Jahr mehr und mehr ab, indes erhöht dies nur die
Eleganz und Geschmeidigkeit seiner Haltung. „OK
diese Taille, oh diese Taille!“ kann man die ver-
rückten Damen hier flöten hören. Seine Augen
strahlen die Glut der südlichen Sonne wieder, un-
ter der er geboren ist. 0n seiner Heimat gibt es
viele schöne Leute; der Rotwein macht sie schlank;
die Sonne bräunt ihre stolzen Gesichter; ihre Au-
gen sind dunkel und gefährlich. Verzeih diese Ein-
schaltung, hochwürdiger Bruder in Christo! —
spricht doch jeder gern von seinen Landsleu-
t e n!)
Der Baron Frangart lebt durchaus wie ein
Junggeselle. — Alle verderblichen Eigenschaften
seiner Vorfahren scheinen sich in ihm gleichsam
gesammelt zu haben und,, nunmehr losgelassen,
ihr Spiel zu treiben. Nur ein einziges Mal, sagt
man, hat er Frau und Sohn besucht und soll ärger
zurückgekommen sein, als er hingefahren war.
Ein Verwandter seiner Frau, Marquis Choiseul,
ist vor drei Jahren nach Wien gekommen, um ihn
zur Rede zu stellen. Der Marquis bereut wohl,
daß er die beiden zusammengeführt hat. Bei Sr.
Majestät, unserm Kaiser, hat er sich eine Audienz
erbeten. Sie wurde ihm gewährt „Kaiserliche
Majestät,“ soll er gesagt haben, „mir scheint, der
Baron Frangart, Gemahl der früheren Komtesse
Riom, täte gut, die Armee zu verlassen und zu
seiner Familie heimzukehren. Eure Majestät wür-
den mich zu Dank verpflichten, wenn Sie ihm das
sagten.“ Es wird berichtet, daß seine Majestät
sehr gnädig zu dem alten Herrn gewesen sei, aber
ihm seinen Wunsch, weil Baron Frangart eben
doch ein sehr zukunftsreicher Offizier ist, hat
abschlagen müssen. Es läuft überdies eine kuri-
ose Anekdote um: Seine Majestät fragt den Mar-
quis Choiseul, ob er in Frankreich irgendein öffent-
liches Amt bkleide. „Votre Majestö Imperiale,“
antwortete der Marquis, „nous autres les Choiseuls,
nous n’avons point accepte de Charge publiqtie
depuis 1789. Apres la Revolution, cela n’aurait pas
ete digne de nous ni de nos traditions.“ ,„Ah!“ sag-
te Seine Majestät lächelnd, „voyez, eher marquis,
vous etes donc de beaucoup plus nobles que moi,
qui exerce-lä le mdtier Id’empereur!“ — „Loin de
moi cette pensee, mais votre Majeste Imperiale 1’
exerce par gräce de Dieu et non pas en France.“
Man hat den alten stolzen Herrn sehr respektiert
Bevor er von hier abreiste, enterbte er den
Baron Frangart, der viel Geld verbraucht hat, zu-
gunsten seiner Frau und seines Sohnes.
Eine Dame der hiesigen Gesellschaft, die den
Baron Frangart auf eine verrückte Weise, und so
liebte, daß man sich öffentlich darüber moquierte,
soll ihm tags darauf zwanzig Tausendkronenscheine
ins Haus geschickt haben. Sie hatte einen Zettel
beigelegt: „Wenn nötig •—■ Fortsetzung folgt.“ Als
die lächerliche Dame den Nachmittag dieses Tages
an seinem Haus vorüberfuhr, stand er schon am
Fenster, zerriß, ohne einen Blick auf den Wagen
zu werfen, die zwanzig Scheine in kleine Stücke
und ließ sie hinunterflattern. „Wenn nötig —-
Fortsetzung folgt!“ schrie er dabei wiederholt. Die
Dame mußte Wien verlassen, um dem Gespött zu
entgehen, das sich allseitig laut erhob. Aber sie
ist leider nicht die einzige, die seinetwegen Ehre
und Achtung in der Gesellschaft verloren hat. —
Seine religiösen Pflichten erfüllt der Baron Frangart
regelmäßig. Auch er soll in manchen Tagen in
bitterster Melancholie und Einsamkeit das Zimmer
hüten. Aber nachher beginnt er das unsinnige Le-
ben von vorn, und ohne daß auch nur eine Spur
von Wandel der Gesinnung ersichtlich würde. Gott
behüte ihn vor einem unchristlichen Ende!
