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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 117/118
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Dallago, Carl: Karl Kraus / Der Mensch
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Karl Kraus , Der Mensch
von Carl Dallago
Den weiteren Tadel gegen Kraus nehme ich
nicht mehr ernst. Was sagen Vorwürfe wie: Er
sei ein Verleumder, als Mensch degeneriert und
ungesund, als Schriftsteller eine Null, wenn sie nicht
im geringsten mit Belegen unterstützt werden körn
nen, ja wenn, was man vorbringt, nur für blinde
Erregung zeugt, die sich selber irre führt. Stammt
solcher Tadel von einem Künstle risch=Schaff enden,
frißt ein derartiges beharrliches Unrechttun vom
Schaffensvertnögen. War der Tadler Angreifer,
muß er sich auf Gegenwehr gefaßt machen. Und
hat er Sache und Gegner unrichtig bewertet, muß
er eben die Folgen tragen. Die Gegenwehr kann
er dem Gegner nicht verübeln, und wenn er ihrn
die Ueberlegenheit verübelt, macht er sich nur um«
so unterlegener. Einen Gegner wie Kraus unter«
schätzen, heißt, ihn nicht höben, ihn nicht verste«
hen. Da muß man ihn eben fühlen. Das mag wehe
tun, weiß doch sein Wortwitz: schon tief zu ver«
wunden.
Man hat Kraus sogar sein Aeußeres zum Vor«
wurf gemacht. Der bessere Mann aber sollte
wissen, daß Größe sich nicht ungern verbirgt. Ich
will hier nicht vergleichen. Sicher ist: es hat.
wohl jedes Volk schon bedeutendste Menschen von
unscheinbarem Aeußeren gehabt. Man denke nur
an Voltaire, an Leopardi, auch an Schopenhauer.
Es gab sogar genialste Krieger von unansehnlicher
Gestalt. Auch Kraus ist schöpferischer Krieger.
Ich fühle mich durch ihn zuweilen an Napoleon er«
innert: so in der Auffassung des Weibes und in der
glänzenden Art, wie er seine Polemik zum Siege
führt.
Man schätzt eben nicht mehr nach Leibesmus«
kein den Wert derer, die ihr menschliches Vermö«
gen in geistiger Produktion kundtun. Nur in ihren
Gesichtszügen forscht man etwa noch nach dem
Gehalt ihrer Menschlichkeit. Ich sah Kraus bei einer
Vorlesung und ein wenig im Beisammensein. Ein
Sichauftun und wieder ein Sichverschließen ma«
chen sich an ihm überraschend ersichtlicn. Letz«
teres wohl mehr in Lärm und grellem Licht. Markt
und Gassen machen ihn hängend, steif, gleichsam
flügellahm. Im Vortrag macht sein Sichauftun die
verschiedensten Grade druch. Man wähnt oft das
innere Flammen durch die Körperlichkeit schim«
mern. Die Haut ist dann wie durchsichtig, der Ge-
sichtsausdruck wechselnd, man schaut viele Ge-
siebter, die einander ablösen. Die Erregung geht
in seine Haltung über, jede Geste verlautbart sic.
Alle Fülle scheint da an Kraus wie aufgezehrt von
inneren Bränden. Die Haltung ist hart, die Finger
knöchern, verbebt und blutleer, weil alles Blut die
Flamme speist, die zuinnerst lodert. Es läßt den
Betrachter fast ahnen: Auch der Geist kann einen
Leib ausbrennen, wie die Glut einen Ofen. Bei
Kraus liegt vielleicht dieser Fall vor. Sein Flam«
men scheint seinen Leib zu verzehren.
Weil Kraus gegen Harden und Heine geschrie«
ben hat, vermeint man Belege zu haben für Kraus’
Antisemitismus. Vorerst: Herr Harden läßt sich
nicht neben Heine stellen. Auch Kraus tut es nicht
und hält den Rangunterschied aufrecht. Aber die
argen Folgen täglich um sich verspürend, die
Heine’s zeitweilige spielerische Ornamentik (der
gewiß auch Veräußerlichung zugrunde lag) an«
gerichtet hat, wurde er wohl innerlich genö«
tigt, diese Seite Heine’s darzutun. Warum nahm
auch der Feuilletonismus so schrecklich überhand!
