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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 140/141
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Wagner, Hermann: Die rote Flamme, [3]
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Rivière, Jacques: Die Polovetzer Tänze: aus"Fritz Igor" von Bododin
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Borberg, Svend: Barokko
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0240

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Endlich hörte er Herrn Joachim die Stiege
heraufkommefjr . . .

Die Polovetzer Tänze
Aus „Prinz Igor“ von Borodin

diesen geführt. Seine größte Kunst hat er uns un-
bedingt als Schilderet gezeigt, wahre innige Inte-
rieurs, in seiner „Himmerlandsgeschichte“ mit

Er ging ihm bis auf den Hausflur entgegen und
raunte ihm zu: \-,Es schläft jemand bei uns . . .“
Undyohne dem Verwunderten zu gestatten, daß
er Licht mache und in der Stube erst äblege, zog
er ihn gleich mit in die Schlafkammer.
„Ich hatye ein Mädchen hier behalten,“ erklärte
er ihm schließlich und war erstaunt über sich

Von Jacques Rivtere
Sofort erscheint mir Fokin mit seinem Bogen-
schützen. — Keine' Musik erinnert an diese weni-
gen Seiten Borodins. Sie rühren das, was uner-
weckt in uns .schlummert, und lassen in unseren
Herzen das wuchtige Asien erstehen, eine Erinne-
rung an die .große Mutter.

Kraft und Originalität gegeben.
• Leider .verschafften ihm diese beiden guten
Eigenschaften einen schnellen Erfolg, der ihm zu
Kopf stieg. Er fühlte sich als der geborene „Inter-
preter“ für alles was er sieht. Auf oberflächliche
Eindrücke baute er kategorische Urteile. Die Kraft
und der sichere journalistische Instinkt brachte
ihm oft die Bewunderung des kritiklosen Publi-

selbst, daß er? so ruhig, war.. ich mußte
sie hier behalten .\ . .es ließ sich nicht anders tun!“
„Ein Mädchen?“ "fragte Herr Joachim.
„Ja, ein Mädchen von da unten,“ sagte Herr
Theobald und zeigte nach der Totenschänke. „Man
hat sie hinausgeworfen . . . mit.' Gewalt ... sie
war blutig . . .“
Herr .J-äaehtuy wußte nichts zu erwidern.
Er war so erstaurilUd'äB er vergaß, das Paket,
das er bei sich triig; '•wegzulegen, und: im Pelze
und mit dem Hute auf dem Kopfe in der Schlaf-
kammer stehen blieb.
Noch immer begriff er die Sache nicht.
Herr Theobald nahm ihm ■ das Paket ab.
„Joachim,“ sagte er dann, '„tue mir es zu Ge-
fallen: frage der Sache nicht weiter nach .■ . .
Das Mädchen geht morgen fort, du siehst es. nicht
wieder!“
Herr .antwortete nicht/
Er sibfi JangsänT äü's, ‘"schob das Paket in
einen Kastw uhdjlijng seine Sachen wie allabend-
lieh ordentlich und der ‘Reihe nach auf.
„Nein . . . wie du willst . . . ich werde dich
nicht fragen-“
Herr Theobald zögerte.
War es nicht besser, ihm alles zu erklären?
Aber er schwieg . . .
Er fühlte sich müde und fand, daß es Zeit war.
zu Bett zu gehen.
Mechanisch entkleidete er sich, legte Stück für
Stück seiner Kleider auf einen Stuhl neben seinem
Bette. Noch einmal zögerte er, ehe er sich an-
schickte, in sein Bett zu steigen.
Was hielt ihn ab, die ganze Sache, wie sie

