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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 117/118
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [10]: Roman
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Zech, Paul: Gedichte
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Kunowski, Lothar: Der Stil der Linie
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0099

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leuchtet kein Himmel, daß mich seine Bläue jetzt
nicht ausgrinste, daß die Stille nicht blöde, blöde
zu mir lärmte. „Itys, ach Itys“ hinter den Fern
Stern.
Sie zügelt die schwarzen heißen Pferde, daß
sie sich bäumen und mit Schnauben hochstehen; riß
die Leine? —
Meine nassen blutschwarzen Hände, — da
geht einer um. Sieh du scheue Trauer, sieh meine
Hände, sieh daß d^e dunklen Flammen nicht zusarm
menschießen und der Brand ausbricht. Am Feuer
trockne ich das Bhit. —

Es war Spätnachmittag, als er langsam, die
Tür zu Irenes Garten öffnete. Durch die ver-
schlungenen Gänge, Wege über den Kies, klirrte
sein Schritt wie sonst. Lange saß er in dem abend*
liehen Garten Irenes auf der Bank, auf der zum
ersten Mal leidend ihre blassen stolzen Mädchen-
hände an seine Stirn und Schläfen gedrückt hatte.
Murmelte oft vor sich hin: „Irene hat einer ge-
würgt“. Die gelben Vorhänge ihres Zimmerchens
wehten aus dem offenen Fenster heraus. —-
Schreckhaft und dunkel vergrämt’ stand er auf,
hastete hin und her. Der Wind blies über ihn und
kühlte seine Stirn. Der Klang seiner Schritte tat
ihm seltsam wohl. Wie fraglos gut alles geworden
war; hallend klar und kristallisch grün. Wie eine
Fliege im Bernstein sah er es vor sich. Dann rannte
er schneller durch die Gänge, ließ sich den flak*
kernden Wind in die Aermel blasen, als wollte er
sich forttragen lassen. Ueber seinen ganzen Kör*
per strich der Wind; er zog ihn mit offenen Munde
ein. Mit tausend flackernden Armen faßte der
Wind nach ihm. Da begann das Itysrufen hinter
den Fenstern jach zu verstummen. Während er
durch die dunklen Straßen lief, schrie mit eins alles
in ihm: Flamme, Flamme! Geht einer um, Hoho!
Er mußte sein Opfer vollenden; ja das schmacht
tende Züngeln empfand er, die bläulichen, weißen,
blaßroten und blutigroten Feuersflammen. Seine
Bewegungen wurden immer freier, ganz leicht. Er
lief mit berauschten Füßen, wie getragen wie ge-
wellt. Durch den mondhellen Wald brach er, kniete
hinter dem Gestrüpp an dem schmalen flackernden
Wässerlein. Da warf er das Moos und Strauch*
werk von der Erde auf, hob die stille, schwere
mit beiden Armen und trug sie an den Bach.
Er wusch den blutigen Hals der weißgesich*
tigen, noch immer lächelnden. Aber ihre starren
Haare ließ er nicht naß werden; flüsterte, flüsterte;
„Ich war vor Deinem Haus, Reni; ich habe noch
einmal alles gegrüßt, auch unsere Bank. Es ist
Zeit, ist Zeit. Dich hat einer erwürgt. Wer liebte
dich so? — Bist nicht aus meiner Wurzel gewach-
sen; ich darf nicht „wir“ von mir und dir sagen.
Oh das Wort „wir“, — so werfe ich unsern Haß
in die Luft. Werden uns in der Feuerluft die Fin-
ger streicheln und die Münder reichen. — Reni,
sieh mich an, sieh mich doch an. Ich bin so reich,
und doch so arm, daß du sterben mußtest. Die Welt
ist zerklüftet, es gibt nirgends Brücken. Ich halte
deinen Kopf; so fremd bist du mir, daß kein Ge-
danke von mir dich fassen kann. So fremd bist du
mir, die ich liebe, daß meine Sehnsucht sich mor-
den muß, um dies zu vergessen. So fremd bist
du mir und verschleiert von solchen Engen, daß
alle Welt zerbrechen müßte und in Stücke fallen
und den Geist aufgeben, weil dies geschehen kann.
Komm du Glückselige, meine Wonne taumelt
zu dir, du, unsre Brautnacht flötet und schmettert.
— Du haßt mich nicht mehr. Du kannst mich
nicht mehr fassen. Bist jetzt ein weicher Fleisch*
klumpen, schwer, krampflos, bist jetzt nicht —
mehr —- Irene —, du rothaarige, lächelnde. Du

