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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 123/124
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Walden, Herwarth: Bab, der Lyriksucher
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0128

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Umfang zwölf Seiten

Einzelbezug 40 Pfennig

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE


Redaktion und Verlag: Berlin W 9 / Potsdamer Straße 18
Fernsprecher Amt Lützow 4443 / Anzeigenannahme durch
den Verlag und sämtliche Annoncenbureaus
Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN
Vierteljahrsbezug 1,50 Mark / IHalbjahrsbezug 3 Mark /
Jahresbezug 6,— Mark / bei freier Zustellung / Anzeigen-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig
DRITTER JAHRGANG
BERLIN AUGUST 1912

H. W.: Bab, der Lyriksucher / Karl Borromäus Heinrich: Menschen von Gottes Gnaden / Roman / Albert Ehren-
stein: Gedichte / Paul Scheerbart: Das Ozeansanatorium für Heukranke / Runge: Jahrmarkt / D. Burljuk: Die
Wilden Russlands

Bab, der Lyriksucher
Andere Leute benutzen die schöne Sommerszeit
einmal zu baden. Der Oberlehrer Julius Bab hätte
es vielleicht auch nötig' gehabt. Seit Jahren rennt
er auf den Wegen zum Drama hin und her, und hat
dabei so viel Staub aufgewirbel^ daß der Mensch-
heit die Ruhe seiner menschlichen Bedürfnisse zu
gönnen gewesen wäre. Der Julius Bab erholt sich
auf seine Weise und geht zur Sommerzeit in das
Theatrum lyricum. Er teilt der Gegenwart mit,
„daß der hundertarmige Dämon Theater seine An-
teilnahme auf ein paar Wochen freilasse und daß
der Vermittler des literarischen Treibens, Raum
erhält“, ins Theatrum lyricum zu gehen. Herr Ju-
lius Bab verspricht, die „Umschau unter dem streng-
sten Gesichtspunkt einzunehmen“. Ich kann nicht
finden, daß er unter seinem Gesichtspunkt steht
Seine Augen reichen nur bis zu seiner Brille. Infolge
dessen fallen ihm zunächst zwei ,,starke und rein,
liehe Formtalente“ in die Augem Nämlich
Die Sonne glost im Osten auf,
wir fassen fest die Faust am Knauf.
Der Morgenwind streicht unser Haar,
Sucht einen, der von Sünden bar,
Unterm verlornen Haufen.

Die Stärke ist offenbar die Faust, die Reinlichkeit
der Morgenwind, der das Haar streicht, und das
Formtalent ist unterm Haufen verloren. Herr Ju-
lius Bab kann Heine noch viel besser dichten:
Frühling, komm’ und trage
mich mit sanfter Hand,
daß ich nicht mehr frage,
wo mein Heimatland.

Ich frage nur nach dem ,,ist“ und antworte dem
Dichter:
Nur unverzagt, auf Gott vertraut,
Es muß doch Frühling werden!
Viel bedeutsamer erscheint dem Julius Bab Franz
Werfel. Herr Julius Bab erhofft von dem Poeten,
daß er „unserer Lyrik einen neuen Ton schenken
wird.“ Franz Werfel dichtet so:
Die Freunde, die mit mir sich unterhalten
Sonst oft mißmutig, leuchtend vor Vergnügen,
lustwandeln sie in (meinen schönen Zügen
wohl Arm in Arm, veredelte Gestalten,

