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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 140/141
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Borberg, Svend: Barokko
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Adler, Joseph: Guten Morgen, Pioniere
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0241

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was ihm; dem Hirnmerländsmann, kolossal impo-
niert hat. Aber: in Wirklichkeit ist er ein Bauern-
sohn, der Johannes heißt und im Ausland war. Er hat
nicht die Blasiertheit der Phantasiefülle den prak-
tischen Konsequenzen gegenüber. Die Häuser in
New-York findet, er so hoch, so hoch, und Räder
sind da, die ineinander greifen... Er singt das Lob
über die moderne Stadt und bezeichnet sie als
einen Fortschritt — als ob nicht immer die Bewun-
derung der Gegenwart und die Entwicklung" Feinde
des Fortschritts sind. Amerikas „Bluff“ und der
Sturm in seinen Telephondrähten und Schornstei-
nen hat ihn vollständig hingerissen. Er hat über-
sehen, daß der Wind sich immer um ein Minimum
dreht. Er hat einen Augiastall reinigen wollen und
durch ihn eine Kloake geleitet
Als Polemiker ist er manchmal nicht gut. Mit
-offenem Visier kämpft er ganz blind in der Luft.
Seht, ich bin „Wildmann“ in dänischen Waffen
singt er. Das Wildeste, das dieser Wildmann
schaffen konnte, waren einige kleine Blumen am
Wegesrain, ein paar „Teufelsbutterbhimen“ und
-eine einfache Mimose. Eichen, auch künstliche,
standen ihm stets im Wege.
Daß dies kein Würdigerer als ich zu sagen
wagte, ist vielleicht in der Furcht vor der polemi-
schen Rücksichtslosigkeit Jensens begründet.
Als Skandinavier fühlt man oft momentan einen
Stolz in Deutschland, überall in Buchhandlungs-
fenstern und auf Theaterzetteln skandinavische Na-
men. Aber gleich danach ist man beschämt. Es
. sind nicht unsere Großen, die in Deutschland ge-
feiert werden. Es scheint ein Zufall zu sein, wer
in Berlin oder Wien mit einer falschen Elle ver-
größert wird. Johannes V. Jensen ist sicher der
größte Journalist, den Dänemark und vielleicht
auch größere Länder gehabt haben, Als Bauern-
schilJerer stand er hoch. Aber seine Geistes-
größe ist made in Germany. Seine Vielseitig-
keit erinnert an die Berliner Warenhäuser. Er be-
sitzt ein Organ für den Geschmack, obgleich von
Anfang an Symptome darauf hinweisen, daß sein
■Geschmack nicht verläßlich ist.
Svend Borberg

Guten Morgen,
Pioniere
„Aber der Einfluß der Zeitungen ist heute doch
wesentlich weitergebend. Die Bildung ist umfas-
sender geworden und es wird allgemein mehr ge-
lesen als früher. Auf der anderen Seite aber sind
die modernen Menschen von der Berufsarbeit so
sehr in Anspruch genommen, daß wesentlich nur
noch Theater und Zeitungen als die hauptsächlich-
sten Bildungsquellen für sie in Frage kommen.“
Der immer weitergehende Einfluß der Zeitun-
gen ist nicht mehr aufzuhalten, er reißt alles mit
sich fort. Die Bildung ist umfassender geworden.
Aufdringlicher. Volkstoll. Wohin sich retten? Auf
der anderen Seite werden die modernen Menschen
von der Berufsarbeit in Anspruch genommen und
die Bildungsquellen kommen in Frage. Sie sind
mit Antworten nicht zu verstopfen. Die Bildungs-
epidemie wütet, der moderne Mensch ist ihr Opfer.
Die Lektüre der Volkszeitung und der Besuch einer
Operettenbühne geben ihm Oberfläche. Die Bil-
dung ist ein Massenartikel geworden. Sie wird
zu Schleuderpreisen losgeschlagen. Sie ist kaum
mehr käuflich. Man hat dem modernen Menschen
einen Heißhunger nach ihr angemästet. Er ist gar
nicht mehr zu stillen.

