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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 142/143
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Ehrenstein, Albert: Ein krasser Fall von Soldatenmisshandlung
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Ein krasser Fall von
Soldatenmisshandlung
Von Albert Ehrenstein
In seinem Sputum hat man Kometen gefunden.
Er starb an Lungensternen, jenen winzigen und
scheinbar so harmlosen Mikroorganismen, die wir
Planeten nennen. Was hatte diese gräßliche Er-
krankung heranfgerufen ? Wahrhaftig, ich schäme
mich, es auszusprechen: Rassenhaß!
Draußen spazieren die zarten Frühlingsdamen
und ich kann ihnen nicht nahen. Unablässig sehen
meine Augen jenes tragische Ereignis vor sich.-
Und so ist es mir beinahe lieb, daß von mehreren
Seiten an mich herangetreten wurde, einige De-
tails der Affäre der Öffentlichkeit preiszugeben.
Da der Zweck ein löblicher, ja patriotischer ist,
will ich, obgleich das Ansinnen fast eine Frech-’
heit war, weil kein anderer den Fall auch nur mit
den Fingern berühren mag, die Sache auf mich
nehmen und in den Schlund springen ...
Reginald Mammuthbaum mußte endlich Rück-
sichten dem Vaterlande gegenüber platzgreifen
lassen. Snob schon der Abstammung nach, wählte
er das exklusivste Regiment. Früher war die
Sache lebenslänglich und die Anführer dachten:
„Was heute nicht geschieht, geschieht morgen.“
Seitdem man aber diese detestable tausendjährige
Dienstzeit eingeführt hat, eilt den Vorgesetzten die
Ausbildung und die Lage der Rekruten ist eine
sehr prekäre. Gar die Mammuthbaums haben
nichts Gutes. Nun, vorerst wurde das Usuelle
gegen den Eindringling angewendet. Jahrzehnte-
lang Gelenksübungen im Chaos, Kanonenschultern,
Kniebeugen, Bauqhwellen, Eilmärsche, man stelle
sich vor: mitten im bittersten Universum!
Das Terrain ist kupiert, gibt man einen Mo-
ment nicht Acht, auf ja und nein hat man sich
einen giftigen Stern eingetreten und wird ihn nie
wieder los. Und die Gefühle! Riesenzecken sind
nichts dagegen . . . Sterne aber, vor denen hatte
Sidonie, Reginalds Mutter, großen Respekt. Sie.
sagte stets: „Kinder, wenn ihr die Welt aufeßt,
immer hübsch die Sterne ausspucken.“.
Wie man weiß, gibt es viererlei Sorten von
Sternen. Ihr Wohlgeschmack und Nährwert ist
ihrer Größe gerade proportional. Erst „das reifere
Alter und zwar nur der geschlechtlich quieszierten
Exemplare verbürgt bei den Siderozoen die Ge-
nießbarkeit. Jugendliche oder gar infantile Indi-
viduen sind als- Unbekömmlich, unter 'Umständen
sogar als giftig zu bezeichnen. Im übrigen ist ihr
Wachstum wie das unsere an Nahrungsaufnahme
gebunden, nur sind sie hierbei ganz auf schwä-
chere, jüngere Artgenossen beschränkt. Gesellig-
keitstrieb, was dasselbe wäre: Erotik, d. h. Hun-
ger läßt Kometen größeren Kometen verfallen.
Das größere Gewicht hemmt die Flüchtigkeit der
neuentstandenen Organismen, die man Satelliten
nennt, und sie erliegen der anziehenden Kraft der
Planeten und werden von ihnen schließlich ein-
verleibt. All das nichts als Etappen der Sonnen-
bildung, Stationen auf dem Wege zum ausge-
wachsenen Fixsterne. Nur die Sonnen lassen sich
leicht fangen, da sie nicht liebe-durstig umher-
irren wie die Jungen, sondern sexuell gesättigt
und widerkäuend ruhig an einem Ort verharren,
bis die Luftfischer unseres Kaiserreiches Mirabi-
lien kommen und nach ihnen sehen. Dann spre-
chen wir das Tischgebet und streichen uns die
nahrhaften Körner wie Fischroggen aufs Brot . . .
In geringer Quantität sind sie ganz unschädlich, in
großen Mengen hingegen rufen sie Cholera her-
vor ... Ich für meine Person vertrage ziem-
lich viel. Sterne, in Essig eingemacht, munden

mir wenigstens bedeutend besser als Schwam-
merln. Die eßbaren Altersstufen selbstredend.