Dies, hochwürdiger Bruder in Christo, ist die
bedauerliche Wahrheit über den Baron Frangart
Wenn er Dein Freund ist, wie es nach Deinem Bril-
le scheint, so bete unablässig für ihn! Wenn er es
nicht ist, bete trotzdem!
Ach hochwürdiger Bruder, manchmal denke ich
mir, wieviel ruhiger und angenehmer mein Leben
verflösse, wenn ich irgendwo auf dem Lande und
nicht hier, in einer Pfarrerei,, zu der fast ausschließ’
lieh die Menschen der großen Gesellschaft gehören,
zubrächte. Wieviel weniger Dinge erführe ich
dann, die mein und nunmehr auch Dein Herz mit
Sorge erfüllen!
Aber wir müssen dort ausharren, wohin wir
gestellt sind. So liegt es im Sinne der Vorsehung,
Welcher Dich hiermit empfiehlt
Dein Dich liebender Bruder in Christo
Canisius S. J.
Eine Zeitungsnachricht
In der Nacht vom vierten auf den fünften April
1896 erhielt Pater Bonaventura ein Telegramm des
Paters Canisius aus Wien mit den kurzen Worten:
„Baron Frangart gestorben. Brief folgt“. Der
Brief kam expreß am Mittag des nächsten Tages.
Er enthielt einen Ausschnitt aus einer Wiener Zei-
tung, nebst einer, offenbar in der Eile deutsch ab-
gefaßten Bemerkung von der Hand des «Paters
Canisius.
Die Zeitungsnotiz lautete (im Zeitungsdeutsch,
nicht übersetzt): „Heute morgen verschied uner-
wartet rasch eine der hoffnungsvollsten Zierden
österreichischen Armee. Hauptmann Baron
Frangart./ Die Nachricht wird allgemein mit Be-
dauern aufgenommen werden, indem wohl jeder,
der mit Baron Frangart, sei es nun dienstlich oder
in persönlichem Verkehr, zu tun gehabt hat, das
beste Andenken an ihn mit fortgenommen haben
dürfte. Ueber die Ursache des so plötzlchen Todes
hüllen sich die maßgebenden Stellen dn tiefstes;
Stillschweigen. Man geht wohl nicht fehl, wenn
man das Ableben des Baron Frangart mit einem
Ehrenhandel in Verbindung bringt. Die Beerdi-
gung findet in aller Stille zu Frangart in Südtirol
statt, wo der jäh Verschiedene in der Familiengruft
beigesetzt wird“.
Diese Notiz war von; folgenden lakonischen
Worten des Paters Canisius begleitet:
„Baron Frangart ist tot. Er hat sich öfter
duelliert, als zulässig wäre, selbst wenn man
darauf baut, daß einem Gott wohl will. Der Baron
hat nach dem tödlichen Schüsse noch zwei Stunden
gelebt, und somit war ihm die Gnade gewährt, die
heiligen Sterbesakramente zu empfangen, aus mei-
ner eigenen unwürdigen Hand, und im Schoße un-
serer Kirche zu sterben. — Er hat mir für Dich,
geliebter Bruder, ein Schriftstück übergeben las-
sen, das ich jedoch nur Dir persönlich auszufolgern
habe. Ich nehme also an, daß ich, obzwar der An-
laß tieftraurig ist, die Freude haben soll, Dich bald
zu umarmen
als Dein niedriger Bruder in Christo
Canisius S. J/‘
Pater Bonaventura, der nur die Zeitungsnotiz
genau und die Zeilen des Paters Canisius sehr
flüchtig, ja gegen den Schluß hin gar nicht las (es
fiel ihm beschwerlich, deutsche Handschrift zu
lesen), erbat sich von seinem Obern einige Tage
Urlaub zur Reise nach Frangart; er ging dabei von
der Meinung aus, daß er im gegenwärtigen Mo-
ment der Witwe und dem jungen Baron Fritz mit
Rat und Tat nützen könne.
