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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 119/120
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Deutsche Dichter und Deutsche Richter: 1/Hamburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0106

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gebnis, daß das Gedicht der Klägerin nach Form
und Inhalt völlig verfehlt ist und irgendwelchen
poetischen oder literarischen Wert nicht bean-
spruchen kann, so glaubte das Gericht keine
Veranlassung zu haben, nach dieser
Richtung noch Sachverständige zu vernehmen.
Die Mängel des Gedichtes sind so krasse und
so sehr in die Augen fallende, daß sie jedem ge-
bildeten mit gesundem Menschenverstand und
mit Empfänglichkeit für Poesie begabten Leser
ohne weiteres die Ueberzeugung von der
Wertlosigkeit dieses Geistesproduktes auf-
drängen müssen. Es wäre auch schlimm um
eine Lyrik bestellt, welche sich lediglich an
einen kleinen Kreis von Sachverständigen wen-
det, und nicht im Stande sein müßte, ihre
Schönheiten jedem mit normaler Intelligenz und
einem gewissen ästhetischen Sinn ausgestatte-
ten Menschen zu offenbaren.
So schlimm ist es heute um die Lyrik bestellt,
daß sie sich nicht einmal dem gesunden Menschen-
verstand, der normalen Intelligenz und dem gewis-
sen ästhetischen Sinn offenbart. Alle diese Eigen-
schaften besitzt außer dem Gericht noch der deut-
sche Redakteur:
Aber auch abgesehen hiervon handelt es sich
im vorliegenden Fall lediglich um die Beant-
wortung der Frage, ob der Redakteur einer Ta-
geszeitung geneigt sein wird, dem Gedicht
einen poetischen Wert beizumessen und das-
selbe, sofern es ihm als Beitrag eingesandt
wird, zu honorieren.
„Dasselbe“ würde niemals dem Redakteur einer
Tageszeitung eingesandt werden.
Das Gericht glaubt auch diese Frage ohne An-
hörung von Sachverständigen verneinen zu
können. Die Redakteure einer Tageszeitung
werden. — das ist ihnen ohne weite-
res zuzu trauen — genügend Urteilsfä-
higkeit besitzen, um in Bezug auf die Einschät-
zung des in Rede stehenden Poems zu dem
gleichen Resultat zu gelangen, zu welchem die
vorliegenden Ausführungen geführt haben.
Das ist den Redakteuren endlich einmal gut
gegeben. Selbstverständlich würden sie in Be-
z u g a u f die Einschätzung dieses Gedichts ebenso
sachverständig sein, wie der ästhetische Jurist.
Die Kunst fängt immer dort an, wo diese Herren
aufhören, sie zu begreifen. Ganz sicher fühlt sich
das Gericht aber plötzlich wieder nicht:
Nun hat es allerdings den Anschein, als ob die
Klägerin mit der ihr eigentümlichen Art poeti-
scher Produktion eine ganz bestimmte Tendenz
verfolgt und man wird weiterhin mit der Mög-
lichkeit zu rechnen haben, daß es in der lite-
rarischen Welt Persönlichkeiten gibt, welche
die von der Klägerin vertretene Richtung so
konsequent verfolgen, daß sie sogar dem vor-
liegenden Geistesprodukt einen gewissen Ge-
schmack abzugewinnen vermögen.
Bei der Feststellung bleibt es erfreulich, daß
das Gericht die deutschen Redakteure nicht zur
„literarischen Welt” zählt. Denn:
Für den vorliegenden Rechtsstreit ist aber ein-
zig und allein derjenige Standpunkt maßgebend,
welchen der Redakteur einer Tageszeitung dem
Gedicht der Klägerin gegenüber einnehmen
wird. Und insoweit muß es bei dem oben Ge-
sagten sein Bewenden haben.
Das Gericht kennt die Redakteure insoweit.
