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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 125/126
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Lasker-Schüler, Else: Versöhnung
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Liliencron, Detlev von: Briefe an Peter Hille
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0137

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Versöhnung
Es "wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen . .
Wir wollen wachen die Nacht,
In den Sprachen beten
Die wie Harfen eingeschnitten sind.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht —
So viel Gott strömt über.
Kinder sind unsere Herzen,
Die möchten ruhen müdesüß.
Und unsere Lippen wollen sich küssen,
Was zagst du? i
Grenzt nicht mein Herz an deins —
Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.
Es wird ein großer Stern, in meinen Schoß fallen.
Else Lasker-Schüler

Briefe an Peter Hille
Von Detlev von Liliencron
Ich veröffentliche in dieser Zeischrift eine kleinere
Anzahl Briefe, die Detlev von Liliencron an Peter Hille
gerichtet hat. Ich fand sie im Nachlass des Dichters.
Sie sind aus den Jahren 1885 und 1886.
H. W
Erster Brief
Kellinghusen, Holstein, 1. Nov, 1885.
Geehrter Herr Hille!
Wer sind Sie? Was sind Sie. Wo sind Sie?
Ein anonymer Prinz? Ein Geheimrat im Ministe-
rium des Aeußeren? Ein stiller Stubengelehrter?
Ein Lebemann? Ein Sportsmann? Ein Professor?
Vor allem müssen Sie universelle Kenntnisse
haben. —
Das war ungfähr der Anfang eines Briefes an
Sie, als ic;h Nr. 2 Ihrer Völkermuse gelesen hatte.
Ich dachte mir aber, daß Sie fast erdrückt wären
von Korrespondenzen, Zuschriften, litter arisch en
Quälereien p.p. und somit unterließ ich meine Zu-
schrift. Und nun kommt heute Ihr liebenswürdiges
Schreiben vom 31. d. J., für welches icn Ihnen
meinen herzlichsten Dank sage. Ich wiederhole
-— leider, leider’.!! — Ihre Völkermuse ist viel
zu fein für unsere deutsche Leseplebs. Von den
45 Millionen verstehn sie nur nöchstens 450 Män-
ner. Aeuißerst fein und vornehm!!! Aber le-
sen Sie nur die Kritiken, z. B. Deutsche Roman-
zeitung, No. 4 vom 26. Oktober 1885! So wird
es Ihnen noch öfters ergehn. Die wahnsinnige Ver-
schlammung und Versumpfung unseren littera^ri-
sehen Zustände, wo Leute wie Ebers, Wolff,
Eckstein den Ton angeben! Wo die Posse
(— Kneisel, Möser, Schönthan,, u.s.w. —) regie-
ren,, selbst auf den besten Theatern regieren!
Verzeihen Sie mir: Ich bin ein Soldat gerade-
aus! der den ganzen Wischwasch des litterari-
schen Jetzt nicht fassen kann — aber: Ich habe
ein feines Verständnis für das, was wirklich einmal
rechts und links abgeht von dem gewöhnlichen
Weg, den die infame Bande unserer Millionen
Lyriker („Dichter“) wandeln. Deshalb begrüße
ich mit tausendfachem Jubelgeschrei jede solche
Erscheinung. Ach! Wie wenig sind’s!
Ja, unheimlich ist geradeaus oft,, was Sie sa»
gen. Aber, wenn ich’s zweimal, dreimal lese, da
schlägt’s mir wie Freudenröthe in’s Gesicht. Hal-
ten Sie aus! Es werden, es müssen sic^ Verständ-
nisvolle finden, die mit derselben heißen Erwartung
jeder neuen Nummer entgegensehen, wie ich. Eins
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darf ich mir gstatten, hier zu erwähnen: Wenn
irgend möglich, halten Sie das Programm aufrecht,
welches Sie uns mit der nächstfolgenden Nummer
versprechen: Für die zweite Nummer z. B. hatten
Sie uns einen Aufsatz über Heiberg angesagt. Aber
er fand sich nicht. Das scheint kleinlich von
mir geredet, aber es ist es sicher nicht.
Schluß des Briefes fehlt.
