großvaters nachdenken? Im Augenblick, wo ich
glaube, ich habe ihn, kugelt er noch schwerer als
Blei in meinen Rachen zurück. Wie ein einbal-
samierter Leib. Dabei höre ich den Namen mei-
nes Urgroßvaters auf meiner Zunge, eine Melodie,
einen Psalm. Ich muß mich zerstreuen, ich
werde die Redaktionen, die so lange nun mit
mir in Konnex standen, um Verzeihung bitten;
ich kann doch nicht dafür, daß ich keine Gehirn-
erweichung habe! Der Psychiater glaubt doch
nicht daran! Das Leben ist was furchtbar
Schmerzliches; alle meinen, daß es nur was Ent-
täuschendes ist. Ich meine beides und gaukle
mit Geschicken. Und wie das Leben vom Milieu
abhängt, wenigstens meins. Läge zum Beispiel
das Fenster meines Zimmers statt nach gegen-
über, seitwärts mit dem Blick nach dem West-
himmel, wo abends der Mars aufmarschiert, hätte
ich Freude am Leben gehabt und wüßte, warum
ich lebe — aber so! Ich kann mich nicht mehr
sehen, ich ertrage in den Spiegeln mein Ge-
mälde nicht mehr, wenn nun mein Angebeteter
kommt und hat meine Augen? Und darum
gerade wegen seiner hellen Lichter liebe ich ihn,
gelbe Rosen, und wenn sie traurig sind, fallen
sie wie Goldregen. Er ist ein Sonntagskind, ich
bin ein Feiertagskind, das nicht gehalten wird;
er findet keine Ruhe in mir. Wir lieben
uns, wie die verschiedenen Liebenden auf
Erden und im Himmel. Wie selige Engel
mit der Pose des Flügels, wie die ersten
Menschen, die noch glühend waren, wie zwei
große Blumen hinter der Hecke, die nichts wieder-
sagt, wie zwei Rubinen im Reichsring eines
Kaisers und manchmal früh am Morgen wie
zwei Schakale. Ich mache mir gar kein Ge-
wissen daraus; alle Romane der Ehe sind Un-
wahrheiten! In Wirklichkeit gibt es kein Ge-
wissen. Aber, daß ich den Namen meines Blut-
pächters, meines Urgroßvaters, vergessen habe,
darüber mache ich mir heftige Gewissensbisse.
Else Lasker-Schüler
Der schwarze Vorhang
Roman
Von Alfred Döblia
Fortsetzung
„Ich muß dich lieben" flimmerte es immer
wieder in ihr wie Geigenmüsik. Wie deine Seele
liegt das fahle Haar auf dir"; das machte sie
erzittern und so legte sie sich hin. Sie konnte!
ihre Hände nicht betrachten, ohne an ihn zu
denken, der sie gegriffen hatte; (es erschien ihr,
als ob' es nicht mehr ihre Hände wären, und
sie drückte sie leicht und scheu an Wange und
Stirn, eilte zu der Mutter,, |dfe die Hände freund-
lich sanft hielt und streichelte, so daß sie ihre
Hände wieder hatte und sich darüber freute. —-
Liebe: das war ihr etwas federweiches gewesen,
wie ein pelzbehangener Schaukelstuhl, in dem
man den Kopf zurücklegt und die Hände fallen
läßt —, lund hin- und herpendeln, mit geöffneten
Lippen und etwas schwindlich.
Wenn sie jetzt in ihrem Zimmer zwischen
den Freundinnen saß, auf die bekannten Gesichter
sah und diese blaue Liebesblume duftete, so
fragte sie sich manchmal: „wie ist es möglich?
niemand hier im Zimmer würde es mir glauben,
daß die Liebe so mitten; durch den Alltag geht."
Was alles an unbestimmten Schauern in dem
Wort Liebe wie ein Gewitter schwebt, wollte
sich an dem jungen Herzen entladen, das auf-
bebte. 1
Aber Johannes, Johannes, der sie mit
wilder Kälte gehöhnt hatte, grundlos, nur
um sie zu höhnen, dessen Augen oft mit
Schwermut und Angst auf ihr geruht hatten
und der sie wieder wochenlang über-
sah, um diebeflehend vor ihr zusammenzu-
brechen — der breitstirnige, unbändige Mensch
ließ sie nicht still, wie es ihre Art war, vor
sich hinträumen, entriß ihr diese blaue Blume.
