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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 115/116
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Dallago, Carl: Karl Kraus / der Mensch
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0080

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Einzelbezug 40 Pfennig

DER STURM

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin W 9 / Potsdamer Straße 18
’ Fernsprecher Amt Lützow 4443 / Anzeigenannahme durch
den Verlag und sämtliche Annoncenbureaus
I
Herausgeber und Schriftleiter:
HER WARTH WALDEN
Vierteljahrsbezug 1,50 Mark / ‘Halbjahrsbezug 3 Mark /
Jahresbezug 6,— Mark / bei freier Zustellung / Anzeigen-
preis für die fünfgespaltene Nonpareiiiezeile 60 Pfennig
DRITTER JAHRGANG
BERLIN JUNI 1912 NUMMER 115|11
6

Carl Dallago: Karl Kraus der Mensch / Paul Hatvani: Lichtenberg / Franz Marc: Zur Sache / Alfred Döblin: Der
schwarze Vorhang / Günther Mürr: Marie / Otto Pick: Der Selbstmord eines Katers / Raoul Hausmann: Wieder Herr
Scheffler / H. W.: Notiz / Paul Hiller: Die Indische Tänzerin / Cesar Klein: Original-Holzschnitt / Moriz Melzer: Ori-
ginalholzschnit

Karl Kraus / der Mensch
Von Carl Dallago
Daß ich seiner gedenken muß im Frühlings-
morgen um mich, macht mir Gedanken. Gerade
seiner, der den Morgen über schläft, um nachts zu
arbeiten, der in der Lebensführung so sehr von mir
absticht. Sein Werk ist nachtgeboren und gibt doch
soviel Helle, es ist lichtsüchtig — vielleicht eben,
weil es dem' Dunkel entsprang, es weiß mehr vom
Trug der Nacht und darum auch mehr von der Not-
wendigkeit des Lichts. So erklärt sich mir auch,
warum ich Kraus zugetan bin — warum der Früh-
lingsmorgen dieses Zugetansein in mir noch hebt.
Kraus ist ein Licht, das erhellt.
Er spürte in sich wohl etwas sich entzünden,
bevor er schrieb; so nannte er seine Zeitschrift „Die
Fackel“ — mußte sie so nennen. Sie brannte viel-
leicht auch manchmal mit Rauch und Ruß wie eine
Fackel. (Ich kenne ihr Flammen zu Beginn nicht).
Ich denke mir, daß der Zorn in Kraus noch rauchend
war, daß der Qualm noch roch und abfärbte. Es
will alles seine Zeit, auch das Sichlauterbrennen,
wenn man Flamme ist.
Kraus ist Glühen, ist eine Flamme Ich habe ein
Lodern wie seines an keinem Schriftsteller in un-
serer Zeit wahrgenommen. Er steht da als ein
trennender Gegensatz zu den Uebervielen, in denen
der Schacher zuhause ist. Er ist zunächst in Haß
entbrannt gegen das Treiben in seinem Volke.
Aber der Schacher, auch der mit Geistesgütefn,
geht heute bereits in jedem Volke um, nicht nur in
den Juden. So wird Kraus Einzelmensch und wert
voll jedem Volke. Sieht es doch zuweilen aus, als
laufe das Bestreben der Zeit nur darauf hinaus,
durch Geschicklichkeit im Schachern sich hervor-
zutun. Es könnte in einem den Ekel vor der Zeit
gebären, falls diesem Schachern wirklich ein Füh-
rendes zukäme. Aber der Intellekt denkt und eine
unbegreifliche Macht lenkt; die liegt sicher dem
Sexuellen näher als allem Intellekt Damit doch
habe ich das Fahrwasser erreicht, darin Kraus am
heimischsten ist, darin er als Schaffender seine ver-
wegensten Fahrten macht und sein Segel den stärk-
sten Wind fängt, sodaß die Fahrt oft wie rasende
Jagd wird, ein Anblick, der dem nur-lntellektischen

