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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 146/147
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers: ein Roman
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von Gorsleben, John: Die Geschichte: von Uli Tarosch und dem Kater Schopenhauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0263

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•dessen Geist trächtig ist. Du wußtest nicht, mit
welchen stolzen Gedanken ich mich trug ... ich
weihte keinen in meine geistige Wollust ein, denn
dies wäre mir einer Entweihung, einer Lästerung
der Gottheit gleichgekommen.
Heute aber, da ich ermattet bin, da ich mich
ganz als ein Weib fühle, dem die gräßlichsten
Wehen den Leib zerrissen, heute lächle ich müde
und selig und lege meine Seele vor Dich hin: sie
hat das größte geleistet, was sie leisten konnte.
Im kommenden Winter wird mein Werk ge-
geben werden. In einem Leipziger Theater, des-
sen Direktor mir verpflichtet ist.
Ich erstaune, da ich sehe, welch einen laugen
Brief ich geschrieben. Siehst Du, so rettungslos
bin ich der Musik verfallen, so ausschließlich bin
ich Musik, daß sic selbst bei der äußersten Er-
müdung mich zwingt, ihre Pracht zu verkünden.
Ich lebte, da ich diesen Brief schrieb, in einer
Stunde der Ueberzeugung, es gäbe keinen klang-
reicheren Menschen als mich. In solcher Sieger-
hoffart» schrieb ich Dir. Jetzt aber muß ich eine
unendliche Stille um mich haben, cs verlangt mich
nach der berauschenden Musik einer friedlichen
sonnigen Landschaft.
— Lebe wohl, Theo, und erwarte das Werk
meiner tönenden Seele, erwarte meine tönende
Seele selbst. Lebe wohl und schreibe mir nicht.
Ich habe mich in eine Stille eingesponnen, die
'selbst mein lautestes Reden, das Lachen und Strei-
ten der Menschen, die hier verkehren, nicht zu
zerreißen vermögen. Aber ein Einfluß, merke
wohl, ein geschriebener Einfluß, darf nicht zu mir
kommen; der verfolgte mich auf Schritt und Tritt,
und seine entsetzlichen Buchstaben töteten in
steter Bereitschaft meine tönende Stille.
— Lebe wohl.


Die Geschichte
von Uli Tarosch und dem Kater Schopenhauer
Vom John von Gorsleben
Damals war Uli Tarosch siebenzehn Jahre alt
und wunderschön. Sie hatte graue Augen von
dem länglichen Schnitt und dem matten Glanz
eines geschliffenen Steines. Auch standen sie
weit voneinander ab und lange schwarze Wim-
pern hingen an den schweren Lidern dieser merk-
würdigen Augen. Ihr Gang war leicht, und es lag
eine anmutige Keckheit in der Art, wie sie die
kleinen Füße vorsetzte.
Uli besaß einen riesengroßen schwarzen
• Kater mit kugelrunden grünen Augen und
zwar von jenem seltenen Grün alter Türkise.
Dieser, Kater hieß Schopenhauer und liebte Uli
mit einer ausschließlichen und ergebenen Liebe,
wie alle Welt wußte. Auch wußte man, daß Uli
mehr als einwandfrei erklärlich diesem Tiere zu-
getan war, wohingegen sie die zahlreichen Ver-
ehrer schnöde behandelte und ihnen allen den un-
heimlichen, unchristlichen und seelenlosen Kater
vorzog.
Ganz besonders litt hierunter der Maler Niko-
lai Iwanowitsch Aladjew, ein Russe. Er liebte Uli
mit einer märchenhaften Inbrunst, einer Tiefe,
Ausschließlichkeit und einer Hoffnungslosigkeit,
die ihn schon mehrfach an den Rand einer ab-
gründigen Verzweiflung gebracht hatte. Sein
Aussehen entsprach gänzlich diesem beklagens-
werten Zustand. Mit seinen beiden Freunden,
einem nieder-österreichischen Musiker und einem
dänischen Bildhauer, gehörte er dem engeren
Kreise von Ulis Verehrern an. Ihre Namen zu