Und auch die darf nur verzehren, wer einen heilen
Mund besitzt. Sogar unzubereitet schmecken die
kleinen, gustiösen Flammenbälle sehr pikant.
Freilich: die Mitglieder des Tierschutzvereins
schlagen Lärm, wenn man die armen Tierchen roh,
bei lebendem Leib schnabuliert. Und die Vege-
tarier gar erblicken im Sternkonsum, in der Ver-
einigung mit niedrigstehenden Geschöpfen So-
domie . . . Aber Verzeihung dem Ausdruck —
wer wird sich um die alten Weiber kümmern.
Was unsern Ri M. anlangt, so haben ihn der-
artige Anwürfe nie treffen können, seiner Mama
ängstlich-nasale Laute: „Reggie! Paß auf, daß
du keine Planetoiden schluckst!“ hielten den
Feigling ab, sich eine gewisse Fertigkeit im Stern-
schlucken anzueignen. Wahrscheinlich glaubte die
.würdige Dame, wie so .manche Laien, diese
Pfefferkugeln seien den. Nieren unerwünscht.
Vielleicht war auch in ihren famosen Speise-
gesetzen dieses Nahrungsmittel verboten und ein
Rest von Antipathie zurückgeblieben. Ich weiß
es nicht.
Des schlappen Kerls reglementswidrige Furcht
vor den Himmelsinfusorien wurde irgendwie noto-
risch. Und die Offiziere wollten einen derartigen
Temperenzler nicht im Korps dulden. Niemand
wird ihnen das weiter verübeln. Nur die Art und
Weise, wie sie ihn abreagierten, war schon mehr
als unkollegial.
Unter dem Beistände des logischerweise ge-
sinnungsverwandten Koches, der das fatale Nah-
rungsmittel schlecht passierte, im Zeichen eines
symbolischen Termines, wurde von den Aufrech-
ten Mirabiliens die übelriechend-zertretene Min-
derheit und Varietät in Mammuthbaum vernichtet.
In der Ehrehstunde unseres Repräsentanten,
der Jehovaleute und 95%, Andersgeartete zu
vertreten hat, dessen Selbsterhaltungstrieb also
mit einiger Notwendigkeit für die verschwindende
Minorität weniger übrig haben muß als für die do-
minierende Masse seiner Stammesgefährten: an
Kaisers Geburtstag machte man Re-
ginald trunken.
In diesem Zustande fand er ein säuerliches
Gelee, eine verhängnisvolle Sternsauce, sehr plau-
sibel. Der Unglückliche litt an chronischem
Rachenkatarrh. Die verschiedenen Sonnensysteme
taten ihm nicht wohl und ein Satellit^ ein verdamm-
ter kleiner Mond, blieb ihm in der Kehle stecken.
In dem törichten Bestreben, dem Mammuthbaum
durch plötzlichen Schreck das Schlucken zu er-
leichtern, nannten die Offiziere den Namen der
Speise.
An wunden Stellen mochte es schon früher im
Rachen nicht gefehlt haben, heftiges Würgen ver-
größerte sie, und ließ, die seltenen Gäste in die
Butbahnen eintreten, wo sie erfahrungsgemäß
giftig wirken. Namentlich wenn Trunkenheit ihre
Virulanz steigert. Zu spät holte man mich. Ich
legte mein Ohr an Reginalds Thorax. Wenn Ba-
zillen in Unsereinen einmarschieren, singen sie zu-
erst ihre Volkshymne. Es ist ja ein Triumph für
sie. Und auch diese hier produzierten sich in
Mammuthbaum: bei ihren Atembewegungen und
Umschwüngen summten die Sterne in ihm — ihm
und sich die Sterbegesänge.
Die Krankheit dauerte relativ lang. Spät erst
traten die Vorboten der Agonie auf: er erzählte
ein Gleichnis, einen Witz zwei- oder dreimal ein
und demselben Zuhörer. In normalen Fällen pfle-
gen wir ein Individuum, das so weit ist, zu er-
schießen, da es um so erinnerungslos-greise Hirne
nicht schade ist und wir Gesunden unter zu oft
wiederholten Leitmotiven wimmern. Man muß
es demnach als ein Zeichen von Schuldbewußtsein

auffassen, daß man ihn ütjer diese Grenze hinaus
zu erhalten befahl. Und die nach seinem Tode
herausgekommene gesetzliche Verfügung, laut der
Gestirne von min ab nur auf ärztliche Anweisung
ausgefolgt werden dürfen, läßt sich ebenfalls nicht
anders deuten.