Betrachter das Sehen und Hören verschlägt. Denn
Kraus ist Anti-Intellektueller. In seinem letzten
Werke ,,Pro domo et mundo“ findet sich der ge-
waltige Ausspruch: „Es gilt, der Weltbestie Intelli-
genz, an deren Haß der Künstler stirbt, aber von
deren Haß die Kunst lebt, den Genickfang zu geben“
,,Die vor Bildern grinst und Bücher über die Achsel
liest, die sich durch Unglauben ihre Ueberlegenheit
vor Gott und durch Frechheit ihre Sicherheit vor
dem Künstler beweist!“ — Wie innig und dankbar
ich das Gesagte fühle! Es verbindet mich dem
Autor innerlich in einer Zeit, wo der Intellektuelle
nur die Larve des Philisters ist.
*
Als ich Kraus das erstemal vor ungefähr Jahres-
frist las (ich kannte vorher keine Zeile von ihm),
fühlte ich hinter dem Gelesenen einen gütigen Men-
schen. Seine Güte jedoch verbarg gleichsam das
Gütigsein und ging einher in der Maske von Hohn
und Spott, von beißendem Humor oder einer kühlen
Härte. Als Führendes aber war lodernder Haß da,
der aus der Seele zu wachsen schien und ihr doch
wiederum mehr wie Hülle und Deckung lag, um
einen Schmerz zu erdrücken. Der Schmerz kam
wohl von Liebe. Und der Haß folgte erst nach
Zuerst war das Sehen, das Hineinsehen in Men-
schen und Zustände. Es ließ Kraus sich entsetzen
vor einer Welt, die darauf ausgeht, gerade dem
Menschlichsten die Höhe auf Erden heiß zu machen.
So ist seine Güte hart geworden und sprüht Haß
aus. Es wäre Haß aus Liebe,, die revoltierte, aus
Empörung vor Liebe. Mit der Liebe starb vielleicht
in Kraus seine Jugend, denn Hassen ist Erfahrung
und die macht alt: er will nun alt scheinen — alt
und ungütig, um sicher zu sein vor Zudringlichkei-
ten und Belästigungen der Welt. Die Geistigkeit
seiner Künstlerseele, die sich selber angehören will,
mag nach dieser Weltrichtung kein Gefallen mehr
erregen; sie will von sich eher abstoßen und ent-
fernen, wenn sie durch das geistig zudringliche und
rohe Marktgemenge hindurch muß. So glich ur-
spr.nglich die Seele in diesem scheinbar frivolen
Spötter vielleicht eher einer jungen Schönen, die
weil sie innerlich vergeben ist, sich ein schlechteres
oder ältliches Aussehen zu geben sucht, wenn sie
durch zudringliches und rohes Mannesvolk hindurch
muß

Wo Güte gereten wird, wandelt sie sich in Här-
te. Es ist Wandlung aus Not, aus Selbsterhaltungs-
trieb. Denn Güte ist ursprünglich weich, ihre Lust
ist die Nachgiebigkeit. Der gütige Mensch fült bald
das Gütelose in der Welt, die in ihrer Unfähigkeit
die Güte für Schwäche hält und sie danach behan-
delt. Es ist die Welt unserer Zivilisation, die genug
Grausamkeiten dort bgeht, wo sie sich stärker
vermeint. Ihre Unfähigkeit hält auch den Starken
für schwach, denn sie sieht ihn nur vereinzelt oder
gar allein, und sie rechnet immer nach der Zahl;
ist doch nur die Ueberzahl ihre Stärke. So tritt sie
immer auch auf den Starken, der immer auch gü-
tig ist. Da kommt die Enttäuschung: es gibt Etwas
nicht nach Es ist nicht mehr Weiches da, daß sich
treten läßt, die Güte ist hart geworden. Jeder
Drauftritt verletzt nun die Tretenden. So wird
Härte ein Kennzeichen des starken und gütigen
Menschen.
Die Härte an Kraus ist schon an seinem Stil
konstatierbar. Man f.hlt, sie reicht in seine Seele
hinein: Nur größte Härte verträgt solchen Schliff,
Kraus ist hart g e w o r d e.n. Alle Grausamkeiten
unserer Zeit traten auf sein Inneres. Die Unkultur
einer ganzen Großstadt trampelte auf ihm herum.
Es machte seine Güte zuletzt wohl hörnern wie
das Drachenblut die Haut Siegfrieds. Aber wer die-
ser Härte mit den Ohren der Seele lauscht, hört
noch die Güte durchtönen. Oft mehr, oft weniger.
Jedenfalls macht sich fühlbar: es ist Güte in ihm.
Ich gebe hier aus den Schriften Kraus’ einige
Stellen, die mir sprechende Belege seiner Güte
sind. Einmal die Stelle, von der Karin Michaelis
berichtet: „Vor allem entsinne ich mich eines
Fragmente aus seinem Buch „Die chinesische Mau-
er“, wo er in zwei Spalten einander zwei Zeitungs-
ausschnitte gegenüberstellte, die nicht riefen, son-
dern wie in Todesangst schrieen gegen menschliche
Ungerechtigkeit und Dummheit. Ein Dienstmäd-
chen hatte ein uneheliches Kind geboren Sie gab
es in ein Dorf in \Pflege, von ihrem geringen Lohn
wollte sie vier Fünftel für das Kind opfern. Denn
sie liebte es. Eine Woche oder einen Monat später
gab man ihr das Kind zurück. Warum? „Wnn sie
sterben sollte, würde das Kind der Gemeindefür-
sorge zur Last fallen“. Sie nahm das Kind und
brachte es in ein anderes Dorf, aber auch da fürch-

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