Zweiter Brief
Anfang fehlt
Was wollen Sie, lieber Frteundi, mit meinen
Schriften? Es liest sie kein Mensch. Unter dem
blödsinnigen Titel: „Adjutantenritte“ — von mei-
nem Verleger gegeben — habe ich Gedichte her-
ausgegeben: Blut, Herzblut (— idealisiert natür-
lich —) aber kein Wischwasch. Kein Mensch also
liest die Gedichte. Später — später vielleicht???
Mein erstes Drama, „Knut der Herr“ wurde vor
vier Tagen auf dem Hoftheater in Altenburg ge-
geben. Es ist gut ausgefallen; nur muß ich noch
Zusätze schreiben. Ich gehe und ging nämlich von
der fixen Idee aus, so k u r z wie möglich zu schrei-
ben, um das Fürchterlichste für die Zuschauer:
die Langeweile, zu vermeiden. Nun wird Knut in
Leipzig (Stadttheater) gegeben' mit meinen Zu-
sätzen.
Ein anderes Drama: Die Rantzow und die Pog-
wisch ist in diesen Tagen an die Bühnen von Felix
Bloch-Berlin versandt. Ich lasse Ihnen den Krem-
pel durch meinen Verleger in Leipzig zusenden in
diesen Tagen. Nur zwei Vorbilder habe ich im
Drama mir genommen: Shapespeare und Heinrich
von Kleist!!! Drama heißt: Heiße Vorwärtsströ-
mung, fortschießende Handlung (— immerzu,
immerzu —), keinen Augenblick Langeweile, Hus-
sah und Trompetenschall, Bumbum, und lieber das
Aeußerste gewagt — wie Vischer in seiner Aest-
hetik sagt —- als Langeweile, Nüchternheit,
Philisterhaftigkeit. -— Ich schrieb noch manche
Novelle! Aber wer will sie lesen?. Sie liegen im
Schrank. Es sind (— idealisierte —) 'Tagebuch-
aufzeichnungen.
Haben Sie in: „Die Gesellschaft“ Nummer 40
„Der Dichter“ von mir gelesen? Bitte tun Sie
es! Es wird Sie interessieren. Sehen Sie meinen
Freund, den Prachtkerl Hermann Heiberg — so
sagen Sie ihm tausend Grüße. Er kennt mich, d. h.
nicht persönlich. — Schade, daß die Berliner Mo-
natshefte aufflogen. Welch ein frischer wohltuen-
der Sturm darin. In „Ick hev die lev“, war ein
schändlicher Druckfehler: „Verzweifelnde“ statt
„verzeihliche“ Lieutenantswünsche. Anliegend mei-
ne Photographie. Bitte um die Ihrige. Und nun,
herzlicher Handschlag! Und immer wieder will-
kommen mit Ihrer Völkermuse.
Haben Sie irgend Muße und Lust, so schreiben
Sie einmal wieder
Ihrem ergebensten Detlev Frh. von Liliencron
Hauptmann a. D.
Dritter Brief
Kellinghusen, d. 11. Dezember 1885.
Lieber Freund!
Was, zum Teufel! hat mich denn so unglaublich
vor Freude in die Luft springen lassen, als ich ge-
stern Abend Ihre liebe Zuschrift, datiert: „Steier-
mark“ Dezember er. erhielt. Gern hätte ich Sie,
nach Lesung Ihrer Zeilen an mein Herz geschlos-
sen, Sie wunderbarer,, absonderlicher, rätselhafter
Mensch, Sie!!! Und doch ist mir Alles und Jedes
von Ihnen verständlich. Ganz unglaublich fühle
ich mich zu Ihnen hingezogen, wie vielleicht noch
nie zu einem Menschen. Geben Sie mir doch in
Ihrem nächsten Schreiben ein trockenes curriculum
vitae. Damit ich Wenigstens weiß, wie alt Sie sind*
Ich schätze 22—23 Jahre. So viel ersehe ich, daß

Sie aus Pyrmont’s Umgegend geboren sind. Baron
du Prell’s wunderbares Buch über Martin Greif'
las ich schon 1881. Ich gebe Ihnen Recht. Die
ewige Somnambulere! du Prelis ist mir nachgerade
langweilig. Aber ein geistreicher Kerl ist er.