Oder so:
Wer trat herein?
So leicht und unbefangen
Mit einem lila Shawl
und tanzerregten Wangen
wie bei der Damenwahl?
Worauf man mit Julius Bab antworten könnte:
Laß in weichen Winden,
Die auf Feldern geh’n,
Du mich Wohnung finden —-
Laß mein Haus ersteh n,
Wo ist der eigene Ton? Im Rhythmus. In der Me-
lodie? Oder will man mir etwa erzählen, daß der
sogenannte Inhalt neu1 sei? Der noch nicht benutz*
te Shawl, Oder das Engagement der Lyrik für
die Damenwahl, oder macht es die Weltanschau-
ung:
Kind, vernimm zu nächtlichem Geleit:
Ewig sind wir, — Wahn ist alle Zeit.
Ich möchte dem Kind zum nächtlichen Geleit
etwas besseres wünschen als diese beiden Versplatt-
füße. Wenn einer schon durchaus neuen Wein in
die bekannten alten Schläuche schütten will, dürfte
ihm das deshalb schon schwer fallen, weil die alten
Schläuche nicht einmal mehr zum alten Eisen ge-
worfen werden können. Sie sind nicht mehr Mode.
Und werden selbst im lila Shawl trotz allem Ver-
stecken wieder erkannt. Goethe, Heine und Geibel
geben auch zusammen noch keinen neuen Ton.,
Wenn man ein Erlebnis (den Tschibuktürken überm
Ladenschild, sie mit der| tanzerregten Wangen)
aufschreibt, in erborgten Rhythmen, so ist das noch
keine Gestaltung eines Erlebnisses. Herr Julius Bab
hat zwar gelesen, daß Erlebnis und Gestaltung ein
Kunstwerk mache, nur sieht er durch seine Brille
ein Erlebnis, wo keine Gestaltung, und eine Gestal-
tung, wo kein Erlebnis vorhanden ist. Herr Bab
schwärmt für ,,urwüchsige Erneuerung“, wobei
nicht recht sichtbar wird, wie eine Erneuerung ur-
wächst, oder überhaupt wächst. Aber auch die
urwüchsige Erneuerung ist nur bei einem „Ueber-
gang aus vornehmer Tradition“ (Goethe, Heine,
Geibel) erhoffenswert. Herr Werfel „wird unse-
rer Lyrik einen neuen Ton schenken“, von Max
Mell ,,hat die deutsche Lyrik viel zu erwarten“. Sie
kommt aber trotz allem nie außer Rand und id,
die Lyrik. Sie wird zu fest in Rand -

von den Hoffnungsdichtern des Herrn Bab gehal-
ten. Max Mell dichtet etwa so:
Und mit dem Wagen, der schwer
sich am Abend mit Garben belud,
geht er müd’ und stolpernd einher.
Und geht ihm durchs Scheunentor nach und
schließt es hinter sich zu.
So etwas kündet nach Julius Bab „ein eigenes,,
starkes, ungehemmt mutiges Verhältnis zum Dasein“.
Dabei schließet er das Scheunentor hinter sich gut,,
und schwer herein schwankt der Wagen, kornbe-
ladeil.' Nicht einmal zieht das muntere Volk der
Schnitter mehr, zum Tanz. Ja, der Ernst des Le-
bens tritt an die Lyrik heran. Jetzt heißt es fest
gefügte Verse künstlich in die Länge ziehn. Und
zwar jeden vierten Vers, damit man auch die Ab-
sicht merkt. Aber dieser in die Länge gezogene
Vers macht Herrn Julius Bab zum Extatiker: „Max
Mell bietet das Beispiel, wie ein Talent durch im-
mer tiefere und reinere Selbstbesinnung aus der
Konvention zu eigener und neuer Form schreitet“.
Kaum schreibt der Herr Bab das Wort schreiten,
schon muß er an seine vielen vergeblichen Wege
denken. Und mit wehem Ernst bemerkt er: „Es ist
ein weiter und schwerer Weg (Gedankenstrich)
— und vielleicht nicht einmal der Weg des ganz
ursprünglichen Genies, das sich mit einem jugendlich
wilden Sprung auf eigenen Boden zu stellen pflegt
und erst später und allmälich seinen eigenen Zu-
sammenhang mit der großen Tradition der Formen
wieder auffindet“. Herr Bab rennt verzweifelt auf
fremden Straßen herum, und das ganz ursprüng-
liche Genie stellt sich mit einem jugendlich wilden
Sprungaufeigenen Boden. So machen das
die Genies. Aus Wut darüber wird Herr Julius Bab
gutbürgerlich und symbolisch. Er wendet sich mit
Grimm gegen „die Titanen der Cafehäuser, die sich
durch möglichst augenfällige Aneignung des bloßen
Symptoms, ungewöhnlich oder möglichst unver-
ständlich sein! B,,als Genies bemerkbar zu machen
suchen“,. Darauf wird Herr Julius Bab symbolisch
und redet von „dem in jedem Sinne grünen Bande
der Kondor“. Nun ist der Kondor schon deshalb
eine schlechte Antologie, weil er Gedichte von
Personen enthält, die nicht einmal Dichter sind,
und Gedichte von Dichtern, die keine Künstler sind.
Mit großem Bedauern lese ich den Namen Else
Lasker-Schüler in diesem Buch. Sie wird vielleicht
die Gefolgschaft ebensowenig gekannt haben, wie

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