Jetzt fühlt sich das Gericht auch nicht juristisch
mehr sicher: . . . . so muß der Vollständigkeit
halber noch ein weiterer Gesichtspunkt in Be-
tracht gezogen werden, welche eine Entschei-
dung des Reihsgerichts aufstellt. Das Reichs-
gericht führt aus: „Im vorliegenden Fall und
überall wo geistiges Eigentum wegen seines

inneren Wertes zu einer Verwendung gelangt,
zu welchem es, wenn nicht von seinem Urhe-
ber bestimmt, doch nach allgemeiner Anschau-
ung geeignet ist, und nach dem Erfolge sich
als geeignet erweist, ist der Gesichtspunkt n i e-
m a 1 s abzuweisen, daß sich derjenige, welcher
das fremde geistige Eigentum, sei es unredlich’
fahrlässig, oder, wenn das Gesetz vom 11. Juli
1870 zur Anwendung kommt, unverschuldet zu
seinem Vorteil verwendet, verwertet und sich
dadurch bereichert, einen Gewinn aus dem
fremden geistigen Eigentum gezogen hat, den
er eben deshalb dem Urheber oder seinem
Rechtsnachfolger herauszugeben hat. Denn er
hat dissen Gewinn auf Kosten des Urhebers
gemacht”.
Hierzu bemerkt das Hamburger Landgericht zu
seiner Entschuldigung.:
Diese Ausführungen würden auf den an sich
viellicht schwierigen Nachweis des Schadens
erleichtern, wenn die Beklagte sich das geistige
Eigentum der Klägerin wegen seines inne-
ren Wertes angeeignet, wenn sie also mit
anderen Worten das Gedicht abgedruckt hätte,
in der Absicht, ihren Lesern einen poetischen
Genuß zu verschaffen. Diese Voraussetzung
trifft aber offenbar nicht zu. Die Beklagte Wat
das Geistesprodukt der Klägerin ironisieren
wollen. Sie hat es, wie sie sich selbst aus-
drückt, lediglich als „Stilblüte” als "Dokument
für lyrische Verdrehtheit“ der Oeffentlichkeit
mitteilen und an, den Pranger stellen, wollen.
Es handelt sich um einen Fall der sogenannten
unfreiwilligen Komik.
Jetzt wird die unfreiwillige Komik ein juristischer
Begriff: ( ■
Die Lektüre de£ Poems wird bei demjenigen,
der überhaupt Sinn für Humor hat, ein Gefühl
der Heiterkeit auslösen.
Das Gefühl der absoluten Verständnislosigkeit
löst tatsächlich das Gefühl der Heiterkeit aus. Die
unfreiwillige Komik liegt allerdings dann beim Le-
ser und nicht beim Gelesenen.
Und da das Gedicht hiernach tatsächlich zur
Unterhaltung der Leser beizutragen geeignet
ist, so läßt sich ihm vom Standpunkt dieser
Betrachtungsweise ein gewisser Wert nicht
absprechen.
Der Begründung auch nicht. Aber wieder er-
hebt sich drohend das Reichsgericht. Das Reichs-
gericht wird „vielleicht“ den Fall der sogenannten
unfreiwilligen Komik nicht unter „den Begriff des
inneren Wertes des geistigen Eigentums haben sub-
summieren wollen”. Man kann das nicht wissen.
Würde man sich aber auch für diese Ausnahme
entscheiden, so wäre noch immer zu prüfejn,
worin denn eigentlich der von der Beklagten
gemachte Gewinn besteht. Dieser könnte
nur so konstruiert werden, daß Beklagte einen
Beitrag, welcher zur Unterhaltung ihrer Leser
dient, ohne Zahlung erworben hat, während
sie an sich verpflichtet gewesen wäre, für den-
selben ein Honorar zu zahlen. Nun werden
aber bekanntlich Beiträge, deren Inhalt sich als
unfreiwilliger Humor darstellt, hierher gehören
insbesondere die von manchen Blättern sogar
in besonderen Rubriken gesammelten Stilblü-
ten und Druckfehlerteufel niemals honoriert.
Für den Abdruck dieses Urteils ist also auch aus
diesem Grunde kein1 Honorar fällig.
Aber das Reichgericht macht dem Landgericht
noch immer Sorge.