Einige Stunden nach Mittag befand er sich
schon auf der Fahrt nach München—Innsbruck-
Bozen. Er saß kaum im Zuge, da traf im Ordens-
haus ein Telegramm des Alten auf Choiseul ein,
das die merkwürdigen Worte enthielt: „Wissen
Sie, daß Baron Frangart tot ist, Sie brauchen1 nicht
zu seiner Beerdigung zu fahren., da ich wahrschein“
lichl sebst hinkomme. Choiseul“.
Da Pater Bonaventura nun schon einmal un-
terwegs war, hielt man es im Hause nicht für nötig,
ihm diese Depesche nachzusenden.
Die Versuchung
Der Zug, der den Pater Bonaventura gegen
München führte, war gerade in Ingolstadt ausge-
laufen. Die Reisenden mußten die Betten der
Schlafwagen verlassen und sich ankleiden. Pater
Bonaventura, der ja in Deutschland sein Ordens-
kleid nicht tragen durfte,, steckte heute in einem
karrierten englischen Reiseanzug. Er lächelte, als
er sich, im Spiegel des Coupes, in diesem weltli-
chen Aeußern erblickt. Seit beinahe zehn Jahren,
ja, seit 1894, hatte er ununterbrochen das Habit
seines Ordens getragen. Wie merkwürdig, daß er
das Kleid der Welt, das er bei der Hochzeit seines
Freundes ausgezogen hatte, nunmehr bei seiner
Beerdigung zum ersten Male wieder anzog!
Draußen schien es Tag werden zu wollen; aber
man sah nichts von der Landschaft, da ein dichter
Nebel alles verdeckte.
Pater Bonaventura blickte, wie zufällig, noch-
mals in den Spiegel. Er fand, daß er sich immer-
hin noch gut machte dn diesem englischen Stoff.
Plötzlich ertappte er sich bei seinen!Gedanken und
errötete. In leiser Verwirrung fing er an'^zu beten
und suchte den weltlichen Sinn zu'verscheuchen.
Er betete, bis der Zug durch den'dichtesten Nebel
in München einfuhr. Das war gegen 'sieben Uhr,
und er wußte, daß er hier genügend 'Zeit haben
werde, seine Messe zu lesen, da; der Zug erst gegen
neun Uhr nach Bozen weitergehen sollte. Er nahm
sich am Bahnhof einen Wagen und fuhr durch die
graue Neuhauserstraße, deren häßliche moderne
Häuser seltsam übernächtig aussahen, zum Lieb-
Frauendom. In der Sakristei legitimierte er sich
und las danln die Messe an einem der alten Altäre
dieser dunkeln und doch so farbenreichen, fast süd-
lichen Kirche. Er las die Messe im schwarzen Or-
nat, für das Heil der Seele des Baron Frangart.
Zum ersten Mal dachte er dabei eigentlich mit vol-
lem Bewußtsein an dessen Tod und fühlte sich tief
erschütterte Und während er die Episteln überlas,
blieb er stecken, und seine Gedanken irrten weit
ab. Jene schreckliche Nacht fiel ihm ein, die Hoch-
zeitsnacht des Baron Frangart, für den er jetzt die
Messe aufopferte. Sein geistigen Blick senkte sich
in die grausige Tiefe des Geheimnisses, worin Got-
tes Ratschluß unerforschlich gehüllt ist. Eine zarte
Trauer beschlich seine Seele. Wie, wenn er da-
mals vorausgesehen hätte, daß Baronin Frangart
in zwölf Jahren Witwe sein werde? . . .'.
