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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 119/120
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Rittner, Tadeusz: Jour Fixe
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0111

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Zum Beispiel: von bekannten. Schönheiten Sig-
nora Aurora oder von. der Creme de la Creme
Fürst Cosimo in persona oder von der literarischen
Welt Heliotrop, der Dichter.
Der Salon gehörte der Familie Coravanti (Kauf-
leute, aber, wie Cosimo sagte, „im übrigen ganz
anständige Menschen“) — und zählte zu den
schönsten Grüften des Friedhofes. Zur Zeit des
Vollmondes war die Beleuchtung geradezu superbe.
Dies mußte selbst Signora Fiora (gestorben an
gelben Fieber) nolens volens zugeben, wie gerne
sie auch sonst über alles schimpfte.
An Mobilar war außer einigen grauen^ Sar-
kophagen -— nichts Berherkenswertes vorhanden,
aber dafür waren die Wände mit Malereien des Fra
Filippo königlich geschmückt. Und immer duftete
die See, oft auch die sinnlche Mimosa oder die zar-
te. süße Magnolie.
„Manche behaupteten Posa habe den schönsten
Friedhof in ganz Italien“, sagte Cosimo und faßte
geschickt zwei Würfel Zucker mit der Zange, „aber
das ist falsch, unser Campo Santo ist viel schöner“*
Viel schöner, wiederholte die Hausfrau Signo-
ra Coravanti.
Vor allem haben wir viel bessere Luft, setzte
Cosimo ein wenig träge die Konversation fort.
Weil wir unmittelbar am Meere wohnen schloß
apathisch die Coravanti.
Sie fühlte: lieber den gleichgiltigsten, konven-
tionellen Blödsinn, das Schweigen. Sie wußte was
sich schickte.
Ob Durchlaucht noch eine Tasse Tee genehmi-
ge. Nein, Durchlaucht dankt verbindlichst.
In der Ferne läuteten die Glocken von Messina.
Es kam wieder ein Gast. Seine Kleidung war noch
ganz hübsch, er ist erst vor kurzem gestorben. Das
Gesicht, die Haare waren so ziemlich erhalten. Die
Hausfrau wollte ihn dem Fürsten vorstellen, aber
da erhob sich dieser und rief:
„Anselmo!“
„Ja, Anselmo“, sagte der neue Gast.
Die Hausfrau wurde aus unbekannten Gründen
entsetzlich verlegen und begann verdächtigt rasch
vom Wetter zu sprechen. Zu ihrem größten Erstau-
nen brach Anselmo in ein schallendes Gelächter aus
„Sie lachen . . . “ stammelte sie.
„Er kleidet sich gut“, bemerkte freundlich der
Fürst.
„Tante grazie“, dankte Anselmo, und er fügte
hinzu: „zu meinen Lebzeiten war ich immer ernst.
Und erst hier lernte ich lachen . . . “
„Das ist der Einfluß der hier herrschenden Ru-
he und der günstigen klimatischen Verhältnisse“,
meinte Cosimo.
„Schon möglich”, sagte Anselmo. Die letzten
Jahre meines Leben waren viel trauriger als der
jetzige Aufenthalt aiff dem Campo santo”.
Der Fürst lächelte höflich.
„Das kann ich wohl begreifen. Es tut mir auf-
richtig leid, daß Sie diese letzten Jahre — quasi
durch meine Schuld im Gefängnis zubringen muß-
ten.” ’
O bitte, unterbrach ihn Anselmo., es war mei-
ne Schuld, sagte milde der Fürst.
Und das Echo wiederholte niemandes Schuld”.
Dann wurde es still. Man hörte die Zypressen
am Meeresufer rauschen.
Es erschien Signora Aurora (f 1890 an Liebe)
in Gesellschaft des jPoeten Heliotrop und des Die-
bes Pafnuzio (der hier trotz seiner Vergangenheit
in den besten Häusern empfangen wurde). Anselmo
wurde vorgestellt. Aurora begann sofort mit ihm
zu kokettieren, denn er war sozusagen von allen
der jüngste. Sie bewegte ihren, kahlen Schädel hin
und her und es funkelten ihre ewigen Goldblomben
und Brillanten.