Furcht klebte an seinem Namen; und dunkel
klagte sie sich, daß sie ihn nicht liebe. Sie zwang
ihre Gedanken, die beiden Worte: „Johannes"
und „Liebe" zu verbinden, aber je öfter sie es
versuchte, um so weniger gelang es ihr. Grauen
strömte der Herrische, Kalte, Schweigsame aus:
wenn sie ihn liebte, oh, war es nicht Sünde,?
Durfte sie das Grauen lieben ? — Sie wußte sich
keinen Rat; bat ihm tausendmal ab mit gefalteten
Händen, wollte ihm ausweichen, versteckte sich
an dem kleinen Teich in ihrem Garten.
* *
*
Wachsen nicht breite grüne Weiden am
Teiche in meinem Garten ? Sie biegen ihre Aeste
und Gerten; die sind voll der jungen Zwitter-
blättchen. Ich habe die jungen; Blättchen so lieb.
Wenn der Wind kommt und die Ruten hebt,
schlüpfe ich unter und will mich leis von den
schwanken Wippblättchen schlagen lassen.
Ja, wie ein graues Rebhuhn will ich liegen,
wo mich niemand sieht mit meinem roten Haar.
Ueber Mund, Wangen und Augen sollen
mjr die Zweige streichen, und meine heißen
Hände werden auch nicht in der Erde wühlen.
* *
*
Es liegt ein Träumen über dem weiden-
umringten See. Und Aengstnis lauert über ihm.
Durch den Wald um den tiefen Waldessee murrt
ein Sehnen, taumelt, iwjrft sich hinein. Und
schlägt ertrinkend Blasen auf dem schwarzen,
dicken Wasser.
Aus dem See, ächzt es wollüstig wie schluch-
zende Waldesfrauen. Es quallt zu ihm herauf
zu dem Mannesschätten. Am tiefen Waldessee.
Ein Kindsweib steigt zu ihm auf, rippen dürren
Leibes und triefenden Haares. Und starrt ihn
an aus runden Augen. Und singt für sich
gebrochen. Das dunkle Nixenlied schreit lang-
sam hin.
Und der harte Nixenschmerz lallt wirr und
wild wie ein Zungenloser, den es graust vor
der Stummheit. Sieht sich am Seerande um,
die junge, flinkemd weiße, starrt ihn aus weißen:
Augen an, den Mannsschatten, zwischen Ried
und Kalmusstauden. Steigt wortlos in den See
hinab. Da murrt es nun und schluchzt herauf.
Schlägt auf dem dicken schweren Wasser
große Blasen, spricht, oh spricht: „Ich kam
zur Höh. Ich kam zur Höh. — Was küßtest du
mich nicht? Was warfst du mich nicht hin?
Dann stürbe ich. Nun ists zu spät. Schwimm
in dem tiefen Waldessee, jn Sünd und Angst.
Muß leben." Es liegt ein Träumen über dem
sumpfigen Waldessee und Aengstnis, Aengstnis
lauert über ihm.
* *
*
Da riß auch ihn seine alte Schwere wieder
hinab und nun nannte er seine Schwere: Liebe.
Da hatte auch ihn die schwere Krankheit ge-
packt, und jetzt nannte er sie Liebe.
Die Dankbarkeit hatte den Verdüsterten dicht
an die Lebensfrohe getrieben, sein Widerstreben
und Ringen hatte die alte einsame Schwermut
wjeder zu wecken begonnen. Die lieferte ihn
ganz der Trösterin, Befreierin aus. Das Narren-
wort Liebe stand über seiner Hingesunkenheit:
die rang die Arme nach, dem Worte und suchte
es zu fassen. Seine dumpfe Einsamkeit verstand
das Wort Liebe: ein Lebendes, eine Menschen-
seele auf Tod und Leben rzu besitzen.
Was gebrochen, armselig, trostlos, neidisch
und herrschsüchtig in ihm war, rang die Arme.
