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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 115/116
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Pick, Otto: Der Selbstmord eines Katers
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Hausmann, Raoul: Wieder Herr Scheffler
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Walden, Herwarth: Notiz
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Hiller, Paul: Die indische Tänzerin
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Beachtenswerte Bücher / Notiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0089

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wird, wenn er die Gewähr hat, keine Ueberra-
schung im Guten noch im Bösen mehr zu erfahren
zu haben.
Nun er uns Erfahrungen aller Arten zu bieten
hat, erlebte und vorweggenommene, wird Ehren-
stein unbändig und erfrischend, trüb und Illusionen
raubend, grausam und ungeahnt zart zugleich. Von
den Menschen spricht er böse,, den Tieren ist er
gut. Und wenn sein abgründiges Gemüt in einem
Verflachungsanfall über dem puren Durchschnitts-
trieb, als welcher mit der Erotik zu identifizieren
wäre, sich zur unzarten Behandlung eines Tieres
hinreißen läßt — was Wunder, wenn der getretene
Kater sich durch Selbstmord rächt, in Zerknir-
schung den entgleisten Menschenfeind zurücklas-
send .... ?
Aber es gab andere Zeiten, da des Lebens Ver-
ächter noch daran hing, und damals hatte es strah-
lende Augen und hieß Marianne und wurde unglück-
lich-glücklich geliebt, nicht etwa mit Leidenschaft,
sondern mit „Passion ‘. . Hier meldet sich wieder
die entzückende Schamhaftigkeit dieses Dichters,
der, nun einmal warm geworden, der Realität aus-
weicht und einfach in Märchen (aber was für
Märchen voll fabelhafter Sinnlichkeit,, Bildkraft und
Buntheit!) seiner Seele glühendes Innei'e zum
Schmelzen bringt. Wer ahnt, daß die Novelle ,,Apa-
turien“ eine aus Zartheit, Verschmitzheit und einem
unendlich vor- und rückwärts-schweifenden Welt
gefüht geformte Liebesepisode enthält, wer wird
nicht ergriffen das lange bunte Sterben des Zehired-
din Muhammed Baber miterleben, oder den zau-
berhaften Untergang Saccumams schauernd .sich
vollziehen zu sehn! Und wenn der Dichter schließlich
als Abgesandter eines fernen Sternenvolkes sich zu
erkennen gibt und über die irdischen Einrichtungen
zu Gerichte geht, ist man kaum verwunderter als
man es bei jener wundervollen Novelle „Begräbnis
war, die von höchst irdischen Dingen handelt, von
Gesprächen im Familienkreise, von den beizenden
Zwistigkeiten unter Verwandten, von ihrer falschen
Liebe und von ihrer nicht minder unechten Teilnah-
me an einer Tante Tod.
Aber diese Novelle enthält außerdem die merk-
würdigsten Beobachtungen über das Leben, An-
merkungen zum Thema Tod, kurz, hier ist auf drei
Dutzend Seiten ein Ehrensteinsches Universum
dargestellt — und das will nicht wenig besagen;
denn diesem einsamen jungen deutschen Dichter
hat die Welt sich vertausendfacht, da er sie mit
Haß und Liebe, Spott und Gleichgültigkeit, aber
auch mit Humor zu betrachten wußte.
Otto Pick
Der Selbstmord eines Katers von Albert Ehr enstein
München nnd Leipzig, bei Georg Müller
ras

Wieder Herr Scheffler
Herr Scheffler beginnt seinen Artikel in „Kunst
und Künstler“ ungefähr mit diesen Worten: ,,Die
Ausstellung ist nicht eine der besten, aber sie ist
charakteristisch“. Weniger gut und charakteristisch
ist die Ausstellung für Herrn Scheffler, weil sie von
so vielen jungen Talenten beschickt ist. Wer sind
aber diese jungen Meister? Zuerst Waldemar
Roesler, „er hat auf seinen Bildern keine leere SteL
le mehr“. Das soll wirklich sehr schwer sein. Dann
ist da T h e o von Brokhusen, „von dem man
weiß, daß er eine schwere Krankheit überstanden
hat. Das macht natürlich jedes Bild gut: die „Kro-
ne“ aber ist Herr Max Beckmann ,,Dieser kühne

junge Meister“ kommt von Delacroix und Rubens
— das sind natürlich große Meister, die man nicht
einmal im Wert des Epigonen verlästern darf. Da-
gegen muß selbstverständlich Max Pechstein von
einer „Idee befangen erscheinen“.
Doch das ist nicht alles; Herr Scheffler (und
einige Seiten weiter Herr Robert Walser)
spricht tiefgefühlte Worte über ein Bild von van
Gogh: Arlesienne. Von den auf dieser Ausstellung
außerdem noch gezeigten drei Bildern aus der frü-
heren Zeit van Goghs erzählt Herr Scheffler zwar
nichts, sie hängen offenbar dort, um glauben zu
machen, van Gogh wäre auch nur ein Seccessionsta-
lent gewesen — aber die Begeisterung über diese
schwächere Wiederholung der ursprünglichen
Arlesienne zeigt eigentlich zur Genüge, welch famo-
ses Unterscheidungsvermögen Herr Scheffler be-
sitzt, ein Herr, der Picasso innerlich verlogen nennt
und von den Futuristen schreibt, bei ihnen staune
man nur über die ungeheure Talentlosigkeit. Es ist
aber höchste Zeit, daß Herr Scheffler sein Amt als
Redakteur von „Kunst und Künstler“ niederlegt
Raoul Hausmann