„An was für eine Krankheit sind sie gestorben?
fragte sie Anselmo.

Dieser zeigte auf Cosimo.
Der Fürst war meine Krankheit. Jahrelang
grübelte ich darüber, wie ich ihn töten könnte.
Und schließlich habe ich ihn getötet.
Macht er Spaß? fragte Aurora die anderen.
Ach nein, antwortete der Fürst, er spricht die
Wahrheit. Ich war seine Krankheit und er die mei-
ne. Jahrelang zitterte ich heimlich vor seinem Dol-
che. Und schließlich durchborte sein Dolch mein
Herz.“
Pafnuzio lachte: „Dumm ist das Leben . , •
Anselmo warum hast du den Fürsten ermordeat?
Weil ich Italien liebte. Cosimo war ein Feind
der Freiheit.
Der Dichter fragte: „Cosimo, du hassest die
Freiheit?
„Ja, denn ich liebte Italien.
Die Anwesenden lachten: Dumm ist das Le-
ben.
Coravanti rümpkte die Nase, sie liebet nicht
so laute Unterhaltung.
Wünscht jemand noch Tee? fragte sie, um die
lachenden zu beruhigen.
Aber die Gesellschaft lachte immer lauter,
klapperte mit den Knochen und sang im Takte:
—Dumm ist das Leben.“
... Da ächzte plötzlich das eiserne Tor des
Hauses der Coravanti und ein düsterer, großer
Mann erschien an der Schwelle.
Macht keinen Lärm brummte er. „Warum stört
ihr die Nachtruhe! Im Grabe der Allegri flucht
man euch entsetzlich!“
Aurora flüsterte süß: i Brumme nicht, Enrico
.... Tritt näher und unterhalte dich mit uns.
Enrico schaute sie nicht an (er hatte immer
das Gold mehr geliebt wie die Frauen), aber er
trat ein und ließ sich eine "Tasse Tee von der Haus"
frau reichen.
Der Fürst und Pafnuzio spielten ein seltsames
Würfelspiel, irgendwo im dunkelsten Wipkel und
der Poet blickte zum Himmel hinauf und sprach
mit dem Monde leise und zärtlich.
Die Weiber setzten sich ganz nahe zu Enrico
(weil er sie nie geliebt hatte) und blickten ihm
schmachtend in. die Augen. Er brummte:
Ihr singt immer dasselbe. Immer: Dumm ist
das Leben! Den elenden Gassenhauer. Banal seid
ihr. Banal und neidisch. Ihr wißt, das Leben ist
süß wie Honig. Und darum heult ihr. Denn ihr
sehnt euch nach dem Leben zurück.
„Ich sehne mich nicht zurück, Enrico“, sagte
bitter die Coravanti. Mein Mann schlug mich
unbarmherzig, schlug mich bei jedem Anlaß.
„Recht hatte er, freute sich Enrico. Und was
tut er jetzt?“
Er schläft — sie zuckte verächtlich mit den
Achseln — „er schläft im Grabe nebenan, in Ge-
sellschaft seiner Vorfahren/1 In seiner Familie
schlafen alle. Ich bin eine Carnesi.
.... Es rauschte das Meer ud es rauschten
die Zypressen. Und der Poet sprach mit dem
Monde leise und zärtlich. .....
Auch ich sehne mich nicht nach dem Leben
zurück, flüsterte Aurora, glaub’ mir. Enrico. Ich
hatte prächtig schwarzes Haar und es wurde weiß
gegen Abend, so wie die Nacht gegen Morgen er-
bleicht. Ich hatte Augen wie Sterne und sie erlo-
schen. Ich hatte Lippen wie Rosen und Rubine
und sie verwelkten und verbrannten zu Asche.
Gewonnen sagte der Dieb Pafnunzio zum Für“
sten. Und sie fingen ein neues Spiel an. Pafnu-
zio saß abgewendet da und niemand konnte sehen,
wie er den Fürsten betrog.