Aber wiederum regte sich sein stets wachsa-
mes und geschultes Gewissen, das gleich einem
mißtrauischen treuen Hunde vor der Pforte seiner
Seele lag, um jeden unerwünschten Gedanken, der
da Eintritt suchte, mit seinen Bissen zu töten, —•
und verwies ihm, zum zweiten Mal am heutigen
Tage, alle weltlichen Gedanken. Er zürnte sich
selbst, daß er sich so wenig in der Gewalt hatte;
er suchte eine Entschuldigung und schob seine Zer-
streutheit auf den Umstand, daß er der genügsa-
men Stille seines Ordenshauses so plötzlich ent-
rückt worden sei. Verloren blickte er noch einen
Augenblick in das schwermutsvolle Dunkel der
Kirche hinein und las dann, nach einem langen
Seufzer, die Messe weiter. Beim Paternoster
sprach er den Satz: „et ne nos inducas in tenta-
tionen“ zwei, dreimal ....
Verträumt, müde und schläfrig saß er um neun
Uhr wieder im rollenden Zuge. Der Halbschlaf
brachte ihm längst versunkene Bilder zurück: er
stand mit Komtesse Riom am Fenster des Schlos-
ses Choiseul. „Sehen Sie,, Miöville, wie schön!“
rief sie, auf irgendeinen Baum hinausdeutend, und
legte ihre zarte Hand in liebenswürdiger Erregung
auf seinen Arm. Und der Schlafende erschauerte,
wie er damals im Wachen erschauert war ....
Dann aber warf er seine Schläfrigkeit von sich,
ging auf den Korridor des Wagens hinaus und
lehnte sich betrübt an das geschlossene Fenster.
Draußen senkten sich Wolken von Schnee auf die
127
Eleganz und Geschmeidigkeit seiner Haltung. „OK
diese Taille, oh diese Taille!“ kann man die ver-
rückten Damen hier flöten hören. Seine Augen
strahlen die Glut der südlichen Sonne wieder, un-
ter der er geboren ist. 0n seiner Heimat gibt es
viele schöne Leute; der Rotwein macht sie schlank;
die Sonne bräunt ihre stolzen Gesichter; ihre Au-
gen sind dunkel und gefährlich. Verzeih diese Ein-
schaltung, hochwürdiger Bruder in Christo! —
spricht doch jeder gern von seinen Landsleu-
t e n!)
Der Baron Frangart lebt durchaus wie ein
Junggeselle. — Alle verderblichen Eigenschaften
seiner Vorfahren scheinen sich in ihm gleichsam
gesammelt zu haben und,, nunmehr losgelassen,
ihr Spiel zu treiben. Nur ein einziges Mal, sagt
man, hat er Frau und Sohn besucht und soll ärger
zurückgekommen sein, als er hingefahren war.
Ein Verwandter seiner Frau, Marquis Choiseul,
ist vor drei Jahren nach Wien gekommen, um ihn
zur Rede zu stellen. Der Marquis bereut wohl,
daß er die beiden zusammengeführt hat. Bei Sr.