Warum verlegen so häufig die Feuilletonisten, die
uns mit ihrer Leere eine Fülle vortäuschen, den
Künstlern die Wege zur Oeffentlichkeit! Kraus

liebt die Kunst und erkennt vom Feuilletonisten:
„Die Kunst weicht vor ihm zurück wie der Glet«
scher vor dem Bewohner des Alpenhotels“. Ein
derartiger Feuilletonist aber ist imstande und be«
ruft sich für das Künstlerische seiner Tätigkeit lei«
der mit einigem Recht noch auf Heine. Es scheint
mir die Stelle, wo Kraus Tadel gegen Heine ein«
setzt; er begrenzt in dem ausgezeichneten Vorwort
zu seiner Heineschrift klar deren Vorwurf, wenn er
sagt: „Diese Schrift indes, soweit entfert von dem
Verdacht, gegen Heine ungerecht zu sein, wie von
dem Anspruch, ihm gerecht zu werden . . . . , er«
schöpft das Problem Heine nicht.Die ihn zu
schützen vorgeben, schützen sich selbst und zeigen
die wahre Richtung des Angriffs“. Ein Funke guten
Willens und sonst noch das Nötige in sich, und es
muß auch im Heineverehrer der Tadel gegen Kraus
verstummen.
Anders verhält es sich mit Maximilian Harden,
dessen schwülstiger Stil feineren Ohren die erste
Verdächtigung gegen den Menschen im Stilisten
zuraunt. Kraus mit seinem empfindlichen Gehör
für alles Unechte hat hier nur aufgedeckt, was das
Aufgedonnerte jenes Stils bereits argwöhnen ließ:
daß sich da einer för mehr ausgibt, als er ist. Denn
dem Menschen Kraus ist die Sprache Erlebnis; er
fühlt sie als ein Körperliches, als ein Gebilde von
Fleisch und Blut. So wird ihm der Stil wohl wie
Haltung und Gangart, auch wie Gewandung dieses
Körperlichen, das sich im Stil verhüllt und doch
zeigt wie ein Weib in der Kleidung. Und er, der
von Bismarck als einem „Sprachmeister“ spricht
und bei Ludwig Speidel von einem „Zug der Spra«
ehe“, mußte das "Umzug,artige und Kostümierte im
Stil Harden’s bald als Mangel an Echtheit empfin«
den, mußte des Unechten immer mehr werden se«
hen, wenn er durch die Kleidung nach dem Körper,
durch die Rüstung nach dem Träger forschte. Und
als Harden sich nicht scheute, in der üblen Tracht
konventionellster Moral in ein heikelstes Gebiet
des Geschlechtslebens einzudringen, um sich poli«
tisch wichtig zu machen, zerfetzte ihm Kraus die
ganze Vermummung. Wie Kraus dies tat, ist ein«
zig. Ein glühendes Temperament ist hier im Wor-
te völlig Gestalt geworden.
Robert Scheu’s Schrift über Karl Kraus enthält
viel Ansprechendes. In zwei wichtigen Punkten
jedoch scheint sie mir Kraus nicht gerecht zu
werden, nämlich: puncto Weib und Politik. Scheu
hätte sich hier an seine Erfahrung halten sollen,
die ihm sagte: daß Karl Kraus noch jedesmal um
eben die Strecke voraus war, um die ihn Scheu
zurück wähnte. Dies außer acht lassend, meint
Scheu von Kraus: „Seine Abneigung gegen die
Politik kommuniziert mit seiner Gleichgültigkeit
gegen die Mutter durch verborgene Kanäle der
Persönlichkeit. . . . Die Politik als gleichberech«
tigte Welt mit ihren wunderbaren zwingenden Ge-
setzen, dieses Fatum ist für ihn nichts als ein Mon«
strum. Dieser Welt nahe zu treten, scheint ihm
versagt zu sein“. Hier verneine ich. Gerade daß
es Kraus versagt ist, die Politik als eine Welt mit
eigener Gesetzlichkeit anzusehen, spricht mir für
das Weitgekommene seines Menschentums, spricht
mir für ein tiefes Vordringen zu sich und den Din«
gen, das sich vom Intellekt nie unterjochen ließ.
Scheu ist hier noch Politiker und hält die Politik
als ein Ding für sich und traut ihr eigene zwingen«
de Gesetze zu. Und fühlt nicht, daß ihn dabei eine
Aeußerlichkeit zudecken will. Wie anders Kraus,
der in Binsmarck beispielsweise einen Kopf sieht,
„dessen künstlerische Materie gleichsam nur zufäl«
lig die Politik war“. Mein Empfinden brachte Ver-
wandtes auf, nur in anderer Worttracht, wenn es
in Bismarck einen Menschen sieht, der sein Men«
schentum in die Politik hineintrug und so als Poli«

tiker Künstler war. Denn nicht die Politik hat ihre
zwingenden Gesetze, sondern das Menschentum,
das, wenn es groß und stark genug ist,, sich auch
in der Politik als eine Gesetzlichkeit fühlbar macht.