nennen, darf füglich unterlassen werden, denn sie
treten im Verlauf der Geschichte, die wir hier er-
zählen wollen, in der Hauptsache als bloße Sta-
tisten in Erscheinung. Hingegen muß mit Nach-
druck eines Mannes erwähnt werden, der mit
einigem Recht Aussicht auf eine Nachfolgerschaft
Schopenhauers zu haben schien: nämlich Hugo
Külls, eines Deutschen und Philosophen,, der so-
eben eine Erkenntnistheorie erfunden hatte.
Diese Tatsachen, vor allem aber das elende
Aussehen Aladjews, hatten die unleugbar feind-
selige Stellung der Nachbarschaft Uli gegenüber
verschuldet; allerdings mochten auch allerlei un-
kontrollierbare Gerüchte hierzu wesentlich beige-
tragen haben. So wollte man den Kater Schopen-
hauer bei Nacht und Mondschein durch die Luft
sausend gesehen haben, wie er im Kamin über
dem Atelier, das Uli im vierten Stock eines Hauses
von Schwabing bewohnte, verschwunden sei.
Ueberhaupt sprach man schon allgemein ganz laut
und mit Ueberzeugung die Ansicht aus, Uli Ta-
rosch wäre eine Hexe und stände durch Schopen-
hauer mit dem Teufel im Bunde. — Dem war
aber nicht so. Jedenfalls war Uli anmutig, schön
und gottlos genug, daß es unter zeitlich günstige-
ren Umständen ein leichtes gewesen wäre, sie dem
Holzstoß zu überantworten. Jetzt begnügte man
sich mit Steinen nach ihr zu werfen.
Das hatte zur Folge, daß Uli ihr Atelier nur
mehr selten verließ und die Tage und halben
Nächte in Gesellschaft Schopenhauers und ihrer
Verehrer zubrachte. Das Ergebnis eines Zusam-
menseins von Menschen unter' solch unnatürlichen,
qualvollen Umständen war eine allgemeine Ner-
vosität, die sich schließlich bis zur Unerträglich-
keit steigerte. Ganz besonders wiederum machte
Aladjews melancholischer Russenkopf einen kläg-
lichen Eindruck. Seine Leidensfähigkeit schien
zu Ende zu sein.
Hugo Küll, der Philosoph, schien bei dem all-
seitigen Zusammenbruch der Einzige zu sein, der
noch Klarheit des Geistes genug zu irgendwelcher
Abwehr besaß. Er beschloß, den Kater unschäd-
lich zu machen, durch Hypnose unschädlich zu
machen. Denn ihn zu töten fürchtete er sich vor
Uli und vielleicht vor Schopenhauer selbst, ob-
gleich er das nicht eingestehen wollte. Nach vie-
len Wochen und mühsamen Experimenten gelang
es ihm, Einfluß auf den Kater zu gewinnen. Es war
dann belustigend und schreckensvoll zugleich, wie
Schopenhauer dem Wink der gebieterischen Augen
Külls folgte, aber nach jedem Schritt den Kopf
wie unter Schmerzen in dem Nacken drehte und
nach Uli zurückschielte, die irgendwo auf der
Ottomane lag. Diese unnötig komplizierte und
überdies lächerliche Gangart mußte auf Aladjew
entschieden von suggestiver Wirkung sein, denn
nach Verlauf einiger Zeit begann er des Katers
rätselhafte Bewegungen nachzuahmen.
Ein vorurteilsloser Beobachter hätte in diesem
absonderlichen Gebahren ohne Mühe deutliche
Spuren von Geistesstörung erblickt. Nicht so
Hugo Küll, der Philosoph, noch seine Freunde.
Wie Uli Tarosch darüber dachte ist unsicher.
Anzunehmen ist aber, daß, wenn sie überhaupt
etwas gewahr wurde, ihr diese bedrohlichen An-
zeichen ohne Zweifel Vergnügen bereiteten. Tat-
sache ist, daß sie eine unwandelbare Ruhe zur
Schau trug und der Entwicklung der Dinge, die
zur Katastrophe führen mußten, weder Vorschub
leistete noch sie verzögerte.
Und die; Katastrophe kam.
Der letzte spärliche Rest des Tages war mit
großer Gleichgültigkeit geschieden. Schon kroch
der Mond schwerfällig hinter den Dächern der
Stadt herauf und zeichnete ein schmales Band vio-
letten Lichtes durch das immense quadratische