Liebe, das war ja die Erfüllung seiner alten
Sehnsucht und Unrast; diese Unrast schwieg die
Liebe hin und sollte sie ihm hinschweigen, bald,
o bald. Nun trug er Unruhe mit sich herum;
nach dieser Sehnsucht stand immer seine
Sehnsucht. Es war kaum eine; Stunde des Tages,
wo seine Seele nicht schwer und trostsuchend
zu ihr flog, ihre Stirn beschattete und ihren
Mund küßte. Des Nachts wachte er auf, und
mit Staunen sah er, daß seine Gedanken bei der
Reinen knieten, wie sie am Tage getan
hatten. Er fühlte sich verfinstert und tief
verwundet; kaum, wenn ihr Arm an seinem
Halse lag, fühlte er sich geheilt. Mit Bangig-
keit schlich er von ihr fort, wie er zu
ihr gegangen war, wiewohl er seiner
Seele versprach, daß Glück sie wie eine weiche
Sommerluft, die über Wiesen und Weiher klart,
umgebe; aber immer schluchzte etwas müde,
müde auf, drängte ihm den Kopf in die Arme,
sehnte sich zu sterben. Er verlangte, sich zu
Vergessen und sich ganz berauben zu lassen;
dann höhnte er seinen Liebeswünschen.
— Wenn ich tausend Zungen hätte und
hätte der Liebe nicht, so |wäre ich nichts; aber
ich, ich habe der Liebe! und bin nichts durch sie.
Wer weiß, ob sie der Liebe hat?
Ich weiß es nicht, ich werde es nie wissen,
nie wissen können. Wissen, so sicher und innig
wie ich von meinem Willen weiß, wie ich meine
eigene Angst fühle, der ich vertrauen darf. Sie
ist ein Andres, mein Andres; das ich nicht
fassen kann, dem ich nicht vertrauen darf.
Zwischen uns Zufallssteinen redet keine Welle.
Blicke, Mienen, Händedrücke sind zwischen uns ;
tönende Wellen schwingen zwischen ihr; und mir,
Luft, nur Luft, und auf Luft soll die Schwere,
alle Schwere meiner Verlassenheit bauen. Woran
soll ich mich' «halten, wo) <st die Brücke zwischen
uns beiden? Bleibt jedes bei sich. Ich weiß es
nicht, ob mich Irene liebt? Weiß es wohl: es
kann nicht geschehen, daß sich zwei Menschen
lieben, sie müßten denn beide sterben und zu
Staub werden; aber die Menschenseelen er-
greifen und küssen sich nie. Eins lebt für sich
und das andre für sich, und nur darin sind sie.
Es ist zu wahr:
Monaden sind wir und haben keine Fenster.
Todtraurig und kalt gegen alles macht es
mich, wenn ich Irene in Freud oder Qualen”
sehe, die ich nicht geweckt habe. Hell mag mein
Wahnsinn schreien — aber es gibt keine Liebe
und ich, oh, muß in meiner Angst bleiben.
Sie sollte alles fühlen wie ich. Sie sollte das
Lächeln auf meinen Lippen sehen, wenn ich an'sie
denke, sollte fühlen, wenn mir die schweren
Hände sinken — irgendwo läßt er jetzt den
'Kopf in den Nacken fallen. Ich frage jeden,
der mit mir fühlt; muß es nicht so sein, ach
muß es nicht so sein?
Liegt nicht jetzt ihr schmaler Mund auf
meinem ? Was sagst du mir liebes ?
Das ist heller Wahnsinn; aber ich hasse Irene
und will nichts wissen von /ihr, wenn sie nicht
fühlt wie ich. Sie muß gerben, wenn ich hin-
gehe. Aus einer Wurzel müssen wir gesprossen
sein, sie und ich; und ich nenne es nicht Bar-
barei, wenn einer mit dem erloschenen andern
auf den Scheiterhaufen steigt und mit ihm brennt.
Liebte sie mich, ehe ich geboren wurde?
Liebte sie mich, war sie mir treu, ehe sie
mich sah?
Sie schaut die Welt nicht, wenn ich die
Augen aufschlage, wird nimmer satt wenn ich
esse; war vor mir, ohne mich, glücklich und elend
— wie irr und schmerzlich das klingt
Wie schmerzlich, schmerzlich1 das von; unserm
Lose singt.
In meiner Angst und Einsamkeit muß ich
bleiben. — Aber die Liebe ist das Höchste von
^llem. — Es kann nicht geschehen, daß sich
zwei Menschen lieben. !