Ist nun kein hinreichend Starker da, der seine Ge-
setzlicchkeit in die Politik hineinträgt, so täuscht
man sich in dieser eine Gesetzlichkeit vor. Kraus
läßt sich hier nichts vormachen; sein Schätzung
des Politikers entzückt mich: sie weist dem Poli«-
tiker den. Platz an zwischen Aestheten und Dumm«
köpfen. Die Gegenwart muß ihm recht geben und
die Zukunft noch mehr. Der Politiker als Partei«
mensch ist Handlanger einer Sache, wo er nicht
nur Geschäftsmann ist. Er versperrt sich den Weg
zu sich und dadurch auch zu einer Gesetzlichkeit,
wo er nicht äußere Einrictung dafür ansieht. Seine
Arbeit setzt dort ein, wo die Sache für ihn am
versprechendsten aussieht: es ist an der Oberfläche
der Dinge, in die er nie eindringt, da er selber nur
Oberfläche ist, und Fläche in Fläche nicht eindrin«
gen kann. So entsteht ein Sich=Aneinanderreiben
und Sich=Verschieben von Äußerlichkeiten, die
sich wichtig genug ausnehmen mögen, solange nie«
mand da ist, der den ganzen Trödel zur Seite
schiebt oder zerbricht. Man sehe doch unsre Poli«
tiker an. Aus meinem Leben kenne ich einen ein«
zigen, den Durchschnitt weit überragenden Mann,
der für den Reichsrat kandidierte und durchfiel. Die
Schwätzer und Gewandten im Vortäuschen haben
auch hier mehr Erfolg. Es stehen gewiß viele, die
das Volk heute in der Politik vertreten, unter dem
geistigen Mittelstand. Ich habe noch von Wien her
Parlamentssitzungen in Erinnerung, in denen sich
mir ein Großteil der Abgeordneten -— nicht zumin«
dest die Deutsch=Völkischen — unreif genug aus«
zunehmen schien. Man saß reitlings auf Sesseln,
wohl auch auf Pulten oder Tischen und schlenkerte
mit den Beinen, spazierte und gestikulierte so los«
gebunden, als nur möglich. Der Eindruck war so,
als ob sich ein Nichthineingehöriges in ein vorneh«
mes Gelaß verirrt hätte und nun durch freches Be«
nehmen sein Heimischsein bekunden wollte. Der
Gläubige benimmt sich anders. Und der geringste
taugliche Politiker müßte an den Staat glauben, wie
ein Gläubiger an seine Kirche, nicht wie ein Händ«
ler an sein Geschäft. Dann wäre vielleicht auch
Politik fruchtbar. So aber lernt der Mann, der
Mensch genug ist, sich abwenden von Politik und
Politikern. Und schaut zugleich nach Menschen«
tum aus, das hier einmal wieder seine Gesetzlich«
keit -— sei es als Staatsmann oder als Kriegs«
mann ■— zur Geltung brächte. Ein derartiger Mensch
doch müßte ein großer Tatmensch sein, und der
ist selten.

Kraus und das Weib: Hier finde ich Scheu in
konventionelles Gestrüpp verstrickt; es nindert
vielleicht seine Auffassung zu Kraus’ Wesen vorzu«
dringen. So sagt er, hier versagend, aus: „Es er«
regte Verblüffung, als Kraus mit souveräner Ver«
achtung der öffentlichen Meinung ... die Prosti«
tution als natürliche —■ nicht als soziale — Kate«
gorie proklamierte. Er wurde dabei zum Roman«
tiker und geriet in einen eigentümlichen Zwiespalt.
Während er über die Feministen die Lauge seines
Spottes ausgoß, wurde er selbst zugunsten des
weiblichen Geschlechtes ungerecht gegen den.
Mann. Das macht, er ist den Frauen gegenüber
zu viel Liebhaber. — Er ist immer Page. Aber die
Halbwelt ist doch nur die halbe Welt“.
Hier hört man das Konventionelle in Scheu
deutlich heraus. Was dieses sich unter Welt denkt,
ist erst rect nicht die Welt — wenigstes für den
Künstler und Menschen nicht; so auch für Kraus
nicht. Der findet die Spur zu seiner Welt mit Recht
heute wohl mehr in der „Halbwelt“. Sie mag oft
verkommen genug aussehen, so abgegriffen und

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