Fenster in Ulis Atelier. Ein Teppich leuchtete
blutrot aus dem Schatten hervor und lag da,
lang und gestreckt, wie die lebendige Zunge eines
Ungeheuers. Uli saß, ein Bein über dem andern,
auf der Ottomane und hielt eine Zigarette zwi-
schen den zarten Fingern, an denen sie gewöhn-
lich große Halbedelsteine in altertümlicher Fas-
sung trug. Ringsum an den weißen Wänden stan-
den oder saßen die Freunde, Küll, wie gewöhn-
lich ernsthaft bemüht, den nebenbuhlerischen
Kater herbeizuhypnotisieren. Und wirklich, Scho-
penhauer, dessen grüne Lichter dabei gespenstisch
in der Dämmerung phosphoreszierten, setzte sich
in Bewegung. Küll zwang das Tier offenbar mit
jedem neuen Tag mehr unter seinen Willen. Bis-
lang hatte Uli ihn ungläubig lächelnd gewähren
lassen. Sei es nun, daß sie begann Külls Erfolge
zu fürchten oder daß es es sie reizte diesen Be-
strebungen gegenüber ihre Macht zu erproben:
mit einem Male wurde sie unruhig, warf die Ziga-
rette fort und, wie infolge eines plötzlichen Ent-
schlusses, rief sie Schopenhauer mit lockenden
Koseworten herbei. Dieser stutzte, entzog sich
den Blicken Külls und flüchtete mit einer über-
raschenden Wendung in die ausgestreckten Arme
Ulis, die ihn mit einer schützenden Gebärde vorn
Boden und auf ihren Schoß riß. Dann schmiegte
sie seinen runden schwarzen Kopf an ihre Brust
und begann ihn wollüstig zu küssen und zu strei-
cheln. Unter ihren Händen löste sich die künst-
liche Starrheit des geschmeidigen Katzenleibes in
einer warmen Behaglichkeit. Behaglichkeit aber
erweckt Begehren, und Schopenhauers leichte Er-
regbarkeit erwärmte sich an ihr mit rascher Stei-
gerung bis er sich schließlich, durch keinerlei mo-
ralische Gegenvorstellungen gehemmt, verlangend
und gierig schnurrend in den Schoß der Frau
wühlte.
Dieses suchende lüsterne Schnurren erfüllte
despotisch den kahlen Raum. Küll staunte ver-
loren ins Leere, und die drei Freunde starrten
vor wahnwitziger Eifersucht mit grünlichen Ge-
sichtern dorthin, von wo das Liebesschnurren
kam. Uli lächelte, aber die halbe Dunkelheit ver-
schlang das Lächeln, in dem sich grausame Zärt-
lichkeit und naiver Siegerstolz mengten.
Mit einer kindlichen Freude am Erfolg stei-
gerte sie die Begierde des Tieres durch raffinierte
Liebkosungen. Das wollüstige Schnurren wurde
immer unerträglicher und endete zuletzt in einem
wütenden Grunzen. Uli saß mit zusammenge-
preßten Schenkeln da. Sie hatte das Kinn er-
hoben, die Augen geschlossen und den Mund
leicht geöffnet. Ihr Körper streckte sich und er-
schauerte in leisem Zittern. Mit nervösen Bewe-
gungen, wie vernunftbegabt und eigentätig, zuck-
ten ihre Fingerspitzen durch das schwarze weiche
Fell, bis sie unvermittelt in einem Anfall sinnlicher
Roheit die Nägel tief in den heißen Körper des
Tieres grub, das schmerzvoll aufschrie.
Die vier Männer ringsum an den Wänden
lauschten mit gereckten Hälsen und verzerrten
Gesichtern. Sie lauschten gespannt und empfin-
dungslos nach etwas, nach etwas Ungeheuer-
lichem, lauschten und lauschten, bis dennoch über-
rumpelnd das Erwartete cintrat: ein wildes stol-
zes Geheul, das Sieges- und Triumphmiauen des
wollusterlösten Katers erscholl, so schrill, schran-
kenlos und voll Hohn, und drang den Männern
schmetternd und ungehemmt in das Gehirn, so
schmerzend und stehend, als ob kein Trommelfell
den schwankend hohen Schall mehr dämpfte.
Da geschah etwas Grauenvolles, was allen die
Haare zu Berge trieb und die Poren der Haut weit
öffnete. Nikolai Iwanowitsch Aladjew schnellte
mit einem Satz von der Wand, wo er wie ver-
steinert gestanden hatte, in die Mitte des Raumes,

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