Majestät, unserm Kaiser, hat er sich eine Audienz
erbeten. Sie wurde ihm gewährt „Kaiserliche
Majestät,“ soll er gesagt haben, „mir scheint, der
Baron Frangart, Gemahl der früheren Komtesse
Riom, täte gut, die Armee zu verlassen und zu
seiner Familie heimzukehren. Eure Majestät wür-
den mich zu Dank verpflichten, wenn Sie ihm das
sagten.“ Es wird berichtet, daß seine Majestät
sehr gnädig zu dem alten Herrn gewesen sei, aber
ihm seinen Wunsch, weil Baron Frangart eben
doch ein sehr zukunftsreicher Offizier ist, hat
abschlagen müssen. Es läuft überdies eine kuri-
ose Anekdote um: Seine Majestät fragt den Mar-
quis Choiseul, ob er in Frankreich irgendein öffent-
liches Amt bkleide. „Votre Majestö Imperiale,“
antwortete der Marquis, „nous autres les Choiseuls,
nous n’avons point accepte de Charge publiqtie
depuis 1789. Apres la Revolution, cela n’aurait pas
ete digne de nous ni de nos traditions.“ ,„Ah!“ sag-
te Seine Majestät lächelnd, „voyez, eher marquis,
vous etes donc de beaucoup plus nobles que moi,
qui exerce-lä le mdtier Id’empereur!“ — „Loin de
moi cette pensee, mais votre Majeste Imperiale 1’
exerce par gräce de Dieu et non pas en France.“
Man hat den alten stolzen Herrn sehr respektiert
Bevor er von hier abreiste, enterbte er den
Baron Frangart, der viel Geld verbraucht hat, zu-
gunsten seiner Frau und seines Sohnes.
Eine Dame der hiesigen Gesellschaft, die den
Baron Frangart auf eine verrückte Weise, und so
liebte, daß man sich öffentlich darüber moquierte,
soll ihm tags darauf zwanzig Tausendkronenscheine
ins Haus geschickt haben. Sie hatte einen Zettel
beigelegt: „Wenn nötig •—■ Fortsetzung folgt.“ Als
die lächerliche Dame den Nachmittag dieses Tages
an seinem Haus vorüberfuhr, stand er schon am
Fenster, zerriß, ohne einen Blick auf den Wagen
zu werfen, die zwanzig Scheine in kleine Stücke
und ließ sie hinunterflattern. „Wenn nötig —-
Fortsetzung folgt!“ schrie er dabei wiederholt. Die
Dame mußte Wien verlassen, um dem Gespött zu
entgehen, das sich allseitig laut erhob. Aber sie
ist leider nicht die einzige, die seinetwegen Ehre
und Achtung in der Gesellschaft verloren hat. —
Seine religiösen Pflichten erfüllt der Baron Frangart
regelmäßig. Auch er soll in manchen Tagen in
bitterster Melancholie und Einsamkeit das Zimmer
hüten. Aber nachher beginnt er das unsinnige Le-
ben von vorn, und ohne daß auch nur eine Spur
von Wandel der Gesinnung ersichtlich würde. Gott
behüte ihn vor einem unchristlichen Ende!
Dies, hochwürdiger Bruder in Christo, ist die
bedauerliche Wahrheit über den Baron Frangart
Wenn er Dein Freund ist, wie es nach Deinem Bril-
le scheint, so bete unablässig für ihn! Wenn er es
nicht ist, bete trotzdem!
Ach hochwürdiger Bruder, manchmal denke ich
mir, wieviel ruhiger und angenehmer mein Leben
verflösse, wenn ich irgendwo auf dem Lande und
nicht hier, in einer Pfarrerei,, zu der fast ausschließ’
lieh die Menschen der großen Gesellschaft gehören,
zubrächte. Wieviel weniger Dinge erführe ich
dann, die mein und nunmehr auch Dein Herz mit
Sorge erfüllen!
Aber wir müssen dort ausharren, wohin wir
gestellt sind. So liegt es im Sinne der Vorsehung,
Welcher Dich hiermit empfiehlt
Dein Dich liebender Bruder in Christo
Canisius S. J.
Eine Zeitungsnachricht
In der Nacht vom vierten auf den fünften April
1896 erhielt Pater Bonaventura ein Telegramm des
Paters Canisius aus Wien mit den kurzen Worten:
„Baron Frangart gestorben. Brief folgt“. Der
Brief kam expreß am Mittag des nächsten Tages.