„Auf- den Journalisten ruht daher heute eine
Verantwortung, <|ie ^sicherlich nicht geringer ist
als die Verantwortung großer Geschäftsleute und
großer Staatsmänner, nur daß die Presse nicht
jeden Tag von dieser Verantwortung spricht. Der
Verein Berliner Presse ist es wesentlich gewesen,
der mit dazu beigetragen hat. das Gefühl für diese
Verantwortlichkeit in den journalistischen Berufs-
kreisen zu schärfen.“
So prahlt keiner mehr mit den Schwierigkeiten
seines Berufs. Ein Chauffeur ebenso wenig wie
ein Schafhirt oder eine Hebamme. Das fühlt die
Verantwortung eines Ministers auf sich lasten und
federt lakaienhaft. Wähnt seine Bedeutung nicht
geringer als die eines großen Kaufmanns, ver-
schachert aber seine Meinungen und „m ach t“
in B i 1 d u n g s r e s t c n. Der Verein ' Berliner
Presse ist es w e s e n 11 i c b gewesen,' d e r V i e 1
dazu b e i g e t r a g e n hat, das Gefühl für Ver-
antwortlichkeit in journalistischen Kreisen zu
schärfen, aber die Grenzen zwischen Wissen-
schaft, Literatur und Presse ist nicht mehr so
scharf wie einst. Die Presse ist der Mittler
zwischen der Wissenschaft und dem
Publikum. Zwar sind die !Gelehrten \ nicht
immer mit dem Widerklang zufrieden, den ihre
Arbeit in der Presse findet, „aber das liegt
o f t a n der Wissenschaft, und es sollte ihr
ein Ansporn sein, sich' klarer und populärer zu
fassen“.
So hat sie der Rektor der Berliner Univer-
sität kompromittiert. Noch nicht zwölf Stunden
nach einer offenen Absage an sie. Man staune:
„Die Lektüre der wissenschaftlichen Bücher,
das Hören wissenschaftlicher Vorlesungen spielt
eine wesentlich geringere Rolle als die Zei-
tungslektüre.“
Nun soll sich die dumme Wissenschaft noch
klarer und populärer fassen. Neben der dickwan-
stigen Presse, die unsere Zeit gewalttätig mit Bil-
dung schwängert, erscheint die Wissenschaft zu
einem Skelett abgemagert. Sie spielt eine w e -
s e n 11 i c h geringere Rolle als die Zeitung. Hinter
den Brettern der Phrase, die eine Welt vertrotteln,
ist alles Komödiantentum. Die Presse ist natürlich
eine Hauptdarstellerin. Eigene Note. Routine.
Größe. Gewalt. Die Technik hat auch eine große
Rolle an sich gerissen, und sie hat noch eine glän-
zende Zukunft vor sich. Die Wissenschaft spielt
eine dürftige Nebenrolle und die Kunst, ach Gott,
die stirbt in der Hauptsache. Es hat einer sogar
ein Buch darüber geschrieben, aber die Presse
sagt frei sich von jeder Schuld. Sie hat zti den
Sterbenden stets die besten Beziehungen
unterhalten. Oh, viele Künstler verdanken ihr
überhaupt alles. Sie sagen es sogar ohne vor-
herige Verabredung. „Der greise Niemann, der
Hüne, stand auf und erzählte: daß er der Presse
altes verdanke. Jahrzehnte lang habe er in ihr
immer neuen Mut geschöpft, und als sie ihn zu
seinem achtzigsten Geburtstag noch einmal feierte,
da habe er bei sich gedacht: Donnerwetter! Du
bist doch ein Künstler gewesen!“
Aber nicht allein ein Hüne hat Jahrzehnte lang
aus der Presse Mut geschöpft, auch „sehr viele
Schriftsteller mit großen Namen v e r-
verdanken den Redakteuren Anre-
gung, Belehrung u n d da m i t ihren
Ruhm“. Ich will einmal höflich sein und keine
Namen nennen. Vielleicht auch keinen der Re-
dakteure, deren größter Teil dem großen Publikum
unbekannt ist
„Als Soldaten ohne Namen tun sie jahraus, jahr-
ein ihre Pflicht. Es sind wirklich Soldaten, Pio-
niere (tatsächlich oft Genietruppen) im Dienste des
Volkswohls.“

