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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 156/157 (April 1913)
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Scheerbart, Paul: Herr Kammerdiener Kneetschke: Eine Kammerdiener-Tragödie in fünf Aufzügen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0014
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G. Münter: Zeichnung Franz Mare: Originalholzschnitt

Vorwort
zur blauen Bühne

Zur Herstellung der blauen Bühne sind erforder-
lich: drei höhere Wandschirme, die mit Tuch oder
Papier von preußisch-blauer Farbe überzogen sind.
Zwei dieser Wandschirme rechts und links recht-
winklig zur Lampenreihe aufgestellt, der dritte
Wandschirm bildet rechtwinklig zu den beiden
andern den Hintergrunnd — doch so, daß hinten
rechts und links ein meterbreiter Durchgang
bleibt.

Die Kostüme sind mit Ausnahme des Postboten
und des Großvaters im Hofgeschmack des acht-
zehnten Jahrhunderts zu halten — doch mit Frei-
heit und mit Vermeidung der blauen Farben — nur
die Zopfperrücke muß hellblau sein.

Den Vorhang bilden zwei hellblaue Gardinen,
die in den ersten Aufzügen von zwei Kavalieren
des achtzehnten Jahrhunderts mit weißen Zopf-
perrücken feierlich und graziös mit Degensalut
und ähnlichen Scherzen auseinander und auch zu-
zuziehen sind

Erster Aufzug

Vor der Mitte jeder Wand steht ein Stuhl.
Kneetschke: Ih, sieh da! der Postbote! Na?

Immer noch die Hand am Schwert?
Postbote: Zu Befehl! Wohnt hier Herr
Knutschke ?

Kneetschke: Nein, mein Lieber! Der Herr
wohnt hier nicht.

Postbote: Ach so! Wollte sagen: Knietschke!

Wohnt hier Herr Knietschke?

Kneetschke: Nein, mein Lieber! Der Herr
wohnt auch nicht in diesem Palaste.

Postbote (holt seine Brille vor und liest die
Adresse einer Postkarte ganz genau: Natürlich!
das heißt Kneetschke! Wohnt der Herr

Kneetschke vielleicht hier?

Kneetschke: Herr Kneetschke bin ich selbst.
Postbote: Hier ist eine Postkarte für Euer
Gnaden.

Kneetschke: Wie? Für mich? Das wagen
Sie?

Postbote: Ja, was ist denn dabei?
Kneetschke: Mein Lieber, ich bin wohl ge-
wöhnt, eingeschriebene Briefe in Empfang zu
nehmen, gelegentlich nehme ich auch einfache
Briefe an, wenn ich von ihren Inhalt vorher in

Kenntnis gesetzt wurde — aber offene Post-
karten, mein Lieber, sind für mich nicht da.
Gehen Sie fort! (Ab hinten links)

Postbote: Das muß ja ein sehr vornehmer Herr
sein. Na, ich lege die Karte in die Mitte des Pa-
lastes. (Er tuts und geht säbelrasselnd hinten
rechts ab.)

Gräfin K a t h i Patzig kommt mit zwei weib-
lichen Domestiken von hinten links auf die Bühne.
Die drei haben große Strohhüte auf dem Kopfe
und Sonnenschirme in der Hand, die im Folgenden
zugemacht werden.

Kat hi: Ach, wenn der Frühling kommt, dann ist
Europa so schön —- so sehr schön. Und ich liebe
die Schönheit.

Die beiden Domestiken (die Postkarte auf
dem Boden erblickend): Ah!

K a t h i: Na?

Die beiden Domestiken (auf die Karte mit
dem Sonnenschirm weisend): Da!

Kathi: Ia! Holt sofort meinen Papa und meinen
— Wladimir.

(Die beiden Domestiken hinten rechts und links
ab)

Kathi: Haha! Hinter der Karte steckt ein Ge-
heimnis! Schnell! (Sie hebt die Karte auf und
liest): Herrn Kneetschke hier. Viktoria-Straße 17.
Mein lieber Kneetschke! Sie sind der größte Esel
von ganz Europa! Und es imponiert mir, daß
Sie all die vielen andern Esel Europas so über-
ragen. Mit Ihnen ist ein Geschäft zu machen.
Ich besitze eine Menagerie lebendiger Monstro-
sitäten — darf ich Sie für diese Menagerie als
Riesenesel engagieren? Sie erhalten -monatlich
tausend Mark Gage und freies Futter. Ich bin
Ihr Freund Michel Männlich.

(Kathi ringt die Hände und verbirgt die Karte
in ihrem Sonnenschirm, während hinten rechts
der Papa und links der Wladimir erscheinen.)

Papa und Wladimir (zu gleicher Zeit sehr
laut): Kathi!

Kathi (läßt vor Schreck den Sonnenschirm fallen):
Wladimir!

Wladimir (fängt die Kathi in seinen Armen
auf): Was fehlt dir? Was hast du da in den
Sonnenschirm gesteckt?

Kathi: Es ist ein Geheimnis.

Papa (die Karte aus dem Sonnenschirm ziehend):
Da werden wir gleich dahinterkommen.

G. Münter: Zeichnung

Wladimir: Setze dich nur, mein liebes Bräut-
chen. (Führt sie zum hinteren Wandstuhl, auf
dem sie sich langsam niederläßt.)

Papa: Das ist ja eine Gemeinheit! Der arme
Kneetschke!

Wladimir (eilt auf dem Papa zu, nimmt ihm die
Karte aus der Hand, liest und lacht -— und lacht
so heftig, daß er sich auf den linken Wandstuhl
setzen muß. Der Papa setzt sich auf den rechten.)
Papa (ernst): Kathi. hol den Kneetschke her!
Wladimir (nachdem die Kathi fortgegangen ist):
Lieber Papa, Sie wollen doch nicht jetzt mit dem
Kneetschke über diese Karte sprechen, nicht
wahr?

Papa: Nein, ich will mit ihm über die Verlobungs-
karten sprechen.

Wladimir: Schön! Und diese Postkarte über-
lassen Sie mir, nicht wahr?

Papa: Jawohl! Lach blos nicht so viel, mir ist
bei allen unseren Geldsorgen durchaus nicht
lächerlich zu Mute

Wladimir: Mir eigentlich auch nicht.

Papa: Hm! (Kneetschke kommt von links und
verbeugt sich feierlich — erst vor dem Grafen
und dann vor dem Fürsten.)

Papa: Kneetschke. die Verlobungskarten sollen
gedruckt werden — und zwar auf neuen Hundert-
markscheinen mit Goldlettern: Kathi Patzig und
Wladimir Zaborrek, Brautpaar. Weiter nichts.
Besorgen Sie das.

Kneetschke: Gnädigster Herr Graf, Ihr seliger
Herr Großpapa ließ Verlobungskarten stets auf
Tausendmarkschje’inen drucken. Davon dürfen
wir nicht abgehen.

Wladimir: Ach! Das wird schön.

Papa: Mein lieber Kneetschke! Wir haben fünf
hundert Verlobiingsanzeigfen zu versenden —
so viel Tausendmarkscheine habe ich nicht.
Kneetschke: Dann dürfte eben die Verlobung
nicht stattfinden.

Wladimir: Kneetschke! Sie sind wohl verrückt
geworden!

Kneetschke: Durchlaucht! Mir geht die Ehre
der Familie Patzig über Alles — sie ist mir auch
mehr wert — als mein bischen Verstand.
Wladimir (springt auf und gibt dem Kneetschke
die bewußte Postkarte): Da — les Er mal das!

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