Er enthielt einen Ausschnitt aus einer Wiener Zei-
tung, nebst einer, offenbar in der Eile deutsch ab-
gefaßten Bemerkung von der Hand des «Paters
Canisius.
Die Zeitungsnotiz lautete (im Zeitungsdeutsch,
nicht übersetzt): „Heute morgen verschied uner-
wartet rasch eine der hoffnungsvollsten Zierden
österreichischen Armee. Hauptmann Baron
Frangart./ Die Nachricht wird allgemein mit Be-
dauern aufgenommen werden, indem wohl jeder,
der mit Baron Frangart, sei es nun dienstlich oder
in persönlichem Verkehr, zu tun gehabt hat, das
beste Andenken an ihn mit fortgenommen haben
dürfte. Ueber die Ursache des so plötzlchen Todes
hüllen sich die maßgebenden Stellen dn tiefstes;
Stillschweigen. Man geht wohl nicht fehl, wenn
man das Ableben des Baron Frangart mit einem
Ehrenhandel in Verbindung bringt. Die Beerdi-
gung findet in aller Stille zu Frangart in Südtirol
statt, wo der jäh Verschiedene in der Familiengruft
beigesetzt wird“.
Diese Notiz war von; folgenden lakonischen
Worten des Paters Canisius begleitet:
„Baron Frangart ist tot. Er hat sich öfter
duelliert, als zulässig wäre, selbst wenn man
darauf baut, daß einem Gott wohl will. Der Baron
hat nach dem tödlichen Schüsse noch zwei Stunden
gelebt, und somit war ihm die Gnade gewährt, die
heiligen Sterbesakramente zu empfangen, aus mei-
ner eigenen unwürdigen Hand, und im Schoße un-
serer Kirche zu sterben. — Er hat mir für Dich,
geliebter Bruder, ein Schriftstück übergeben las-
sen, das ich jedoch nur Dir persönlich auszufolgern
habe. Ich nehme also an, daß ich, obzwar der An-
laß tieftraurig ist, die Freude haben soll, Dich bald
zu umarmen
als Dein niedriger Bruder in Christo
Canisius S. J/‘
Pater Bonaventura, der nur die Zeitungsnotiz
genau und die Zeilen des Paters Canisius sehr
flüchtig, ja gegen den Schluß hin gar nicht las (es
fiel ihm beschwerlich, deutsche Handschrift zu
lesen), erbat sich von seinem Obern einige Tage
Urlaub zur Reise nach Frangart; er ging dabei von
der Meinung aus, daß er im gegenwärtigen Mo-
ment der Witwe und dem jungen Baron Fritz mit
Rat und Tat nützen könne.
Einige Stunden nach Mittag befand er sich
schon auf der Fahrt nach München—Innsbruck-
Bozen. Er saß kaum im Zuge, da traf im Ordens-
haus ein Telegramm des Alten auf Choiseul ein,
das die merkwürdigen Worte enthielt: „Wissen
Sie, daß Baron Frangart tot ist, Sie brauchen1 nicht
zu seiner Beerdigung zu fahren., da ich wahrschein“
lichl sebst hinkomme. Choiseul“.
Da Pater Bonaventura nun schon einmal un-
terwegs war, hielt man es im Hause nicht für nötig,
ihm diese Depesche nachzusenden.
Die Versuchung
Der Zug, der den Pater Bonaventura gegen
München führte, war gerade in Ingolstadt ausge-
laufen. Die Reisenden mußten die Betten der
Schlafwagen verlassen und sich ankleiden. Pater
Bonaventura, der ja in Deutschland sein Ordens-
kleid nicht tragen durfte,, steckte heute in einem
karrierten englischen Reiseanzug. Er lächelte, als
er sich, im Spiegel des Coupes, in diesem weltli-
chen Aeußern erblickt. Seit beinahe zehn Jahren,
ja, seit 1894, hatte er ununterbrochen das Habit
seines Ordens getragen. Wie merkwürdig, daß er
das Kleid der Welt, das er bei der Hochzeit seines
Freundes ausgezogen hatte, nunmehr bei seiner
Beerdigung zum ersten Male wieder anzog!
