■
Vielleicht in deiner Hand.
Ueberall greift sie an mein Gewebe.
Else Lasker-Schüler
* *
Ich habe denselben Rrozeß in Berlin! führen
lassen. Hier in Berlin ist er endgültig zu Gun-
sten der Dichterin entschieden und die be-
klagte Zeitung zum Schadenersatz verurteilt wor-
den. Ich werde darüber in der nächsten Nummer
dieser Zeitschrift ausführlich berichten. Ich warne
aber schon heute die deutschen Zeitungsredakteure,
irgend eine Dichtung dieser Zeitschrift unter dem
„Gesichtspunkte der unfreiwilligen Komik“ nach-
zudrucken. Ich habe nichts dagegen, daß die Her-
ren Kunst komisch finden. Ich werde sie aber dar-
an hindern, ihren Geist an Kunst aufzugeilen. Ich
werde mich in ihre Verstandesregion hinunterbe-
geben und ihnen beweisen, daß Impotenz keine
Gesundheit ist. Kranke Laien halten sich oft für
gesund. Man kann es ihnen gönnen. Sie sollen
aber nicht exzentrisch werden wollen und Künstler
mit dem Ausfluß ihrer Unfähigkeiten besudeln. Sie
sollen im Lande bleiben und sich redlich mit Ver-
mischtem nähren, ihre Vergnügungen im Radsport
und im Rasensport suchen, und sich an der Börse
und auf dem Hypothekenmarkt betätigen. Lokales
diene ihnen zur Zerstreuung. Kunst aber sollen sie
nicht begreifen. Kunst muß vor Prostitution ge-
schützt werden. Denn Kunst fordert Liebe.
H. W.

Die blaue Dohle
Von Franz Herczeg
Man unterhielt sich über das Leben und die
Frauen; einer, der bisher schweigsam dasaß,
sprach plötzlich und erzählte folgende Begebenheit:
In jungen Jahren fuhr ach von der Sankt Annens
Puszta in die Stadt. An einem schönen Oktober*
nachmittag. Die Sonne beschien die Wiesen sen*
gend und gierig und trotz alledem mit dem trau*
rigen Glanze der Liebe alternder Männer. Kein
Mensch auf der weiten Ebene. Wir kamen an die
Ziegelbrennerei; auch hier gespenstische Ruhe»
als wären die Leute vor dem Nahen einer
schreckhaften Gefahr geflohen. Vor den ruß*
schwarzen. Oefen lagen Lehmkisten, Schiebkarren,
und Werkzeuge in lächerlich wildem Durcheinander.
Hinter der Brennerei biegt der Weg ins Bir-
kenwäldchen ab. Eine feuchte Kühle berührte mein
Gesicht und die das Blätterwerk durchdringenden
Sonnenstrahlen führten einen betäubenden Reigen
um mich; ich mußte die Augen schließen.
An einer Lichtung drang ein leiser Ton an mein
Ohr. Ein munterer Vogelrjuf ungefähr wie das
Wörtchen „csak“ jedoch in der langgedehnten
oberländischen Mundart. Ein großer Vogel mit
ausgebreiteten Schwingen schnitt in zierlich ruhi*
gern Bogen die Luft und flog knapp über meinem
Kopfe in die Höhe. . Seine pfauhlauen Federn
glitzerten in der Sonne, indische Seide. Mär-
chenhaft in seiner fremden Schönheit hatte er
sich hierher verirrt von feinen Palmeninseln,
wich ich sie in meiner Kindheit träumte. In
seinem Fluge berührte er schon beinahe die Nes*
selstauden, da hob er die Flügel und schwang sich
spielend auf die Krone einer jungen Birke, Dort
ließ er sich nieder. Mein Gefährt, das seinen Wald
schnaubend entlangfuhr, mußte seine Neugierde
erweckt haben.
Und mich ergriff plötzlich wieder dieses wohl*
tuende Fieber, das sich meiner als Kind bemäch?
tigte, so oft ich einen wilden Vogel, oder auch nur
eine bunte Feder erblickte. Das eigentümliche und
verzehrende Wollen, das freie Geschöpf der Luft
in der Hand zu halten und mein zu nennen, Herr
des fremden, aus Waldestiefen und sonnigen Hö*
hen geholten Zaubers seiner Federn zu sein.
Ich hatte meine Flinte bei mir . . Rasch steckte
ich zwei Kugeln in den Lauf und hieß den Wagen
stehen bleiben. Ich zielte nach der Dohle, sie rief
erschrocken „csak‘ und stürzte mit gespreizten
Flügeln vom Baume herunter. Ich feuerte zwei
rasche Schüsse ab. Der zweite traf sie am Flü*
gel. Sie ließ sich im Zickzack aufs Gras nieder.
Ein dünner Rauch schwamm in der Luft, etwas
Flaum wirbelte unter dem Birkenlaub.
Ich sprang vom Wagen und sah nach meiner
Beute. Lange suchte ich vergeblich im Grase;
endlich fand ich die Dohle: dort hockte sie auf
einem Maulwurfshaufen, zu einer blauen Kugel
gebläht. Ich griff nach ihr, sie entglitt meinen Hän-
den und entwich in raschen Spenßngssprüngen.. Den
angeschossenen Flügel schleppte sie nach. Zwi-
schen Gestrüpp, den Abhang entlang, bis an den
Waldesrand rannte ich ihr nach. Hier sperrte mir
spitzes Drahtgeflecht den Weg. Ich blieb vor der
Umfriedung stehen und brach in Lachen aus. Wel-
cher Unsinn.Doch sogleich ergriff mich
Eigensinn: habe ich was angefangen, so führe
ich es zu Ende! Auch hätte ich mich vor dem Kut-
scher, geschämt, ohne den Vogel zurückzukehren.
Ich stieg über die Hecke und zerriß dabei mein
Gewand, Verfluchter Vogel, jetzt kommst du mir