Wie Kinder hattet ihr gelebt, verhöhnte Enrico
die Weiber — und darum sind euch keine schönen
Erinnerungen geblieben. Da war mein Leben ganz
anders.
Und er begann von seinen Reichtümern zu spre-

chen (denn er war einstens der größte Kapitalist
in Messina und schrecklich sich zu brüsten, wie
herrlich es ihm bis zu seinem Tode ergangen sei.
Da kam ein (soeben verstorbener) Mann herein
und fragte: Liegt hier nicht zufällig die schöne
Aurora?
Enrico antwortete unfreundlich: Zuerst klopft
man an und erst dann tritt man ein. Und er fügte
hinzu.
„Hier liegt überhaupt niemand. Das ist ein
Salon, verstehen sie, kein Schlafzimmer.
Aurora warf sich dem Manne stürmisch an die
Brust. Aber dieser erkannte sie nicht und stieß
sie mit Ekel weg.
Wo ist Aurora? fragte er weiter. Sagt mir
bitte wo sie ist? Wie Feuer war ihre Schönheit.. .
Ich hatte sie einst aus Eifersucht gehaßt . . . aber-
jetzt liebe ich sie wieder. Wo ist sie?
Sie steht ja hier, kicherte Enrico und wies
schadenfroh auf das mit Brillanten behängte Ge-
rippe. Du lügst! schrie der Mann voll Zorn wei-
nend, und lief hinaus. '
.... Dann hörte man, wie er bei den Allegri.
fragte:
Liegt hier nicht zufällig die schöne Aurora? . . ...
.... Und dann bei den Carnesi:
Liegt hier nicht . . .
Enrico freute sich und lachte.
Alle hattet ihr wie Kinder gelebt, räsonierte er,
und darum habt ihr jetzt keine Erinnerungen. Was
ist euch im letzten Augenblick geblieben, sagt nur,,
im letzten Augenblick? Dich, Aurora, hat deine
Schönheit betrogen — und darum war so bitter
dein Abend. Wie kann man auf die Schöheit zäh-
len! ... . Aber mein Leben, seht, mein Leben. . . ...
Er trank seinen Tee, prahlte und log.
„Nur mein Leben war schön bis zu Ende. Denn
das Gold wird nicht schlechter und das Gold be-
trügt nicht. Ich freute mich daran bis zum letzten
Augenblick. Als ich im Sterben lag, war in meinen
Truhen mehr Reichtum, als in ganz Messina.
Und da er so schwätzte, erhob sich Pafnuzio,
näherte sich ihm still und unbemerkt und begann
plötzlich dem Schwätzer ins Gesicht zu lachen, so.
frech und höhnisch, daß Enrico verstummte.
„Lüge nicht”, flüsterte der Dieb, „lüge nicht,.
Enrico. Denn als du im Sterben lagst, waren deine
Truhen leer”.
Und Pafnuzio erzählte laut und lustig, wie er
den Geizhals bestohlen hatte. Wie der reiche En-
rico als Greis von seinem Reichtum und einem
jungen Dieb betrogen wurde.
Da erscholl ein großes, unbändiges Gelächter.,
Denn Enrico zitterte so vor Scham und Aerger,
daß sein Unterkiefer herabfiel und auf dem mar-
mornen Fußboden in tausend Stücke zerschellte.
Nur mit den Augen konnte er fluchen. Und mit
den Augen sagte er zur Hausfrau:
„Sonderbare Leute empfängst du in deinem
Hause, Signora Coravanti”.
Dann ging er weg. Einige Zeit lachte noch die
Gesellschaft, aber später wurde sie stiller und stil-
ler.
Und man hörte nur die Stimme Heliotrops, des
Dichters, der zum Himmel hinaufblickte:
„Herrliche Nacht, meine Geliebte.Du.
silberner Traum der Erde.”
Die Coravanti dachte:
„Der Dichter Heliotrop hat das wahre Leben
gehabt. Nur den Träumer kann nichts betrügen”..
Thaddäus Rittner
Aus dem neuen Novellenband von Thaddäus Rittner:
Ich kenne Sie / Deutsch-vjrsterreichischer Verlag / Wien



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