Draußen schien es Tag werden zu wollen; aber
man sah nichts von der Landschaft, da ein dichter
Nebel alles verdeckte.
Pater Bonaventura blickte, wie zufällig, noch-
mals in den Spiegel. Er fand, daß er sich immer-
hin noch gut machte dn diesem englischen Stoff.
Plötzlich ertappte er sich bei seinen!Gedanken und
errötete. In leiser Verwirrung fing er an'^zu beten
und suchte den weltlichen Sinn zu'verscheuchen.
Er betete, bis der Zug durch den'dichtesten Nebel
in München einfuhr. Das war gegen 'sieben Uhr,
und er wußte, daß er hier genügend 'Zeit haben
werde, seine Messe zu lesen, da; der Zug erst gegen
neun Uhr nach Bozen weitergehen sollte. Er nahm
sich am Bahnhof einen Wagen und fuhr durch die
graue Neuhauserstraße, deren häßliche moderne
Häuser seltsam übernächtig aussahen, zum Lieb-
Frauendom. In der Sakristei legitimierte er sich
und las danln die Messe an einem der alten Altäre
dieser dunkeln und doch so farbenreichen, fast süd-
lichen Kirche. Er las die Messe im schwarzen Or-
nat, für das Heil der Seele des Baron Frangart.
Zum ersten Mal dachte er dabei eigentlich mit vol-
lem Bewußtsein an dessen Tod und fühlte sich tief
erschütterte Und während er die Episteln überlas,
blieb er stecken, und seine Gedanken irrten weit
ab. Jene schreckliche Nacht fiel ihm ein, die Hoch-
zeitsnacht des Baron Frangart, für den er jetzt die
Messe aufopferte. Sein geistigen Blick senkte sich
in die grausige Tiefe des Geheimnisses, worin Got-
tes Ratschluß unerforschlich gehüllt ist. Eine zarte
Trauer beschlich seine Seele. Wie, wenn er da-
mals vorausgesehen hätte, daß Baronin Frangart
in zwölf Jahren Witwe sein werde? . . .'.
Aber wiederum regte sich sein stets wachsa-
mes und geschultes Gewissen, das gleich einem
mißtrauischen treuen Hunde vor der Pforte seiner
Seele lag, um jeden unerwünschten Gedanken, der
da Eintritt suchte, mit seinen Bissen zu töten, —•
und verwies ihm, zum zweiten Mal am heutigen
Tage, alle weltlichen Gedanken. Er zürnte sich
selbst, daß er sich so wenig in der Gewalt hatte;
er suchte eine Entschuldigung und schob seine Zer-
streutheit auf den Umstand, daß er der genügsa-
men Stille seines Ordenshauses so plötzlich ent-
rückt worden sei. Verloren blickte er noch einen
Augenblick in das schwermutsvolle Dunkel der
Kirche hinein und las dann, nach einem langen
Seufzer, die Messe weiter. Beim Paternoster
sprach er den Satz: „et ne nos inducas in tenta-
tionen“ zwei, dreimal ....
Verträumt, müde und schläfrig saß er um neun
Uhr wieder im rollenden Zuge. Der Halbschlaf
brachte ihm längst versunkene Bilder zurück: er
stand mit Komtesse Riom am Fenster des Schlos-
ses Choiseul. „Sehen Sie,, Miöville, wie schön!“
rief sie, auf irgendeinen Baum hinausdeutend, und
legte ihre zarte Hand in liebenswürdiger Erregung
auf seinen Arm. Und der Schlafende erschauerte,
wie er damals im Wachen erschauert war ....
Dann aber warf er seine Schläfrigkeit von sich,
ging auf den Korridor des Wagens hinaus und
lehnte sich betrübt an das geschlossene Fenster.
Draußen senkten sich Wolken von Schnee auf die
127