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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 107
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Lasker-Schüler, Else: Wenn mein Herz gesund wär -: Kinematographisches
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Zech, Paul: Nächtlicher Marktplatz
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Behne, Adolf: Zwei Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0023

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Griechisch und Lateinisch und macht gute Fort-
schritte. Aber was geht mich das alles an;
ich will nichts wissen, nichts. Wenn es nur nicht
klopfen würde!
Das Gehirn wird rein aufgewühlt, es klopft
nicht allein unten jeden Freitag und Sonn-
abend, jedes Stäubchen wird aufgewirbelt, es
klopft auch an den anderen Wochentagen, denn',
ich wohne zwischen Haus und Haus und muß
die Brutalität aller Höfe ertragen. Ich sitze immer
bei geschlossenen Fenstern und werde gar nichts
von dem Sommer haben; ausgehen kann ich
nicht, ich schreibe Geistergeschichten; ich habe
Schulden. Dabei ziehts, wenn ich die Türen
rechts und links und hinter mir auflasse. Ich
trage seit dieser Wohnung ein Katzenfell; wenn
ich abends wo eingeladen bin, überkommt mich1
eine furchtbare Angst, ich könnte anfangen zu
miauen. Ich hab gar keine Lust zum Leben
mehr, wenn noch die Menschen gerne meine
Lyrik lesen wollten; wer sie gern liest, der soll
mir doch mal einen netten Brief schreiben. Ich
muß nämlich wegen meiner englischen, Krankheit,
in Kleesalz baden, damit man nicht über mich
ausrutscht. Ich habe dann immer so eine Lange-
weile in der Badewanne, und lese gerne
schmeichelhafte Briefe an mich. Was einen
schlechte Kritiken ärgern! Man hat doch sofort
Jemand gern, der einem schöne .Worte schreibt.
Es gibt wirklich sympatische Geschöpfe auf
der Welt. Ich kann nur Weilgesichter nicht
leiden, ich habe einen Argwohn gegen Licht.
Darum nehme ich mir auch nur schwarze
Mägde und Diener. Ich habe zwei Neger und
zwei Indianerinnen; Tecofis Vaterhäuptling
kommt manchmal nach Berlin und! tritt dort mit
seiner Truppe im' Chat noir auf. Tecofi fragt
mich, wenn sein Vater nach,’ Berlin kommt, ob er
bei mir auf dem Balkon wohnen könne. Ich
hab nichts dagegen. Mein Somalineger ist
königlicherer Abstammung, sein Vater besitzt bei
Teneriffa Hammelheerden. Manchmal schickt er
mir ein paar abgezogene Hammel, die kommen
als Hautgoutragout hier an. Osmann, mein jünge-
rer Neger, sieht aus, wie ein sinnender Gorilla
im Pflanzenkübel. Böse Spezies, herrlich! zu
schauen, aber man muß ihn in Ruhe lassen;
seit kurzem pfeif ich auch nicht mehr, wenn er
jemandem den Kopf abbeißen soll, er ist zu
schade, zu wertvoll, um zu gehorchen, selbst
mir. Meine beiden Indianerinnen sind emsige
Mädchen, sie sind an gestellt von mir, die Fäden
meiner Logik zu suchen, die Logik meiner Unter-
haltung zu finden. Manchmal suchen sie die
ganze Nacht, ich' fürchte sie werden sich einmal
in einem Augenblick an meinem Leidfaden auf-
hängen. Das muß man inj Kauf nehmen, dunkle
Leute sind schlechte Spürhunde, sie können
nichts finden in der Nacht .ihrer Haut. Halloh,
was tät ich wenn mein Herz gesund wär? Habe
ich denn ein Herz oder wenigstens so was ähn-
liches r Bei dieser Einlage im Programm muß
ich weinen — gut, daß es Nußstangen gibt,
die trösten, auch die Pfeffermünz in Holzschäch-
telchen. Ich glaube nicht, daß mein Herz aus
Fleisth und Blut ist, rissig sind seine Wände;
es hat weniger Augenblickswert als Ewigkeits-
wert, darum bin ich vollständig unbrauchbar für
den Vorbeipassierenden, ich bin nur interessant
für den Forscher. Immer klingelt es in den; effekt-
vollsten Stellen. „Hier 35, 24t wer dort?" „Doktor
Nikito Ambrosia, sind Sie Else Lasker-Schüler?"
„Leider". „Frohlocken Sie nicht, verzweifeln Sie
nicht, meine Dame, ich frage Sie an ganz er-
gebenst, würden Sie ein Engagement am Winter-
garten .annehmen, monatlich mit einer Gage von
10 000 Mark? das macht im Jahr rund 100 000
Mark?" „Sie spaßen wohl, Herr, es ist doch
nicht üblich, am Variete länger, als einen Monat
die Artisten zu beschäftigen." „Aber uns liegt
daran meine Gnädigste, Sie an unser Variete
zu fesseln." „Es handelt sich wohl um meine