Notiz
Karl Kraus zwingen ..Zudringlichkeit von Miß-
verständnissen, die sich um das Eindringen der
Fackel in Berliner literarische Interessen gebildet
haben“ Erklärungen abzugeben Karl Kraus ist ein
Gegner des Sturms, ich bin ein Anhänger der Fackel.
Ich halte die Fackel sogar für einwandsfrei, seitdem
Karl Kraus ihr einziger Mitarbeiter ist. Wenn man
sich den größten Schriftsteller der deutschen Spra-
che, den einzigen, der auch Künstler ist, zum Mit-
arbeiter gewinnen kann, ist nichts zu verlieren. Um
Mißverständnissen von Mißverstandenem vorzubeu,
gen, muß ich erklären: Ich habe mich nie mit Fu-
turisten, Neopathetikern und Neoklassikern identi-
fiziert. Hingegen brachte ich Beiträge von Malern
und Schriftstellern,, die es für nötig hielten, sich zu
Gruppen zu vereinigen. Ich bin doch gewiß gegen
Ismen. Aber Neoklassikern habe ich noch nie zur
Oeffentlichkeit verhülfen. Ich bin aber sogar auch
gegen Iker. Ich habe auch nie behauptet, daß Moe-
rike, Eichendorff und Lenau weniger taugen, als
Lissauer Werfel und Heym. Denn alle diese Her-
ren sind keine Künstler. Ich halte Polemik, die
Kunst ist, für eine Angelegenheit des Aestheten.
Nur Karl Kraus bildet die Ausnahme. Ich halte
Else Lasker=Schüler nicht nur für eine große Dich-
terin, sondern für die stärkste künstlerische Bega-
bung Deutschlands. Ich halte ihre Epigonen für
ebenso talentlos wie Epigonen aller Zeiten. Mir ist
es gegeben, die Kunst dort zu sehen, wo selbst Karl
Kraus das Opfer wird. Der größte Schriftsteller
in deutscherSprache ist vielleicht durch dieseEigen”
schäft verhindert, den Künstler in der Malerei so
zu erleben, wie ich es kann. Üeber meine Musik
haben wir jedenfalls dieselbe Meinung. Obgleich
ich auch der Meinung bin, daß die Meinung in der
Kunst nicht genügt. Es kommt darauf an, wer die
Meinung hat. Ich stelle auch gern fest, daß Karl
Kraus niemals gewünscht hat,, ich möge für ihn
eintreten oder für ihn etwas tun. Ich richte mich
durchaus nicht nach Wünschen. Aber auch gegen
Wünsche werde ich mich nicht hindern lassen, mei-
ne Meinung zu sagen, die Kunst ist.
H. W.


Die indische Tänzerin
Rosha Nora
Ganz schmale Hände laufen durch wohlriechende
Luft-
Zarte Arme, mondsteinberingt, greifen in weitflat-
terde Seide.
Nackte Füße springen über blumige Teppiche und
Goldschalen-
Ihr drehender Leib ist durch blaue Schleier gezeich-
net
In den Augen ruhen Lichter mächtiger Dschungel-
tiger. . . ..
Ich will sie meinen Freunden zeigen.
Meine Lust zur Tänzerin gibt ihr die Kraft:
Ich will sie meinen Freunden zeigen!
Paul Hiller
Aus Anlass ihres Auftretens im Variete Eispalast

Beachtenswerte Bücher
Ausführliche Besprechung vorbehalten
Rücksendung findet in keinem Falle statt
THADDÄUS RITTNER
Ich kenne Sie / Novellen
Wien und Leipzig / Deutsch-Oesterreichischer
Verlag
ALDO PALAZZESCHI
II Codice di Perelä
Romanzo Futurista
Mailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
ALBERT EHRENSTEIN
Der Selbstmord eines Katers / Novellen
München / Verlag Georg Müller
F. T. MARINETTI
Distruzione / Poema
Mailand / Edizioni Futuriste di „Poesia“
La Momie sanglante
Poeme dramatique
Editions du „Verde e Azzüro“ / Milan
D’Annunzio intime
4e editipn
Editions du „Verde e Azzuro“ / Milan
Le Roi Bombance
Tragedie satirique, 3e edition
Edition du „Mercure de France“ / Paris
La Ville Charnelle
4e edition
E. Sansot et Cie. / editeurs / Pariss
CARL DALLAGO
Philister
Brenner-Verlag / Innsbruck.
KARL KRAUS
Nestroy und die Nachwelt
zum fünfzigsten Todestag
Verlag Jähoda und SiegeE/Wien


Notiz

Die Holzschnitte auf der fünften Seite jeder
Nummer sind von Mitgliedern der Neuen Sezession-

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE


Ständige Ausstellungen
der Zeitschrift Der Sturm
Königin-Augusta-Strasse 5 I
gegenüber der von-der-Heydt-Strasse
Zuückgestellte Bilder
des Souderbundes/Köln
Kandinsky / Marc / Jawlensky / Werefkin / Bloch /
Munter
Geöffnet täglich von 10 bis 6 Uhr
Eine Mark


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