Das Reichgericht gibt dem durch den Nach-
druck Verletzten das Recht, seinen Schaden in
Höhe der Bereicherung des Nachdrucks geltend
zu machen. Im vorliegenden Fall könnte eine
Bereicherung der Beklagten wiederum nur da-
rin erblickt werden, daß sie ein Gedicht kosten-

los abgedruckt hat, für welches sie ein Honorar
hätte zahlen müssen. Nun ergibt sich aber aus
den vorstehenden Ausführungen, daß eine Ver-
pflichtung der Beklagten zur Bewilligung eines
Honorars für das Geistesprodukt der Klägerin
unter keinen Umständen besteht.
Der Paragraph 19 des Urheberrechts wird „für
den vorliegenden Fall“ also offenbar außer Kraft
gesetzt.
Das Gedicht als ernstgemeinten Beitrag
brauchte sie wegen seiner literarischen Wert-
losigkeit nicht zu honorieren.
Jetzt beginnt die Phantasie des Gerichts zu blühen.
Im Paragraph 19 steht nichts von diesem Ausnah-
mefall zu lesen.
Die Verwertung desselben als einer Probe un-
freiwilligen Humors durfte, der allgemeinen
Verkehrsübung entsprechend, ohne Gewährung
einer Vergütung erfolgen.
Auch davon steht nichts im Paragraph 19 des
Urheberrechts. Bisher sind Zeitungen, die sich
unter dem sogenannten Gesichtspunkt der soge-
nannten freiwilligen Komik den Nachdruck vor
Gedichten gestatteten, stets entsprechend der De-
finition des Reichsgerichts zur Zahlung eines Hono*
rars verurteilt worden.
Verleger und Zeitschriftenredakteure sollten
sich übrigens dieses endgültige Urteil des Hambur-
ger Landgerichts zu Nutze machen. Sie können
ohne jedes Honorar und ohne jede Erlaubnis alle
ihnen passend erscheinenden Gedichte abdrucken.
Erforderlich bleibt nur, über die Gedichte die
Worte „Unfreiwillige Komik“ oder „Druckfehler-
teufel“ zu setzen. Dann tritt der Paragraph 19
des Urheberrechts außer Kraft, und die allgemeine
Verkehrsübung kann mit Hilfe des Hamburger
Landgerichts sich geltend machen.
Aus diesem Urteil ersieht man, welche Vor-
stellung der gebildete Deutsche von Literatur und
Kunst hat. Diese drei Laien, die Herren Landrich-
ter C r a s e m a n n, Dr. H i p p, Henschel,
haben nicht das geringste Bedenken, ein Urteil über
ein Kunstwerk zu fällen. Ueber die Behauptung,
daß eine Bluse schlecht genäht sei, würde sicher
ein Sachverständiger vernommen worden sein. Ein
Gedicht nehmen die Herren selbst auseinander und
können es nachher nicht mehr zusammenstellen.
Sie haben die einzelnen Stücke in der Hand und
wundern sich, daß es nicht paßt. Es paßt ihnen
eben nicht. Die janze Richtung paßt ihnen eben
nicht. Kunst ist ihnen nicht normal genug. Das
Publikum kann eben seine Sinne nicht benutzen.
Es hat sich für Kunst eigens einen sechsten Sinn,
den ästhetischen Sinn, angeschafft. Es liest schlech-
te Gedichte, die von deutschen Redakteuren ver-
öffentlicht werden, und’ findet die guten schlecht,
weil für die schlechten sogar vom Hamburger
Landgericht Nachdruckhonorar bewilligt würde.
Eine „literarische Welt“ wird zwar zugege-
ben. Sie wird aber? grundsätzlich für „exzen-
trisch“ erklärt. Es wäre auch traurig, wenn sich
Kunst im Zentrum dieser Ausführungen aufhalten
würde.
Ich hatte dem Gericht als Sachverständigen
Richard Dehmel vorgeschlagen. Aber das
Gericht wußte es allein besser. Ich sandte Herrn
Dr. Richard Dehmel das Urteil des Hamburger
Landgerichts ein und bat ihn um eine Aeußerung.
Hier ist sie:
Sehr geehrter Herr Walden,
Es ist schlechterdings eine Anmaßung, wenn
ein Gerichtshof ein Gedicht für literarisch wertlos
erklärt, dessen Verfasserin von wirklichen Kennern
der Literatur als eine ungewöhnlich begabte Dich-
terin anerkannt ist. Was würden die Herren
Richter wohl sagen, wenn ein juristischer Laie den
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