*
*
Fortsetzung folgt
52
glaube, ich habe ihn, kugelt er noch schwerer als
Blei in meinen Rachen zurück. Wie ein einbal-
samierter Leib. Dabei höre ich den Namen mei-
nes Urgroßvaters auf meiner Zunge, eine Melodie,
einen Psalm. Ich muß mich zerstreuen, ich
werde die Redaktionen, die so lange nun mit
mir in Konnex standen, um Verzeihung bitten;
ich kann doch nicht dafür, daß ich keine Gehirn-
erweichung habe! Der Psychiater glaubt doch
nicht daran! Das Leben ist was furchtbar
Schmerzliches; alle meinen, daß es nur was Ent-
täuschendes ist. Ich meine beides und gaukle
mit Geschicken. Und wie das Leben vom Milieu
abhängt, wenigstens meins. Läge zum Beispiel
das Fenster meines Zimmers statt nach gegen-
über, seitwärts mit dem Blick nach dem West-
himmel, wo abends der Mars aufmarschiert, hätte
ich Freude am Leben gehabt und wüßte, warum
ich lebe — aber so! Ich kann mich nicht mehr
sehen, ich ertrage in den Spiegeln mein Ge-
mälde nicht mehr, wenn nun mein Angebeteter
kommt und hat meine Augen? Und darum
gerade wegen seiner hellen Lichter liebe ich ihn,
gelbe Rosen, und wenn sie traurig sind, fallen
sie wie Goldregen. Er ist ein Sonntagskind, ich
bin ein Feiertagskind, das nicht gehalten wird;
er findet keine Ruhe in mir. Wir lieben
uns, wie die verschiedenen Liebenden auf
Erden und im Himmel. Wie selige Engel
mit der Pose des Flügels, wie die ersten
Menschen, die noch glühend waren, wie zwei
große Blumen hinter der Hecke, die nichts wieder-
sagt, wie zwei Rubinen im Reichsring eines
Kaisers und manchmal früh am Morgen wie
zwei Schakale. Ich mache mir gar kein Ge-
wissen daraus; alle Romane der Ehe sind Un-
wahrheiten! In Wirklichkeit gibt es kein Ge-
wissen. Aber, daß ich den Namen meines Blut-
pächters, meines Urgroßvaters, vergessen habe,
darüber mache ich mir heftige Gewissensbisse.
Else Lasker-Schüler
Der schwarze Vorhang
Roman
Von Alfred Döblia
Fortsetzung
„Ich muß dich lieben" flimmerte es immer
wieder in ihr wie Geigenmüsik. Wie deine Seele
liegt das fahle Haar auf dir"; das machte sie
erzittern und so legte sie sich hin. Sie konnte!
ihre Hände nicht betrachten, ohne an ihn zu
denken, der sie gegriffen hatte; (es erschien ihr,
als ob' es nicht mehr ihre Hände wären, und
sie drückte sie leicht und scheu an Wange und
Stirn, eilte zu der Mutter,, |dfe die Hände freund-
lich sanft hielt und streichelte, so daß sie ihre
Hände wieder hatte und sich darüber freute. —-
Liebe: das war ihr etwas federweiches gewesen,
wie ein pelzbehangener Schaukelstuhl, in dem
man den Kopf zurücklegt und die Hände fallen
läßt —, lund hin- und herpendeln, mit geöffneten
Lippen und etwas schwindlich.
Wenn sie jetzt in ihrem Zimmer zwischen
den Freundinnen saß, auf die bekannten Gesichter
sah und diese blaue Liebesblume duftete, so
fragte sie sich manchmal: „wie ist es möglich?
niemand hier im Zimmer würde es mir glauben,
daß die Liebe so mitten; durch den Alltag geht."
Was alles an unbestimmten Schauern in dem
Wort Liebe wie ein Gewitter schwebt, wollte
sich an dem jungen Herzen entladen, das auf-
bebte. 1
Aber Johannes, Johannes, der sie mit
wilder Kälte gehöhnt hatte, grundlos, nur
um sie zu höhnen, dessen Augen oft mit
Schwermut und Angst auf ihr geruht hatten
und der sie wieder wochenlang über-
sah, um diebeflehend vor ihr zusammenzu-
brechen — der breitstirnige, unbändige Mensch
ließ sie nicht still, wie es ihre Art war, vor
sich hinträumen, entriß ihr diese blaue Blume.
