Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

DOI Heft:
Nr. 148/149
DOI Artikel:
Zech, Paul: Der Agitator
DOI Artikel:
Zech, Paul: Die Ahnungslosen
DOI Artikel:
Zech, Paul: Der Kohlenbaron
DOI Artikel:
Leonhard, Rudolf: Das schwarze Revier
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0268

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ludwig Meidner I Das schwarze Revier


Erst wen« das harte Schurzfell sich um eure eig-
nen Lenden
begierig bauscht, wird Uhverstandnes so erschüt-
ternd klar,
daß eure Jugend niedertränt auf das gebleichte
Haar
des Vaters/wie um Grauenvolles>abzuwenden. 1
Paul Zech

Der Kohlenbaron
Durch die schmale schnurgerade Straßenzeile i
wo ein schales Blau an Häuserspitzen klebt
und das Harrende und aufgerissene Geile
flacher Neugier straffgespannte Bänder webt,

durch das togestumpfte vieler Mördermienen:
schiebt er sein Gesicht, das Wörde kühl nmpral.it.
Ud wie Donnern schwillt aus schnellbefahrnen '
Schienen,
wirbelt aus der überwältigten Gewalt
der längs Hingescharten ein Hosianahsturm.
Und die Pose seines Blicks bejohlt die Krämpfe
und zerstört des Aufruhrs Babelturm.

Der Agitator
Kopf drängt zu Kopf: Mondphasen blaß auf Back-
steinfliesen.
In allen Zügen lauert die Verbissenheit wie Mord.
Ein schmalbestirnter buschig Fremder hat das
erste Wort
und steilt den Arm wie eine Davidschleuder gegen
Riesen.
Doch seine Stimme: zartes Vorspiel wie auf Orgel-
pfeifen,
prüft erst die Inbrunst der Versammelten im Saal.
Dann donnern Wortlawinen wie ein lutherscher
Choral
den Berg hinunter, die Erregtheit völlig zu ver-
steifen.
Und dieser Schauer, den nichts bändigt und nichts
hemmt,
verheert die straffgespannte Abwehr der Gesichter,
bis ein Verbluten Hirn an Hirn wie Wahnsinn über-
schwemmt.
Und schrill im Streikgelüste, wutentfacht,
verzieht der weiße Krampf der Bogenlichter
nnd stößt den Aufruhr dreimal glutend in die Nacht.
Paul Zech

Die Ahnungslosen
Blaßblonde Kinder, oh ihr Schlanken, Frühheran-
gereiften,
noch lebt in euch ein Glück, so blauscheinselig klar,
wie euer Eltern Traumbeschwörung in der Mai-
nacht war,
da sie die Sklavenketten von den Knöcheln
streiften.
Und eurem Indianerspiel auf den Schlackenplätzen

darunter schwarze Löcher sind, wo Väter ange-
strengt
die Brechgeräte schwingen, sind noch garnicht
beigemengt
des Sorgens Gifte, die die Stirnen der Erwachs-
nen rissig ätzen.
Ihr wähnt im Blau noch, das Fabriken nadelspitz
zerstrechen,
mit Blitzableitern über Schornen, Schacht an
Schacht
Jehova, den man in den Schulen bärtig macht
und fühlt ihm euch verwandt und nahe im Gebete-
sprechen.
Wer aber weiß was von dem Seufzenden am
Nachtmahltische,
der kaum das wirre Haar euch streichelnd, schon
verstummt
in Schlafentrücktheit, die sein Angesicht so fest
vermummt
daß nur der Mund aufsteht in schnarchendem Ge-
zische.
Ihr läßt hin ruhn und ritzt vielleicht in Schiefer-
flächen
karikaturenhaft sein fronzerschalgnes Konterfei
und zeigt den Schwestern lächelnd diese Narretei,
bis euch die Mutter zwingt, ,dies Lächeln abzu-
schwächen.
Wohl schreckt ihr auf aus den entlegnen Morgen-
träumen
wenn das verfluchte Räderwerk der Weckuhr
schnarrt
und unterm Stampfen festen Schritts die Diele
knarrt . . .
Und dennoch fühlt ihr nicht das Kettenklirren in
den Räumen.
Doch den ihr wie durch Nebel seht am Früh-
stückstisch hantieren,
und der das Mühn der Mutter hinnimmt unbelohnt,
ist euren aufgerissnen Augen zu gewohnt,
als daß sie sich in des Betrachtens Qäulerei ver-
lieren.

Und die vielen Härten tim sein hochgezogenes Kinn,
Kräuseln sich und flattern blau wie Weihrauch-
dämpfe
über der Zerknirschten Büßersinn.
Paul Zech
Das schwarze Revier
In diesen dreizehn Gedichten steht nicht ein
einziges Mal das Hauptwort der Lyrik: ich. Nicht
etwa weil sie nicht das persönliche Leben des
Dichters ausdrücken, das strömt stark genug in
den breiten Bahnen ihrer Verse — sondern weil
sie zu einer Art Lyrik gehören, die neben die des
direkten rhythmischen Aussprechens herange-
wachsen ist: und deren einzelne Schöpfungen
etwa „Bilder“ ztr nennen sehr falsch wäre. Wäh-
rend früher die tausend Erscheinungen der Außen-
welt, die immer schon die Zeilen der Lyriker füll-
ten. nur Masken des Ichs waren, die Leiber nur
um des Mundes willen genommen wurden, der
den Dichter verkünden sollte, ist es in den noch
seltenen Gedichten von der Art dieser hier die Er-
scheinung selbst, die zum Ausdruck gebracht
wird. Die Landschaft — und daß auch das stei-
nerne Wasser der Städte, auch Ruß und Rauch
Landschaften sind, ist gerade hier gefühlt — ist
kein etat d’äme mehr, ist selbstherrlich, gebietend,
monumental; und so auch der Einzelkörper. Und
doch wäre es falsch, von Bildern im Sinne der
Malerei zu sprechen; denn in dieser Lyrik des
Objektiven, der Gegenstände — ihr Meister heißt
Verhaeren, während Whitman der Pol jener an-
dern ist, da das Subjekt in die Dinge des Alls tritt,
Sich zu verkleiden — ist über das Bildnerische
noch hinaus ein starkes und wieder ganz persön-
liches Mit-Leben. So wird diese Lyrik, bei Ver-
haeren, bei Zech und den andern ganz eigentlich
soziale Lyrik. In ganz anderm Sinne als im stoff-
lichen; denn in diesem Sinne ist das Soziale nur
ein Kapitel der weiten Welt der Dinge.
Aus diesem Kapitel sind alle Gedichte des
Zechschen Heftes aufgeschrieben, umgeschrieben.

270
 
Annotationen