Ich ahne es tief: man wird dieser scheinbaren
Anklage wegen mich, den in vielen Feldzügen de-
korierten Stabschirurgen, mit Demokraten, Anar-
chisten oder gar Judäophilen in einen Topf werfen
wollen. Das Gefühl der Pflichterfüllung wird mua
über alle Anwürfe hinausheben. .
Es gibt nur zwei Wege.- Entweder erläßt man
wieder den Kultusgemeinden die Blutsteuer. Ab-
gesehen von der erziehlichen Wirkung, welche die
komische' Körperhaltung der semitischen Soldaten
auf die restliche Mannschaft ausübt. verliert man
damit ein großes’ Quantum Kanonenfutter . .; .
Oder aber, und dazu möchte ich einraten: man
verbiete den jüdischen Trilliardären. wenn sie
schon Adels halber wohltätig sein wollen, das
Gründen von Krankenhäusern für Konnationale.
Man stelle nichtarischen Schriftstellern .vorläufig
den Betrieb eip.. Man drohe Bibliotheksbenützern
aus den Kreisen- der UebelnaSigen mit der "Todes-
strafe! Aus dem allgemeinen Entsetzen entnehme
ich so etwas wie Unverständnis. Faßlicher zu
sprechen: Siechenhäuser ins Leben rufen, heißt die
Folge bekämpfen, wo sich mit geringerem Auf-
wande die Ursache entfernen ließe: einfach durch
Kreierung von Sportplätzen für die Patriarchen-
stämmlinge.
Die Regierung wird anfänglich meinem Projekte
mit Mißtrauen begegnen. Wenn die Zionisten des
Universums die für sie charakteristischen Gesten
und Körperlinien Verlieren, muß. das Ministerium
befürchten, bei den Wahlen die Stimmen der Sati-
riker, billiger Wirkungen, die Stimmen der Kari-
katuristen tiefstehender Rassen einzubüßen.
Dem gegenüber fällt ins Gewicht: es ist wahr-
scheinlich, daß wir zu groß sind, um von den
Sternen und etwaigen schmarotzenden Bewohnern
derselben gesehen und verstanden werden zu kön-
nen. Dieses darf uns aber nicht abhalten, dies
entbindet uns nicht der Pflicht, uns vor diesen
immerhin denkbaren Zuschauern anständig zu be-
nehmen, unsere Tugenden vor ihnen zu entfalten
und unsere Stellung als einzig-echte Bekenner
wahrhaft humanen Christentums im Weltall von
neuem zu kräftigen.
Ich verbitte es mir, in meinem Expose eine
Beschuldigung erblicken zu wollen. Ich bin über-
zeugt, daß der größere Teil unseres Offizierkorps
der Art der Mißhandlung jenes Freiwilligen inner-
lich ganz verständnislos gegenüber gestanden ist.
Unterdrückte Klassen sind eben immer an sich
lächerlich und man steinigt, man reagiert auf diese
Lächerlichkeiten absichtslos, rein instinktiv. Un-
erlaubt ist es bloß, unterdrückte Völker in einem
Grade zu demütigen, der dem eigenen Land ab-
träglich ist. Diese Möglichkeit liegt vor, des-
wegen erhebe ich meine Stimme.
Mit den Gesetzen der Biologie nicht Vertraute
werden behaupten, ich übertreibe. Das ist un-
wahr, jedes Wesen weicht gern seinen Peinigern
aus. Und so liegt gegenwärtig bei den Stammes-
. genossen Reginalds ein den Rekrutierungen unbe-
kömmlicher Wille zur Degeneration vor. Ihre
Füße besitzen bereits keine Trittfläche mehr, nach
der gewiß authentischen Klageschrift der Hut-
machergenossenschaft weisen ihre Lockenköpfe
sonst nur bei Säuglingen übliche Dimensionen auf.
Sie wollen ihren Angreifern die ausgesucht kleinste
Zielscheibe darbieten, sie verflüchtigen sich, sie
schrumpfen ein, sie ducken sich unter das Militär-
maß.

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