bis jetzt nicht mehr Irene, wo dein Haß nicht
wo dein Haß nicht mehr ist. — Komm es
ist Zeit“. — Er starrte verwirrt auf die Tote,
stand langsam auf. — Wer ist das da? !— Ich
kenne den Klumpen nicht. Wo ist Irene? Den
Klumpen kenne ich nicht. — Wer hat das
getan? Wo blieb es, das blutgierige, ge-
ballte dem ich nachstellte, hinter ihren Augen, ih-
rer Stirn, ihrem Sprechen, ihrem Lachen; es ist
schon verweht- Jetzt will mich Irene morden, so
will sie mich morden. Noch jetzt lächelt sie mir
Hohn. Ich wollte eine Tür öffnen“. — Rings um
den Baum ging er schichtete einen hohen Schei*
terhaufen. Harten Gesichts hob er das tote Weib
mit beiden Armen auf und lehnte es fest gegen
den geborstenen Stamm. Dumpf schaute, er auf die
Stumme hin. Schüttelte wild ihre Schultern, würg*
te an ihrem Hals. „Reni“! Wo bist du? Was lä-
chelst du, so sprich doch, was soll dein Lächeln
bedeuten? — Oh du Verfluchte. Weit ins
Leere habe ich sie abgestoßen, zu den Mächten.
Ich selbst bin mit ihr gestorben. Ich wollte eine
Tüit öffnen“. — Dick qualmte es um seine Brust,
dessen Hand in dem spröden Haar des Weibes
wühlte und riß. Die Flämmchen spöttelten des
weißen Mondlichts über dem schwarzen Geäst. —-
Von ihr ist nicht die Rede, ich wollte Irene
nicht. Ich wollte keine Liebe. Meine Einsamkeit
wollte — ich — verlassen. Oh ich versteh dein
Lächeln, wie ich es immer verstanden habe, nun
höhnst du meiner dort — im weißen Ungefähr und
springst, daß ich alle Fäden zu dir zerrissen habe,
dich nie berührt habe, solange ich auch um dich
rang; Bei den Mächten bist du, die Macht, und kein
Tod macht meine schreiende Einsamkeit schwei*
gen. Und — kein Tod löst mich, in alle Ewigkeit
schließt mir die Tore auf! Kein Fenster habe ich
zum Schauen keine Hände die Riegel zu brechen,
keine Füße davon zu laufen. Tod ist das Leben,
tieichenstarr das Leben; es gibt kein Leben, sonst
müßte es Liebe und Hände geben, Tod ist das Leben,
was auch die Bäume wehen und der Mond und
alles, was hier schwirrt und diese Flammen hier,
diese heißen Flammen.
Steifer Tod bin ich mit all meiner Angst, Johan5
nes, und es gibt kein Erwachen zum Leben. Die
Mächte, ja sie, die meiner spotten, die blöden, ha-
ben dies Verlangen und Irene selber ersonnen, ge-
gen mich. Wie sie mich brannten, wie sie mich
brennen!
Ich höre ihr gelles altes Gelächter. Oh — ich
— ich weiß, was ich tue, ich — lache — mit —.“
-— Da schlug eine große, Flamme, plötzlich aus
den zuckenden zusammenschließend, mit weißen
Händen über den keuchenden verzerrten Mund.
Sie umwallte löwengierig den Baum.
Mit Faustschlag und Fußtritt warf sie ihn um,
gurrend und einschmelzend wTälzte sie sich über
die Aeste und hockte mit grinsender Zärtlichkeit
neben den Menschen nieder.

Sie wuchs aus der Erde auf, bog die zottigen
Finger mit Krallennägeln nach den Brüsten und
schrie mit Gelächter: „Meine Kinder! Meine lie-
ben Kinder! —“
Ende!


Gedichte
von Paul Zech
Sommerqual
Oh Sommerqual,, wenn die metallnen Dächer flim«
mein
und das verdünnte Bier im Trinkgefäß versiegt!
Oh Sommerglut, die unsre Nacken krümmer biegt

und hundert Henker wirbt die Qualen zu ver*
schlimmem!
Nur jetzt nicht wissen daß dies Glühn die Felder
segnet
und am Spalier die runden Früchte reifer kocht,
indes erhitztes Blut an unsre Schläfen pocht
und Scnweiß von den geschwärzten Stirnen nieder*
regnet.
Oh Sommer den wir so wie einen Fluch verspüren
und der uns bis auf die erschlaffte Scham entblößt!
Oh Sommer der uns zwingt ein Leben ohne Sinn
zu führen
und unsre Frauen die verweinte Kinder tragen
tags in die engen Höfe der Kasernen stößt,
wie man die Rinder zwängt lin schmale Schlächter*
wagen.
Wir
Wir sind die Ausgelöschten aus dem Buch.
Verschwisterung von Mutterschmerz und Vater*
fluch.
Die Gottheit, der wir untertänig sind,
schlug uns mit Blitz und Wortschwulst blind.
All unsre Tage verblühn'lm Drehgestell,
Dampf dreht das Karussel.
Schwindsüchtig hat uns der Schweiß gemacht.
Kinder zeugten wir ohne Bedacht.
Die aufwuchsen, sind ärmer wie wir,
Die Schwachen zertrat wer wie ekles Getier.
Oh immer die Sorge ums liebe Brot;
Hungern heißt atmen, Sattsein ist Tod.
Leblose Speichen sind wir am Riesenschwungrad,
Sandkörner die der Wind bald verweht hat.

Anziehender Schlaf
Der du am Fenster lungernd die Sterne zählst,
duck tiefer den Nacken;
ein fremdes Geschwirr will dich packen,
Verschleirung, der du dich nimmer entschälst.
Schon wogt es im Fernen wie Sintflutsturz.
Bau Archen du Noahssohn, Archen!
denn die Söldner der blinden Monarchen
schlagen im Fliehen alle Brücken kurz.
Arme Lichter erloschen im Tal.
Ueber der Kuppeln halbmastne Fahnen
thront schwarz der Baal.
Mühsäliges Steuerbordbahnen:
Welt war einmal!
Welt und die StammbaurmAhnen.

Der Stil der Linie
von Lothar von Kunowski
Beginnt der Künstler die poesievolle Über-
zeichnung, so wird alles, was allgemeiner Natur ist,,
die große Form, die Hauptschattenmassen, die
breiten Dunkelheiten der Oberfläche aller Gegen-
stände, sich durch ziemlich gleichförmige Strich-
lagen, also durch gerade oder kreisförmige Linien
von indifferentem, mehr mathematischem Charakter
an geeigneter Stelle wiedergeben lassen, deren Ver-
hältnis und Kreuzung das Auge zwingen, die allge-
meine Form, Färbung, Schatten- und Lichtmasse
zu sehen. Je mehr aber der Künstler an Stellen

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