■.Asien!- ! Nicht das Asien, das wir auf den"
Dampfern im Mitteßändischen Meere kennen ler-
nen und das immer nach Import riecht. Das wirk-
liche Asien! ;Es geht durch die Steppen. Es geht
zu Fuß von' Lagerplatz zu Lagerplatz. Abends
hält es jan und denkt wie einer, der ohne Rück-
' kehr reist. Lager. Feuer. Zelte. Die Nacht .er-
glänzt hart und blau. Kein Meer; selbst die Er--,
innerung’ an ein Meer verstummt. Da erhebt sich:
inmitten des verlassenen, deutlichen Schweigens - .
der Hochebene ein Jübelgesang der Erinnerung.;,''
eine '• rhythmische Freude gleich den Tröstungen,
für unsere ältesten Verluste. Zuerst lausche ich
diesen traurigen .Flöten, wie die kleinen Schritte,
die den Janz einleiten,; ich sehe die . langsamen
Gruppen, ;die näherkonirhen im Schimmer des La-
gerfeuers; in -'tiefer Nacht, und dann erhebt sich die
rmendlicht bezaubernde Welle, die alle mitreißt,
darin kommt die Melodie wie ein heftiger Regen.
Sie senkt sich, ein Zug Vögel, sie entwickelt sich
klar und wiegend, und die Tänzerinnen sind in so
gutem Schutz;.so verloren, daß sie sanft im Rhyth-; -1
„nius tanzen, doch — als ob sie sich Zeit nimmt
einer Erinnerung nachzuhängen — schweigt die
Melodie entschwindend. — .Jetzt tanzen die Män-
ner traumprgriffen. Tiefer, wilder Sturm! Die
Freude, die sie 'erschüttert, steigt in ihnen empor
wie ein brutaler Traum. Sie erschüttert und dreht
die Tari'Zen-ddn in Spielen, die irgend etwas Ver-
schwundenes nach ahmen/ So erinnern sie sich,
so beruhigen sie ihr Herz. Rhythmische, keu-
chende Musik, o, dein Rausch ist der Feind der
Melancholie., du bist der gewalttätige Trost!
Unbeweglich inmitten der Tänze sehen die

künis. Er schritt als Verkünder zu „Gedanken“,
ließ sich selbst als Prophet für die neue Zeit pro-
klamieren und fing an zu polemisieren — irrt
Grunde ist er mit seinem agitatorischen Stil immer
Polemiker —- um Vieh von verschiedenen Rasser
zu den alleinseligmachenden Oasen zu führen. .
Die Entwicklung seiner Produktion zeigt, dal:
; das .„Gedachte“ sich mehr und mehr bei ihm em-
wick-el-t,- über das •KünstlerischeJ' dägegen. reihe Vir-
'••tupsität. wird. Es ist eine beirr' -häufig vorkom-
’-meride geistige Entwicklung in Skandinavien:
Uebergang von Literatur zur Philosophie.; Dies
kann die Folge einer Neigung sein, alles schwer zu
nehmen, vielleicht ist es nur die Folge eines Na-
turgesetzes: den mit den Jahren zunehmenden
Drang mehr Inhalt als Form zu schaffen, was viel-
leicht sehr gut sein kann, aber leicht in eine' Pro-
blemdebatte ausartet, in dem alle gleich sind und

der Künstler selbst seine Privilegien verliert.
Jedenfalls, wo Johannes V. Jeilsyn steht,
wünscht er auch zu steheii,:...gesehen und beurteilt
zu., werden'. - Und nach etwas anderem kann der

Kritiker sich nicht richten. Will ein Künstler unter-
richten, „Wahrheiten“ sagen, dann mußier sich den
profanen Gesetzen der Logik unterordtfen. Er sie-

delt damit in ein ihm fremdes Land über und muß
nach dessen Gesetz verurteilt werden, wenn er
sich dagegen vergeht. Eine Handlung wird nach
ihren,/Motiven ^beurteilt. Ein. Mahn 'nach seinem
Ziel, wo die Debatte ernsthafte Probleme behan-

delte, hat man schon viel zu ,<öft Johannes V. Jen-
sen seiner sprachlichen Verdienste wegen entschul-

digt. .Man hat ihn entschuldigt, weil er seiner,
„Nonsens“ so gut gesagt hat. Wenn ein Architekt

sich zugetragen hatte, dem Freunde zu erzählen?
Was war im Grunde daran.
Herr Theobald hörte nicht auf, es sich zu fra-
gen. als er die Glieder unter dem ungenügenden
Deckbette frierend zu^ammenzog.
Nichts wär geschehen,.
Gar nichts .
Ich rege mich^uf; ich friere, ich lache, weine,