arabische Szene, Herr Dr. Ambrosius?" „Ganz
recht! Da Sie hoch zu Kamel über Theben
sitzen." „Herr ich kenne Sie, so einen unge-
s'chminkten Baß gibt es nicht am Variete. Sie
sind Professor Gellert, der letzte Hohenzollern-
dämmer." Schluß! Mein Brief: Herzallerliebster
in Adrianopel! Er fragte mich nämlich an, ob
ich ihn noch liebe, bittet mich, ihn nicht zu be-
ilügen. Ich werde ihm doch keinen Stoff zur
Lyrik geben, (er ist Dichter), „ich’ liebe ihn also!
Basta!" Könnte ich doch auch ein bischen nach
der Türkei, zumal meine Vorfahren alle in Sänf-
ten getragen wurden.» Das Gehen, wird mir darum
schwer. Wo bei Euch die Sohlen schon erkaltet
sind, sind sie bei mir noch Glut. Wenn meiq
Herz gesund wär, was tät ich dann? Einen;
Augenblick bitte! Ich würde mich pudelnackt
ausziehen und mich in ein; Süßwasser werfen, wo
die sanften Fische leben, aber Schuppen kahh ich!
nicht leiden. Oder ich ging .nach dem Südpol
und wärmte mich mal ganz! tüchtig ein, oder ich'
ließ jedenfalls in. der Eiszone! jeinen; Anthrazitofen
setzen. Was soll ich noch machen? Ich blieb,
gerade am Wendekreis stehen zum Trotz. Den
Sternbildern würde ich Schnurrbärte malen. Ist
es nicht himmelschade, daß mein Herz nicht ge-
sund ist? Vom Mond kommen die Herzkrank-
heiten, namentlich die Neurosen. Alle Krank-
heiten kommen von, oben. Hier (unten ist es ganz
nett. Darum stürzen auch so viele Aviatiker vom;
Himmel herab; das Fahrzeug platzt ja gar nicht,
die Fallsucht kriegen sie alle, je höher sie. die.
Bazillen der Gestirne einsauge'n. Wie die Aviatiker
aussehn: Wie die Vögel ihre Nasen sind
Schnäbel und die Köpfe strecken! sie in die Höhe.
Ein neues Menschengeschlecht. Einmal aß mit
mir ein Luftsegler zu Mittag, der hackte wie ein
Habicht am Fleisch herum, riß am Schnitzel
wie ein Aasgeier. Karl Vollmöllers herrliche
Katharine von Armignac ist die erste Aviatikerin
der Welt. Im Uniontheater der Luftschiffahrt-
ausstellung am Zoo fliegen sie alle. Ich kann
umsonst zusehen, ich versprach über alles zu,
schreiben. Ich hab kein Geld, (aber darum kann
ich mich doch nicht von der Welt abschließen.
Und soll sogar die Regierung in Theben über-
nehmen, ich regiere sogar schon pro forma. Die
Leute in Berlin sagen, ich habe eine fixe Idee.
Fixe Idee ist was Natürliches: Natur die das
Gesetz zum Sklaven macht. Ich bin der. Prinz
von Theben. Nur Kaiser Wilhelm kann mir in
Deutschland nachfühlen, was Regieren heißt. Ich
habe dabei ein bunt’ Volk. Nachts liege ich auf
deim Dach und bei Tage sitze ich unter meiner
Palme und regiere. Ich bin für alles verantwort-
lich; mein Volk schielt noch vior Ungewißheit,
es meint ich mache Ulk, aber auch der Ulk ist
mir bitterer Ernst. Ich bevorzuge nichts — nur
Menschen. Bin ungerecht, weil ich Geschmack
habe, künstlerischen Sinn habe; meine Rede ans
Volk bedient sich nicht des Punktes, weil ich
■ mich nicht binden will. Ich bin am tolerantesten!
gegen mich, ich bin gnädig gegen mich, ich bin;
einig mit mir, aus Diplomatie, weil sich mein
Volk an mich halten muß. Ich denke nur viel,
sehr arg, unmittelbar, ich lasse alle meine Ge-
danken ganz nah an mich herankommen, damit
sie das Fürchten verlernen. Wenn ich nur nicht
schon in der Frühe von so vielen muselmän-
nischen Babieren gestört würde, die mich täto-
wieren wollen, von abendländischen Malern die
mich porträtieren wollen. Nachts werde ich
immer im Schlummer auf meinem Dach gestört
von meinen Paschas, die vor Begeisterung meines;
Regierungsantritts nicht ruhen können. Sie
Raben immer in der Audienz, die ich ihnen er-
teilte, eine Frage unaufgeworfen vergessen, die sie
treibt. Seitdem ich als regierender Prinz in The-
ben gewählt bin, bewegen sich viele Ehrgeizig^
in derselben Tracht und Gebärde in den Straßen
der Stadt, die mir zu gleichen trachten. Meine
Epigonen! Denn regieren ist auch eine Kunst,