Halt! Das Ganze halt! Immer militärisch.
Wie? Pionier Engel vor nicht langen"'^öit
Schneiderbock, der auf Pegasus reitet, schneidig
herausgestricheri. Noch nicht vergessen. Dolle
Sache das gewesen. Später mal für Walter Bloem
ostentativ Lanze gebrochen. Zola abgesagt und
Bloem zum Marschall der deutschen Literatur, je-
stempelt. Verteufelter Kerl, dieser. Engel. Und
wen sehe, ich da? Den Schient her. Auch ’n
alter Haudegen. Letzthin für Atlantis Attacke ge-
ritten, daß Jeistesfunken nur so sprühten. Und
hier der Albert i. Veteran. Naturalistischen
Feldzug mitgemacht. Viel gereist. Wie? Asien,
Afrika. Weiß, weiß. ' Fünfzig schon, aber jmirjer
noch Schwerenöter. Der Lily Braun viel Schmei-
cheleien gesagt. Vor einigen Tagen erst. Brav.
Sehr brav. — So? Nicht der Rede wert? Pflicht.
Nicht mehr. Soldatenpflicht...
Sie alle scharen sich um das, Sch wert des
Idealismus, das stets zu schärfen, Ex-
zellenz Prof. Harnack wärmstens empfohlen hat.
In der Phrasenschmiede wurde der Blasebalg ge-
waltig getreten. Das Feuer ging nicht aus. Mit
tausend süßen Artigkeiten vollgestopft kamen sie
zum Festfressen. Minister, Gelehrte,’Künstler und
Literaten. Und zwei knappe Tage vor der".Hunger-
revolte am Wedding konnten die Pioniere i m
Di e n s t e des V o 1 k s w o h 1 s mit Thüringer
Bachforellen und böhmischen Edelfasanen aüfwar-
ten. Zwischen den einzelnen Gängen 'wurde an
dem „interessanten Ku 1 tu r prob! em
J o u r a 1 i s m u s“ gekaut.
Denn: „die moderne Presse ist längst nicht nur
eine große Mittlerin, sondern im Grunde, wie die
Dichtung oder Kunst, eine ganz selbständige und
eigenartige Funktion des geistigen Lebens der Völ-
ker. die ihren eigenen komplizierten Gesetzen
folgt.“
Das lebt von der Hand in den Mund und rühmt
sich als Geistesnahrung, nennt sich ein Geheim-
nis und schwatzt alles aus, verwischt Grenzen
zwischen „Faktoren des ö f f e' n tl i che n
Leben s“ und macht den Gedanken landflüchtig,
wiegt sich stolz als Kind der Revolution der mo-
dernen Technik und ist der Vater allgemeiner gei-
stiger Verseuchung, schärft das Schwert des Idea-
lismus und frißt als Rost an allem, das seelisch
verhungern muß. Ho 1 z b o c k natürlich hörte
aus dem „Reigen der offiziellen Reden
das Hohelied der Presse“,
Aber der Reigen war ein Schiebetanz und. das
Hohelied ein Reißer. . , ...
Joseph Adler

Empfohlene Bücher
Die Schriftleitung behält sich Besprechung der hier
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereits
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwähnte
Bücher zurück, faWs Rückporto beigefügt wurde.
M i c h e I Y e I I : •. ■
Cauet .
Paris i La Nou veile Revue Francais?
Emile P e y r,e fort
La Source ignoree ,.■<,>
Paris / Maison d Edition 12, Rue,, Bonaparte

Verantwortlich für die Schriftleitung:
Herwarth Walden / Berlin W 9

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