erst recht nicht mehr davon, und sollte ich dich
bis Sonnenuntergang jagen.
Flink wie eine Ratte enteilte er mir auf der
Wiese. ^Plötzlich begann der Boden unter mir zu
sinken. Bis an die Knöchel sank ich in den Morast,
meine Schuhe troffen, doch endlich hatte ich dl©
Strecke überquert. Ich war weit von meinem
Wagen.
Am Wasserrande blühten dicht die Brombee-
ren. Den Vogel warf sich unter die Dornensträu-
cher. Das Gebüsch nahm ihn in seinen Schutz und
Tausende kampflustiger Dornen richteten sich ge>-
gen den Verfolger. Dort hockte die Dohle, keine
zwei Schritte von mir, keuchend* mit offnem
Schnäbel. Ich griff nach ihr — wieder entglitt sie
meiner Hand. Blind vor Wut rannte ich in das Ge-
strüpp. Die Dornen zerfleischten mir Hals und
Hände; vorwärts, und müßte ich in Fetzen gehen.
Als müßte ich Genugtuung erringen für] die
Schmach, die ein dummer, kleiner Vogel meiner
Menschenwürde antat
Ich hatte ihn!
Als ich ihn in die Hand bekam rief er sein kläg-
liches „csak“ und sein Herz schlug heiß und rasch
unter'meinen Einigern. Dort stand ich mitten int
Gestrüpp, erschöpft, mit blutenden Händen und
zerschlissenen Kleidern — aber triumpfierend. Di©
Dohle warf den Kopf hin und her, in ihren Augen
bebte die Angst als blauschwarzer Schimmer. Ein
Flügel war zerschossen, auch mußte sie ein Schrot-
korn in die Lunge bekommen haben, denn Blut
sickerte aus dem offenen Schnabel. Urplötzlich
überkam mich eine tiefe Unlust. Weshalb hatte ichs
getan? Was sollte ich mit der Dohle? Fortwer-
fen? Das wäre unmenschlich. Rasch ein Ende mit
ihr machen, damit sie sich nicht länger quält.
Ich entriß dem Flügel eine Feder und wollt©
ihr nach Jägerbrauch den Schädel zerstechen;
war ich zu ungeschickt? hatte sie einen allzufestsn
Kopf? — es gelang nicht. Verzweifelt schrie und
wandt sich der Vogel unter meinen Griff; mich
erfaßte ein Ekel vor meinem widerlichen Tun und
vor Abscheu röchelnd riß ich ihm den Kopf herun-
ter. noch immer pendelte wie wahnwitzig das hei-
ße Herz in dem verstümmelten Körperchenj.
Die geköpfte Dohle in der Hand machte ich
mich auf die Suche nach meinem Wagen. Es dau-
erte lange* bis ich ihn fand. Der Kutscher dachte
mir entgegenzukommen, er hatte mich verfehlt.
Wir fanden uns erst nach langem Herumirren. Es
dämmerte bereit* als ich todmüde mein Gefährt
bestieg.
Die Dohle lag zu meinen Füßen. Ich hob sie
auf: Strohhalme klebten an ihren blutbefleckten
Federn. Ich entriß ihrer vier — zum mitbringen
für die Kinder — und warf das Aas auf die Land-
straße. Später bemerkte ich, daß eine der Federn
zerrissen und gebrochen war; auch diese warf
ich in den Wind. Die übrigen drei steckte ich auf
den Bock: recht sicher in die Schnur, die weiße
Porzellanknöpfe befestigten.
Es dunkelte immer mehr, im Westen glühte
zwischen riesigen senkrechtenWolkensäulen blau-
rot feurig der Himmel. Dann ward alles grau. Die
Birken am Wegrand bogen sich rauschend im
Winde.
Ich suchte mit dem Blicke meine Federn, doch
stach nur noch eine im Kutschersitze. Die übrigen
zwei mußte der Wind längst verweht haben.
Jetzt bog sich auch die letzte Feder unter dem
Wagengerüttel um. Der-Wind ergriff sie und
schlug sie mir ins Gesicht. Ich faßte danach, doch
sie flatterte davon und verschwand im Finstern.
Sollte ich ihretwegen den Wagen halten lassen?

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