Furcht klebte an seinem Namen; und dunkel
klagte sie sich, daß sie ihn nicht liebe. Sie zwang
ihre Gedanken, die beiden Worte: „Johannes"
und „Liebe" zu verbinden, aber je öfter sie es
versuchte, um so weniger gelang es ihr. Grauen
strömte der Herrische, Kalte, Schweigsame aus:
wenn sie ihn liebte, oh, war es nicht Sünde,?
Durfte sie das Grauen lieben ? — Sie wußte sich
keinen Rat; bat ihm tausendmal ab mit gefalteten
Händen, wollte ihm ausweichen, versteckte sich
an dem kleinen Teich in ihrem Garten.
* *
*
Wachsen nicht breite grüne Weiden am
Teiche in meinem Garten ? Sie biegen ihre Aeste
und Gerten; die sind voll der jungen Zwitter-
blättchen. Ich habe die jungen; Blättchen so lieb.
Wenn der Wind kommt und die Ruten hebt,
schlüpfe ich unter und will mich leis von den
schwanken Wippblättchen schlagen lassen.
Ja, wie ein graues Rebhuhn will ich liegen,
wo mich niemand sieht mit meinem roten Haar.
Ueber Mund, Wangen und Augen sollen
mjr die Zweige streichen, und meine heißen
Hände werden auch nicht in der Erde wühlen.
* *
*
Es liegt ein Träumen über dem weiden-
umringten See. Und Aengstnis lauert über ihm.
Durch den Wald um den tiefen Waldessee murrt
ein Sehnen, taumelt, iwjrft sich hinein. Und
schlägt ertrinkend Blasen auf dem schwarzen,
dicken Wasser.
Aus dem See, ächzt es wollüstig wie schluch-
zende Waldesfrauen. Es quallt zu ihm herauf
zu dem Mannesschätten. Am tiefen Waldessee.
Ein Kindsweib steigt zu ihm auf, rippen dürren
Leibes und triefenden Haares. Und starrt ihn
an aus runden Augen. Und singt für sich
gebrochen. Das dunkle Nixenlied schreit lang-
sam hin.
Und der harte Nixenschmerz lallt wirr und
wild wie ein Zungenloser, den es graust vor
der Stummheit. Sieht sich am Seerande um,
die junge, flinkemd weiße, starrt ihn aus weißen:
Augen an, den Mannsschatten, zwischen Ried
und Kalmusstauden. Steigt wortlos in den See
hinab. Da murrt es nun und schluchzt herauf.
Schlägt auf dem dicken schweren Wasser
große Blasen, spricht, oh spricht: „Ich kam
zur Höh. Ich kam zur Höh. — Was küßtest du
mich nicht? Was warfst du mich nicht hin?
Dann stürbe ich. Nun ists zu spät. Schwimm
in dem tiefen Waldessee, jn Sünd und Angst.
Muß leben." Es liegt ein Träumen über dem
sumpfigen Waldessee und Aengstnis, Aengstnis
lauert über ihm.
* *
*
Da riß auch ihn seine alte Schwere wieder
hinab und nun nannte er seine Schwere: Liebe.
Da hatte auch ihn die schwere Krankheit ge-
packt, und jetzt nannte er sie Liebe.
Die Dankbarkeit hatte den Verdüsterten dicht
an die Lebensfrohe getrieben, sein Widerstreben
und Ringen hatte die alte einsame Schwermut
wjeder zu wecken begonnen. Die lieferte ihn
ganz der Trösterin, Befreierin aus. Das Narren-
wort Liebe stand über seiner Hingesunkenheit:
die rang die Arme nach, dem Worte und suchte
es zu fassen. Seine dumpfe Einsamkeit verstand
das Wort Liebe: ein Lebendes, eine Menschen-
seele auf Tod und Leben rzu besitzen.
Was gebrochen, armselig, trostlos, neidisch
und herrschsüchtig in ihm war, rang die Arme.