Hauptleute auf dem Grunde ihrer wölbungstiefen
Erinnerung alte Städte wieder.
Autorisierte Uebertragung aus dem Französischen
, von Jean-Jacques,

ein logisch-schönes' Haus baut und es zusammen-
stürzt, sagt man doch kaum, was Herr Gott, er ist
doch eine große charmante Persönlichkeit, es war
doch ^wunderbar zu sehen und die ^uine macht sich
auch §ehr dekorativ. ;
Jensen will als Geist, als Denker und als Seher
beurteilt werden. Wirklich: Dieses neuen Johan-
nes Offenbarung ’ ist dunkler als die alte. p

freue mich, bin tWräurig, -- und draußen liegt
das Mädchen und schjüft!
Und morgen geht.es fort!
Geht es fort
Er fühlte sich einsam wie noch nie seit Jah-
ren, 4 '
Er erlebte wieder eine jener Nächte, wie er
sie zur Zeit seiner Krankheit mitgemacht hatte.
Auch jener böse Haß gegen den Freund kroch
wieder langsam in ihm herauf.
Warum aber, fragte er sich verzweifelt, warum
hiasse ich ihn? -
Erst in den frühen Morgenstunden schlief er ein.
Fortsetzung folgt in nächster Nummer

Barokko
Jensen inade in Gerwany
Jede Renaissance stirbt in einem Barock, weil
jede Entwicklung wie Sören Kierkegaard es
sagte — zuerst mit ihrer Parodie., fertigt ist. Die
realistische Kleinrenaissance wurde eingeleitet
durch den Mikroskop- und Teleskop-Liebhaber
Zola, der die alten Halbgötter wieder erfunden\hat:
die Erde, das Geld, die Arbeit. Sie führte zy der
Art, in der sich eine iTebertreibung des Stils-’durch
Details entwickelte; die großen harmonischen Kör-
per wurden total aufgelöst in allegorische Proletar-
Engelkinder mit einer oft sehr gekünstelten Per-
spekive. Dies alles sind ja die Symptome des Ba-
rokko. ■ .
Johannes V, Jensen startete als Mitglied einer
skandinavischen Generation., die Intelligenz zum
Realismus zwang. Seine Furcht (epoche- und
nationaltypisch), pathetisch zu werden, gibt seinem
Stil eine gewisse Aehnlichkeit mit Mark'Twain und

Hier ein paar Proben Seines •Raisonnernents: Er
erklärt die Renaissance durch die großen geogra-
phischen Entdeckungen am'Ende.dieser Zeit. Vor
J, G; Christensen. dem früheren .:dänischen-Mini-
sterpräsidenten schreibt er/irgendwo, es ist ,et was
ijbet seiner Stirn, das die Gedanken auf den „Ge-
, fionsbrunnen“ in Kopenhagen (Stiermotiv)' hin-
führt. Dieser Brunnen wurde zu', der Zeit täufge-
' stellt, in der man Christensen ; zum Präsiden:
wählte. Der eine wurde aufgiestellt als Mi-
, mistet, der andere als Springbrunnen — eine fixe
Parallele! In Jensens „Myter“ sieht man vielleicht
noch -deutlichere Beispiele seiner Liebe zu diesem
gekünstelten' Perspektiv, das immer das Lieblings-
kind des Barock war. - ‘
Als Prophet zählt er zu den vielen kleinen und
falschen. Man glaubt die Stimme' „Jehovas in der
Wüste“ zu hören, aber' stellt bald fest, daß es nur
ein Straßenhändler New-Yorker Typs ist, der
„World“ rief. Er kämpft für amerikanische
Kultur, als ob Kultur nicht Kultur ist. Ein einziges
Eins. Ueberall in der Welt, in größerer oder ge-

einigen großen Engländern, es hat ihn zu übertrie-
benen Vorstellungen seiner Geistesälinlichkeit mit
' ' ' •

ringerey. Quantität, vielleicht am wenigsten in
U.S.A. Er ist Prophet für ein Touristenamerika.

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