eine Eigenschaft, wie die Malerei, die Dichtkunst
und die Musik. Die Epigonie! jaber ist eine Tätig-
keit, darum bringt die Epigonie was ein, wie
die Arbeit. Ich arbeite niq, jich hasse den1 Schreib-
tisch — zwar hab ich selbst einen — aber er ist
nie «ganz gewesen. Heute Nacht, da meine
Neger schliefen, erbrachen die Paschas gewalt-
sam die Pforte, die zu,'meinem. Dache führt wegen
der Freimarken. Ich wurde in der Nacht noch'
im Profil (Seite steht mir besser wie en face), im
Turban und Regierungsmantel photographiert in
allen Farben; auf allen Posten meiner Stadt ver-
breitet man! Mich Allerhöchst.
Else Lasker-Schüler

Nächtlicher Marktplatz
Der grelle Strahl verzierter Kandelaber
Schlägt breit auf das verregnete Gestein.
Vorm Wachtturm halten in zwei graden Reihn
Kopfhängerisch die dürren Droschkentraber.
Schlafäugig schaun viel Fenster in das Blinken
Der Lichter auf dem Brunnen von Porphyr.
Ein schwarzer Wächter huscht von Tür zu Tür
Und prüft das Riegelwerk verstaubter Klinken.
Ein hagres Weib, geputzt und frech geschminkt,
Hockt regungslos wie eine Spinne
Im Dunkel eines Tors und spannt die Sinne,
Bis einer, dem Gelüste das Blut zerwühlen,
Das süße Gift mit Zartgefühlen
Von ihren hartzerbissnen Lippen trinkt.

Paul Zech

Zwei Ausstellungen


Ich fürchte, die jungen Künstler, denen die
Sezessionen zu eng und zu alt geworden sind,
und die in irgendeiner Form neue Sezessionen
gegründet haben, werden noch lange auf ihre
Anerkennung warten müssen. Vorerst nimmt
man sie kaum ernst, ja, man kümmert sich nicht
einmal um sie. Die Zeitschrift „Der Sturm" und
die „Neue Sezession" haben Ausstellungen ver-
anstaltet. In beiden ist mit großer Liebe, vielem
Geschmack und ehrlicher Hingebung an die
Kunst gearbeitet worden; was zustande gekom-
men ist, stellt ohne Frage das Interessanteste
dar, was man uns in Berlin seit langem dar-
geboten hat. Die Ausstellung der „Neuen Sezes-
sion" umfaßt ausschließlich Zeichnungen, Holz-
schnitte und Radierungen (außer wenigen
Plastiken). Und wer die Schwarz-Weiß-Aus-
stellungen der „Sezession" kennt und die ver-
wirrende, wirkungslose und augenmörderische
Wirkung ihrer Wände, muß von der Ruhe, der
Klarheit und Uebersichtlichkeit in der Neuen
Sezession entzückt werden. Ich glaube, daß ein
wirklich unbefangener Besucher gerade in dieser
Ausstellung mit besonderer Wahrscheinlichkeit
für die Schönheit und den Reiz auch der ein-
zelnen Objekte gewonnen werden kann. Die
meisten freilich werden nicht wahrhaben wollen,
daß hier Schönheiten vorhanden sind. Wenn sie
es — statt zu lernen und zu suchen — vor-
ziehen zu spotten und zu lachen, so werden sie
sich noch lange Zeit in der „kompakten Majo-
rität" befinden. Aber eines schönen Tages be-
stimmt nicht mehr. Hier sind Schönheiten, große
Schönheiten und ist ernstes Dienen um die! Kunst.
Was in den Zeichnungen der „Neuen Sezession"
und den deutschen und ausländischen Bildern
des „Sturm" den ungeübten Betrachter zum:

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