Liebe, das war ja die Erfüllung seiner alten
Sehnsucht und Unrast; diese Unrast schwieg die
Liebe hin und sollte sie ihm hinschweigen, bald,
o bald. Nun trug er Unruhe mit sich herum;
nach dieser Sehnsucht stand immer seine
Sehnsucht. Es war kaum eine; Stunde des Tages,
wo seine Seele nicht schwer und trostsuchend
zu ihr flog, ihre Stirn beschattete und ihren
Mund küßte. Des Nachts wachte er auf, und
mit Staunen sah er, daß seine Gedanken bei der
Reinen knieten, wie sie am Tage getan
hatten. Er fühlte sich verfinstert und tief
verwundet; kaum, wenn ihr Arm an seinem
Halse lag, fühlte er sich geheilt. Mit Bangig-
keit schlich er von ihr fort, wie er zu
ihr gegangen war, wiewohl er seiner
Seele versprach, daß Glück sie wie eine weiche
Sommerluft, die über Wiesen und Weiher klart,
umgebe; aber immer schluchzte etwas müde,
müde auf, drängte ihm den Kopf in die Arme,
sehnte sich zu sterben. Er verlangte, sich zu
Vergessen und sich ganz berauben zu lassen;
dann höhnte er seinen Liebeswünschen.
— Wenn ich tausend Zungen hätte und
hätte der Liebe nicht, so |wäre ich nichts; aber
ich, ich habe der Liebe! und bin nichts durch sie.
Wer weiß, ob sie der Liebe hat?
Ich weiß es nicht, ich werde es nie wissen,
nie wissen können. Wissen, so sicher und innig
wie ich von meinem Willen weiß, wie ich meine
eigene Angst fühle, der ich vertrauen darf. Sie
ist ein Andres, mein Andres; das ich nicht
fassen kann, dem ich nicht vertrauen darf.
Zwischen uns Zufallssteinen redet keine Welle.
Blicke, Mienen, Händedrücke sind zwischen uns ;
tönende Wellen schwingen zwischen ihr; und mir,
Luft, nur Luft, und auf Luft soll die Schwere,
alle Schwere meiner Verlassenheit bauen. Woran
soll ich mich' «halten, wo) <st die Brücke zwischen
uns beiden? Bleibt jedes bei sich. Ich weiß es
nicht, ob mich Irene liebt? Weiß es wohl: es
kann nicht geschehen, daß sich zwei Menschen
lieben, sie müßten denn beide sterben und zu
Staub werden; aber die Menschenseelen er-
greifen und küssen sich nie. Eins lebt für sich
und das andre für sich, und nur darin sind sie.
Es ist zu wahr:
Monaden sind wir und haben keine Fenster.
Todtraurig und kalt gegen alles macht es
mich, wenn ich Irene in Freud oder Qualen”
sehe, die ich nicht geweckt habe. Hell mag mein
Wahnsinn schreien — aber es gibt keine Liebe
und ich, oh, muß in meiner Angst bleiben.
Sie sollte alles fühlen wie ich. Sie sollte das
Lächeln auf meinen Lippen sehen, wenn ich an'sie
denke, sollte fühlen, wenn mir die schweren
Hände sinken — irgendwo läßt er jetzt den
'Kopf in den Nacken fallen. Ich frage jeden,
der mit mir fühlt; muß es nicht so sein, ach
muß es nicht so sein?
Liegt nicht jetzt ihr schmaler Mund auf
meinem ? Was sagst du mir liebes ?
Das ist heller Wahnsinn; aber ich hasse Irene
und will nichts wissen von /ihr, wenn sie nicht
fühlt wie ich. Sie muß gerben, wenn ich hin-
gehe. Aus einer Wurzel müssen wir gesprossen
sein, sie und ich; und ich nenne es nicht Bar-
barei, wenn einer mit dem erloschenen andern
auf den Scheiterhaufen steigt und mit ihm brennt.
Liebte sie mich, ehe ich geboren wurde?
Liebte sie mich, war sie mir treu, ehe sie
mich sah?
Sie schaut die Welt nicht, wenn ich die
Augen aufschlage, wird nimmer satt wenn ich
esse; war vor mir, ohne mich, glücklich und elend
— wie irr und schmerzlich das klingt
Wie schmerzlich, schmerzlich1 das von; unserm
Lose singt.
In meiner Angst und Einsamkeit muß ich
bleiben. — Aber die Liebe ist das Höchste von
^llem. — Es kann nicht geschehen, daß sich
zwei Menschen lieben. !
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