Wissen Sie, daß ich größte Lust hätte, mit
Ihnen in Ihrem verlassenen Bade mit dem grünund--
weißangestrichenen Musiktempel zu kneipen. Und
von Allem zu sprechen, von dem 9999999999 Men-
schen niemals oder ungern sprechen.
Haben Sie schon eigenes drucken lassen außer
dem wundervollen Gedicht in Berl. Monatshefte?
— Dann senden Sie es mir mit wendender Post.—*
Im Januar komme ich wahrscheinlich nach Berlin.
Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, Sie zu sehen
dort. Sind Sie dann wieder in Ihrer Moabitstraße?
Im Januar möchte ich nach Leipzig auf dessen
Stadttheater: „Knut“ aufgeführt wird. Ja, wenn
man das Talent Moser’s, Lindau’s (— obgleich
ich diesen liebe —), Bürger (Lubliner), Moser’s
hätte!!!! Wenn Sie wirklich Blicke in meine Dra-
men geworfen hätten (— pardon —), und Sie
wollen darüber schreiben?!! — dann sagen Sie
bitte, nachdem Sie sie tüchtig durchgehechelt ha-
ben, daß ein wenig hübsche Sprache dran ist: Auch
Tropen, gute Vergleiche,, und: Vorwärts, vorwärts,
vorwärts! Drama heißt scharf strömende Hand-
lung. Schreiben Sie mir über das, was Sie litera-
risch vorhaben. Es interessiert mich das sehr-
In Berlin freute ich mich im Voraus, hoffte ich von
Ihnen zu hören über 1000 und Einen der neueren
und neusten Dichter. Entre nous: Viel Quark
darunter. Herausleuchtend: , A r n o Holz4
(—über dessen politischen Nonsens ich lache, lache,
lache, —) Karl Bleibtreu, Hermann Conradi. Ken-
neri Sie meinen lieben guten herzensprächtigen
Heiberg? Das ist ein Kerl. Sic haben — im Ge-
müth — viele Aehnlichkeit mit ihm. —
Schreiben Sie eins: Ist im Knut und dem
andern Schauspiel nicht Farbe, Farbe, Farbe?!
Tod der Nüchternheit, Zertrampelung aller Phi-
lister.
Haben Sie etwas lieb
Ihren Detlev Liliencron
Wo bleibt Ihre Photographie.
Vierter Brief
Kellinghusen, Holstein 19. 1. 1886.
Lieber Freund!
Recht herzlichen Dank sollen Sie haben für
Ihre beiden lieben Schreiben, die ich eher beant-
wortet hätte, wenn mir meine jetzigen Umstände
dies erlaubt hätten. Haben Sie vor allem Dank
für Ihre interessanten Worte über die beiden Dra-
men! Ich schrieb in diesen Tagen ein Trauerspiel’
„Der Trifels4 und Palermo“ (Kaiser Heinrich VI.)
Wenn es gedruckt ist, gestatte ich mir, es Ihnen
zu senden. Immer habe ich jetzt Ihr Wort vor
Augen: „Menschen, Mannigfaltigkeit und Notwen-
digkeit von zusammenhandelnden Naturellen und
Charakteren“ — —. Das soll mir ein ewiges point
de vue sein beim Dramenkritzeln, gewissermaßen
also der Punkt, den ich ewig im Auge behalte,
wenn ich schreibe.
Ich freue mich sehr darauf, daß ich die Ehre
haben werde und daß Sie mir Ihr Vertrauen schen-
ken in Betreff der Einsendung Ihrer Lieutenants-
novelle: Ein reizender Mensch. Ich denke mir,
daß, was Sie schreiben, muß ganz originell sein.
Ich bin bei mir ganz sicher, daß Sie einmal hell
herausleuchten werden aus dem Millionendichter-
schund den wir zur Zeit haben. Irgendetwas ganz
Wunderbares steckt in Ihnen.
Daß Sie schon 31 Jahre sind, hätte ich nicht
geglaubt. — Ich bin aus meiner Zivilstellung ab-
gegangen; vielmehr meine Gläubiger haben mich
so lange gepisackt, bis ich freiwillig ihnen den
Kram vor die Füße geworfen habe. Ich hatte jähr-
lich circa 5000 Mark Einkommen; in zwei Jahren
 
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